Neue Ausgabe der Osnabrücker Mitteilungen ist erschienen! Archiv und Domschatz, Stadt- und Regionalgeschichte: Der 124. Band hält eine Fülle an Themen und Epochen bereit
Die aktuelle, rund 400 Seiten umfassende und durch zahlreiche farbige Abbildungen reich illustrierte Ausgabe ist aber vor allem in ihrer zeitlichen und thematischen Breite bemerkenswert. Einem mittelalterlichen Notenfragment aus der 2. Hälfte des 13. Jahrhunderts, das heute im Niedersächsischen Landesarchiv in Osnabrück verwahrt wird, entlockt Martin Schürrer Hinweise auf die Arbeitsweise der Skriptorien und auf die mittelalterliche Religiosität und Heiligenverehrung – insbesondere der heiligen Lucia, sowie auf die spätmittelalterliche Liturgie und Musik. Einen wichtigen Beitrag zur Geschichte der Osnabrücker jüdischen Gemeinde im 14. und 15. Jahrhundert bietet der Aufsatz von Thorsten Heese. Um etwa 1300 wurden durch den Bischof die ersten jüdischen Familien angesiedelt. Sie blieben – mit einer Unterbrechung in der Mitte des 14. Jahrhunderts - rund 130 Jahre und sahen sich, auch wenn sie unter dem Schutz des Bischofs standen, unterschiedlichen antijudaistischen Diskriminierungen ausgesetzt.
Zwei Aufsätze widmen sich dem Jubiläum zentraler Kultureinrichtungen in Osnabrück: dem 150jährigen Jubiläum der Osnabrücker Abteilung des Landesarchivs (Birgit Kehne) und dem 100jährigen Geburtstag des Diözesanmuseums (Klaus Niehr). Während Kehne einen archiv- und institutionengeschichtlichen Zugang wählt, erzählt Niehr die Geschichte des Domschatzes als Medium der Erinnerung. Dem Schatz kommt nicht nur eine Bedeutung als Kunstobjekt zu; er hat auch identifikatorische Bedeutung. Auch hier liegen Archiv und Museum eng beieinander.
Ernst Helmut Segschneider wertet das Geschäftstagebuch des Bramscher Kupferschmieds Johann Lund aus, das dieser über einen Zeitraum von 32 Jahren geführt hat; detailliert analysiert Segschneider die erstellten Produkte und Lunds Umsätze und wertet exemplarisch Profil und Charakteristik einzelner Kundenkonten von den insgesamt 160 Kunden der Firma aus.
Anlässlich des 100. Geburtstages der DJK im Jahr 2020 erforscht Hermann Queckenstedt die Geschichte der DJK in Osnabrück bzw. im Osnabrücker Land und konzentriert sich dabei auf den Beitritt des SV Quitt Ankum zur DJK im Jahr 1931. Der SV Quitt avancierte im Folgenden zum Vorort des DJK-Bezirks Bersenbrück, ehe die DJK als katholischer Sportverband im Frühjahr 1934 verboten und „gleichgeschaltet“ wurde.
Sebastian Bondzio und Christoph Rass publizieren erste Ergebnisse ihres mehrjährigen Forschungsprojektes zur Osnabrücker Gestapo. Auf der Grundlage der erstmaligen Auswertung des umfangreichen Datenbestandes der Osnabrücker Gestapo-Kartei fragen sie, ob die NS-Geheimpolizei denn wirklich allmächtig, allwissend und allgegenwärtig war und wie sie konkret den Osnabrücker Raum „durchherrschte“? Die heute im Osnabrücker Landesarchiv aufbewahrte Kartei offenbart die umfassenden Möglichkeiten der Nationalsozialisten, in gesellschaftliche Prozesse einzugreifen und zeigt, wie mit diesem modernen Wissenssystem konkret überwacht und interveniert wurde.
Zwei Beiträge zu Justus Möser beschließen den Aufsatzteil. Martin Siemsen analysiert Justus Mösers finanzielle und publizistische Aktivitäten beim Gastspiel der zweiten Wäserschen Schauspielergesellschaft in Osnabrück von Januar bis April 1780 und leistet damit einen Beitrag zur städtischen Theatergeschichte des 18. Jahrhunderts. Rainer Drewes widmet sich der Konstruktion eines national-konservativen Möserbildes in der ersten Hälfte des 20. Jahrhunderts durch die lokalen Literaten Bernard Wieman, Ludwig Bäte und Wilhelm Fredemann. Sie alle identifizieren Möser als sinnstiftende Persönlichkeit der Stadt und des Osnabrücker Landes und entwickeln damit die bis heute wirkende Möser-Verehrung.
Im zweiten Teil der Mitteilungen werden 19 aktuelle Publikationen zur Geschichte Osnabrücks und des Osnabrücker Landes durch verschiedene Rezensentinnen und Rezensenten vorgestellt und besprochen.
Die Rezensionen des Bandes werden in Kürze auch bei recensio.regio zu finden sein.
I. Aufsätze
Martin Schürrer: Gesänge zu Ehren der Heiligen Lucia. Ein Notenfragment als Spiegel monastischer Lebenswelten und mittelalterlicher Liturgie
Klaus Niehr: Aufbewahren und Verwalten, Nutzen und Gebrauchen, Erinnern und Vergessen. Der Osnabrücker Domschatz als lebendige Sammlung
Thorsten Heese: „de joden belde“. Judentum und antijüdische Propaganda im spätmittelalterlichen Osnabrück
Ernst Helmut Segschneider: Ein Geschäftsbuch des Bramscher Kupferschmieds Johann Hermann Heinrich Lund (1863–1894)
Birgit Kehne: Vom Königlich Preußischen Staatsarchiv zum Landesarchiv in Osnabrück. Ein Beitrag zum 150. Gründungsjubiläum
Hermann Queckenstedt: „Christusgeist“ auch auf dem Sportplatz? Warum der SV Quitt Ankum vorübergehend dem katholischen Sportverband Deutsche Jugendkraft (DJK) beitrat
Sebastian Bondzio und Christoph Rass: Allmächtig, allwissend und allgegenwärtig? Die Osnabrücker Gestapo-Kartei als Massendatenspeicher und Weltmodell
Sebastian Musch, Frank Wolff und Christoph Rass: Hermann Helfgott-Zvi Asaria (1913–2002). Biografie, Gewaltmigration und jüdische Geschichte zwischen Niedersachsen, Deutschland und Israel
Möseriana
Martin Siemsen: Justus Möser und die Wäsersche zweite Gesellschaft 1780. Zur Theatergeschichte der Stadt Osnabrück im 18. Jahrhundert
Rainer Drewes: Literarische Requirenten von Justus Möser. Bernard Wieman, Ludwig Bäte und Wilhelm Fredemann
II. Besprechungen
Sabine Graf / Regina Rößner / Gerd Steinwascher (Hg.), Archiv und Landesgeschichte. Festschrift für Christine van den Heuvel (Oliver Auge)
750 Jahre Kollegiatstift Beckum 1267–2017 (Karsten Igel)
Barbara Klössel-Luckhardt, Mittelalterliche Siegel des Urkundenfonds Walkenried (Antje Diener-Staeckling)
Ulrich Andermann, Humanismus im Nordwesten. Köln – Niederrhein – Westfalen (Tobias Daniels)
Susanne Tauss / Ulrich Winzer (Hg.), Miteinander leben? Reformation und Konfession im Fürstbistum Osnabrück 1500 bis 1700 (Thorsten Unger)
Guido von Büren / Ralf-Peter Fuchs / Georg Mölich (Hg.), Herrschaft, Hof und Humanismus. Wilhelm V. von Jülich-Kleve-Berg und seine Zeit (Ulrich Andermann)
Olga Weckenbrock (Hg.), Ritterschaft und Reformation. Der niedere Adel im Mitteleuropa des 16. und 17. Jahrhunderts (Philip Haas)
Johannes Burkhardt, Der Krieg der Kriege. Eine neue Geschichte des Dreißigjährigen Krieges (Volker Arnke)
Michael Rohrschneider / Anuschka Tischer (Hg.), Dynamik durch Gewalt? Der Dreißigjährige Krieg (1618–1648) als Faktor der Wandlungsprozesse des 17. Jahrhunderts (Volker Arnke)
Hans Medick, Der Dreißigjährige Krieg. Zeugnisse vom Leben mit Gewalt (Ulrich Winzer)
Andreas Müller, Die Ritterschaft im Herzogtum Westfalen 1651–1803. Aufschwörung, innere Struktur und Prosopographie (Martin Schürrer)
Heinrich Schepers, Fürstliche Prachtentfaltung in Abwesenheit des Herrschers. Bedeutung von Schloss und Hofstaat im Fürstbistum Osnabrück zur Regierungszeit Friedrichs von York (1764–1802) (Martin Espenhorst)
Sven Solterbeck, Blaues Blut und rote Zahlen. Westfälischer Adel im Konkurs 1700–1815 (Ulrich Winzer)
Christine van den Heuvel / Thomas Vogtherr (Hg.), „Für wohlthätige Anstalten aller Art“. Zur Geschichte der Klosterkammer Hannover vom 18. bis zum frühen 20. Jahrhundert (Georg Wilhelm)
Johann Moritz Schwager: Autobiographische Schriften und kleinere Reisebeschreibungen über Westfalen, hg. und kommentiert von Frank Stückemann (Ulrich Winzer)
Bianca Roitsch, Mehr als nur Zaungäste. Akteure im Umfeld der Lager Bergen-Belsen, Esterwegen und Moringen 1933–1960 (Sebastian Weitkamp)
Roland Reichwein, Adolf Reichwein und der Kreisauer Kreis. Ein Weg in den deutschen Widerstand (Thorsten Unger)
Reiner Wolf (Hg.), Protest und Aufbruch. „68“ in Osnabrück (Nina Koch)
Philipp Kufferath, Peter von Oertzen (1924–2008). Eine politische und intellektuelle Biografie (Heiko Schulze)
III. Jahresbericht
Verein für Geschichte und Landeskunde von Osnabrück e.V. Jahresbericht 2018/2019 (Birgit Kehne)
Arbeitskreis Stadtgeschichte (Thorsten Unger)
Justus-Möser-Gesellschaft (Martin Siemsen)