Zu diesem Thema planen wir im Juni 2022 eine Fachtagung, deren Beiträge dann im Band 2023 des Jahrbuchs Kunst und Politik erscheinen werden.
Deutschland ist ein Einwanderungsland, Menschen mit Migrationshintergrund gehören selbstverständlich dazu, auch wenn dies in einzelnen Gesellschaftskreisen noch in Frage gestellt wird. Zukünftig werden deutsche Kultureinrichtungen ein entsprechend gemischtes Publikum haben bzw. müssen sich darauf einstellen, wenn sie ihre gesellschaftliche Relevanz nicht verlieren wollen.
In den letzten Jahren hat sich im deutschen Museumswesen die Erkenntnis durchgesetzt, dass es hinsichtlich des Umgangs mit rassistischen Objekten sowie der Berücksichtigung des Kolonialismus und seiner Folgen nicht nur in ethnologischen Museen, sondern auch in kulturgeschichtlichen Museen und Kunstmuseen Nachholbedarf gibt. Die Aktivitäten von Schwarzen und weißen Aktivist:innen in der Gesellschaft, ein neues Interesse an postkolonialen Forschungsansätzen an den Universitäten sowie das 360°-Programm der Bundeskulturstiftung zur Diversifizierung von Programm, Publikum und Personal in Kultureinrichtungen haben bundesweit zu einer erhöhten Sensibilisierung für die Thematik geführt.
Die Zeit ist reif, um die Theorie in die Vitrine zu überführen. Warum sollten überhaupt rassistische Objekte/Kunstwerke gezeigt werden? Wie könnten sie angemessen inszeniert werden? Ist es denkbar, dass sie sich selber von dem ihnen eingeschrieben Rassismus emanzipieren? Wo sind im Museum – für manche Menschen – unsichtbare Barrieren, wo finden Ausschlussmechanismen in der Kunst und in der Institution Museum statt?
Vor dem Hintergrund dieser großen Fragestellungen, ergeben sich zahlreiche Detailfragen in der Praxis: Wie mit rassistischen Begriffen in Inventaren und historischen Quellen umgehen? Wie einen Kompromiss zwischen heute politisch korrekter Sprache und barrierefreier Vermittlung finden? Welche Rolle spielen Gewaltdarstellungen für die Vermittlung historischer Tatsachen? Wie können alternative Erzählungen zum Mainstream – etwa zum Widerstand in kolonialisierten Ländern – entwickelt werden? Wie mit Leerstellen und Nicht-Wissen umgehen, die sich aus historischen Machtverhältnissen in den Jahrhunderten ergeben haben? Wie kann es gelingen, dass ein diverses Publikum und insbesondere Menschen aus ehemals kolonialisierten Ländern und ihre Nachfahr:innen sich mit den Darstellungen von Kunst- und Kulturgeschichte in deutschen Museen wohl fühlen, sich repräsentiert fühlen, ihre Themen wiederfinden? Wie können Brücken für weiße Menschen gebaut werden, die sich mit diesen Themen bisher noch nicht beschäftigt haben?
Ziel der Tagung ist es, Best-Practice-Beispiele und unterschiedliche praktische Antworten auf diese Fragen aufzuzeigen und zu diskutieren. Dabei sind Beiträge zu einzelnen Forschungsvorhaben, Ausstellungsprojekten und Strukturveränderungen gleichermaßen willkommen. Neue Methoden des Objektumgangs sollen dabei ebenso wie neue Wege der Zusammenarbeit mit dem Publikum der diversifizierten Stadtgesellschaft in den Fokus genommen werden. Beiträge von Nachwuchswissenschaftler:innen und aus Communitys mit Rassismuserfahrung sind dabei besonders willkommen. Bei der Auswahl wird auf eine Parität zwischen weiß und Schwarz positionierten Beiträgen geachtet.
Bitte reichen Sie ein Abstract von ca. einer halben Seite (max. 2.500 Zeichen) bis zum 31. Januar 2022 zu ihrem beabsichtigten 20-Minuten-Vortrag ein: wettbewerb@focke-museum.de.