Mäzene als Akteure im historischen Feld und literarisches Textkonzept

Mäzene als Akteure im historischen Feld und literarisches Textkonzept

Veranstalter
International Courtly Literature Society, German Branch / Internationale Gesellschaft für höfische Literatur (Christian-Albrechts-Universität zu Kiel)
Veranstaltungsort
Kiel
Ort
Kiel
Land
Deutschland
Vom - Bis
01.03.2016 - 03.03.2016
Deadline
31.03.2015
Von
Prof. Dr. Andreas Bihrer / Prof. Dr. Timo Reuvekamp-Felber

In den letzten Jahren haben von der für die vormoderne Literatur konstitutiven Trias 'Autor – Werk – Mäzen' zwei Begriffsfelder, nämlich das des Autors und das des Werks, in den mediävistischen Philologien entscheidende Umbesetzungen erfahren. Während die Vorstellung vom rekonstruierbaren 'Werk' eines Autors weitgehend zugunsten mehrerer unterschiedlicher Texte bzw. Fassungen verabschiedet wurde und heute kaum noch jemand aus der in einem Text begegnenden Erzähler-Figuration umstandslos auf den Autor zurückschließen würde, werden die, oft in Pro- oder Epilogen, zuweilen aber auch in anderen Passagen erzählender Texte begegnenden Nennungen adeliger oder auch geistlicher Damen und Herren in der Mediävistik häufig als prinzipiell korrekte historische Informationen über den mittelalterlichen Literaturbetrieb gelesen.

Joachim Bumke hat in seiner grundlegenden Studie über 'Mäzene im Mittelalter' vorgeführt, mit welchem Gewinn sich jene Passagen in dieser Richtung deuten lassen (Mäzene im Mittelalter, München 1979); ergänzt worden sind seine Ergebnisse durch eine Spezialstudie über weibliches Mäzenatentum im Mittelalter (Drostel, 'des gerte diu edele herzoginne', Frankfurt/M. 2006). Beide Untersuchungen konzentrieren sich allerdings auf einen begrenzten Ausschnitt aus dem Bestand der vormodernen deutschen Literatur. Während Bumke seinen alle höfische Gattungen umfassenden Überblick nur bis zum Ende des 13. Jahrhunderts reichen lässt, wählt Drostel zwar einen größeren Untersuchungszeitraum, beschränkt sich allerdings auf die Großepik und zudem auf ausgewählte Beispiele adeligen Mäzenatinnentums. Noch schmaler ist der Ausschnitt, der in einigen Arbeiten über das literarische Mäzenatentum spezifischer Höfe oder über den Zusammenhang von Schreiborten und dem Wirken adliger Gönner beleuchtet wird (z. B. Meyer, Die deutsche Literatur im Umkreis König Heinrichs (VII.), Frankfurt/M. 2007).

Eine Untersuchung, die den gesamten Zeitraum und alle Gattungen der spätmittelalterlichen deutschen Literatur mit Blick auf Gönner-Angaben systematisch sichtet und auswertet, fehlt bislang. Vor dem Hintergrund der Materialfülle ist das wenig erstaunlich – angesichts eines zuletzt offenbar neu erwachten Interesses an solchen Gönner-Nennungen aber gleichwohl bedauerlich. Denn in der internationalen Mediävistik richtet sich der Blick zunehmend (wieder) auf die Realisierungsbedingungen vormoderner Literatur und folglich auch auf das Thema des Mäzenatentums'.

Die Fragestellungen nach dem 'cultural turn', den die Literaturwissenschaft erlebt hat bzw. erlebt, sind freilich andere als zuvor. Geradezu in Umkehrung des früheren Befundes werden in den Gönner-Angaben mittelalterlicher Texte nun nicht mehr immer Hinweise auf faktische Gönnerverhältnisse gesehen, vielmehr werden sie gedeutet als Profilierung literarischer Geltungsansprüche von Autoren, die sich, angesichts einer noch fehlenden institutionellen Absicherung von Autorschaft und Auftraggeberschaft, in einer prekären Situation befunden und aus einer dezidiert literarischen Selbstbeobachtungsperspektive ihre soziokulturellen Geltungsansprüche formuliert hätten (exemplarisch Strohschneider, Fürst und Sänger, in: Hellgardt u. a. (Hg.): Literatur und Macht im mittelalterlichen Thüringen, Köln 2002).

Freilich wird man bei einem solchen Verständnis von Gönner-Nennungen darauf achten müssen, das literarische Mäzenatentum des Mittelalters nicht gänzlich zu einer Textfunktion zu erklären und solcherart gleichsam aufzulösen. Allerdings gilt es, zu differenzieren zwischen ,Gönner'-Nennungen im Sinne einer eher unspezifischen Patronage einerseits und andererseits dezidiert in der Funktion des Auftraggebers inserierte Namen, die als 'Mäzene' zu verstehen sind, zwischen Konzeptualisierungen des Mäzenatentums, die den gattungstypologischen Darstellungsformen literarischer Figurationen verbunden sind, und Vertextungsstrategien, die narrative Figurenschemata abweisen. Zu berücksichtigen wäre schließlich eine mögliche Typenabhängigkeit der Gönnernennung, denn zumindest bis zur Mitte des 13. Jahrhunderts werden bestimmte literarische Genres anscheinend oft mit bestimmten Gönnertypen verbunden.

Insgesamt bieten sich also sowohl für den Literaturwissenschaftler als auch den Historiker perspektivenreiche Möglichkeiten eines neuen Zugriffs auf Gönnernennungen in mittelalterlichen und frühneuzeitlichen Werken. Zum einen könnten für diesen bislang in der internationalen Gönner-Forschung nicht systematisch erschlossenen Abschnitt der Literaturgeschichte die Zuschreibung literarischer Artefakte zu Einzelpersonen oder Institutionen, die als Mäzene in Erscheinung treten, in einzelnen Herrschafts- oder Kulturräumen deskriptiv erfasst werden, um trotz der zunehmenden Unschärfe von Raumgrenzen ab dem 13. Jahrhundert mögliche kulturelle oder institutionelle Funktionalisierungen von literarischem bzw. historischem Wissen in einem kleinen Raum greifbar machen zu können. Weiter könnte ein historisch-soziologischer Zugriff auf die Gönnernennungen unterschiedliche Typen von Akteuren (Fürsten, Patrizier, Niederadel, Kleriker, Aufsteiger, Verlierer usw.) und deren möglicherweise sehr unterschiedliche Interessen an der Partizipation in der Förderung schriftliterarischen Wissens profilieren. Außerdem könnten mediale und performative Dimensionen von Mäzenatentum ein Analysefeld bilden. Zudem könnte das Erinnern von Mäzenatentum in späteren Dichtungen, aber auch in anderen Gattungen thematisiert werden, ja überdies das Vergessen, Tilgen und Überschreiben von Mäzenen bzw. ihrer Erwähnungen in den Texten behandelt werden. Darüber hinaus könnten gleichsam 'Gegenstücke' zur Sprache kommen, so die Herrscher- und Hofkritik oder die Mäzenatenschelte. Schließlich könnten die unterschiedlichen narrativen Verfahren der Gönnernennung und ihre gattungstypologische, traditionsbasierte oder textfunktionale Prägungen Gegenstand synchron oder diachron orientierter Untersuchungen sein.

Ausgehend von diesen Befunden und Fragestellungen planen Bernd Bastert (Ruhr-Universität Bochum), Andreas Bihrer (Christian-Albrechts-Universität zu Kiel) sowie Timo Reuvekamp-Felber (CAU Kiel) eine interdisziplinäre Tagung, die an exemplarischen Einzelfällen die Gemeinsamkeiten bzw. Unterschiede in den Textualisierungsformen von 'Gönnern' und 'Mäzenen' in lateinischer, romanischer und deutschsprachiger Literatur sowie Geschichtsschreibung aufarbeitet, Gönnertypen profiliert und schließlich das in den Quellen konzeptualisierte Wirken mäzenatischer Akteure in spezifizierten Räumen erfasst.

Organisiert wird die Tagung durch die International Courtly Literature Society (ICLS), German Branch. Die Gesellschaft ist interdisziplinär ausgerichtet und erforscht die höfische Kultur des europäischen Mittelalters. Mitglieder erhalten neben der Möglichkeit der Vernetzung Zugang zu der Schriftenreihe Encomia Deutsch und den Encomia Sonderheften.

Alle Informationen zur Tagung und zur ICLS erhalten Sie demnächst auf unserer Website: http://www.icls.uni-kiel.de/de.

Bitte senden Sie Ihre Beitragsvorschläge bis zum 31.03.2015 an
Prof. Dr. Andreas Bihrer
Christian-Albrechts-Universität zu Kiel
Historisches Seminar
Olshausenstr. 40
24098 Kiel
Tel.:+49 4 31 8 80 22 97
E-mail: abihrer@email.uni-kiel.de

Der Beitragsvorschlag soll ein kurzes Abstract (ca. 1.000 Zeichen) enthalten, in dem Sie bitte den Gegenstand und die methodische Herangehensweise, die Ihrem Beitrag zu Grunde liegen, skizzieren möchten. Formal gibt es keine Richtlinien für das Abstract, beschränken Sie sich allerdings bitte bei den Literaturangaben auf höchstens fünf zentrale Titel.

Wir freuen uns auf Ihre Beitragsvorschläge und stehen gern für Ihre Rückfragen und Anregungen zur Verfügung!

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Andreas Bihrer

Historisches Seminar der Christian-Albrechts-Universität zu Kiel
Abteilung für Mittelalterliche Geschichte und Historische Hilfswissenschaften
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