T. Bührer: Die Kaiserliche Schutztruppe für Deutsch-Ostafrika

Cover
Titel
Die Kaiserliche Schutztruppe für Deutsch-Ostafrika. Koloniale Sicherheitspolitik und transkulturelle Kriegführung, 1885 bis 1918


Autor(en)
Bührer, Tanja
Reihe
Beiträge zur Militärgeschichte 70
Erschienen
München 2011: Oldenbourg Verlag
Anzahl Seiten
532 S.
Preis
€ 49,80
Rezensiert für H-Soz-Kult von
Stefanie Michels, Excellenzcluster "Herausbildung normativer Ordnungen", Johann-Wolfgang-Goethe-Universität Frankfurt am Main

Die Forschungslandschaft zur deutschen Kolonialgeschichte differenziert sich – derzeit mit einem fühlbaren Schwerpunkt auf dem Thema der kolonialen Kriegsführung. In dieser seit einigen Jahren lebhaft geführte Debatte interveniert die von Tanja Bührer auf ihrer 2008 an der Universität Bern vorgelegten Dissertation beruhende Arbeit mit dem Titel "Die kaiserliche Schutztruppe für Deutsch-Ostafrika. Koloniale Sicherheitspolitik und transkulturelle Kriegführung 1885-1918". Bührer verortet sich selber in der militärhistorischen Forschungstradition und entsprechend legt sie ihre Arbeit an – als vergleichende und systematische Untersuchung der inneren und äußeren "Sicherheitspolitik" in Deutsch-Ostafrika. Die "Kaiserliche Schutztruppe" als damals wie heute marginalisierte dritte militärische Formation des Kaiserreiches steht zentral in der Arbeit.

Das umfangreiche Buch ist in neun inhaltliche Kapitel gegliedert, wobei deren Gewichtung und Auswahl nicht immer nachvollziehbar, teilweise gar höchst ungleichgewichtig ist. Die Autorin beginnt mit der detaillierten Institutionengeschichte der "Kaiserlichen Schutztruppe" (Kapitel III) sowie ihrer Vorläufer, den privaten Gewaltorganisationen, besonders der Wissmanntruppe (Kapitel II). Material- und kenntnisreich verdeutlicht sie die strukturell angelegten Konflikte zwischen ziviler und militärischer Sphäre – sowohl auf der lokalen, wie auf der nationalen Ebene (Kapitel IV). Den Kolonialkriegen selbst widmet sie zwei Kapitel: "Kriege gegen autochthone Gegner" (Kapitel V.) und "Lernen aus den Kolonialkriegen" (Kapitel VI.). Zunächst analysiert sie Kriegsursachen und -gegner und wendet sich dann den Kriegstaktiken zu. Schließlich vergleicht sie kompetent Deutsch-Ostafrika und Deutsch-Südwestafrika, insbesondere den Herero-Nama-Krieg (1904-07) und den Maji-Maji-Krieg (1905-08). Als eher unerwartete Akteursgruppe treten die weißen Siedler und deren paramilitärische Organisationen prominent in ihrer Arbeit hervor (Kapitel VII. "Machtfaktor oder Sicherheitsrisiko"). Die drei letzten Kapitel können als Einheit zum Thema der äußeren Sicherheit gesehen werden: "Koloniale Verteidigungspläne" (Kapitel VIII), "Der Kampf gegen die Militarisierung der Schutzgebiete" (Kapitel IX) und "Der Erste Weltkrieg in Deutsch-Ostafrika. Eine Innenansicht" (Kapitel X).

Ihre Studie bietet grundsätzliche Einsichten, hinter die die Forschung nicht mehr zurückfallen wird. An erster Stelle gehört dazu die Diskussion des Dualismus von ziviler und militärischer Sphäre in den Institutionen und Hierarchien von Metropole und Kolonie. Die Gründung der Schutztruppe bedeutete einen Paradigmenwechsel der konservativen deutschen Militärpolitik. Militärische Kernkompetenzen gingen an zivile Kolonialbehörden. Dadurch entstand ein grundsätzliches Spannungsfeld in der Zentrale und in den Kolonien. In Deutsch-Ostafrika wurden die Konflikte zwischen Gouverneur und Kommandeur der Schutztruppe besonders nach 1906 mit dem Übergang vom Militär- zum Zivilgouverneur virulent. Der oft zitierte und bereits zeitgenössisch bekannteste Konflikt zwischen Gouverneur Heinrich Schnee und Kommandeur Paul von Lettow-Vorbeck über die Kommandogewalt und die Kriegsführung während des Ersten Weltkriegs wird durch Bührers Studie stringent in eine strukturelle Kontinuität eingebettet. Ihr dezidiertes Urteil, Lettow-Vorbeck habe einen Militärputsch ausgeübt, greift hier kompetent und klärend in diese oft nebulös geführte Debatte ein. Ebenso sicher entlarvt sie die regelmäßig wiederholte Behauptung, Gouverneur Schnee habe sich an die Briten gewandt, um Deutsch-Ostafrika bei Kriegsausbruch im Namen der Kongo-Akte neutralisieren zu lassen, als „Geschichtslüge“.

Grundlegend ist auch ihre Diskussion der Rolle des staatlichen Gewaltmonopols im kolonialen Kontext. Der formelle Übergang von den privaten Gewaltorganisationen (der so genannten Wissmanntruppe) zur "Kaiserlichen Schutztruppe" (1891) bedeutete nicht, dass Gewalt nunmehr ausschließlich staatlich ausgeübt wurde. Zwar konstatiert die Verfasserin eine umfassende Militarisierung der Kolonialpolitik von unten und von oben, betont allerdings, dass nicht-staatliche Akteure systematisch in die Gewaltausübung einbezogen waren. Sie bezieht sich dabei nicht auf die schwarzen Kolonialsoldaten, die Askari, die sie, im Gegensatz zum gegenwärtigen Trend, fast etwas vernachlässigt, sondern auf eine häufig übersehene Akteursgruppe, nämlich die "irregulären" Truppen. Das Argument, dass das staatliche Gewaltmonopol an den imperialen Rändern durch den Einsatz dieser Truppen "ausfranste" (S. 484) überzeugt. Problematisch ist hingegen die These, die Entgrenzung der Gewalt in den Kolonialkriegen wäre eher als "Afrikanisierung" zu sehen, die – gerade durch den Einsatz der „Irregulären“ – an vorkoloniale Gewaltkulturen anschloss. Statt von "kolonialdeutscher" möchte sie daher von "transkultureller Kriegsführung" sprechen und obwohl sie selbst betont, dadurch keine Exkulpabilisierung des deutsch-kolonialen Projektes anzustreben, bleiben Fragen offen. So fehlt eine differenziertere Diskussion der irregulären Truppen, die zeitliche und regionale Veränderungen in den Blick nimmt. 1 Auf der Grundlage der von ihr herangezogenen Quellen, vorrangig den internen Korrespondenzen deutscher offizieller Akteure und deren veröffentlichten und unpublizierten Schriften, kann die Autorin dies nicht leisten, zudem, wenn wie in diesem Fall nicht genügend Distanz zu den Texten – im Sinne postkolonialer Kritik – besteht.

Dabei ist ihre Analyse über Kriegstaktiken im Detail aufschlussreich. Die Position der Schwäche, aus der heraus die deutsche Truppe operierte, kann sie einmal mehr belegen und zwar sowohl auf der institutionellen als auch auf der persönlichen Ebene. Es sind gerade die bisher nicht von der Forschung verwendeten, von traumatischen Erfahrungen in den Kolonialkriegen berichtenden Tagebuchaufzeichnungen und Briefe von deutschen Unteroffizieren, welche die These stützen, dass Unsicherheit, Angst und Stress auf Seiten der Deutschen – gepaart mit dem Anspruch der Überlegenheit, der rasseideologisch übersetzt wurde –, ebenso wie Alkohol- und Drogensucht die Disposition für extreme Gewaltanwendung schufen.2 So richtig es ist, pauschale Erklärungen abzulehnen, beispielsweise strukturell mit der Natur asymmetrischer Kriege zu argumentieren oder intentionalistisch auf ein rassistisches Vernichtungsprogramm zu schließen, so wenig überzeugend ist es, eine "afrikanische Gewaltkultur" als einzige Differenzierung anzubieten.3 Letztlich bleiben in der vorliegenden Studie sowohl Themen als auch Akteure durch die Quellenauswahl vorgegeben, ohne dass die Gründe für die Auswahl explizit dargelegt werden. Zudem fällt eine unkritische Nähe zu den von Deutschen verfassten Berichten auf, so dass teilweise die Stimme der Quelle und die der Autorin zusammen zu fallen scheinen. Eine umfassendere Diskussion und Reflexion des methodischen Vorgehens wäre wünschenswert gewesen.

Das optisch ansprechende Buch mit acht in ihrer Detailliertheit und Übersichtlichkeit beeindruckenden Karten beinhaltet auch 89 historische Fotografien, die rein illustrativ eingesetzt werden. Geografisches und personelles Register sind hilfreich, dennoch ist das Buch nicht frei von Fehlern und die konsequente Übernahme der zeitgenössischen deutschen Nomenklatur verwundert, zum Beispiel "Suaheli", "Wanjamwesi", "Wadschagga". In Bezug auf die deutschen Akteure gelingt die differenzierte Beschreibung. Die Darlegungen über die umfänglich geführten Papierkrieg und über das Scheitern diverser Vorlagen und Ideen (die globalen Interventionsarmeen beispielsweise) verdeutlichen, dass "Imperialismus nicht auf einen von der Zentrale zur Peripherie bzw. von Oben nach Unten gesteuerten einseitigen Entwicklungsverlauf reduzierbar ist" (S. 12). Bührers breiter Fokus auf "Sicherheitspolitik", der an manchen Stellen als roter Faden nicht recht dienlich erscheint, zeichnet ein Panorama imperialer Unsicherheiten. Bei aller Marginalität kolonialer Sicherheitsfragen innerhalb der bürokratischen und militärischen Ordnung des Kaiserreiches veranschaulichen die Innenansichten, die Bührer bietet, die häufig gescheiterten Versuche, diese Unsicherheiten auszuschließen. Trotz der genannten Einschränkungen ist das Buch ein Meilenstein der neueren Kolonialismusforschung.

Anmerkungen:
1 In seiner fast spiegelbildlich zu Bührers Weltkriegskapitel stehenden Arbeit leistet Michael Pesek entsprechendes für die Ruga-Ruga im Ersten Weltkrieg. Er betont auch die unscharfen Grenzen zwischen Askari und Ruga-Ruga, vgl. ders., Das Ende eines Kolonialreiches. Ostafrika im Ersten Weltkrieg, Frankfurt am Main 2010.
2 Dies beschreibt Susanne Kuss detailliert in ihrem umfassenden Vergleich zwischen Boxerkrieg (1900), Herero-Namakrieg (1904-07) und Maji-Maji-Krieg (1905-08), vgl. dies., Deutsches Militär auf kolonialen Kriegsschauplätzen. Eskalation von Gewalt zu Beginn des 20. Jahrhunderts, Berlin 2010.
3 Zumal Trutz von Trotha in seiner grundlegenden Studie über koloniale Herrschaft gewalttätige Willkür eigenmächtiger - also nicht mit staatlichem Auftrag handelnder - Akteure als intendierten Bestandteil kolonialer Ordnungsmacht beschreibt, vgl. ders., Koloniale Herrschaft. Zur soziologischen Theorie der Staatsentstehung am Beispiel des "Schutzgebietes Togo", Tübingen 1994.

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