Cover
Titel
Righteous Persecution. Inquisition, Dominicans, and Christianity in the Middle Ages


Autor(en)
Ames, Christine Caldwell
Reihe
The Middle Ages Series
Erschienen
Anzahl Seiten
VIII, 312 S.
Preis
€ 45,21
Rezensiert für H-Soz-Kult von
Jörg Feuchter, Sonderforschungsbereich "Repräsentationen sozialer Ordnungen im Wandel", Humboldt-Universität zu Berlin

Im Roman „Warten auf die Barbaren“ von J. M. Coetzee befragt und foltert die Staatspolizei im Dienste eines nicht näher bestimmten Reiches dessen vermeintliche Feinde. Coetzee lässt eines der Opfer seinem Folterer hinterher die Frage stellen, wie er mit seiner Tätigkeit leben könne: „Wie ist es Ihnen möglich zu essen, nachdem Sie … die Menschen bearbeitet haben? […] Fällt es Ihnen leicht, danach Nahrung zu sich zu nehmen? […] Verstehen Sie mich nicht falsch, ich gebe Ihnen keine Schuld und klage sie nicht an, darüber bin ich längst hinaus. […] Ich versuche nur zu verstehen. Ich versuche die Zone zu verstehen, in der Sie leben.“1.

Um das Verstehen einer „Zone“, die allgemeinem moralischen Empfinden heute eigentlich unmöglich erscheint, geht es auch der an der University of South Carolina lehrenden Christine Caldwell Ames. In ihrem Buch versucht sie zu begreifen, in welcher moralischen Welt mittelalterliche Inquisitoren lebten, die im Namen Christi Menschen verfolgten, bestraften und im äußersten Fall der Hinrichtung überantworteten. Wie war diese Welt beschaffen oder wie legten sie sich die Inquisitoren zurecht, dass sie ihr Tun als „gerechte Verfolgung“ definieren konnten?

Dabei wendet sich Ames in ihrem Buch wie schon in einem früher publizierten Aufsatz2 gegen eine von ihr konstatierte Tendenz der jüngeren Forschung, Inquisition als politisch-soziales Phänomen zu begreifen, das einen wichtigen Schritt in der Herausbildung moderner, Individuen totalitär erfassender Vergesellschaftung darstellte. Diesem klassisch in Robert Ian Moores „The Formation of a Persecuting Society“ (1987) formulierten Verständnis der Inquisition als Teil einer Geschichte der Macht, die für ihre Kohäsion immer neue Außenseiter schafft, hält die Autorin entgegen, dass es sich bei der Ketzerverfolgung um ein lediglich in seinem religiösen Kontext, also dem mittelalterlichen Christentum, richtig zu verstehendes Phänomen handelt. So heißt es etwa auf S. 141 programmatisch: „We might place inquisitorial practice – its coercion, its violence – not within the frames of earthly ‚social control‘ or political order, but against the stunningly vast backdrop of soul, body, and community assembled by previous and contemporary Christian-ecclesiastical dynamics […]“. Der Rezensent fragt sich allerdings, ob diese beiden Deutungskontexte sich tatsächlich gegenseitig ausschließen müssen.

Als Untersuchungsgegenstand hat sich Ames den Orden der Predigerbrüder ausgesucht, der besser als Dominikanerorden bekannt ist. Die Wahl ist naheliegend, handelt es sich doch um den Inquisitionsorden schlechthin. Nicht nur waren die berühmtesten Inquisitoren allesamt Dominikaner – etwa Bernard Gui, Heinrich Institoris und Tomás de Torquemada –, sondern bereits die Ordensentstehung im Jahr 1216 erfolgte in der Auseinandersetzung mit den Häretikern in Südfrankreich, und es war deshalb auch nur konsequent, dass Papst Gregor IX. ab dem Anfang der 1230er-Jahre vor allem Predigerbrüder mit der Ausführung der systematischen Ketzerverfolgung betraute. Zwar muss man im Auge behalten, dass es nicht dieser Orden, sondern die Päpste waren, die das Ketzerinquisitionsverfahren juristisch schufen, dass ferner die allermeisten Dominikaner keine Inquisitoren waren und dass die Inquisition auch nie das alleinige Privileg der Dominikaner war. Dennoch kommt die feste Assoziation des Ordens mit dem „Geschäft“ (negotium) der Ketzerverfolgung keineswegs von ungefähr, und sie findet sich auch nicht nur in der Außenperspektive, sondern gerade auch in der Eigensicht. So wurde der Gründer, Dominikus von Caleruega, wiewohl bereits 1221 und somit Jahre vor der „Erfindung“ der Ketzerinquisition verstorben, schon im späteren Mittelalter von den eigenen Ordensbrüdern, namentlich von dem bereits erwähnten Bernard Gui, als Inquisitor bezeichnet.

Ames gliedert ihre Antwort auf die Frage, wie man im 13. Jahrhundert im Dominikanerorden Ketzerinquisition als gerechte Verfolgung begriff, in fünf Kapitel. Im ersten („The Wolves and the Sheep“) untersucht sie inquisitorische Metaphern für das eigene Tun und zeigt, wie leicht diese Bilder auch gegen die Inquisitoren gewendet werden konnten. Im zweiten Kapitel („Holy Inquisitors“) geht es um heiliggesprochene bzw. im Orden für dessen würdig erachtete Inquisitoren, allen voran um den 1252 von Ketzern getöteten und bereits 1253 zur Ehre der Altäre erhobenen Petrus Martyr. Im dritten Kapitel („The Burning Torch“) schildert Ames die nachträgliche Stilisierung des Ordensgründers Dominikus zum Inquisitor. Es folgen noch zwei Kapitel, in denen es um die Sanktionstätigkeit der Dominikanerinquisitoren geht. „Souls and Bodies“ ist den Bußen und dem Verständnis der Inquisitoren von ihrem Sinn gewidmet, während „The Deserved Punishment“, das fünfte und letzte Kapitel, sich mit der Todesstrafe beschäftigt, die nicht von den Inquisitoren selbst verhängt wurde, sondern von der weltlichen Gewalt, freilich in einer Art von rechtlichem Automatismus.

Insgesamt zeigt Ames klar, dass die Tätigkeit der dominikanischen Inquisitoren bei den Zeitgenossen alles andere als unumstritten war. Genauso deutlich wird aber, dass die Ketzerverfolger und ihre Apologeten im Orden zahlreiche Rechtfertigungsmöglichkeiten im mittelalterlichen Verständnis des Christentums finden und ausbauen konnten, ohne dieses Verständnis völlig überzustrapazieren. Indem sie dies taten, veränderten sie aber wiederum selbst diese Religion in Richtung einer „christianity of fear“ (S. 205 und passim, ohne Bezug auf die Prägung des Begriffs durch Jean Delumeau). Die Inquisitoren fanden also durchaus bereits eine „Zone“ vor, in der es zumindest nicht undenkbar war, Inquisition zu betreiben. Ihre Rechtfertigungsdiskurse trugen aber auch selbst viel dazu bei, dass sie sich in dieser Zone wirklich wohlfühlen konnten.

Dieses Resultat wird in seiner Globalität niemanden wirklich überraschen, der sich schon mit mittelalterlicher Kirchengeschichte beschäftigt hat. Es ließe sich ähnlich allgemein auch für die Frage nach der „Zone“ von Kreuzzüglern oder Mitgliedern von Ritterorden formulieren. Die eigentliche Leistung der Autorin besteht darin, die dominikanischen Selbstrechtfertigungen für die Inquisitionstätigkeit in einem Buch bequem zugänglich gemacht zu haben. Dabei hat Ames fast ausschließlich auf historiografische Quellen im weiteren Sinne zurückgegriffen (also auch Hagiografie etc.) sowie auf Anleitungen zur Durchführung von Inquisitionsverfahren. Interessant wäre aber vielleicht auch der Blick in andere Quellen gewesen, etwa die Beschlüsse der General- und Provinzialversammlungen des Ordens; so finden sich etwa für die Provinz der Provence durchaus Acta capitulorum, die auf eine prekäre Stellung der frühen Inquisitoren im Orden selbst hinweisen.3

Mitunter hätte man sich mehr Quellenkritik gewünscht. So bleibt auch bei Ames (S. 114–124) die merkwürdige Konstruktion der wichtigen frühen Inquisitionschronik des Guillelmus Pelhisson aus Toulouse unberücksichtigt und die Entstehungsgeschichte unerschlossen. Auch hätte der in südfranzösischen Inquisitionsanleitungen der 1240er-Jahre mehrfach verwendete Grundsatz, dass das Leben der Büßer durch Strafen wie durch Verzeihen korrigiert werden soll (sive plectendo, sive ignoscendo, vita culpabilium corrigatur) auf S. 170 als wörtliches Augustinus-Zitat erkannt werden können, das wohl über die Rezeption einer Bußschrift des Raimundus von Pennaforte in den Languedoc gelangte.4 Nur der Vollständigkeit halber erwähnt seien abschließend folgende kleine Versehen: Dem Sinn nach richtig, aber im Detail falsch übersetzt ist auf S. 36 der durch Jordan von Sachsen überlieferte gleichsam homöopathische Rat des Dominikus, die Ketzer mit den eigenen Waffen zu schlagen: Clavum clavo retundite heißt nicht „Turn the key with a key“, sondern „Treibe den Nagel mit einem Nagel aus“. Und Andreas de Albalate war Bischof von Valencia, nicht von „Valentina“ (S. 84).

Anmerkungen:
1 J.M. Coetzee, Warten auf die Barbaren, 2. Aufl. Frankfurt am Main 2003 (Waiting for the Barbarians, 1982), S. 231f.
2 Christine Caldwell Ames, Does Inquisition Belong to Religious History?, in: American Historical Review 110 (2005), S. 11–37.
3 Céléstin Douais (Hrsg.), Acta Capitulorum Provincialium Ordinis Fratrum Praedicatorum. 1239–1302, Bd. 1, Toulouse 1894, S. 22f. und 27–29.
4 Vgl. Jörg Feuchter, Ketzer, Konsuln und Büßer. Die städtischen Eliten von Montauban vor dem Inquisitor Petrus Cellani, Tübingen 2007, S. 314f. und 341f. Vgl dazu Peter Biller: Rezension zu: Feuchter, Jörg: Ketzer, Konsuln und Büßer. Die städtischen Eliten von Montauban vor dem Inquisitor Petrus Cellani (1236/1241). Tübingen 2007, in: H-Soz-u-Kult, 21.04.2010, <http://hsozkult.geschichte.hu-berlin.de/rezensionen/2010-2-058>.

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