Die Geschichte deutscher Sicherheitsbehörden ist auch die Geschichte des Spannungsverhältnisses nebeneinander bestehender Vorstellungen von Sicherheit und Freiheit. Die Erwartung, eine effektive Gefahrenabwehr zu leisten, wird gleichwie der Anspruch, verhältnismäßig und demokratisch kontrolliert zu arbeiten, an die Behörden gestellt. Die Fragen danach, wen sie vor wem eigentlich schützen und ob sie dies in einem angemessenen rechtsstaatlichen Rahmen tun, wurden seit ihrer Gründung in der Bundesrepublik breit diskutiert. Das belegen nicht zuletzt die jüngsten Skandale. Der Umgang mit dem NSU oder die Zusammenarbeit mit der NSA legten strukturelle Problematiken von Nachrichtendiensten in einer liberalen Demokratie ebenso offen, wie sie intransparente Praktiken und Kompetenzüberschreitungen dokumentierten. Zugleich war und ist jedoch die öffentliche Auseinandersetzung Indikator für die Normen, die für die Arbeit von Sicherheitsbehörden gelten und an denen diese gemessen werden.
Die „Notwendigkeit der Historisierung einer präsentisch geführten Debatte“ zu entgrenzten Kontroll- und Überwachungsverhältnissen hat jüngst Sven Reichardt unterstrichen.1 Öffentlicher Druck, Skandale und Transparenzinitiativen haben in den letzten Jahren nicht nur zu einer vorsichtigen Öffnung von Archiven geführt, sondern ebenfalls zahlreiche Studien zu deutschen Sicherheitsbehörden ermöglicht. Die Untersuchungen zum Bundeskriminalamt, über den Bundesnachrichtendienst, das Bundesamt für Verfassungsschutz bis zum Bundesministerium des Inneren fragten vor allem nach Kontinuitäten und Brüchen in den Mitarbeiterstäben sowie in Denk- und Handlungsmustern der Sicherheitsverwaltung.
Anschließend an die größeren Studien der Behördenforschung sollen im Rahmen dieses Workshops verschiedene Dissertations- und Forschungsprojekte zur Sicherheitsverwaltung des Bundes und der Länder sowie zur gesellschaftlichen Auseinandersetzung um ihre Arbeit diskutiert werden. Wie „demokratisch“ oder „illiberal“, wie „erfolgreich“ oder „problematisch“ entwickelte sich das Feld „innere Sicherheit“ in den Bewertungen durch die Dienste und Politik, aber auch in den Augen einer sie kritisch verfolgenden Öffentlichkeit? Und was sagen diese Einschätzungen über die „Erfolgsgeschichte“ der alten Bundesrepublik aus?
Thematisiert werden sollen damit folgenden Aspekte:
Selbstverständnisse und Prägungen der Sicherheitsbehörden
- Welche Selbstverständnisse und Denkmuster lagen ihrer Arbeit zugrunde?
- Wie wirkte sich die Integration früherer Funktionseliten aus?
- Welche Sicherheits- und Ordnungsvorstellungen beeinflussten ihre Arbeit?
Verfassungsschutz: Staatsschutz oder Demokratieschutz?
- Wie gestaltete sich das Verhältnis von Überwachung und Demokratie?
- Wie beeinflusste der Sicherheits- und Demokratiediskurs die Arbeit und Wahrnehmung von Sicherheitsbehörden?
- Inwieweit ließ sich das staatliche Sicherheitsversprechen mit demokratischer Partizipation vereinbaren?
Sicherheitsbehördliche Konzepte von „Öffentlichkeitsarbeit“
- Wie öffentlich arbeiteten Sicherheitsbehörden?
- Welches Verständnis von Öffentlichkeit und Transparenz hatten die Behörden?
- Mit welchen Strategien wurde die eigene Arbeit vermittelt, die Bevölkerung mit-einbezogen oder auch mit Kritik umgegangen?
Gesellschaftlicher Streit und Protest
- Wie äußerten gesellschaftliche Akteure Kritik an Sicherheitsbehörden und ihren Sicherheitsparadigmen?
- Inwieweit wurden Ausmaß und Legitimität staatlicher Handlungen und Eingriffe hinterfragt?
- Mobilisierten Ängste vor staatlicher Überwachung größere Teile der Gesellschaft zu politischem Protest?
„Unterschätzte“ und „überschätzte“ Gefahren
- Welche Trends in der Gefahrenwahrnehmung lassen sich bei den Behörden erkennen?
- Haben staatliche Akteure die Gefahr von rechts kontinuierlich unterschätzt?
- Wie veränderten sich Bedrohungswahrnehmungen durch Terrorismus?
Bewerbung und Organisation
Der Workshop richtet sich Doktorand:innen und Post-Docs. Sie sind eingeladen, laufende Arbeiten zum Themenfeld vorzustellen und zu diskutieren.
Der Workshop findet am 24. und 25. Februar 2022 an der Universität Hamburg statt. Sollte die Corona-Lage eine Präsenzveranstaltung verhindern, wird der Workshop via Zoom durchgeführt. Interessierte senden ihre Vorschläge für Einzelvorträge (20 Minuten) mit Abstracts von maximal 500 Wörtern und eine kurze biographische Notiz bitte bis zum 18. Oktober 2021 per E-Mail an maximilian.zilken@uni-hamburg.de. Die Reise- und Übernachtungskosten werden für die Referierenden übernommen.
Anmerkung:
1 Sven Reichardt: Einführung: Überwachungsgeschichte(n). Facetten eines Forschungsfeldes, in: Geschichte und Gesellschaft 42 (2016), S. 5–33, hier S. 7.