Das Corps helvétique und Frankreich (1660-1792)

Das Corps helvétique und Frankreich (1660-1792). Transfers, Asymmetrien und Interdependenzen zwischen ungleichen Partnern

Veranstalter
Schweizerische Gesellschaft für die Erforschung des18. Jahrhunderts (SGEAJ), www.sgeaj.ch
PLZ
4532
Ort
Schloss Waldegg
Land
Switzerland
Vom - Bis
30.10.2020 -
Deadline
31.03.2021
Von
Claire Gantet, Geschichte, Universität Fribourg/Freiburg (Schweiz)

Die Tagung will die schweizerisch-französischen Beziehungen im späten Ancien Régime im Hinblick auf die Spannungen zwischen Nähe und Distanz, zwischen Bewunderung und Ablehnung, zwischen Abhängigkeit und Emanzipation, Asymmetrie und Symbiose ausleuchten. Dabei soll nach den Dynamiken, Konjunkturen und Krisen in den Wechselbeziehungen und gegenseitigen Wahrnehmungen zwischen den beiden Nachbarn gefragt werden.

Das Corps helvétique und Frankreich (1660-1792). Transfers, Asymmetrien und Interdependenzen zwischen ungleichen Partnern

Zwar erhielten das Corps helvétique und das Königreich Frankreich erst in der zweiten Hälfte des 17. Jahrhunderts eine längere gemeinsame Grenze, doch waren die politischen, diplomatischen und wirtschaftlichen Beziehungen zwischen den beiden ungleichen Ländern schon seit dem frühen 16. Jahrhundert sehr eng. Der Ewige Friede (1516) und die ab 1521 bis 1777 regelmässig erneuerte Allianz zwischen den Orten und dem König von Frankreich bildeten bis 1792 das Rückgrat der Aussenbeziehungen des Corps helvétique. Nichts dokumentierte das eminente Interesse des «Allerchristlichsten Königs» an engen Beziehungen zum Corps helvétique so sehr wie die Präsenz eines ständigen französischen Ambassadors in Solothurn (seit 1530). Mit dem Aufstieg Frankreichs zur kontinentalen Grossmacht unter König Ludwig XIV. wurden die asymmetrischen Beziehungen zwischen den ungleichen Partnern zunehmend kontrovers beurteilt. Begrüssten die französischen Klienten Ludwig als segensreichen Protektor eidgenössischer Freiheit und Einheit, erblickte die antifranzösische Partei in den Orten des Corps helvétique in der offensiven Expansionspolitik (Eroberung der Freigrafschaft Burgund 1668/74 und von Strassburg 1681) und in der Verfolgung der Hugenotten eine imminente Gefahr für die Eidgenossenschaft. Gegen die Interessen der auf Frankreich ausgerichteten Militärunternehmer, Pensionäre und Kaufleute wollte diese durch die Annäherung der Eidgenossenschaft an das Reich, die Niederlande und England die starke Abhängigkeit des Corps helvétique von Frankreich ausbalancieren. Ihren Höhepunkt erreichten diese Spannungen 1715, als der König – im Gegensatz zu seiner traditionell auf Ausgleich zwischen den Konfessionsparteien in der Eidgenossenschaft bedachten Politik – seine Allianz nur noch mit den katholischen Orten erneuerte. Erst 1777 gelang es der französischen Diplomatie, die zerstrittenen Kantone wieder gesamthaft zur Erneuerung ihres Bündnisses mit dem König als ihrem «ältesten Freund und Verbündeten» zu bewegen – eine Allianz, die die revolutionäre Republik Frankreich 1792 einseitig aufkündigte.

Nähe und Distanz, Abhängigkeit und Absetzung bestimmten nicht nur auf dem Feld der Politik und Diplomatie die Beziehungen des Corps helvétique zu Frankreich. Dies gilt auch für die Künste, die Literatur, die Architektur und die kulturellen Praktiken bis hin zur Mode und dem Konsum. Einerseits übte Frankreich nicht nur als politische Grossmacht, sondern auch als kulturelles Vorbild grossen Einfluss auf das Corps helvétique aus, was sich auf die Sprache und Literatur, den Lebensstil, die Architektur und Intérieurs der gesellschaftlichen Eliten auswirkte. Andererseits provozierte die politische und kulturelle Macht des Nachbarn auch in diesen Bereichen Abwehrreaktionen. Sie manifestierten sich in der Kritik an der Künstlichkeit, Oberflächlichkeit und Frivolität «der Franzosen» und im Lob des englischen «bon sens» (Beat Ludwig von Muralt), in der Stilisierung republikanischer Einfachheit und Natürlichkeit als kulturellem Gegenmodell zur Gespreiztheit der höfischen Gesellschaft, in der Entwicklung einer eigenen, sich von der klassischen französischen Dichtkunst emanzipierenden französischsprachigen Literatur der Schweiz oder in der zunehmend national gestimmten Kritik von Reformaufklärern am kosmopolitisch-höfischen Lebensstil eidgenössischer Patrizier, wie sie sich u.a. in der Ablehnung von Auslandsreisen der patrizischen Zöglinge und in der Forderung nach Einrichtung von Bildungsstätten in der Schweiz äusserte.

Die Tagung will die schweizerisch-französischen Beziehungen im späten Ancien Régime im Hinblick auf die Spannungen zwischen Nähe und Distanz, zwischen Bewunderung und Ablehnung, zwischen Abhängigkeit und Emanzipation, Asymmetrie und Symbiose ausleuchten. In Erweiterung der in der neueren Forschung erprobten Konzepte des Kulturtransfers (Michel Espagne / Michael Werner) und des Tropismus (Wolfgang Adam / Jean Mondot), die die französisch-deutschen Kulturbeziehungen besonders in einer literatur- und kulturwissenschaftlichen Perspektive untersuchten, spricht die Tagung – gemäss dem interdisziplinären Selbstverständnis der Schweizerischen Gesellschaft für die Erforschung des 18. Jahrhunderts – konzeptionell und thematisch die ganze Bandbreite der französisch-schweizerischen Beziehungen in den anderthalb Jahrhunderten des späten Ancien Régime bis zur Revolution an. Dabei soll nach den Dynamiken, Konjunkturen und Krisen in den Wechselbeziehungen und gegenseitigen Wahrnehmungen zwischen den beiden Nachbarn gefragt werden. Dies öffnet den Blick für eine Vielzahl von Themen: das Militärunternehmertum und die Fremden Dienste; die diplomatischen Beziehungen; Handelsbeziehungen und Schmuggel; Migrationsbewegungen; Aneignungen, Transfers und Kritik kultureller Muster in Kunst, Architektur, Literatur, Konsum und Mode; Kontakte und Beziehungen unter Gelehrten; Erfahrungen und Wahrnehmungen von Reisenden; die Entstehung und Erfahrung der gemeinsamen Grenze; die Konstruktion von Eigen- und Fremdbildern u.a.m.

Für Einzelreferate sind 25 Minuten, für Gemeinschaftsreferate 40 Minuten vorgesehen. Konzepte für Tagungsbeiträge sind auf Deutsch, Französisch oder Englisch (max. 300 Wörter) bis zum 31. März 2021 bei Claire Gantet (claire.gantet@unifr.ch) oder André Holenstein (andre.holenstein@hist.unibe.ch) einzureichen. Das wissenschaftliche Tagungskomitee wird dazu bis zum 30. Juni 2021 Stellung beziehen.

Kontakt

claire.gantet@unifr.ch, andre.holenstein@hist.unibe.ch

https://www.sgeaj.ch/
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Land Veranstaltung
Sprach(en) der Veranstaltung
Englisch, Französisch, Deutsch
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