„Der Nationalsozialismus im Film“: Wie wäre ein solches Thema einzugrenzen? Zumal der Untertitel verspricht, den Berichtszeitraum von einer der prominentesten Selbstinszenierungen des Dritten Reichs bis zur fröhlichen Implosion solcher Bilder in Quentin Tarantinos Rachephantasie aus dem Geist des Kinos zu strecken. Das Thema ist nicht einzugrenzen, würde wohl Sonja M. Schultz argumentieren, die sich in achtjähriger Arbeit daran gemacht hat, zu sammeln und sichten, was dieses Thema hergibt: mit Betonung des deutschen Erinnerungs- als Bewältigungsdiskurses, ohne die internationalen Kinematografien aus dem Blick zu verlieren; mit besonderem Interesse für dokumentarische Verfahren, ohne die einflussreichere Spielfimproduktion zu vernachlässigen; und mit einem interpretativen Schwerpunkt auf die seit der Jahrtausendwende entstandenen Filme, geschuldet nicht zuletzt dem Zeitraum, in dem die Untersuchung entstand. Eine „Vollständigkeit der Darstellung“ (S. 13) sei nicht zu erreichen, räumt die Autorin ein. Doch ist die Darstellung vor allem in Hinblick auf die letzten Jahrzehnte erstaunlich komplett. Mit großem Mut zur Lücke und eher kursorisch verfasst, erweist sich lediglich der erste Untersuchungsabschnitt zu den Bildern der 1930er- und 1940er-Jahre, also zum Film und zur Filmpolitik im Dritten Reich wie zum Trümmerfilm.
Das ist insofern nicht unproblematisch, als es Schultz darum geht, nach dem Nachleben „faschistischer“ Bildästhetik zu fragen. Nur wäre die erst einmal zu beschreiben. Im Fazit spricht sie von der „Geschichte einer faschistischen Bilderbewegung, die Harmonie, Erhabenheit und Macht beschworen hat und Freiheit von Ambivalenz, Zweifel und Negativität“ (S. 505). Womit sich solche Bildästhetik schlicht und einfach auch als „Kitsch“ (Saul Friedländer) bezeichnen ließe. Nur war das Kino des Dritten Reichs alles andere als frei von Ambivalenzen. Selbst Propagandaproduktionen wie Veit Harlans Jud Süß bezogen ihre Faszinationskraft eher aus der Projektion eigener Machtvorstellungen auf den vermeintlichen Gegner. Der Film war anschlussfähig, weil er mit Ambivalenzen spielte. Faschistische Bildästhetik gerät bei Schultz so eher zum Bösen der Geschichte. Gemeint sind Bilder, die verdecken und nicht enthüllen. Deshalb kann Schultz auch in das Stammbuch aller Filmemacher schreiben, die sich mit dem Nationalsozialismus befassen, dass sich jeder „heute produzierte Film“ selbst „sabotiert“ (S. 505), wenn er bei noch so kritischem oder aufklärerischen Anliegen in die Bilderfalle tappt, die in der filmischen Camouflage des Dritten Reichs ausgelegt wurde.
Das jedoch gibt der Untersuchung Richtung, die für Brüche und Interventionen im allzu gefühligen Erinnerungsdiskurs ein sehr genaues Gespür beweist und vor allem die Wiederverwendung von Bildmotiven wie narrativen Mustern aufzeigt. Daraus spinnt sich ein Netz der Verweise, das Dokumentar- wie Spielfilmproduktionen gleichermaßen als Arbeit an der Ikonizität des Nationalsozialismus wie des Holocausts ausweisen, der sein Bildrepertoire neben den Dokumenten aus den befreiten Lagern weitgehend späteren filmischen Repräsentationen verdankt. Das Buch in seiner nicht zu erreichenden, aber doch angestrebten Vollständigkeit lässt sich probat als Nachschlagewerk benutzen: etwa als Komplement zu dem von Torben Fischer und Matthias N. Lorenz herausgegebenen „Lexikon der „Vergangenheitsbewältigung“ in Deutschland" (2007).1 Wer Schultz‘ Buch dagegen durchliest, gewinnt Einblicke in die Vernetzung der Motive und Narrative über Jahrzehnte hinweg. Die Großeinschreibungen in diesen Diskurs der Bilder und der an sie geknüpften Narrative werden eingehend besprochen: Alain Renais‘ Nuit et Brouillard (1955), Claude Lanzmanns Shoah (1985), aber eben auch Marvin Chomskys Holocaust – Die Geschichte der Familie Weiss (1978) oder Steven Spielbergs Schindlers Liste (1993). Bei der Auseinandersetzung mit den „unbewältigten Bildern“ ist ein deutlicher Fokus auf die mediale Nachgeschichte der nationalsozialistischen Vernichtungspolitik auszumachen. Gleichzeitig interessiert aber auch der Kriegsfilm, wobei hier ebenfalls die Darstellungtechniken und diskursiven Verschiebungen über die Jahrzehnte verfolgt werden: von dem Boom der Kriegs- als Bewältigungsfilme der 1950er-Jahre in der BRD über bemerkenswerte DEFA-Produktionen wie Konrad Wolfs Ich war neunzehn (1968) bis zu westdeutschen Erfolgsfilmen wie Wolfgang Petersens Das Boot (1981) oder Joseph Vilsmaiers Stalingrad (1992). Obwohl auch die internationale Filmproduktion zum Zweiten Weltkrieg thematisiert wird – einschließlich der Dirty War Movies aus den 1960er- und 1970er-Jahren – werden doch Steven Spielbergs Saving Private Ryan (1998) sowie die nachfolgende zehnteilige Fernsehserie Band of Brothers (2001) nur mehr am Rande erwähnt, ohne auf die hier doch eklatante Verflechtung der Kriegs- und Holocaustthematik einzugehen.
Instruktiv ist die ausführliche Auseinandersetzung mit dem Sadiconazista-Genre der 1970er-Jahre und damit der Darstellung des „faszinierenden Faschismus“ (Susan Sontag). Dieser reicht einerseits in die Bereiche der kommerziellen „Naziploitation“ und nähert sich dem Gewaltporno. Dazu ist aber auch ein Ausnahmewerk wie Pier Paolo Pasolinis schwer erträglicher Film Salò oder die 120 Tage von Sodom (1975) zu rechnen, der eine – mit Klaus Theweleit gelesen – Analytik sadistischer Gewaltphantasien wie Blickstrukturen inszeniert. Motive aus diesem Genre kann Schultz nicht zuletzt noch in Spielbergs Schindlers Liste ausmachen: eine unter den vielen Verweisen und Vernetzungen, die das Buch – trotz seiner lexikalischen Anlage – zu einer spannenden Lektüre für einschlägig Interessierte werden lässt.
Selbstverständlich erfordert eine so breit angelegte und eine stupende Stofffülle rekapitulierende Studie Gewichtungen, über die sich im Einzelfall immerhin streiten ließe. Aber andererseits folgt Schultz sehr ausgewogen den medialen Großereignissen mit gleichzeitig großer Aufmerksamkeit für die Gegenstrategien im erinnerungspolitischen wie filmästhetischen Feld, die mit Namen wie Alexander Kluge, Hartmut Bitomsky, Harun Farocki oder in neuerer Zeit Andres Veiel und Romuald Karmakar verbunden sind. Die Kommentare zu den besprochenen Werken sind treffsicher: sowohl informativ wie pointiert. Insbesondere für das letzte Jahrzehnt mit der schon vor der Jahrtausendwende einsetzenden „Knoppisierung“ der Geschichtsaufbereitung im öffentlich-rechtlichen Fernsehen, der Entdeckung der deutschen Opferrolle im Event-Film (Die Flucht, Dresden, Die Gustloff), aber auch den medialen Gegenstrategien erreicht die Darstellung eine bemerkenswerte Dichte. Als einen letzten Perspektivwechsel bespricht Schultz Jane Kormans Videofilm Dancing Auschwitz (2009), das den Holocaust-Überlebenden Adam Kohn mit Tochter und Enkeln tanzend im ehemaligen Vernichtungslager zeigt. Eine „Wiederaneignung der eigenen Geschichte“, kommentiert Schultz, womit sie ihrerseits nicht in die Bilderfalle tappt, die das Cover suggerieren könnte, das die Insignien der Macht aus Triumph des Willens dem explodierenden Kino aus Inglourious Basterds gegenüberstellt. Bei Tarantino siege das Kino. Es sei eine „cineastische Rachefantasie am Personal, an der Propaganda und der bis heute fortlaufenden Bildproduktion des ‚Dritten Reichs‘“ (S. 474). Aber der Film wird nicht als Erlösung aus den Fesseln (post-)faschistischer Bildästhetik gefeiert, als die er manchen deutschen Kritikern nach der Premiere schien.
Das Buch ist, zu einem erschwinglichen Preis, sorgfältig ediert und wartet mit vielen auch farbigen Illustrationen auf. Es handelt sich um die bislang kompletteste Darstellung der Bildpolitik im Nachklang des Dritten Reichs. Konzeptionell wie editorisch wird der Anspruch an ein Standardwerk formuliert. Und das zu Recht.
Anmerkung:
1 Torben Fischer / Matthias N. Lorenz (Hrsg.): Lexikon der „Vergangenheitsbewältigung“ in Deutschland. Debatten- und Diskursgeschichte des Nationalsozialismus nach 1945, Bielefeld 2007 (rezensiert von Helmut König: Rezension zu: Fischer, Torben / Lorenz, Matthias N. (Hrsg.): Lexikon der „Vergangenheitsbewältigung“ in Deutschland. Debatten- und Diskursgeschichte des Nationalsozialismus nach 1945. Bielefeld 2007, in: H-Soz-u-Kult, 20.10.2008, <http://hsozkult.geschichte.hu-berlin.de/rezensionen/2008-4-059> [16.10.2012]).