D. Hicks u.a. (Hrsg.): Historical Archaeology

Title
The Cambridge Companion to Historical Archaeology.


Editor(s)
Hicks, Dan; Beaudry, Mary C.
Published
Extent
404 S.
Price
$ 30,39
Rezensiert für Clio-online und H-Soz-Kult von:
Ulrich Müller, Lehrstuhl für Ur- und Frühgeschichte, Institut für Ur- und Frühgeschichte der Universität Kiel

„Historical Archaeology“ (Historische Archäologie) hat sich im Gegensatz zu dem Begriff „prähistorische Archäologie“ an Instituten oder Seminaren und in Studiengängen bislang kaum durchgesetzt. Traditionell wird von „Ur- und Frühgeschichte“ sowie von der „Archäologie des Mittelalters und der Neuzeit“ gesprochen. Dies mag vor allem an der Genese des Faches Ur- und Frühgeschichte in Deutschland liegen, aber auch darin begründet sein, dass die „Historical Archaeology“ im Verständnis einer Archäologie schriftbasierter Kulturen die eigenen Fachgrenzen zu sprengen droht. Einen derartigen fachlichen Trojaner möchte der „Cambridge Companion“ dem Leser nicht unterschieben, und so stellen einleitend Hicks und Beaudry heraus, dass die Zeit zwischen 1500 und der Gegenwart im Mittelpunkt der Beiträge steht. Der Leser wird eingeladen, nicht nur frühneuzeitliche („post-medieval“) Themen kennen zu lernen, sondern den Weg in Richtung einer „contemporary archaeology“ – einer Archäologie der Moderne und Gegenwart – einzuschlagen.

Mit insgesamt 17 Beiträgen zielt der „Cambridge Companion to Historical Archaeology“ auf ein meist studentisches Publikum, es möchte ein Begleiter sein, der zum Studium und zur Diskussion auffordert. Der Band umfasst 404 Seiten mit zahlreichen Abbildungen und Tabellen, die durch entsprechende Listen ebenso gut erschlossen sind wie ein Index geografische, thematische oder biographische Stichworte bietet. Das umfangreiche Literaturverzeichnis am Ende lässt ebenfalls kaum Wünsche offen – es sei denn, man sucht Referenzen aus dem deutschsprachigen Raum. Das mag an den eher konventionellen (zeitlichen) Zugängen der deutschen Archäologie liegen, vor allem aber die vielfach diskutierte Sprachgrenze anglophon ausgerichteter Länder widerspiegeln. Die Autorinnen und Autoren sind denn auch überwiegend nordamerikanischer und angelsächsischer Herkunft.

Neben der Einleitung (Hicks/Beaudry) und einem Ausblick (Cunliffe) sind die übrigen 14 Beiträge in fünf thematische Blöcke gruppiert. Der Diskurs um die vielen Facetten von Archäologie und Geschichte besitzt zentrale Bedeutung, und so finden sich im ersten Teil („Archaeology and History“) Beiträge zur „Documentary Archaeology“, „Historical Archaeology and Time“ sowie zum „Writing Historical Archaeology“. Es folgen mit sechs Beiträgen „Key Themes in Historical Archaeology“. Der Bogen spannt sich von „Colonialism“, „Urban Archaeology“, „Maritime Archaeology“ und „Industrialisation“ über „Marxism and Capitalism“ bis hin zu Fragen des „Cultural Heritage“. Der folgende Block „Historical Archaeology and Material Culture“ setzt sich in zwei Beiträgen mit diesem Thema allgemein und anhand von Keramik auseinander, und die weiteren zwei Schwerpunktthemen sind „Historical Archaeology and Landscapes“ sowie „Historical Archaeology and Buildings“. Cunliffes’ „Afterword: Historical Archaeology in the wider Discipline“ fasst nicht nur die Beiträge zusammen, sondern stellt sie in einen Bezug zur „prähistorischen“ sowie „europäischen“ Archäologie.

Die Verdichtung der Überlieferung ist ein Alleinstellungsmerkmal der „Historischen Archäologie“. In ihrem Beitrag zur „Documentary Archaeology“ stellt Wilkie anhand zweier einprägsamer Beispiele aus dem Süden Nordamerikas sowie der amerikanischen Westküste das enge und wechselseitige Verhältnis von schriftquellenbasierten sowie materiellen und mündlichen Überlieferungsformen des 19. Jahrhunderts dar. Ihr Plädoyer für eine integrierte Analyse – fast im Sinne der Greertschen „Thick Description“ – wird man folgen wollen, zumal die „Europäische Ethnologie“ ganz ähnlich operiert. Lucas setzt sich nachfolgend mit der (archäologischen) Zeit auseinander; neben der relativ- und absolutchronologischen Datierung weist er auf das Vorhandensein unterschiedlicher Zeitskalen und -ebenen hin, die kaum Eingang in die archäologische Diskussion gefunden haben. So bildet die Konstruktion von Gleichzeitigkeiten – beispielsweise in Form von Chronologien oder Innovations- oder Transformationsprozessen, ein weiteres Thema seiner Ausführungen. Einen spezifischen Aspekt, der im deutschen Sprachraum weniger in der Archäologie als in den Philologien („linguistic turn“) Beachtung findet, stellt Joyce dar. Ihr Beitrag zu „Writing Historical Archaeology“ beschäftigt sich mit den komplexen Beziehungen zwischen Untersuchungsgegenstand, Wissenschaftler und Leser. Die Konstruktion von Vergangenheit und der Diskurs um die teilnehmende Beobachtung sind Historikern wie Kulturanthropologen wohl vertraut und stellen sich mit zunehmender zeitlicher Nähe von Untersuchungssubjekt und -objekt in ganz besonderem Maße. In der deutschsprachigen Archäologie vertraut man vielfach eher auf die Macht der objektiven naturwissenschaftlichen Daten, und so bieten die Thesen der Autorin eine lesenswerte Ergänzung zu dieser Sichtweise.

Bereits diese drei Beiträge markieren Positionen und zeigen Richtungen an, welche dann mit den folgenden Beiträgen ausgebaut bzw. konturiert werden. Die „Key Themes“ umfassen nicht nur die lesenswerten Beiträge zur Archäologie der Kolonisation (Lawrence/Shepherd) oder der maritimen Archäologie (Flatman/Staniforth), sondern auch eine inhaltsreiche wie länderübergreifende Einführung zu „Archaeology and Industrialisation“ (Symonds/Casella) sowie die thematisch mehr oder minder damit verbundenen Reflektionen über „Marxism and Capitalism“ (McGuire). Wenn O’Keefee und Yasmin sich dem Thema „Urban Archaeology“ widmen, so ist damit nicht nur die klassische Stadtarchäologie gemeint. Darüber hinaus fordern sie eine aktive Beteiligung an Planungsprozessen im Sinne einer archäologischen Verantwortung für die Gegenwart ein. In ähnliche Richtung zielt auch der Beitrag von Schofield und Johnson, die ausgehend von einem erweiterten Verständnis der archäologischen Qualität historischer Quellen und an Beispielen wie dem „Atomic Testing Museum“ in Nevada oder der „Cold War Cruise Missile Area“ Fragen der Schutzwürdigkeit, der Schaffung und Einbeziehung von Öffentlichkeit und Aspekte des Managements behandeln. Der Beitrag über die materiellen Hinterlassenschaften durch Cochran und Beaudry bezieht auch neuere netzwerk- und akteursbasierte Ansätze (z.B. Latour) mit ein, die erst zögerlich Eingang in den deutschen Sprachraum finden. Auch sonst wird der deutsche Leser über den zähen Diskurs über Standortbestimmungen hinaus zahlreiche Anregungen erhalten. Das auch der historische Archäologe nicht auf Keramik verzichten kann, verdeutlichen Barker und Majewski. Ihr Beitrag fragt zunächst scheinbar konventionell nach der Rolle von Produktion und Konsumption und geht auf die zahlreichen Facetten des Handels und Austausches ein. Wenn „alt-europäische Keramik“ mit außereuropäischen Referenzpunkten (z.B. in Alaska oder Neuseeland) verknüpft, auf Kostenanalysen vor dem Hintergrund der Produktion und Konsumption hingewiesen oder die Bedeutung von Keramik im (national)politischen Diskursen beleuchtet wird, so öffnet sich ein Raum, der materielle Kultur als aktives Element kultureller Praxen versteht. In den Bereich der Landschaftsarchäologie führen die beiden nachfolgenden Beiträge ein, deren post-prozessuale Sicht die Paradigmen einer naturwissenschaftlich ausgerichteten Geoarchäologie sinnvoll konturiert. Indem vor allem Holtorf und William den diachronen Aspekt herausstellen, zeigt sich Landschaftarchäologie ebenso wie Stadtarchäologie als ein Weg, um den scheinbaren Gegensatz von prähistorischer und historischer Archäologie zugunsten einer einheitlichen Sichtweise aufzuheben. Dass sich die Forschungsgegenstände auf den ersten Blick nicht wesentlich, wohl aber die Zugänge und Sichtweisen von so manchen Ansätzen unterscheiden, verdeutlichen Hicks und Horning in ihrem Beitrag über „Historical Archaeology and Buildings“ sowie King in ihrem Beitrag über „Household Archaeology, Identities and Biographies“.

Der Band bietet zahlreiche Zugänge. Auf einer unmittelbaren Ebene werden anhand von Beispielen, die nahezu aus dem nordamerikanischen und angelsächsischen Raum stammen, Felder, Methoden und Theorien der Historischen Archäologie vorgestellt. Der eurozentristische Leser wird Fallbeispiele aus Alt-Europa vermissen, doch – würde nicht ein entsprechendes Werk aus Deutschland auf Beispiele aus dem eigenen Sprachraum und Europa rekurrieren? Es bleibt dem Leser überlassen, Analogien zu ziehen. Wenn er es tut, und nach Lektüre einzelner Beiträge als auch des Buches insgesamt drängt sich dies geradewegs auf, öffnen sich Fenster auf Felder, die auch im deutschsprachigen Raum, den Niederlanden, Frankreich oder Polen behandelt werden. So wird man angesichts der „Documentary Archaeology“ an die integrierte Bau- und Bodendenkmalpflege Nordschweizer Prägung erinnert, die Agenda zur „Maritime Archaeology“ korrespondiert mit der aktuelle Diskussion um die Vielgestaltigkeit maritimer europäischer Kulturlandschaften und im Rahmen des „Heritage Managements“ und der „Urban Archaeology“ wird vielerorts die Denkmalwürdigkeit neuzeitlicher und moderner Relikte diskutiert. Weitere Beispiele ließen sich anführen und Parallelen finden. Grundsätzlich bleibt jedoch hervorzuheben, dass es weniger die Gegenstände und Untersuchungsfelder sind, die das Neue der „Historical Archaeology“ ausmachen. Es sind die Perspektiven, die Fragen und die Methoden, die Nähe zur Gegenwart und die Forderung nach einer integrierten Analyse.

So ist es nicht verwunderlich, dass Cunliffe abschließend einen Essay beisteuert, in dem auch diese Aspekte zur Sprache kommen. Wenn er zunächst ausführt, dass einige Themenfelder wie die „battlefield“ oder „garden archaeology“ keinen Eingang in den „companion“ gefunden haben, so mag dies den Herausgebern geschuldet sein. Wenn B. Cunliffe jedoch auf parallele Erscheinungen aus der Archäologie vor 1500 hinweist und darüber hinaus den Bogen bis in die Prähistorie spannt, handelt es sich durchaus um ein kritisches Hinterfragen dessen, was denn nun das Alleinstellungsmerkmal der (jungen) „Historical Archaeology“ im Vergleich zur (alten) „Prehistoric Archaeology“ ist. Erstere meint sicherlich nicht ausschließlich eine Archäologie des Mittelalters. Schon eher zielt B. Cunliffe auf strukturvergleichende Analysen schriftbasierten Kulturen, doch ganz besonders geht es ihm um Prozesse menschlichen Verhaltens. Diese besitzen zwar historische Pfadabhängigkeiten, weisen zugleich aber Analogien zu unterschiedlichen Zeiten und Räumen auf. Die von B. Cunliffe vorgestellten Beispiele überzeugen durchaus, sie lenken den Blick über das Zeitfenster 1500-2000 hinaus auf eine (prä)historische Landschaft, in der unter Beibehaltung einer kleinmaßstäbigen Perspektive menschliche Gesellschaften tatsächlich vergleichbare Verhaltensweisen zeigen. Legt man indes eine großmaßstäbige Skala an, so offeriert die „Historische Archäologie“ darüber hinaus, wie und in welchem Maße der einzelne Akteur in seinem Lebensumfeld gleichermaßen die Strukturen schafft, sich in ihnen bewegt und durch sie bestimmt wird. In diesem verdichteten und vor allem wechselseitigen Zugang liegen die Besonderheit der „Historical Archaeology“ und das methodologische Erkenntnispotential über Zeit- und Fachgrenzen hinaus.

Zusammenfassend ist das Werk nicht nur jedem Archäologen zu empfehlen, der sich mit der Neuzeit und der Gegenwart auseinandersetzt und über den Tellerrand von Chronologie und Typologie hinaus schauen möchte. Auch Vertreter der prähistorischen Archäologie(n) dürften so manches mitnehmen und mit Blick auf jene Kolleginnen und Kollegen aus den kunstwissenschaftlichen und schriftquellenbasierten Disziplinen, die einer „Archäologie der Neuzeit“ jegliche Relevanz absprechen, sei ihnen der „companion“ ganz besonders ans Herz gelegt. Kurz und knapp: „Haben müssen!“

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