Die neue Ausgabe des Jahrbuchs für Antisemitismusforschung eröffnet mit der Vorstellung des Arthur Langerman Archivs für die Erforschung des visuellen Antisemitismus (ALAVA), das im Frühjahr 2019 seine Arbeit am Zentrum für Antisemitismusforschung aufgenommen hat. Die Bedeutung, die visuellen Medien für die Erforschung von Antisemitismus und Rassismus zukommt, wird in Zukunft ein wichtiges Forschungsfeld am ZfA, weshalb wir uns in mehreren Beiträgen mit Fragen des Visual Turn für die Analyse von historischer und gegenwärtiger Exklusion und Inklusion beschäftigen. Dabei werden u.a. private Fotoalben aus der Zeit des Zweiten Weltkriegs untersucht, wiederholte antisemitische Vorfälle beim Aalster Straßenkarneval und politische Kampagnen im von einer dramatischen Verfassungskrise und politischen Polarisierung erschütterten Spanien.
Ein weiterer Schwerpunkt des diesjährigen Jahrbuchs ist das Thema „Juden und Muslime in Europa“, der sich mit der Verschränkung von Judentum und Islam sowie von Antisemitismus und Islamfeindlichkeit beschäftigt – oder auch mit Verbindungen aller vier Themenfelder. Die Autor:innen diskutieren in ihren Beiträgen so unterschiedliche Themen wie die Entstehung des Arier-Mythos aus der auch jüdisch geprägten deutschen Orientwissenschaft, der Rundfunkpropaganda im Zweiten Weltkrieg, mit der das NS-Regime die arabische Welt für sich zu gewinnen suchte, die Entstehung der Islamisch-Theologischen Studien und ihr Verhältnis zur Islamwissenschaft, Gemeinsamkeiten und Unterschiede zwischen dem Antisemitismus der Ersten und der Islamfeindschaft der Zweiten Republik Österreichs sowie blinde Flecken und antijüdische Ressentiments im anti-rassistischen Lager in diesem Land.
Im dritten Abschnitt des diesjährigen Jahrbuchs finden sich historische, kulturwissenschaftliche und juristische Analysen. In dieser Sektion geht es um unterschiedliche Bewertungen des revolutionären bayerischen Ministerpräsidenten und 1919 ermordeten Kurt Eisner seitens der verschiedenen Lager der Weimarer Republik, um die Exilzeitschrift Die Zukunft und deren Wirken für individuelle Freiheit, Demokratie und Menschenrechte, um die Nicht-Erinnerung an den Völkermord an den Sinti und Roma in den Filmen Leni Riefenstahls, um einen vergessenen Antisemitismusstreit aus dem Jahre 1970 sowie um den juristischen Umgang mit Antisemitismus und Rassismus.
Inhalt
STEFANIE SCHÜLER-SPRINGORUMVorwort
EINSCHLUSS/AUSSCHLUSS. ZUR BEDEUTUNG VISUELLER MEDIEN FÜR DIE ERFORSCHUNG VON ANTISEMITISMUS UND RASSISMUS
CARL-ERIC LINSLER/ANGELIKA KÖNIGSEDERIn eigener Sache: Arthur Langermans Sammlung visueller Antisemitika am Zentrum für Antisemitismusforschung
MAREN JUNG-DIESTELMEIER/SYLVIA NECKER/SUSANNE WERNSINGAntisemitische und rassistische Objekte und Bilder in Ausstellungen? Ein Gespräch über erprobte Strategien und offene Fragen
MARKUS WURZERDer essentialisierende Blick zurück. Kolonialkrieg und Zugehörigkeit(en) im Fotoalbum
ULRICH PREHNUnklare Grenzziehungen. Zur Konstruktion von „Eigenem“ und „Fremdem“ in Aufnahmen deutscher Fotoamateure während des Zweiten Weltkriegs
JULIANE WETZEL„Aalst ist unser.“ Antisemitismus im Aalster Karneval
MIGUEL RIVAS VENEGASSemantic Pirouettes and Staged Populism: Communication Strategies in Contemporary Spanish Politics
JUDEN UND MUSLIME IN EUROPA
STEFANIE SCHÜLER-SPRINGORUMMissing Links: Religion, Rassismus, Judenfeindschaft
AMIR THEILHABERVon Persophonie zum Arier-Mythos Orientalistische Zugänge zu einem globalgeschichtlichen Phänomen
PHILIPP HENNINGStrategischer Hasstransfer in der arabischsprachigen Rundfunkpropaganda NS-Deutschlands
ACHIM ROHDERekonfiguration einer Matrix: Islamisch-Theologische Studien, Islamwissenschaft, und die ‚Anderen‘ der deutschen und europäischen Geschichte
FARID HAFEZZur „Verjudung“ und „Islamisierung“: Antisemitismus und Islamophobie in der Ersten und Zweiten Republik Österreichs
DORON RABINOVICIAntisemit ist immer nur der Andere Oder: Veränderungen in der globalen Debatte über den Neuen Antisemitismus und deren österreichische Widerspiegelung. Ein Vortrag
ANTISEMITISMUS UND RASSISMUS IN VERGANGENHEIT UND GEGENWART
FRANK JACOBDer Kampf um das Erbe der Revolution: Die Darstellung Kurt Eisners in den Printmedien der Weimarer Republik
ANNETTE GROHMANN-NOGARÈDEDie Exilzeitschrift Die Zukunft. Jüdische Intellektuelle in einem transnationalen Netzwerk
ISIDORA RANDJELOVIAkte des Entinnerungs: Leni Riefenstahl und der weiße Feminismus im postnationalsozialistischen Deutschland
SEBASTIAN BISCHOFF / KRISTOFF KERL„Wie muß ein Jude in der Bundesrepublik Deutschland im Jahre 1970 sich verhalten“? Auseinandersetzungen um „Pornographie“ im Melzer Verlag – ein vergessener Antisemitismusstreit wird 50
DORIS LIEBSCHERSind Juden weiß? Von den Schwierigkeiten des rechtlichen Umgangs mit Antisemitismus
DISKUSSION
THOMAS MEYERGibt es einen „Fall Arendt“? Antwort auf Philipp Lenhard
PHILIPP LENHARDAnmerkungen zu Thomas Meyers Replik
Die Autorinnen und Autoren