Am Vorabend der polnischen EU-Ratspräsidentschaft reiste Polens Staatspräsident Bronisław Komorowski an die polnisch-litauische Grenze. Unweit von Sejny eröffnete er am 30. Juni 2011 das von der Krzysztof Czyżewski und seiner Stiftung „Pogranicze“ initiierte Internationale Zentrum des Dialogs. Das Zentrum befindet sich in dem Gutshaus Krasnogruda, dem Besitz der Familie des polnischen Literaturnobelpreisträgers Czesław Miłosz, das der DIALOG-Preisträger Czyżewski und seine Mitstreiter vor dem Verfall retten konnten. Mit seinem Besuch in Krasnogruda erinnerte Komorowski am 100. Geburtstag von Miłosz nicht nur an die Bedeutung des Dichters für die polnische Kultur – Polens Staatspräsident setzte auch ein politisches Zeichen. Denn Miłosz steht für offene, tolerante und multikulturelle politische Traditionen Mitteleuropas. Miłosz verteidigte in Zeiten des Nationalismus ein Modell der polnischen Nation, in dem Platz war für unterschiedliche Ethnien und Religionen. Der 2004 in Krakau verstorbene Dichter war kein Nostalgiker, der der vormodernen, multikulturellen Rzeczpospolita nachtrauerte, sondern ein Intellektueller, der kritisch mit der polnischen Nationsgeschichte umging. Czesław Miłosz war ein Kosmopolit, der für einen unbequemen, selbstkritischen Dialog mit den Nachbarn Polens eintrat. Wer sich mit dem polnischen Verhältnis zu Europa befassen will, kann dies schwer ohne die Lektüre des legendären autobiografischen Buches „West- und östliches Gelände“ (polnisch „Rodzinna Europa“) von Miłosz aus dem Jahr 1958 tun. Es ist daher nicht verwunderlich, dass Sie in unserem Themenblock „Polen denkt Europa“ gleich zwei Texte finden, die des Warschauer Kulturwissenschaftlers Andrzej Mencwel und des Schweizer Slawisten Ulrich M. Schmid, die sich mit Miłosz’ Europa-Visionen auseinandersetzen. An das dichterische Werk von Miłosz erinnern wir mit einer CD, die dem DIALOG beigelegt ist. Das Adam-Mickiewicz-Institut hat diese deutschsprachige CD mit Miłosz-Gedichten zum 100. Geburtstag des Nobelpreisträgers herausgegeben und unseren Lesern zur Verfügung gestellt. Wir danken dem Adam-Mickiewicz-Institut, vor allem seinen Direktoren Paweł Potoroczyn und Joanna Kiliszek, für dieses besondere Geschenk zur polnischen EU-Ratspräsidentschaft.
PANORAMADeutsch-polnisches Panorama
KULTUR
Marcin WiatrSchönes Panama: Porträt des Künstlers und Schriftstellers Janosch
Martin PollackEssay: Von alten und neuen Grenzen
JUBILÄUM
Albrecht LemppReflexionen: Wer wird mit wem zu welchem Thema den deutsch-polnischen Dialog führen?
Małgorzata ŁawrowskaGemeinsames Know-how: 20 Jahre Stiftung für deutsch-polnische Zusammenarbeit
POLEN UND EUROPA
Europäisches ErbeDIALOG-Gespräch mit Professor Jerzy Kłoczowski über Polen und Europa
Krzysztof PomianEssay: Europäische Vielfalt
Ulrich M. SchmidKosmopolitismus: Czesław Miłosz´ „West und Östliches Gelände“
Andrzej MencwelIdentitätsmuster: Europa als Heimat
GESCHICHTE
Andrzej GrajewskiVorübergehender Frieden: Über den Friedensvertrag von Riga
POLITIK
Wacław RadziwinowiczZwei Berichte: Der Streit um die Katastrophe von Smolensk wird noch lange anhalten