Mauthausen Survivors Research Project (MSRP)

Mauthausen Survivors Research Project (MSRP)

Projektträger
Ludwig Boltzmann-Institut für Historische Sozialwissenschaft, Wien / Salzburg ()
Ausrichter
Ort des Projektträgers
Wien
Land
Austria
Vom - Bis
01.11.2007 - 31.10.2010
Von
Regina Fritz / Alexander Prenninger

Von November 2007 bis Oktober 2010 führt das Ludwig Boltzmann-Institut für Historische Sozialwissenschaft (LBIHS) in Kooperation mit dem Institut für Zeitgeschichte der Universität Wien ein vom Zukunftsfonds der Republik Österreich gefördertes internationales Forschungsprojekt zu Überleben und Erinnern des Konzentrationslagers Mauthausen durch. Leiter des Projekts ist Prof. Dr. Gerhard Botz (Institut für Zeitgeschichte und LBIHS). Die Projektkoordination erfolgt durch Mag. Heinz Berger (LBIHS, Wien), Mag. Regina Fritz (Institut für Zeitgeschichte, Wien) und Mag. Alexander Prenninger (LBIHS, Salzburg).

Im "Mauthausen Survivors Research Project" (MSRP) geht es um eine erstmalige breit vergleichende historisch-sozialwissenschaftliche und gegenwartsgeschichtliche Untersuchung einer großen Anzahl von Erinnerungserzählungen ehemaliger Häftlinge des Konzentrationslagers Mauthausen (und dessen Nebenlagern).
Ausgehend von einer großen Anzahl von Audio- (und Video-)Interviews, die mit Überlebenden des Lagerkomplexes Mauthausen in den Jahren 2001 bis 2003 durchgeführt und aufgezeichnet wurden (Mauthausen Survivors Documentation Project, MSDP), werden sich die Untersuchungen dieses Projekts vor allem auf die individuellen Lebensläufe der Überlebenden und auf deren Erinnerungs- und Erzählweisen nach den oft gravierendsten Verfolgungserfahrungen, die das 20. Jahrhundert hervorgebracht hat, fokussieren. Dabei werden sowohl

* die vielfältigen individuellen Lebensgeschichten der Häftlinge vor, während und nach der NS-Verfolgung dargestellt als auch
* die Formen der Verarbeitung dieser Erfahrungen analysiert;
* gleichermaßen Gewicht soll auch darauf gelegt werden, wie diese von unterschiedlichen "Erinnerungsgemeinschaften" (Nationen, Parteien, Vereinen und Verbänden etc.) und "kulturellen Gedächtnissen" in den europäischen und überseeischen Rückkehr- bzw. Aufnahmeländern vorstrukturiert und in "Sagbares" umgeformt wurden.

Die Untersuchungen des Projekts kombinieren also zwei geschichtstheoretische Ebenen:

* die subjektiven Dimensionen und Erinnerungsformen der Erzählungen der Überlebenden (einschließlich der aussagekräftigen Ausblendungen und faktographisch „falschen“ Erzählungen) und
* die Geschichts- und Erinnerungskulturen, in denen KZ-Überlebende aus Mauthausen am Beginn des 21. Jahrhunderts leben bzw. gelebt und erzählt haben. (Nicht wenige der noch vor wenigen Jahren Interviewten sind seither bereits verstorben.)

Keine dieser drei Betrachtungsebenen könnte ohne das Risiko schwerwiegender Verzerrungen der Ergebnisse bei einer Analyse von autobiographischen Quellen (und anderen persönlichen Dokumenten, wie überhaupt auch vieler anderer "traditioneller" Archivquellen) ausgespart werden, vielmehr müssen sie in einem interaktiven Prozess auf allen Stufen der Forschung und Darstellung "zusammengesehen" werden, was auch die komplexe Organisation dieses modular aufgebauten Projekts prägt.

Im Mittelpunkt des Interesses steht damit die Frage, wer die Träger der Erinnerung an die Konzentrationslager sind: Welche individuellen, kollektiven, staatlichen oder überstaatlichen Akteure produzieren, interpretieren, organisieren, besetzen, vermitteln oder instrumentalisieren die Erinnerung? Welche Motivationen liegen den Handlungen der Häftlinge zugrunde? Welche ideellen und/oder materiellen Ressourcen stehen ihnen zur Verfügung, um ihre Interessen durchzusetzen und wie wirksam sind sie dabei? Welche Konstellationen und Konflikte ergeben sich aus den unterschiedlichen Interessenlagen?

Zu jenen "Erinnerungskollektiven", die zur Ausprägung jeweils spezifischer Gedächtnisse wesentlich beigetragen haben, zählen etwa die zum Teil bereits unmittelbar nach der Befreiung der Lager in vielen europäischen Ländern von Überlebenden gegründeten nationalen und internationalen Organisationen. Diese lokalen, regionalen, nationalen und supranationalen Verbände haben über Jahrzehnte die Erinnerung an die Konzentrationslager in der Öffentlichkeit entscheidend geprägt bzw. prägen sie teilweise noch heute. Die Erinnerungen dieser Verbände repräsentiert allerdings häufig nur eine Gruppe von Überlebenden, die zumeist als "politische" Häftlinge im Lager inhaftiert waren. Im Vordergrund standen dadurch v.a. bestimmte Aspekte des Lagers wie widerständisches Verhalten und Solidarität zwischen den Häftlingen, die zum Teil, wie im Fall des Aufstands der Häftlinge zur Befreiung des Stammlagers Mauthausen im Mai 1945, bis zum Mythos verklärt wurden. Andere nicht minder charakteristische Aspekte wie das Leiden und Sterben der Häftlinge oder Formen der Kollaboration mit der SS gerieten dagegen nicht selten ebenso aus dem Blick wie aus rassischen oder anderen nicht politischen Gründen verfolgte Häftlinge.

Nach dem Zweiten Weltkrieg spielte die Erinnerung an die Konzentrationslager oder die Tabuisierung dieser Erfahrung im Bemühen der europäischen Staaten zur Konsolidierung oder Neuformulierung ihrer nationalen Identität eine wichtige Rolle. Während einige Staaten sie zum zentralen Bestandteil ihrer Gründungsmythen und Gedenkkulturen machten, tabuisierten sie andere über mehr oder weniger lange Zeiträume. Die Abkehr von den patriotischen Meistererzählungen der ersten Nachkriegsjahrzehnte, in denen die aus politischen Gründen Deportierten als Helden und Opfer eine zentrale Rolle spielten, zu einer "Völkermord-Erinnerung", die sich vorrangig mit den schmerzlichen und traumatischen Erfahrungen auseinandersetzt und die Zentralität des Holocaust betont, hatte für die Bedingungen, unter denen Überlebende ihre Lebens- und Verfolgungsgeschichten erzählen konnten, weitreichende Konsequenzen für die individuelle Trauma-Überwindung und Identitätsbildung und für die nationsbildenden "kollektiven Erinnerungen". Die lange Zeit dominierende Erinnerung an die "politischen" Häftlinge der Konzentrationslager etwa wurde ab den späten 1970er Jahren durch bis dahin "vergessene" Häftlingsgruppen ergänzt, darunter v.a. Juden, Roma und Sinti, Homosexuelle und Zeugen Jehovas. Auch die weiblichen KZ-Häftlinge, deren Erinnerung bis vor kurzem praktisch auf die Gedenkstätte Ravensbrück beschränkt war, oder sogenannte "asoziale" Häftlinge sind mittlerweile auch in Mauthausen in den Focus des Erinnerns und Gedenkens gerückt.

Ziel dieses Projektteils ist es somit, die Erinnerungen der Überlebenden in ihre jeweiligen Lebenswelten zu kontextualisieren und die Bedingungen des Sprechens über Mauthausen zu untersuchen. Nach den individuellen Lebens- und Verfolgungswegen stehen hier die "Gruppengedächtnisse" im Vordergrund. Es wird daher Aufgabe der Kooperationspartner in den jeweiligen Ländern sein, diese "Gruppengedächtnisse" zu identifizieren und im Rahmen von Kollektivbiographien zu untersuchen. In einem zweiten Schritt sollen diese Ergebnisse von den Projektbearbeitern in Österreich komparativ analysiert werden.