Vom 15. bis zum 17. Mai 2003 fand die internationale Tagung "Frieden durch Recht. Das Wismarer Tribunal im Spannungsfeld zwischen Schweden und dem Alten Reich" statt. Diese Tagung wurde gemeinsam vom Lehrstuhl für Allgemeine Geschichte der Neuzeit der Ernst-Moritz-Arndt-Universität Greifswald und dem Stadtarchiv Wismar veranstaltet. Finanzielle Förderung erfuhr sie durch die Fritz-Thyssen-Stiftung, Köln, und das Svenska Institutet, Stockholm. Am Sitz des Wismarer Tribunals, trafen sich Historiker, Rechtshistoriker, Kulturwissenschaftler, Bibliothekare und Archivare aus Deutschland, Schweden, Finnland, Polen und Estland. Anlaß war das 350. Gründungsjubiläum des Tribunals, das am 17. Mai 1653 als Oberappellationsgericht für die schwedischen Reichslehen eingerichtet wurde. Alle Teilnehmer einte das Bestreben, dem von der Forschung bisher sträflich vernachlässigten Wismarer Tribunal seinen Platz in der schwedisch-deutschen Rechtskultur zu geben. Dabei galt es, Gemeinsamkeiten und Unterschiede zwischen ihm und seinem Vorbild, dem Reichskammergericht, aufzudecken, Modernisierungsbestrebungen am Tribunal zu analysieren und die Rolle des Gerichtshofes im Machtsystem der schwedischen Krone zu charakterisieren. Gleichzeitig sollte danach gefragt werden, inwieweit das Tribunal auch von schwedischen Gerichtshöfen in seiner Organisation und Spruchtätigkeit beeinflusst wurde, wie die Landstände der norddeutschen Territorien zu dem Gericht standen und wer am Tribunal Recht sprach. Die Grundlage für die Beeinflussung des Tribunals aus Schweden und dem Alten Reich war die interessante Zwitterstellung Bremen-Verdens, Vorpommerns, des Hamburger Domkapitels und der Herrschaft Wismar, die der schwedischen Krone im Westfälischen Frieden als "ewige Lehen" zugesprochen worden waren. Einerseits blieben die genannten Territorien natürlich Glieder des Alten Reiches, zahlten weiterhin Reichssteuern, nahmen an Reichs- und Kreistagen teil und beteiligten sich an der Präsentation zu den Assessoraten am Reichskammergericht. Andererseits wurden sie Bestandteile des schwedischen Konglomeratstaates, mussten als solche die Kriege der schwedischen Großmacht mitfinanzieren und wurden in diese involviert.
Angesichts dieser Ausgangsposition befürchteten die Landstände zunächst, ihnen würde der Weg an die obersten Reichsgerichte abgeschnitten. Sie müssten anstelle dessen nach Stockholm appellieren, wo sie auf Richter träfen, die die Landesrechte nicht kennen und bei Fällen, in denen die Landstände gegen die schwedische Krone klagten, zu deren Gunsten entscheiden würden. Diese Sorge konnte den Landständen nur genommen werden, indem die schwedische Krone sich vor Kaiser und Reich bindend verpflichtete, für ihre deutschen Territorien ein eigenes Oberappellationsgericht zu schaffen, dass sich in Aufbau und Arbeitsweise am Reichskammergericht orientierte und dessen Zuständigkeit ebenso umfassend sein sollte wie die der obersten Reichsgerichte. Zudem wurde untersagt, Fälle aus den norddeutschen Territorien vor schwedische Gerichte zu ziehen. Das neugegründete Gericht erhielt seinen Sitz in der ungefähren Mitte der schwedischen Reichslehen, in Wismar, und wurde am 17. Mai 1653 feierlich introduciert.
In einem abendlichen Stadtrundgang folgten die Teilnehmer der Tagung unter Leitung des Wismarer Stadtarchivars, Gerd Giese, am Abend des 15. Mai der Route, die die barocke Prozession 350 Jahre vor ihnen zurückgelegt hatte - Markt, Nikolaikirche, Fürstenhof. Dabei wurde auf am Wege liegende Häuser der Vizepräsidenten und Assessoren hingewiesen, das Epitaph des ersten und bekanntesten Vizepräsidenten, David Mevius, in der Nikolaikirche besichtigt sowie aus der Schwedenzeit Wismars berichtet.
Nachdem die Oberbürgermeisterin Wismars die Tagungsteilnehmer am kommenden Morgen im Bürgerschaftssaal des Rathauses freundlich begrüßt hatte, erinnerte der Lunder Rechtshistoriker Prof. Dr. jur. Kjell Åke Modéer an die großen Aufgaben, die bei der Erforschung der Tribunalsgeschichte noch zu bewältigen sind. Nachdem er 1975 mit seiner Dissertation 1 den Gerichtshof wissenschaftlich wiederentdeckt hatte, brauchte die deutsche Forschung ein weiteres Vierteljahrhundert, um einen Zugang zum Tribunal zu finden und es in seinen Kontext zwischen obersten Reichsgerichten und den Gerichten des schwedischen Konglomeratstaates zu stellen. 2 Das 350. Gründungsjubiläum bot nun den Anlass für die erste wissenschaftliche Tagung zu diesem Thema - entsprechend hoch war die Erwartungshaltung.
In Session I nahmen sich mit Dr. Helmut Backhaus aus dem Reichsarchiv Stockholm und Dr. Jürgen Bohmbach aus dem Stadtarchiv Stade zwei ausgewiesene Kenner der schwedischen Großmachtzeit der Frage der äußeren Bedingungen an. Sie analysierten die unterschiedlichen Voraussetzungen in Vorpommern und Bremen-Verden nach dem Dreißigjährigen Krieg, charakterisierten die Haltung beider Landesregierungen zum Tribunal und stellten die Entwicklung der Provinzen bis zum Ende der Großmachtzeit dar. Backhaus gab einen Ausblick bis zum Ende des Alten Reiches und regte an, die Landstände beider Provinzen in die Untersuchung des Spannungsfeldes zwischen Schweden und dem Alten Reich einzubeziehen, da sie eine sehr wichtige Komponente bei der Machtausübung der schwedischen Krone darstellten.
In einem ausführlichen Vortrag untersuchte Prof. Dr. Ulrich Andermann aus Osnabrück anschließend das Verhältnis von Widerstand und Anpassung zwischen Lübischem und Gelehrtem Recht im Ostseeraum. Er stellte dar, welche Städte im Mittelalter welches Stadtrecht erhielten, arbeitete die Unterschiede zwischen den einzelnen Stadtrechtsfamilien heraus und widmete sich dann dem Lübischen Recht. Er diskutierte, warum sich die norddeutschen Städte gegen die Rezeption des Römischen Rechts sträubten, stellte dar, auf welche Weise wichtige Juristen wie Albert Krantz mit ihm in Berührung kamen und beschrieb den langen Prozess der Rezeption des Gelehrten Rechts in Norddeutschland.
Am Nachmittag wurde das Tribunal in den Kontext der Gerichtsorganisation der schwedischen Großmacht eingebettet. Prof. Modéer stellte zunächst grundsätzlich die Gerichtsstruktur im schwedischen Konglomeratstaat vor, zeigte Zuständigkeiten und Instanzenzüge auf. Er widmete sich dann speziell den in Frage stehenden deutschen Territorien, gab einen knappen Überblick über die Organisation und Arbeit der Hofgerichte, Konsistorien und Untergerichte und charakterisierte ihr Verhältnis zum Tribunal. Dr. Pawel Gut aus Szczecin widmete sich dann in einem großen Abriss der weitgehend unerforschten Geschichte des Pommerschen Hofgerichts von dessen Gründung in der Mitte des 16. Jh.s bis zur preußischen Zeit Mitte des 19. Jh.s. Er konstatierte, dass die Schweden auf dem Befund aus der Herzogszeit aufbauten, das Gericht vorsichtig modernisierten und sich die Struktur und Arbeitsweise auch in der Preußenzeit nicht wesentlich änderte. Eine interessante Vergleichsmöglichkeit bot der Beitrag Prof. Dr. jur. Heikki Pihlajamäkis aus Helsinki, der sein Forschungsprojekt zum Dorpater Hofgericht vorstellte und Gemeinsamkeiten und Unterschiede mit anderen Hofgerichten im schwedischen Machtbereich herausarbeitete. Er konnte zeigen, wie die schwedische Krone in jedem Falle regionale Rechte und Gewohnheiten aufgriff und die Gerichtsstrukturen trotzdem vorsichtig zu vereinheitlichen versuchte.
Nach einem Empfang durch die Oberbürgermeisterin bestand am frühen Abend die Gelegenheit, sich von dem Denkmalpfleger Mathias Zahn und den Architekten Albrecht und Hartung durch den renovierten Fürstenhof, der in Kürze offiziell als Sitz des Wismarer Amtsgerichts übergeben wird, durch das ehemalige Tribunalsgebäude führen zu lassen. Sehr engagiert führten die drei in die Baugeschichte des Hauses ein, dessen älteste Reste aus dem frühen 16. Jh. stammten, und erläuterten ihren Kampf um jedes historische Detail. Die äußere Pracht des imposanten Gebäudes illustrierte den Anspruch der schwedischen Großmacht, den obersten Reichsgerichten eine Alternative entgegenzusetzen. Anschließend gestalteten Prof. Dr. Ernst Münch (Rostock) und Prof. Dr. Frank Braun (Wismar) in einem der Gerichtssäle einen gemeinsamen Abendvortrag, in dem sie in die Sozialtopographie Wismars in der Schwedenzeit einführten sowie anhand des Wismarer Stadtbuches erläuterten, wo die einzelnen Tribunalsangestellten wohnten. In diesem Zusammenhang gingen sie auch auf die Geschichte einzelner Häuser berühmter Vizepräsidenten und Assessoren ein.
Am folgenden Tag untersuchte die Morgensession, wie die Gerichtstätigkeit des Tribunals organisiert war, auf welchen Vorbildern sie beruhte, welche Modernisierungsbemühungen es gegenüber dem Reichskammergericht gab und wo sich schwedische Einflüsse nachweisen lassen. Dr. Heinz Mohnhaupt aus Frankfurt a. M. erläuterte sehr ausführlich die rechtlichen Grundlagen für die Tätigkeit des Tribunals, ging auf die Auswahl des Personals und dessen Aufgaben ein. Als wichtige Quelle analysierte er die gerichtlichen Bescheide, die laufend ergingen, um das Verfahren zu beschleunigen oder Missstände am Gericht abzustellen. Patrick Reslow aus Lund gab Einblick in den Stand seiner Forschungen zur Visitation des Tribunals. Analog zum Reichskammergericht waren sie eigentlich im Abstand weniger Jahre geplant, wobei letztlich nur eine Visitation im Jahre 1688 stattfand. Als sich nach dem Ende der Großmachtzeit das Kräfteverhältnis zwischen Krone und Ständen zugunsten der Landstände verschoben hatte, gelang es den Pommern, zahlreiche Bestimmungen des Visitationsrezesses zurücknehmen zu lassen. Zu einer zweiten Visitation kam es wegen des Widerstandes der Landstände nicht.
Nachdem Probleme der Auswahl des Personals immer wieder angeklungen waren, beschäftigte sich die folgende Session explizit mit diesem Thema. Dr. Nils Jörn aus Greifswald stellte Thesen zu einer Kollektivbiographie der Vizepräsidenten und Assessoren vor und verglich seine Erkenntnisse hinsichtlich sozialer und regionaler Herkunft, Ausbildung, Vor- und Nachkarriere mit denen von Sigrid Jahns für das Reichskammergericht. 3 Dabei wurden zahlreiche Übereinstimmungen z.B. bei der universitären Ausbildung oder der Vorkarriere, aber auch wesentliche Unterschiede wie beim erheblich höheren Berufungsalter am Tribunal und dem breiteren Anforderungsprofil an die dortigen Assessoren festgestellt. Dr. Ernst Holthöfer aus Frankfurt a.M. stellte danach den wohl bedeutendsten Vizepräsidenten am Tribunal, David Mevius, vor und beklagte den schlechten Forschungsstand zu diesem europaweit wichtigen Juristen. Dr. jur. Per Nilsen aus Lund weitete die Perspektive im folgenden auf die Richter an schwedischen Gerichten im Ostseeraum aus. In verschiedenen zeitlichen Schnitten verglich er die Ausbildung verschiedener Juristengenerationen an den schwedischen Obergerichten miteinander und analysierte die Ursachen für das veränderte Ausbildungsprofil. In seinem Vortrag wies er auf interessante Vergleichsmöglichkeiten zu den Assessoren am Reichskammergericht und Tribunal hin, die unbedingt von späteren Forschungsinitiativen aufgegriffen werden sollten.
Die Tagung gipfelte in einem Workshop zur Inventarisierung der Prozessakten des Tribunals. Dank der Förderung durch die DFG verzeichnet der erfahrene Bearbeiter der norddeutschen Reichskammergerichtsbestände, Dr. Hans-Konrad Stein, die verbliebenen Prozessakten im Stadtarchiv Wismar neu. Die Bestände im Niedersächsischen Staatsarchiv Stade und dem Landesarchiv Greifswald sollen folgen. Prof. Dr. jur. Bernhard Diestelkamp stellte zunächst Grundlagen und Ziele der Verzeichnung vor. Er erinnerte an das langjährige, deutschlandweit durchgeführte Projekt zur Inventarisierung der Reichskammergerichtsbestände und bezeichnete die Prozessakten des Tribunals als ideale Parallelüberlieferung. Im Anschluss berichtete Dr. Stein über erste Erfahrungen bei der Verzeichnung der Tribunalsakten und schlug eine teilweise vertiefte Inventarisierung vor (Aufnahme der advocati causae, genaue Zeitangaben zur Eröffnung und Erledigung der Fälle). Danach stellten Dr. Jan Lokers aus dem Niedersächsischen Staatsarchiv Stade, Dr. Martin Schöbel aus dem Landesarchiv Greifswald und Uwe Kiel aus dem Stadtarchiv Greifswald ihre Tribunalsbestände vor. Neben den nur unvollständig überlieferten Prozessakten existiert eine reichhaltige landständische Überlieferung zur personellen Besetzung und Finanzierung des Tribunals sowie zu Problemen mit den Landesregierungen. Das Landesarchiv Greifswald verfügt zudem über eine sehr reichhaltige Sammlung für die rechtshistorische Forschung interessanter Assessorenvoten, das Stadtarchiv Greifswald über eine mehrere Jahrzehnte abdeckende Urteilssammlung. Die Anwesenden diskutierten, wie diese teilweise Parallelüberlieferung in die Verzeichnung einzubeziehen ist und wie sie andererseits genutzt werden kann, um Lücken in der Überlieferung der Prozessakten zu schließen.
Am Ende der Tagung waren sich alle Teilnehmer einig, dass man nicht wieder 350 Jahre warten sollte, bis man sich zu einer Folgeveranstaltung versammelt. Die fortschreitende Verzeichnung der Prozessakten, mehrere laufende Projekte und zahlreiche Anstöße zum vertieften Vergleich mit dem Reichskammergericht, anderen Obergerichten im Alten Reich und im schwedischen Konglomeratstaat bieten genügend Stoff für problemorientierten, inhaltsreichen wissenschaftlichen Austausch, der gepflegt werden soll, um auf dem endlich eingeschlagenen Weg bei der Erforschung der Tribunalsgeschichte voranzukommen. Der sehr unbefriedigende Forschungsstand zu den meisten behandelten Teilaspekten und die Kürze der Zeit führten dazu, dass vieles zunächst nur thesenhaft vorgestellt werden konnte. Ein Tagungsband soll möglichst bis zum Ende dieses Jahres vorliegen, in ausführlichen Schriftfassungen die Ergebnisse der Konferenz dokumentieren und zu weiteren Forschungen anregen.
1 Kjell Åke Modéer, Gerichtsbarkeiten der schwedischen Krone im deutschen Reichsterritorium, Stockholm 1975.
2 Nils Jörn, Stand und Aufgaben bei der Erforschung der Geschichte des Wismarer Tribunals, in: Die Integration des südlichen Ostseeraumes in das Alte Reich, hg. v. Nils Jörn; Michael North, (Quellen und Forschungen zur höchsten Gerichtsbarkeit im Alten Reich, 35), Köln-Weimar-Wien 2000.
3 Sigrid Jahns, Das Kammergericht und seine Richter. Verfassung und Sozialstruktur eines höchsten Gerichts im Alten Reich, (Quellen und Forschungen zur höchsten Gerichtsbarkeit im Alten Reich, Bd. 26), Köln-Weimar-Wien 2003.