: Public History. A Textbook of Practice. New York 2016 : Routledge, ISBN 978-0-7656-4591-3 XV, 282 S. £ 28.99

: Public History. A Practical Guide. London 2015 : Bloomsbury, ISBN 978-1-4725-0837-9 326 S. € 88,74

Rezensiert für H-Soz-Kult von
Cord Arendes, Historisches Seminar, Ruprecht-Karls-Universität Heidelberg

Die Public History hat sich in den letzten knapp zehn Jahren in einigen europäischen Ländern, nicht zuletzt auch in Deutschland, mit Erfolg als geschichtswissenschaftliches Arbeitsgebiet an der Schnittstelle von Fachwissenschaft und Fachdidaktik etablieren können. Neben mehreren (Junior-)Professuren konnten hier in vergleichsweise kurzer Zeit bereits eigene Studiengänge auf Master-Niveau und erste übergreifende institutionelle Strukturen etabliert werden. Zu den traditionellen wissenschaftshistorischen bzw. wissenssoziologischen Kriterien, die zur Identifizierung und Charakterisierung wissenschaftlicher (Teil-)Disziplinen üblicherweise herangezogen werden, zählt neben einer funktionierenden kommunikativen Infrastruktur ihrer Forscher/innen auch ein grundlegendes Korpus allgemein akzeptierter Wissensbestände, die in Handbüchern zusammengefasst sind und somit prinzipiell auch gelehrt werden können.1

Übergreifende Hand- oder Lehrbücher sind für die Public History bisher eine offensichtliche Leerstelle. Selbst im US-amerikanischen Hochschulraum – Public History blickt hier auf eine Geschichte als eigenes Studienfach seit den späten 1970er-Jahren zurück – sind Einführungen in das gesamte Arbeitsfeld bisher Mangelware. Ein begrifflich-inhaltlicher Konsens und ein basaler Lehrkanon wären auch für die deutschsprachige Public History bei ihrer Professionalisierung wünschenswert. Abhilfe scheint nun in Sicht: Mit den Bänden von Faye Sayer (Senior Lecturer für Public History und Public Archeologie an der Manchester-Metropolitan-Universität, UK) und Thomas Chauvin (Assistant Professor für Geschichte an der Universität von Louisiana, Lafayette, USA) liegen seit kurzem gleich zwei englischsprachige Veröffentlichungen vor, die für sich in Anspruch nehmen, einen einführenden Überblick über das Gebiet der Public History zu geben. Allein dem Versuch, dieses Vorhaben im Rahmen von Monografien und nicht in Form von Sammelbänden mit Beiträgen von Spezialist/innen zu bestimmten Themenfelder meistern zu wollen, gebührt schon entsprechender Respekt.

Bei der konkreten Umsetzung ist es sicher auch kein Zufall, dass der Praxisbezug jeweils schon im Titel hervorgehoben wird – „Practical Guide“ (Faye Sayer) bzw. „Textbook of Practice“ (Thomas Chauvin). Public History steht seit je her für einen engen Bezug zwischen geschichtswissenschaftlicher Forschung und Lehre sowie Praxis und Öffentlichkeit – unter Einschluss von außerwissenschaftlichen Akteur/innen und Rezipient/innen. Gleichwohl variieren die Ziele, die mit dem Praxisbezug verbunden sind: Während Faye Sayer ihr Werk unter anderem als „reference point for students planning professional development in order to gain future employment in this sector“ (Fayer, S. 2) ansieht, möchte Thomas Chauvin vor allem einen Beitrag „to the re-assessment of the traditional role for historians as well as their relations with the multitude of actors involved in the production of historical narratives” (Chauvin, S. 2) leisten. Beide Autor/innen starten mit einer ausführlichen Einleitung, in der sie Ansätze und Definitionen vorstellen sowie knappe Überblicke über die Entstehungsgeschichte der Public History geben. Einig sind sie sich darin, was den speziellen Bezug der Public History zur Öffentlichkeit und deren aktive Einbeziehung in die Praxis historischen Arbeitens betrifft (Sayer, S. 9). Mit Verweis auf die englische Public Historian Alix Green, die in den unzähligen Definitionsversuchen des Feldes in den letzten Jahren eher eine künstliche Trennung von Geschichtswissenschaft und Public History sieht, von der andere Spezialisierungsfelder wie beispielsweise die Wirtschafts- oder die Geschlechtergeschichte, in dieser Form nicht betroffen waren2, möchte Thomas Chauvin deshalb den Blick weg von Definitionsfragen und hin zur praktischen Arbeit von Public Historians lenken (Chauvin, S. 11).

Vergleicht man den Aufbau der beiden Bücher, so fallen die vielen Gemeinsamkeiten hinsichtlich der ausgewählten Praxisfelder rasch ins Auge. Diesbezüglich hat sich mittlerweile ein Kern des Faches herausgebildet, der internationale Geltung beanspruchen kann. Faye Sayer verhandelt die Praxis der Public History in insgesamt sieben Kapiteln: Neben dem Blick in Museen, Archive und Heritage-Center werden auf diesem Weg Kommunikationsmodi, das Lehren von Geschichte, die Community- und Mediengeschichte und die verschiedenen Beziehungen zwischen Geschichte und Politik (im Sinne von policy und politics) sowie zwischen Public History und digitalen Medien dargestellt. Der didaktische Aufbau der Kapitel folgt dabei dem Muster, jeweils in das Arbeitsfeld einzuführen, einen historischen Abriss zu geben und dann eine Reihe Beispiele der praktischen Umsetzung zu liefern. Um den Text nicht nur lesbarer, sondern auch plastischer zu gestalten, sind insgesamt 30 – zum Teil mehrseitige – Fallstudien (Museen, Projekte oder Ausbildungsprogramme) über den Band verteilt. Eine Besonderheit stellt jeweils der Abschnitt dar, der auf die eigentliche Kapitelzusammenfassung folgt: Dieser ist mit „Routes into Practice“ beschrieben und listet die empfohlenen oder notwendigen Studienabschlüsse, inhaltliche sowie kognitive Voraussetzungen für die späteren Arbeitsmöglichkeiten im jeweiligen Praxisfeld auf.

Thomas Chauvins Gliederung erweist sich als weitaus kleinteiliger: Seine insgesamt 13 Kapitel sind noch einmal zu drei größeren Blöcken zusammengefasst: Im ersten davon stehen unter dem Titel „Collecting, Managing and Preserving the Past“ die Quellen(-bestände) der Public History im Mittelpunkt. Die einzelnen Kapitel widmen sich Archiven, Manuskripten und Museen, dem US-amerikanischem Preservation-Movement und dem weiten Feld, welches Oral History sowie Familien- und Alltagsgeschichte vereinigt. Im zweiten Teil geht es um die verschiedenen Medien und Praxen der Public History. Thomas Chauvin widmet sich hier ausführlich dem Schreiben und Edieren, dem Ausstellen von Vergangenheit, Radio-, Film- und Fernsehproduktionen, der digitalen Public History sowie immersiven Umgebungen und dem „Aufführen“ von Geschichte. Im dritten Teil, überschrieben mit „Collaboration and Uses of the Past“, stehen die universitäre Lehre und Studiengänge, die wichtige Frage der „shared authority“, ziviles Engagement und soziale Gerechtigkeit sowie der Bereich der Auftragsgeschichte (in Wirtschaft, Justiz und Politik) im Mittelpunkt seiner Betrachtungen. Auch Thomas Chauvin folgt einem sich abschnittsweise wiederholendem Aufbauschema: Nach einer allgemein gehaltenen Einführung in die einzelnen Aspekte des Themas geht er jeweils der Frage nach, was Public History zu diesem Bereich beizutragen hat bzw. wie sie sich dort verortet. Seine kurzen Einführungen und kritischen Interpretationen sammeln den aktuellen Stand der Forschung und liefern gerade auch Anfänger/innen im Bereich Public History eine Fülle an Angaben zur vor allem US-amerikanischen Forschungsliteratur sowie zu konkreten Praxisbeispielen. Von strategischem Vorteil erweist sich dabei, dass Thomas Chauvin „Schlüsselprobleme“ (S. 20) wie öffentliche Teilhabe, digitale Werkzeuge und Medien nicht separat, sondern mit direktem Bezug zu jedem Einzelkapitel diskutiert. Im Zusammenspiel mit den ebenfalls kapitelweise zusammengestellten Literaturüberblicken verfügt das Werk von Thomas Chauvin so in der Tat über den Charakter eines Handbuches, in welchem selbst in der Public History bereits bewanderte Studierende oder Historiker/innen rasch einen Einblick in auch in der deutschen Public History verstärkt nachgefragten Themenfelder wie „Theater, First-Person Interpretation, and Historical Performances“ (S. 191ff.) gewinnen können.

Beide Werke werden ihrem Anspruch, Public History als Praxis historischen Arbeitens darzustellen, mehr als gerecht: Sie überzeugen sowohl durch ihre prägnante Sprache, die leichte Zugänglichkeit zum Thema wie auch durch die vielen direkt in die Argumentation eingewobenen Fallbeispiele. Diese beschränken sich allerdings in der Mehrzahl auf Projekte im angelsächsischen Sprachraum; der Anteil britischer Fallbeispiele liegt bei Faye Sayer – wenig überraschend – höher. Allenfalls am Rande zur Sprache kommen die Entwicklungen in den anderen europäischen Ländern. Zwar befasst sich Thomas Chauvin ausdrücklich mit der Internationalisierung der Public History (S. 17f.), einen Widerhall im Text finden niederländische, italienische oder auch deutsche Fallbeispiele dagegen nicht.

Diese Einschränkung ist natürlich grundsätzlich nachvollziehbar: Zum einen hat die Etablierung und Institutionalisierung der Public History in einigen vor allem westeuropäischen Länder erst vor wenigen Jahren begonnen. Die äußerst positive Einschätzung Faye Sayers, dass die Public History einen erfolgreichen Weg von einer Teildisziplin „outside of the mainstream of the academic discipline of history, into an integrated and essential element of the subject’s research and communication“ (Sayer, S. 1) vollzogen habe, lässt sich für den deutschen bzw. europäischen Kontext so (noch) nicht teilen. Die allen bekundeten Bestrebungen hin zu einem gemeinsamen europäischen Hochschulraum zum Trotz weiterhin stark voneinander abweichenden nationalen Bildungs- und Hochschulsysteme führen nicht nur dazu, dass die „Routes into Practice“ auf die deutschen Arbeitsmarktverhältnisse kaum übertragbar sind. Diese letztendliche Inkompatibilität gilt aber auch für eine ganze Reihe anderer praktischer Aspekte der Kooperation zwischen Public Historians und der Öffentlichkeit: Nur wenige der in den Fallbeispielen vorgestellten Projekte wären in Deutschland bei ihrer Umsetzung auf eine explizite Beteiligung von Public Historians angewiesen gewesen. In diesem Sinne wäre es sehr interessant, einmal genau zu klären, ob und wie sich beispielsweise das in beiden Bänden thematisierte Public History-Arbeitsfeld „Community History“ auf den deutschen Kontext übertragen lässt und wie sich dieses von der „Bürgerwissenschaft“ abgrenzt oder sich mit ihr überschneidet. Das institutionelle und personelle Setting, sowohl hinsichtlich des schulischen wie außerschulischen Lernens als auch bestehender und anerkannter Berufsfelder wie der Museumsdidaktik oder der Gedenkstättenpädagogik, weicht in erheblichem Maße von dem in den angelsächsischen Ländern ab. Eine Eins-zu-Eins-Übertragung ist zudem wenig hilfreich, da im deutschen Kontext die theoretischen wie praktischen Schnittstellen zuallererst zwischen Fachwissenschaft und Fachdidaktik – also im Hochschulbereich bzw. auf der Ebene der Wissenschaft – zu finden und auszuhandeln sind. Öffentliche oder private Auftraggeber spielen im Vergleich zu den Vereinigten Staaten oder auch Großbritannien eine weitaus geringere Rolle.

Beide Bände geben einen sehr guten Einblick in die internationale Praxis der Public History. Während Faye Sayers Buch dabei in die Richtung einer Überblicksdarstellung für Studierende des Faches weist, verfügt das Buch von Thomas Chauvin über Handbuchcharakter und liefert darüber hinaus knappe Forschungssynthesen, die auch Spezialfragen aus dem Bereich einer erweiterten Public History berücksichtigen. Die eingangs konstatierte Lücke ist zwar nicht ganz geschlossen, gleichwohl aber merklich kleiner geworden. Für eine deutschsprachige Überblicksdarstellung gibt es, trotz der beiden gelungen Vorbilder, gleichwohl einen Markt. Statt in erster Linie den Praxisbezug zu betonen gilt es bei einem solchen Versuch vor allem Besonderheiten der deutschen Public History herauszuarbeiten.

Anmerkungen:
1 Vgl. Rudolf Stichweh, Differenzierung der Wissenschaft, in: Zeitschrift für Soziologie 8 (1979), Heft 1, S. 82–101, hier S. 83f.
2 Vgl. Alix Green, Back to the Future? Public History and the New Academic Citizen, in: Public History Weekly 3 (2015) 7, DOI: dx.doi.org/10.1515/phw-2015-3590 (20.02.2017).

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