Kabinettsprotokolle

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Titel
Die Kabinettsprotokolle der Bundesregierung (Retrospektive Digitalisierung).
Herausgeber
Bundesarchiv: Koblenz, DE <koblenz@barch.bund.de>
Veröffentlicht durch
Bundesarchiv: Koblenz, DE <http://www.bundesarchiv.de>
Enthalten in
Von
Stephan Scheiper

„Googeln“ ist heute kein Geheimnis mehr. Die Literatursuche beginnt auch im universitären Bereich immer öfter mit diesem Vorgang. Schließlich ist das Internet mittlerweile das gängige Instrument, um sich Erst-Informationen zu beschaffen. Der Vorrat an Texten und Statements zu historischen und politischen Themen im WWW ist wie in anderen Bereichen unerschöpflich. Über deren Qualität lässt sich trefflich streiten. Die Masse ist Ausschussware. Um historische Quellen einsehen zu können, bedarf es in der Regel mehr als eines Besuchs bei einer Suchmaschine. Sie sind eine Rarität im Internet und noch immer die Heiligtümer der Archive und Bibliotheken. Jedoch werden auch sie durch verschiedene Initiativen nach und nach online zugänglich gemacht; eignen sich doch gerade Quellenbestände der Zeitgeschichte oft schon materiell für diese Art der Nutzung.

Die Seiten von Zeitgeschichte-Online verbuchen gegenwärtig 80 Einträge (Stand 8. Januar 2005), die auf digitale Bestände verweisen und über andere Wege zum Teil nicht so leicht aufzufinden sind. Doch sowohl bei den allgemeinen Suchmaschinen des Internets als auch in den Einträgen von Zeitgeschichte-Online findet man unter dem Suchwort „Kabinettsprotokolle“ einen Link auf die neue Webseite des Bundesarchivs, die seit dem 30. Oktober 2003 besteht und sich in die Initiative der Bundesregierung „BundOnline 2005“ einreiht. Hinter dem Angebot verbirgt sich eine umfassende Serviceleistung: Das Bundesarchiv stellt dort – mit Unterstützung der Deutschen Forschungsgemeinschaft – jedem, der in seinen Forschungen auf Quellen zur bundesdeutschen Regierungstätigkeit und daher auf die Kabinettsprotokolle der Bundesregierung angewiesen ist, diese nun als Volltexte im Internet zur Verfügung. Selbstverständlich wendet sich das Angebot auch jeden politisch-historisch Interessierten, der ohne dezidiertes Forschungsthema in die Dokumente einsehen möchten.

Das Bundesarchiv gibt seit 1982 in loser Reihenfolge die im Oldenbourg Verlag erscheinende Quellenedition „Kabinettsprotokolle der Bundesregierung“ heraus. Erst jüngst ist der 14. Band mit den Protokollen aus dem Jahr 1961 veröffentlicht worden. Die Edition ist nun nahezu vollständig auf den Webseiten des Bundesarchivs zugänglich. Sie ging zunächst mit den Bänden der Jahre 1957 und 1958 online und stellte bis September 2004 sämtliche Protokolle von 1949 bis 1959, einschließlich derer des Kabinettsausschusses für Wirtschaft der Jahre 1951 bis 1957 und des Ministerausschusses für die Sozialreform 1955 bis 1960 als Volltexte ins Netz. Die Bände der Jahre 1960 und 1961 in dieser Form noch nicht einsehen zu können, muss dem Zeitaufwand für deren Internetaufbereitung zugerechnet werden. 18 Monate dauert es, bis ein neu erschienener Band im WWW eingestellt wird.

Strukturell und optisch sind die Webseiten klar in den Internetauftritt des Bundesarchivs eingepasst. Die Navigation erfolgt wie bei der Recherche in den Beständen des Archivs über die „Navigationsbäume“. Die Verästelung der Bäume ist gewohnt differenziert, dabei aber niemals zu unübersichtlich und durch den schnellen Zugriff auf jeden einzelne Tagesordnungspunkt der Sitzungen gegenüber der Druckversion eindeutig im Vorteil. Die Bestandteile der Quellensammlung in Buchform sind vollständig übernommen. Gewohnt informativ führt die übliche Einleitung zu den einzelnen Jahren den Nutzer in die politischen Umstände ein. Jedem Jahrgang ist ein gesonderter Bereich über die teilnehmenden Personen, eine Zeittafel sowie ein Quellen- und Literaturverzeichnis zugeordnet. Die ungedruckten Quellen betreffen nicht nur die Hinweise auf den Bestand des Bundesarchivs, sondern ebenso jene der Parteiarchive und des Archivs im Auswärtigen Amt. Bestimmten Jahrgängen sind Dokumentensammlungen beigefügt und das Jahr 1950 ist um die teilweise erstellten Wortprotokolle, die in der Buchedition in einem separaten Band zusammengefasst sind, erweitert. Mit den jeweiligen Anwesenheitslisten ist der formale Teil abgerundet. Eine umfangreiche, alphabetisch gegliederte Personenliste, die die Personenindices ersetzt, ist den jeweiligen Jahrgängen stets angehängt und steht in direkter Verbindung zu einem zusätzlichen Online-Bestand, den gesondert angelegten Kurzbiographien. Über diese zusätzliche Abteilung werden die Quellen mit weiter führenden Informationen zu den jeweiligen Akteuren, Gästen und in den Kabinettsprotokollen thematisierten Persönlichkeiten unterfüttert. Informationen, die grundsätzlich auch den Druckversionen zu entnehmen sind. Jedoch ist die genauere Unterteilung auch und gerade für spezifische Forschungsinteressen eine Arbeitserleichterung, da der Forschende ein für den themenspezifischen und schnellen Zugriff aufbereitetes Material vorfindet.

Besonders hervorzuheben ist die im Browser gewählte Aufteilung in drei Frames oder Fenster. Neben dem Navigationsbaum ist die Textdarstellung in zwei aufeinander abgestimmte Bereiche getrennt. Mit wenigen Mausklicks im Navigationsbaum erscheinen die Tagesordnungspunkte im Textfenster und sind einzeln als Download im RT-Format abrufbar. Scrollt man im Text während der Lektüre, verfügt man unmittelbar im darunter befindlichen Frame über die kritischen Anmerkungen zu den Textstellen. Eine synchrone Abstimmung der beiden Bereiche wäre als technische Verbesserung womöglich zu bedenken. Dennoch kann man gleichzeitig die jeweiligen Verweise auf Literatur und Quellen oder auf weitere themenverwandte Kabinettssitzungen einsehen. Sie bieten die Möglichkeit, per Link sofort auf andere Sitzungen zuzugreifen. Das Verlinken lässt sich wiederum gut im Frame des Navigationsbaumes nachvollziehen, so dass mit ein wenig Übung der Bestand je nach Thema bequem und lückenlos durchforstet werden kann. Außerdem kann der Nutzer jederzeit ein Lesezeichen einfügen, um sich problemlos orientieren und immer wieder auf bestimmte Sequenzen zugreifen zu können.

Die Recherche im Online-Bestand begleitet eine hilfreiche Anleitung in den Benutzungshinweisen der Webseiten-Betreuer und eine ausführliche Darstellung der „Netzeditionsgrundsätze“. Dort werden Textdarstellung, Kommentierung, Textpräsentation und Zitationsweise eingehend erläutert. Gleiches gilt für die Suchfunktion, die den Nutzer ausgesprochen differenziert und problemlos zu bestimmten Tagesordnungspunkten, einzelnen Personen oder übergreifenden Themen führt. Sie verfügt über die gängigen Einschränkungsmöglichkeiten der Begriffsrecherche, die ausführlich in den „Suchtipps“ erläutert werden. Bei generellen Problemen kann man während der Recherche mit einem Klick die Vorteile einer intensiven Benutzerführung auf den Willkommensseiten genießen. Eine Kontaktaufnahme ist über das Impressum problemlos möglich. Kritische Feedbacks sind auf diesem Weg ausdrücklich erwünscht. Auf den Nachteil der bisher noch begrenzten Darstellungsformen in den Browsern außerhalb des Internet-Explorers wird hingewiesen. Hier sind noch Verbesserungen angezeigt.
Zu jedem Jahr gerät man in den Genuss der Bildillustrationen in der Titelleiste. Diese zeigen verschiedenen Momentaufnahmen des Jahres. Sie sind mit den entsprechenden Quellen-Nachweisen der Kabinettssitzungen versehen. Jedoch fehlt hier, anders als in allen anderen Bereichen, der direkte Link, um die Fotographien unmittelbar mit der themenverwandten Kabinettssitzung zu verknüpfen. Eine sicherlich leicht zu verschmerzende Lücke in der sonst ausführlichen Vernetzung der unterschiedlichen Komponenten.

Das Bundesarchiv hat dankenswerter Weise auf speicherintensive Darstellungsformen verzichtet und ausschließlich Wert auf die Funktionalität und Übersichtlichkeit gelegt. Dadurch bietet sich der Vorteil geringer Ladezeiten selbst für analoge Zugänge. Der Service des Bundesarchivs ist insgesamt nicht hoch genug zu bewerten. Die Webseiten erweitern die Internetpräsenz des Bundes und speziell des Bundesarchivs. Die Online-Präsentation ermöglicht dem Historiker, Politologen oder einfach politisch Interessierten mittels des Portals jederzeit den Zugriff auf einen umfangreichen Quellenbestand in einer übersichtlichen Darstellung. Sie überzeugt funktional und bietet praktikabel auf den Seiten des Bundesarchivs die unmittelbare Vernetzung mit den übrigen dort vorhandenen Bestandsübersichten und Findmitteln. Die Webseite ist durchaus jener vom Präsidenten des Bundesarchivs, Prof. Dr. Hartmut Weber, angekündigte Meilenstein.1 Er sollte so manche Forschungsarbeit – nicht nur zeitlich – beflügeln und vor allem Nachahmer herausfordern.

1 Mitteilung des Presse- und Informationsamtes der Bundesregierung, Nr. 483/03.

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