Gegenworte 11 (2003)

Titel der Ausgabe 
Gegenworte 11 (2003)
Weiterer Titel 
Vom Rang ins Parkett - Veränderte Verhältnisse zwischen Wissenschaft und Gesellschaft

Erschienen
Berlin 2003: Lemmens Verlag
Erscheint 
erscheint 2 x jährlich
Preis
€ 16,- pro Jahr, Einzelhefte € 9,- jeweils zzg

 

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Institution
Gegenworte. Zeitschrift für den Disput über Wissen
Land
Deutschland
Von
Rosenstrauch, Hazel

Soeben erschienen:
GEGENWORTE - Hefte für den Disput über Wissen, Ausgabe 11, Sommer 2003

Vom Rang ins Parkett
Veränderte Verhältnisse zwischen Wissenschaft und Gesellschaft

Demokratie? Neuer Gesellschaftsvertrag? Wissenschaftlerinnen als Politikberater und/oder Mäzene und Sponsoren statt Staat? Wie steht es mit den Frauen und was heißt Repräsentation? Aus unterschiedlichen Blickwinkeln werden die Erfordernisse und Kontexte einer Umgestaltung der schwierigen Beziehung zwischen Forschung und Anwendung, Expertise und Mitbestimmungswunsch erwogen und kommentiert.

Mit Beiträgen der Ministerin für Bildung und Forschung, Edelgard Bulmahn, des Generalsekretärs des Stifterverbands für die Deutsche Wissenschaft, Manfred Erhardt; über Scientific Citizenship schreibt Ulrike Felt, Karsten Smid erläutert die Perspektive von Greenpeace, Aleida Assmann berichtet, wie sie Kinder, Ehe und Karriere unter einen Hut bekommen hat, Peter Weingart setzt sich mit dem guten und dem schlechten Ruf der Experten auseinander und Leo Montada überlegt, ob Wissenschaftlern mit Mediation zu helfen wäre.

Außerdem: Wissenschafts- und Geschlechterforschung, Risiko-Dialoge anderswo und die Erfahrung von einer, die auszog, um sich bilden zu lassen. Zumutung und Eigensinn in der Wissenschaft (Manfred Bierwisch), flache Hierarchien am Institut für Immunologie (Gespräch mit Fritz Melchers) und das Modell Körperwelten als demokratisierte Wissenschaft.

Inhaltsverzeichnis

Inhaltsverzeichnis GEGENWORTE Heft 11

Editorial
von Dieter Simon

Einleitung und Dokumentation

Dossier

Edelgard Bulmahn,
Den Dialog vorantreiben

Ulrike Felt,
Scientific Citizenship. Schlaglichter einer Diskussion

Stefan Böschen,
Von der absoluten zur konstitutionellen Monarchie

Manfred Erhardt,
Mäzene, Stifter, Sponsoren - Innovation aus der Zivilgesellschaft

Blickwechsel

Karsten Smid,
Was Kinder einatmen. Die Mass-Stäbe von Greenpeace

Aleida Assmann,
Karriere-Ehe-Kinder, eine unmögliche Trias?

Indre Zetzsche,
Einheimische und Zugezogene an der Hohen Schule

Dagmar Simon,
Die Geschlechterfrage. Plädoyer für einen grenzüberschreitenden Diskurs

Wissenschaft - ein Handwerk

Antje Hellmann-Grobe,
Im Strudel der Beschleunigung. Das Schweizer Modell des Risiko-Dialogs

Leo Montada,
Mediation für die Wissenschaft?

Marc Brown,
Wie kommt die Gesellschaft in die Wissenschaft?

Peter Weingart,
Experte ist jeder, alle sind Laien

Fundstücke

Ein Urteil der königlichen Akademie zu Berlin

Testudo volans, die fliegende Schildkröte will nützlich sein

Uwe Herms,
Sprache kann ein kluger Gastgeber sein

Porträt:
Wir waren frei und sollten auch frei bleiben. Ralf Neumann im Gespräch mit Fritz Melchers, ehem. Direktor des Basler Instituts für Immunologie

Science in Context

Manfred Bierwisch,
Über den Eigensinn der Wissenschaft

György Dalos,
Abschied von einer Elite

Wolf-Hagen Krauth,
Demokratisches Sezieren? Das Modell Gunther von Hagens

EINFÜHRUNG IN DAS THEMA DES 11. HEFTS

Das Verhältnis von Wissenschaft und den "anderen Segmenten der Gesellschaft" - Politik, Wirtschaft, Medien oder (organisierten und nicht organisierten) "Laien" - befindet sich im Umbruch: ob man die Entwicklung zu ‚Big Science' mit ihren großen und vor allem teuren Forschungsorganisationen ins Auge fasst, oder eine Wissenschaftsskepsis, die mit den Folgen des technischen Fortschritts und der Abhängigkeit davon wächst, ob man Entwicklungen betrachtet, die durch die Elektronik oder solche, die durch den Shareholder value von Wissen entstanden sind. Es wird über neue Formen des Umgangs mit Wissen innerhalb und außerhalb traditioneller Institutionen nachgedacht; die alleinige Autorität der Wissenschaft gilt auch in Wissensfragen in vielen Bereichen nicht mehr oder sie wird nicht mehr anerkannt (was letztlich auf das gleiche hinausläuft). Die Forderungen nach Dialog, Partizipation, Legitimation, Transparenz, Verantwortungsbewusstsein und Demokratisierung von Wissen(schaft) oder nach einer "Forschung für die Gesellschaft" folgen der Einsicht, dass Wissen in der so genannten Wissensgesellschaft die wichtigste Ressource der Zukunft ist.

"Wissenschaft in der Gesellschaft" (im - EU-Slang: ‚sis' wie science in society), "Demokratisierung der Wissenschaft" "Neuer Gesellschaftsvertrag" meint nicht das selbe und auch nicht das gleiche wie PUSH, jenes Kürzel, unter dem der Weg der Wissenschaft in die Öffentlichkeit in den letzten Jahren forciert wurde Es geht zwar um "Dialog", aber die - wie üblich aus dem angelsächsischen Bereich kommenden - Catchwords bezeichnen mehr, nämlich eine vielschichtige Verschiebung des Stellenwerts von Wissenschaft im gesamtgesellschaftlichen Gefüge. Dieser Prozess ist längst im Gange und lässt sich mit Popularisierung von Wissenschaft allein sicher nicht steuern. Wissenschaft war lange Zeit, ziemlich genau drei Jahrhunderte lang, weitgehend von den Vergesellschaftungsprozessen ausgeschlossen. Dass man Wissenschaft (so wenig wie Kunst) nicht demokratisch betreiben kann, ist ein Gemeinplatz, er eignet sich als Abwehr von Zumutungen, verdeckt aber auch, dass es den heutigen Verhältnissen nicht mehr gemäß ist, wenn Wissenschaftler tun, was ihnen ihr freier Forschungsdrang eingibt. Die Verantwortung der Wissenschaftler wächst, mit ihr wachsen auch die Bedenken, ob die (trotz aller Gleichberechtigungsrhetorik noch immer vorwiegend männlichen) Wissenschaftler dafür ausgerüstet sind, diese Verantwortung zu tragen.

Nicht die Weisen des Landes, sondern die Probleme drängen auf Lösungen. Da nicht mehr der König, sondern der Steuerzahler den größten Teil der Grundlagenforschung finanziert, stellt sich - lauter als in Zeiten voller Kassen - die Frage nach der Legitimation dieser oder jener Forschungen und nach der Vertretung gesellschaftlicher Interessen. Politiker müssen Entscheidungen über Projekte fällen, die nicht nur ein Vermögen kosten, sondern deren Folgen auch weit in die Zukunft reichen, dafür brauchen sie die Entscheidungshilfe von Experten. Deutungsmacht und Privilegien der Wissenschaft werden schon lange als problematisch empfunden, das Prestige der Professoren sinkt, seit jeder weiß, dass sich Experten für jede gewünschte Entscheidung finden lassen und Ethik nicht funktioniert, wenn sie nicht geregelt wird. Die Wirtschaft sorgt sich um Konkurrenzfähigkeit auf dem internationalen (Wissens)Markt; die Politik muss den Spagat meistern zwischen Repräsentation gesellschaftlicher und Vertretung wirtschaftspolitischer Interessen. In einem demokratischen System müssen, sagen z.B. NGOs oder Patienteninitiativen, alle Bürger/innen Zugang zu dem Wissensschatz erhalten. Sie sollen - das meint Scientific Citizenship - befähigt werden, mit Wissen verantwortungsvoll umzugehen und bei Entscheidungsprozessen über neue Forschungsfelder und weitere technische Anwendungsgebiete bzw. -folgen einbezogen werden. Diverse Foren bürgerschaftlichen Engagements verhandeln etwa auf Konsensuskonferenzen und drängen auf eine stärkere Berücksichtigung ihrer Perspektiven bei Forschung und Heilungsmethoden oder stellen selbst Wissen verständlich und kostenlos zur Verfügung.

Es gibt also viele Akteure und Interessen, die von den Veränderungen betroffen sind, aber es gibt zwischen den verschiedenen Akteuren und Interessensgruppen kaum einen Austausch, weder eine gemeinsame Sprache noch einen (kleinsten) gemeinsamen Nenner, um die Richtung der Umgestaltung in einem "Dialog" zu klären oder gar einen "neuen Gesellschaftsvertrag" auszuhandeln.
Aus der Wissenschaft selbst sind unterschiedliche Stimmen zu vernehmen, es gibt kaum eine interdisziplinäre oder gar öffentliche Debatte. Die Analysen und Vorschläge werden im weitgehend geschlossenen Kreis der Wissenschaftsforscher und -politiker unter gelegentlicher Hinzuziehung von Fachfremden diskutiert und bleiben vorerst folgenlos. Inzwischen setzt sich die Auflösung der alten Ordnung hinter dem Rücken der Beteiligten durch, qua Mittelkürzungen und Verschiebungen in dem komplexen Gefüge mit unterschiedlichen Interessen und Mitspielern.

GEGENWORTE
Hefte für den Disput über Wissen
herausgegeben von der Berlin-Brandenburgischen Akademie der Wissenschaften

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Bestandsnachweise 1435-571X