ORTE DES WISSENS
Das hiermit vorliegende Jahrbuch 2004 thematisiert verschiedene „Orte des Wissens“ und deren Vernetzung innerhalb der Habsburgermonarchie im 18. Jahrhundert. Ausgehend von einem Vorschlag des bekannten Kameralisten Philipp Wilhelm Hörnigk, der im Sinne einer Beschleunigung der wirtschaftlichen Entwicklung innerhalb der Habsburgermonarchie gegen die Geheimhaltung wissenschaftlicher Erkenntnissen und für die Bereitstellung von Wissen an uneigennützige Fachleute plädierte, sollen exemplarisch mehrere Verdichtungszonen von Wissen in der Habsburgermonarchie vorgestellt werden. Ziel des Jahrbuches war es, neue Ergebnisse zu unterschiedlichen Entwicklungen im Prozeß der Vermittlung und Lokalisierung von Wissen innerhalb der Habsburgermonarchie im 18. Jahrhundert anzusprechen. Berücksichtigt wurden dabei nicht nur räumliche Aspekte und die durch den absolutistischen Staat strukturierten Rahmenbedingungen, sondern auch konkrete öffentlich oder geheimgehaltene Handlungen von einzelnen Akteuren oder Gesellschaften in der Produktion und Vermittlung vom Wissen. Verschiedene Fragestellungen standen am Beginn dieses Bandes: Welche Organisationsformen und Wissensorte (etwa Klöster, Archive, Bibliotheken, Universitäten, Wirtshäuser etc.) bildeten sich im 18. Jahrhundert verstärkt aus? Wie wurden Wissensbestände lokalisiert und geordnet? Welche Rolle nahm der absolutistische Staat dabei ein? Wer beteiligte sich an der Wissensvermittlung, wer waren die Mittler bzw. verschiedenen sozialen Schichten bei diesem Kulturtransfer? Änderten sich die Formen der Wissensvermittlung im Laufe des 18. Jahrhunderts (etwa am Beispiel von Bildungsreisen und Schulen, auch vor dem Hintergrund verschiedener Konfessionen)? Welche Rolle spielten Briefe, Bücher und Zeitungen für die Bildung von Wissensorten? Wie gingen Minderheiten mit „ihrem“ Wissen um (etwa am Beispiel von Kryptoprotestanten) und wie beeinflußte diese Organisationsform von Wissen das Verhalten der Akteure? In diesem Band kaum angesprochene und noch unzulängisch erforschte Fragen wären auch zu stellen, ob es Unterschiede in der Vermittlung von Wissensinhalten in den verschiedenen Teilen der Habsburgermonarchie gab und wie sich die Geschwindigkeit dieser Vermittlung im 18. Jahrhundert änderte? Zielsetzung des Bandes war vor allem Ergebnisse aus verschiedenen Teildisziplinen der Geschichtswissenschaft (etwa Wissenschafts-, Wirtschafts-, Geistes-, aber auch Sozialgeschichte) zu präsentieren.
Der vorliegende Band kann nur exemplarisch auf diese Fragen antworten, nur einige wenige Orte des Wissens konnten vorgestellt werden. Die Rezeption des Wissens und deren Umsetzung in der Praxis im Sinne Hörnigks wurde nur teilweise angesprochen, doch verdeutlichen die Beiträge die große Dynamik der „Wissenslandschaft“ innerhalb der Habsburgermonarchie im Zeitalter der Aufklärung. Dana Štefanová und Martin Scheutz
„Orte des Wissens“
Martin Scheutz und Dana Štefanová Einleitung 13-14
Stefan Benz Die Hofbibliothek zu Wien als Ort des Wissens 15-48
Ivo Cerman Bildungsziele – Reiseziele. Die Kavalierstour im 18. Jahrhundert 49-78
Christian Dirninger Wissens- und Informationstransfer als wirtschaftspolitisches Instrument im Aufgeklärten Absolutismus. Ansatzpunkte für eine Analyse 79-98
Katalin Gönczi Nationale Wissenschaftskultur, Migration und Wissenstransfer. Zur Entwicklung der nationalen Rechtswissenschaft im Königreich Ungarn im 18. Jahrhundert 99-116
Louise Hecht “Gib dem Knaben Unterricht nach seiner Weise” (Spr. 22,6). Theorie und Praxis des modernen jüdischen Schulsystems in der Habsburger Monarchie 117-134
Robert Hoffmann Wissenstransfer durch Netzwerkbildung. Karl Erenbert von Moll und die Anfänge der wissenschaftlichen Landeskunde im Erzstift Salzburg 135-151
Karen Lambrecht Tabelle und Toleranz: Johann Ignaz von Felbigers Reform der Volksschulbildung in Ostmitteleuropa 153-167
Martin Scheutz “hab ichs auch im würthshauß da und dort gehört [...]”.Gaststätten als multifunktionale öffentliche Orte im 18. Jahrhundert 169-203
Karin Schneider Der Alltag der Séjours und das “Fuhrpartikular”. Die Organisation imperialer Repräsentation im Jagdschloss Laxenburg in der Mitte des 18. Jahrhunderts 205-224
Stephan Steiner Im protestantischen Herrgottswinkel. Mutmaßungen über ländliche Aufklärung 225-238
Anton Tantner Zwischen Arkanwissen und bürgerlicher Öffentlichkeit. Produktion und Zirkulation habsburgischer Seelenbeschreibungen 239-253
Jozef Tancer Karl Gottlieb Windisch: Die Bibliothek eines Autodidakten 255-292
István Győrgy Tóth Zwischen Tradition und Aufklärung – adelige Bibliotheken im 18. Jahrhundert in Westungarn 293-323
Thomas Wallnig Mönche und Gelehrte im Kloster Melk um 1700. Ein Essay über Kontexte und Zielsetzungen von monastischer Wissensproduktion 325-336
Hugh West Knowledge, Brotherhood and Love: Georg Forster in Vienna, 1784 337-351
FORSCHUNGSPERSPEKTIVE: ZEITSCHICHTEN – KULTURSCHICHTEN: STÄDTE DES 18. JAHRHUNDERTS
Wolfgang Schmale Einleitung: Zeitschichten – Kulturschichten: Städte des 18. Jahrhunderts 355-356
Harald Heppner und Olga Katsiardi-Hering Drei Epochen in einer Stadt. Zum Zeitschichtengefüge im südöstlichen Europa des 18.Jahrhunderts 357-373
Heiner Krellig Venezianische Veduten des 18. Jahrhunderts. Zeitschichten im Bild der Stadt 375-396
Herbert Karner Wien – Vom Jesuiterplatzl zum Universitätsplatz: Architektur und Programm 397-412
Aufsätze und Miszellen
Jean Mondot Aktualität der Aufklärung (Festvortrag zum 20jährigen Bestehen der Österreichischen Gesellschaft zur Erforschung des 18. Jahrhunderts) 415-429
Hugues Jahier L’Aigle bicéphale à l’entrée du domaine des Condors – Sujets Autrichiens à Cadix, porte de l’Amérique 432-436
Constanze Natosevič “Cosi fan tutte” – Mozart, die Liebe und die Revolution von 1789 437-441
Claudia Schweitzer/Elke Schröder Madame Ravissa de Turin – Möglichkeiten und Grenzen einer Musikerin im 18. Jahrhundert 443-456
Regina Pörtner Propaganda, Conspiracy, Persecution: Prussian Influences on Habsburg Religious Policies from Leopold I to Joseph II. 457-476
Literaturberichte und Rezensionen Wolfgang Schmale Umschau im Labor des „aufgeklärten Konservatismus“: Neue Forschungen zur Habsburgermonarchie im 18. Jahrhundert 479-503
Wolfgang Schmale Neuerscheinungen zur Geschichte des 18. Jahrhunderts: Sammelrezension 505-513
REZENSIONEN DIETER BREUER (Hg.), Die Aufklärung in den deutschsprachigen katholischen Ländern 1750–1800. Kulturelle Ausgleichsprozesse im Spiegel von Bibliotheken in Luzern, Eichstätt und Klosterneuburg (Franz M. Eybl, Wien) 515-516 BERNARD DIETERLE/MANFRED ENGEL (Hg.), The dream and the Enlightenment: Le Rêve et les Lumières (Renate Zedinger, Wien) 516-517 HARALD KRAHWINKLER (Hg.), Staat – Land – Nation – Region. Gesellschaftliches Bewußtsein in den österreichischen Ländern Kärnten, Krain, Steiermark und Küstenland 1740 bis 1918 (Franz M. Eybl, Wien) 517-518 HELMUT KUZMICS/ROLAND AXTMANN, Autorität, Staat und Nationalcharakter. Der Zivilisationsprozeß in Österreich und England 1700–1900 (Franz M. Eybl, Wien) 519-520 CLAUDIA OPITZ, Aufklärung der Geschlechter, Revolution der Geschlechterordnung. Studien zur Politik- und Kulturgeschichte des 18. Jahrhunderts (Margret Friedrich, Innsbruck) 520-522 ANDREAS PEČAR, Die Ökonomie der Ehre. Höfischer Adel am Kaiserhof Karls VI. (1711–1740) (Renate Zedinger, Wien) 523-525 SUSANNE CLAUDINE PILS, Schreiben über Stadt. Das Wien der Johanna Theresia Harrach (1639–1716 (Katrin Keller, Wien) 525-527 Holger ZAUNSTÖCK, Sozietätslandschaft und Mitgliederstrukturen. Die mitteldeutschen Aufklärungsgesellschaften im 18. Jahrhundert (Alfred Stefan Weiß, Salzburg) 528-529
Englische Abstracts zu den Beiträgen 531-544.
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