Cover
Titel
Globalization in a Glass. The Rise of Pilsner Beer through Technology, Taste and Empire


Autor(en)
Purinton, Malcolm F.
Reihe
Food in Modern History: Traditions and Innovations
Erschienen
London 2023: Bloomsbury
Anzahl Seiten
192 S.
Preis
£ 85.00
Rezensiert für H-Soz-Kult von
Jan Logemann, Georg-August-Universität Göttingen

Globale Produktgeschichten und die Globalisierung von Konsummustern durch transnationale Warenketten, Migration und Kolonialwirtschaften erleben derzeit eine Forschungskonjunktur. Malcolm Purintons „Globalization in a Glass“ erforscht die weltweite Verbreitung von Bieren nach Pilsener Brauart seit dem ausgehenden 19. Jahrhundert und verortet sich ebenfalls an dieser Schnittstelle von Konsum- und Globalgeschichte. Purinton untersucht globale Verschiebungen im Braugewerbe im 19. Jahrhundert, insbesondere im Kontext des britischen Empires. Bei der Arbeit handelt es sich um die überarbeitete Version seiner 2016 an der Northeastern University eingereichten Dissertation. Er widmet sich der Frage, weshalb sich trotz der industriellen und weltwirtschaftlichen Stärke Großbritanniens ab dem späten 19. Jahrhundert eher kontinentale Lagerbiere und insbesondere das Pilsener und nicht das britische Ale weltweit durchsetzen. Dies galt auch für die britischen Kolonien in Afrika und Asien – sehr zur Konsternation britischer Brauereikreise, deren Fachzeitschriften und -publikationen (unter anderem „Brewer’s Journal“) zu den Hauptquellen des Buchs zählen. Die ambitionierte Studie, soviel sei vorweggenommen, verhebt sich allerdings an dem Thema und wird dessen Potential methodisch nicht ganz gerecht.

Purintons schmaler Band nimmt in sechs thematischen Kapiteln Fragen zu gewerblichen Wissenstransfers, der Branchen- und Exportentwicklung, von globaler Migration und Kolonialwirtschaften sowie nach sich wandelnden Geschmackspräferenzen und Konsumkulturen in den Blick. Purinton zeigt im Laufe der Studie auf, wie der frühe Vorsprung bei der Industrialisierung der britischen Brauwirtschaft basierend auf Technologieeinsatz und der industriellen Massenproduktion von Ale durch Großbrauereien wie Bass und Guinness in der zweiten Jahrhunderthälfte dahinschmolz. Während die britischen Firmen eher binnenmarktorientiert handelten, an traditionellen Produktionsverfahren festhielten und obergärige Biere produzierten, so der Autor, waren es kontinentaleuropäische Brauereien wie Carlsberg, die ab den 1870er-Jahren durch Größenwachstum (Aktienbrauereien), stärkere Exportorientierung sowie den Einsatz neuer Technologien und wissenschaftlicher Verfahren am Weltmarkt reüssierten. Sie entwickelten neue Produktionsverfahren, welche den kontrollierten Einsatz von untergärigen Hefen und damit eine andere Art des Brauens erlaubte. Das untergärige Pilsener profitierte dabei insbesondere von Fortschritten in der Kühltechnik (unter anderem Linde Kältemaschinen) und seiner längeren Haltbarkeit gegenüber dem Ale.

Wissenstransfers durch die Migration deutscher Brauer in die USA und nach Lateinamerika förderten die globale Expansion des in Kontinentaleuropa verbreiteten Lagerbiers noch zusätzlich. In sehr kurzen Abschnitten verhandelt Purinton zudem die Adaption der Pilsener Brauweise durch japanische Firmen seit etwa 1870 sowie in den deutschen und britischen Kolonien in Afrika, Asien und Ozeanien. Dabei betont die Studie zeitgenössische Entwicklungen in der Alkoholkultur (unter anderem die Abstinenzbewegung, die eine Senkung des Alkoholgehalts einforderte) und das Marketing des Pilseners als „modernes“ Bier mit klarer Konsistenz, mildem Geschmack und geringerem Alkoholgehalt. Neben der längeren Haltbarkeit und dem Trend zur Flaschenabfüllung sahen die britischen Industriebeobachter der Zeit in diesen Faktoren die wichtigste Erklärung für ihre zunehmende Wettbewerbsschwäche gegenüber deutschen Exporteuren und lokalen Neugründungen. Auch in britischen Kolonien wie Südafrika, Indien oder Australien entstanden nämlich bis zur Jahrhundertwende einheimische Brauereien, die eher Pilsener als Ale herstellten und vertrieben. Die Stärke der Studie liegt somit in einer globalen Bestandsaufnahme – wenngleich kursorisch und aus vornehmlich britischer Perspektive – der Entwicklung des Biermarktes im späten 19. Jahrhundert in Westeuropa, Nord- und Südamerika, Südafrika, Süd- und Ostasien sowie Australien.

Quellen zur Perspektive lokaler Bierkonsumenten und der lokalen kulturellen Adaption auf den amerikanischen, afrikanischen oder asiatischen Absatzmärkten sucht man in der Studie hingegen weitgehend vergeblich. Inwiefern lässt sich etwa die Konsumentscheidung gegen das britische Ale auch als eine bewusste anti-koloniale Geste verstehen, wie jüngere Arbeiten zum India Pale Ale nahelegen?1 Die Studie krankt darüber hinaus an einer relativ dünnen Quellen- und Literaturbasis und ist auf knappen 160 Seiten nicht konzise, sondern durch zahlreiche Wiederholungen und Ungenauigkeiten geprägt. Im unternehmensgeschichtlichen Kapitel zur Brauindustrie in Großbritannien und Deutschland fehlen präzise und vergleichbare Produktions- und Exportzahlen ebenso wie aussagekräftige Unternehmensfallstudien. Purintons These, dass kontinentale Brauereien in der zweiten Jahrhunderthälfte Skalenvorteile besser nutzen konnten, lässt sich für die Leser:innen so nur schwer nachvollziehen, zumal er jüngere wirtschaftshistorische Arbeiten zum Börsenboom der britischen Brauindustrie unberücksichtigt lässt.2

Auch die Einbettung der Studie in die globalhistorische Forschung lässt zu wünschen übrig. Ansätze der neueren Migrationsgeschichte und der Immigrant Entrepreneurship Forschung werden kaum aufgegriffen, obgleich hierzu auch und gerade für das amerikanische Brauwesen jüngst zahlreiche Arbeiten erschienen sind, die Fragen von Wissenstransfers bis hin zu ethnischer Identitätsbildung verhandeln.3 Auch auf die wachsende Literatur zur kolonialen Wirtschafts- und Unternehmensgeschichte im Spannungsfeld von imperialer Politik und kolonialem Widerstand nimmt Purinton kaum Bezug und greift stattdessen vielfach auf die migrations- und kolonialhistorische Forschung der 1960er- und 1970er-Jahre zurück. Unternehmenshistorisch orientiert sich die Arbeit an den Ergebnissen Alfred Chandlers aus den frühen 1990er-Jahren. Eine Verortung der Brauereiindustrie in der mittlerweile breiten Forschung zur ersten Globalisierungswelle, dem Entstehen von multinationalen Unternehmen, und der Expansion von Welthandel und globalen Warenketten fehlt fast gänzlich. Somit ist die Arbeit in zentralen Bereichen nicht auf dem Stand der Forschung und bleibt eine in weiten Teilen deskriptive Darstellung auf recht selektiver Quellenbasis.

Zur Geschichte der deutschen Brauindustrie bietet „Globalization in a Glass“ wenig Neues jenseits der Dokumentation der britischen Perspektive auf ihre internationale Expansion im 19. Jahrhundert. Problematisch sind begriffliche Ungenauigkeiten in der Studie, die die deutsche und die kontinentale Brauindustrie streckenweise fast in eins setzt, gleichzeitig aber die dänische Carlsberg Brauerei sowie wiederholt böhmische oder Wiener Unternehmen als detaillierteste Beispiele für diesen (eben keineswegs nur „deutschen“) Markt anführt. Besonders ärgerlich ist zudem die mangelnde Redaktion durch den Verlag mit fehlerhafter Wiedergabe zahlreicher deutscher Literaturtitel und Begriffe – und das bei einem stolzen Buchpreis von über hundert US-Dollar. Die Arbeit setzt im Zusammenspiel von transnationalen Technologietransfers, Marktdynamiken, Migration und Kolonialismus durchaus innovative Impulse für eine breitere Globalgeschichte des Konsums. Es wird allerdings nachfolgenden Publikationen überlassen bleiben, die Potentiale dieses Ansatzes überzeugender auszuschöpfen. Interessierte Leser:innen können dabei auf zwei anstehende Neuerscheinungen in diesem Jahr hoffen: ein Themenheft des Jahrbuchs für Wirtschaftsgeschichte zum transnationalen Wissenstransfer in der Bierindustrie sowie „Hopped Up“, eine kultur- und globalgeschichtliche Studie der Ware Bier des Historikers Jeffrey Pilcher.4

Anmerkungen:
1 Allan Pryor, Indian Pale Ale. An Icon of Empire, in: Jonathan Curry-Machado (Hrsg.), Global Histories, Imperial Commodities, Local Interactions, London 2013, S. 38–57.
2 Siehe Graeme Acheson / Christopher Coyle / John Turner, Happy Hour Followed by Hangover. Financing the UK Brewery Industry, 1880-1913, in: Business History 58 (2016), S. 725–751.
3 Erwähnt sei hier Jana Weiß, ‘The Art of Brewing Was Developed by the Germans’: Der Einfluss deutsch-amerikanischer Einwanderung auf die US-amerikanische Brauindustrie vor der Prohibition, in: Willi Kulke (Hrsg.), Vom Streben nach Glück. 200 Jahre Auswanderung aus Westfalen nach Amerika. Essen 2016, S. 108–119, sowie das Immigrant Entrepreneurship Projekt des DHI Washington mit allein vier biographischen Einträgen zu individuellen Brauern (Eberhard Anheuser, Adolphus Busch, Christian Heurich, David Gottlieb Yuengling) und einem Überblicksartikel von Mark Benbow, German Immigrants in the United States Brewing Industry, in: German Historical Institute (Hrsg.), Immigrant Entrepreneurship, 2017, http://www.immigrantentrepreneurship.org/entries/german-immigrants-in-the-united-states-brewing-industry/ (26.03.2024).
4 Nancy Bodden / Jana Weiß (Hrsg.), International Knowledge Transfer within the Brewing Industry of the 19th and 20th Century, Jahrbuch für Wirtschaftsgeschichte 1/2024; Jeffrey Pilcher, Hopped Up. How Travel, Trade and Taste Made Beer a Global Commodity, Oxford 2024.

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