Cover
Titel
Museen in der DDR. Akteure – Orte – Politik


Herausgeber
Cladders, Lukas; Kratz-Kessemeier, Kristina
Reihe
Veröffentlichungen der Richard Schöne Gesellschaft für Museumsgeschichte e.V.
Erschienen
Köln 2022: Böhlau Verlag
Anzahl Seiten
422 S., 107 teils farb. Abb.
Preis
€ 45,00
Rezensiert für H-Soz-Kult von
Bernd Lindner, Leipzig

Die DDR war reich an Museen: Existierten in der Sowjetischen Besatzungszone 1947 (noch) 381 – oft kriegsbeschädigte – Museen, gab es am Ende der DDR bereits 751 Museen und Gedenkstätten, die über 35 Millionen Besucherinnen und Besucher anzogen. Dennoch fehlt bisher eine Gesamtschau auf dieses „wesentliche Element der ostdeutschen Kultur- und Bildungslandschaft“ (Jan Scheunemann, S. 353). Lediglich zu einzelnen Museumsarten (unter anderem Geschichts- und Kunstmuseen) und ihren Besuchern liegen differenzierte Analysen vor. 30 Jahre nach dem Mauerfall versuchte eine von der Richard-Schöne-Gesellschaft für Museumsgeschichte 2019 in Rostock veranstaltete interdisziplinäre Tagung, einige der Lücken zu schließen. Der Sammelband enthält 21 der dort vorgetragenen Exkurse in die „ganz eigene“ DDR-Museumsgeschichte (Einführung von Cladders/Kratz-Kessemeier, S. 11). Sie „schlagen thematische Schneisen in das komplexe Feld einer ostdeutschen Museumshistoriografie zwischen 1949 und 1989“ (Klappentext).

Gegliedert ist der Band in fünf Kapitel mit Beiträgen zu den (1) kulturpolitischen Rahmenbedingungen und (2) internationalen Beziehungen von DDR-Museen, zur (3) Museologie und Museumsgestaltung sowie mit Fallstudien zu den (4) Sammlungskonzepten und (5) Besonderheiten einzelner Museumstypen wie den Gedenkstätten zur Frühromantik (Frank Hofmann, S. 259–270), der Indianistik in Völkerkundemuseen (Frank Usbeck, S. 289–302), den agrarhistorischen Freilichtmuseen (Uta Bretschneider, S. 303–317), den „Polytechnischen Museen“ (Martin P. M. Weiss, S. 319–333) oder zu Maritimen Museen (Peter Danker-Carstensen, S. 335–349). Aber auch zu Erwerbungsstrategien von Kunst aus der Bundesrepublik und West-Berlin durch die Gemäldegalerie Neuer Meister in Dresden (Kathleen Rosenthal, S. 271–287) oder von Werken der „Biennale der Ostseeländer“ durch die Kunsthalle Rostock (Elke Neumann, S. 95–105) gibt es Beiträge.

Den speziellen Fallstudien vorangestellt sind übergreifende Analysen zum Museumswesen in der DDR, „als zwar deutlich staatlich bestimmtes und gelenktes, gleichzeitig aber doch keineswegs starres, geradliniges Modell“, das vom Ringen engagierter Museumsmitarbeiterinnen und -mitarbeiter „um tragfähige Lösungen“ zeugt, „die es in Abhängigkeit von politischen Entwicklungen immer wieder neu […] auszuhandeln galt“ (S. 12). Aufgezeigt werden aber auch die Grenzen, die der „Innovativkraft der ostdeutschen Museen“ zu unterschiedlichen Zeiten gesetzt waren, dort „wo politische Steuerung allzu scharf und rigide Einfluss nahm“ oder „die Mangelwirtschaft der DDR reale gestalterische Spielräume eng hielt“ (ebd.).

Hier ist nicht der Platz, um auf alle Beiträge einzugehen. Daher werden einige herausgegriffen, um das Potential, aber auch die Grenzen des Bandes aufzuzeigen. Am Exkurs von K. Kratz-Kessemeier über „das Museum als ästhetischer Bildungsort auch in der DDR?“ fällt zuerst das Fragezeichen in der Überschrift auf. Es steht für die Brüche, denen die Museen in ihrer ästhetischen Ausrichtung allzu oft ausgesetzt waren, etwa durch die „seit 1949 eskalierende Formalismusdebatte“ (S. 31) oder durch das „Kahlschlag-Plenum“ von 1965, das eine „Phase liberaler Museumspolitik“ (S. 42) jäh beendete. Dass diese – laut Autorin – ausgerechnet in den Kunstmuseen durch die von der SED-Führung 1959 und 1964 organisierten Bitterfelder Konferenzen ausgelöst worden sei, verwundert dagegen. Sie hätten das Museum als „Bildungs- und Kulturort“ gestärkt, auch weil die „Kunstpädagogik der DDR […] daraufhin das ‘Kunsterlebnis‘ und die formale Geschmacksbildung“ für sich entdeckte (S. 32) und somit „den Blick für die Moderne“ (S. 35) öffnete. Als Beleg dafür soll das 1962 von Hans Mayer-Foreyt gemalte Ölbild „Im Museum“ dienen. Es zeigt Besucher in der Dresdner Gemäldegalerie, die andächtig vor Giorgiones „Schlummernde(r) Venus“ verharren. Darin ist aber kaum ein Beleg für „ein breites, modernes Publikum im Museum“ (S. 33) zu sehen. Eher steht es in der antimodernen Tradition der SED-Kulturpolitik, die Mayer-Foreyt bereits 1953 mit seinem von der staatlich gelenkten Kunstkritik gefeierten Bild „Ehrt unsere alten Meister“ propagierte. Auch fällt auf, wie bereits bei Maike Steinkamps Beitrag über Museen als „Bildungsstätten ersten Ranges“ (S. 17–29) erkennbar, dass der nach 1990 geführte breite Diskurs zur bildenden Kunst in der DDR von beiden Autorinnen kaum wahrgenommen wurde.1 Sehr instruktiv sind dagegen die Auskünfte Kratz-Kessemeiers zur Durchsetzung moderner Gestaltungsideen nach westlichen Standards in DDR-Kunstmuseen ab 1963; aufgezeigt anhand der (Neu-)Einrichtung des Albertinums in Dresden 1965, der Nationalgalerie zur Kunst des 20. Jahrhunderts im Alten Museum in Ost-Berlin 1966 und der 1969 eröffneten Kunsthalle Rostock (S. 36–47).

Folgerichtig wurde dieser prägnante Neubau zum Ort der Tagung gewählt; entsprach doch der „klar gegliederte“ kubische Bau aus Stahl und Glas „ästhetisch dem, was charakteristisch war für Museums- und Ausstellungsbauten des zweiten Nachkriegsjahrzehnts ‘im Westen‘“ (S. 202–204), wie der Kunstwissenschaftler und Architekturkritiker Nikolaus Bernau in seinem fundierten Beitrag zu Architektur und Design von DDR-Museen (S. 193–210) ausführt. Der Rostocker Kunsthalle vergleichbar waren lediglich eine Handvoll neu errichteter Ausstellungspavillons in Leipzig (am Völkerschlachtdenkmal), Eisenach (Automobilmuseum) oder in Cottbus und Heringsdorf. Stilistisch gänzlich anders geartet sind die beiden Nachkriegsneubauten des Hohenleubener Heimatmuseums (1950) und des kulturhistorischen Spengler-Museums in Sangerhausen (1952). Erst 1988 öffnete mit dem Schillermuseum in Weimar – „eine moderne Erweiterung des historischen Wohnhauses“ des Dichters (S. 205) – der einzige Neubau eines Literaturmuseums. Tatsächlich entstanden ab 1949 von den in der DDR für Museums-, Ausstellungs- und Sammlungszwecke genutzten Bauten „nicht einmal 0,5 % […] völlig neu“ (S. 194). In der BRD und West-Berlin waren es bis 1990 dagegen „mindestens 5 %“ (ebd.). Bei der Mehrzahl der in der DDR „für Museen genutzten Gebäuden“ handelte es sich um historische Bauten wie Burgen, Schlösser, Bürgerhäuser, Fabriken oder entwidmete Kirchen (S. 193). Wie schwierig die Zuordnung musealer Gebäude aus DDR-Zeiten noch heute ist, zeigt, dass Bernau den in Bad Frankenhausen für Werner Tübkes monumentalen Bauernkriegspanorama errichteten Rundbau lediglich als „Sonderfall“ und nicht als Kunstmuseum wertet (S. 196). Dagegen kommt die am Erfurter Fischmarkt 1979 hinter einer rekonstruierten Renaissance-Fassade neu errichtete Kunsthalle in seinem verdienstvollen Überblick gar nicht vor.

Ähnlich substantiell ist der Aufsatz von Wolf Karge zum letztlich gescheiterten Versuch der SED, die „sozialistische Profilierung“ der DDR-Museen einseitig voranzutreiben. Bereits 1946 wurden die Museen „unter sowjetischen Einfluss administrativ neu aufgestellt“ (S. 56). Dafür verantwortlich war zunächst die Zentralverwaltung für Volksbildung. Auch nach der DDR-Gründung wurde die politische Einbindung der Museen weiter forciert. Dem setzten die Museumsmitarbeiter zunehmend ein Streben nach Professionalisierung ihrer Arbeit „entgegen“, wofür unter anderem die Einrichtung der Fachschule für Museologen 1966 in Leipzig und die Gründung des Instituts für Museumswesens 1970 in Ost-Berlin stehen. So entzogen sich „die gewachsenen Museumsstrukturen […] einem nachhaltigen politischen Eingriff“ (S. 63) und der „Ansatz eines von oben koordinierten homogenen Museumsnetzes“ scheiterte zusehends (S. 66). Dem dienlich war auch eine wachsende „internationale Einbindung“ (S. 68) der DDR-Museen ab 1968 in die International Council of Museums (ICOM) und ab 1986 in das deutsch-deutsche Kulturabkommen.

Andreas Ludwig belegt diese schrittweise Autonomisierung am Beispiel der historischen Museen und ihrem „Sammeln von Gegenwart“. Durch die wachsende Einbeziehung von Alltagsobjekten in Ausstellungen wirkten sie einer einseitigen „politikgeschichtlich fokussierten Geschichtserzählung“ (S. 243) über die Historie der Arbeiterbewegung entgegen und ersetzten sie sukzessive durch eine „sammelnde Selbstvergewisserung der gesellschaftlichen Entwicklung in der DDR“ (S. 246). Zwei weitere Beiträge beschäftigen sich mit dem „Umgang der DDR mit Forderungen nach Rückgabe von Museumsobjekten kolonialer Provenienz“ (Holger Stoecker, S. 127–146) beziehungsweise mit „kritischen Provenienzen“ aus Enteignungen von Großgrundbesitzern, Republikflüchtigen oder privaten Kunstsammlern nach 1945 (Alexander Sachse, S. 227–255). Eine Rückgabe-Geschichte anderer Art erzählt Petra Winter mit „der Rückführung von Beutekunst aus der Sowjetunion in die DDR 1955/58“ (S. 75–94).

Leider enthält der Band keine biographischen Angaben zu den Autorinnen und Autoren, sodass der interessierte Leser sich Informationen über deren Alter, Herkunft (zum Beispiel Ost oder West) und beruflichen Hintergrund für ihre Annäherung an das Thema „Museen in der DDR“ als Wissenschaftler und/oder Museumsmitarbeiter im Netz selbst zusammensuchen muss. Positiv hervorzuheben ist dagegen die aufwendig recherchierte Bibliografie, die nach „gedruckten Quellen bis 1989“ (S. 368–389) und „Literatur und Publikationen ab 1990“ (S. 390–413) getrennt ausgewiesen wird. Ebenso sind die Standorte der eingesehenen Archivalien (S. 359–367) verzeichnet. Beste Voraussetzungen für die weitere Forschung an von Jan Scheunemann im Schlussbeitrag (S. 353–357) skizzierten offenen Forschungsfeldern und -fragen.

Anmerkung:
1 Siehe dazu Michaela Mai, Rezension zu: Tack, Anja, Riss im Bild. Kunst und Künstler aus der DDR und die deutsche Vereinigung, Göttingen 2021, in: H-Soz-Kult, 23.02.2022, https://www.hsozkult.de/publicationreview/id/reb-97934 (22.10.2023).

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