„Technikgeschichte ist […] keine Geschichte von Erfindern oder von Artefakten, und auch keine Geschichte der Rekonstruktion technischer Entwicklungen. Vielmehr beschreibt und analysiert sie die Entstehung, Verbreitung und Nutzung von Technik, kurz technischen Wandel und dessen Wechselwirkung mit der Gesellschaft.“ (S. 8) Mit diesen Worten legt Martina Heßler in der Einführung zu ihrer Kulturgeschichte der Technik ein Programm vor, das trotz des vollzogenen Cultural Turns immer noch nicht selbstverständlich ist. Die Untersuchung der technologischen Kultur der modernen Welt offenbart sich als zentraler Bestandteil einer Kulturgeschichte der Moderne.
In neun voneinander unabhängigen Kapiteln wendet sich die Autorin Aspekten des „technisch vermittelte[n] In-der-Welt-Sein[s]“ zu (S. 36). Sie untersucht erstens etablierte Narrative der Technikgeschichtsschreibung, zweitens die industrielle Produktion und drittens die Technisierung des Haushalts. Im Anschluss widmet sie sich in zwei Kapiteln modernen Mobilitäten und der technisch vermittelten Kommunikation. Abgeschlossen wird der Band mit einem Kapitel zu Maschinen und Menschenbildern und einem Abschnitt zu technischen Unfällen. Die Einführung Heßlers beleuchtet dabei den technikhistorischen Forschungsstand, zeigt Wege einer „Kulturgeschichte der Technik“ auf und benennt Forschungslücken.
Zu Beginn bestimmt Heßler die Grundlagen und den Ausgangspunkt der Technikgeschichte. Sie zeigt bei der Untersuchung tradierter Definitionsversuche, dass der Technikbegriff seine Schärfe verloren hat und die Ubiquität technischer Artefakte, Praktiken oder Wahrnehmungen allen Definitionsversuchen im Weg stehen. Es gilt folglich, diesen Umstand zu problematisieren anstatt die existierenden Definitionen um weitere zu ergänzen. Gleichermaßen fällt die chronologische Einordnung schwer. Der Band konzentriert sich auf eine sogenannte „‚verdichtete‘ technische Kultur der Moderne“ seit dem 19. Jahrhundert (S. 13).
Anschließend setzt sich das Buch mit den etablierten Erzählungen zur Technik – der Tragödie und Romanze – auseinander. Es schließt hier dicht an die Arbeiten von Mikael Hard und Andrew Jamison an und betont die stets vorhandenen und wirkmächtigen narrativen Ordnungen im populären Sprechen über Technik.1 Näher werden diese Narrative am Beispiel von Siegfried Giedion und Lewis Mumford untersucht.2 Klassische Texte der Technik-Philosophie von Theodor W. Adorno oder Martin Heidegger dienen als Beispiel kulturkritischer Perspektiven auf die Entwicklung von Technik und Rationalisierung. In der Gegenüberstellung zu jüngeren Arbeiten, welche die angenommene Dichotomie zwischen Kultur und Technik zu überwinden versuchen, werden die Probleme dieser „modernen“ Perspektiven deutlich.
Das dritte Kapitel wendet sich der Produktionstechnik und Industrialisierung zu. Dieses klassische Thema wurde in den letzten Jahrzehnten kaum aus technikhistorischer Perspektive bearbeitet und hier soll unter Berücksichtigung neuer Methoden und Fragestellungen, unter anderem aus der Globalgeschichte, ein Anschluss hergestellt werden. Die Autorin analysiert dabei Formen von Rationalisierung und Produktionstechnologien in Verbindung mit Aspekten von Ordnungspolitiken und Wissensordnungen. Gezeigt wird, dass der Taylorismus und der Fordismus nicht nur auf die Regelung von Produktionsabläufen in Fabriken beschränkt blieben, sondern durch Stadtplanung, Organisationsstruktur oder Technisierung des Haushaltes generell neue, rationalere Menschen hervorgebracht werden sollten.
Die Technisierung des Haushaltes wird von Heßler aus zwei Perspektiven untersucht. Zum einen erneut von der Ebene der Rationalisierung aus, welche häufig mit Aspekten der Sozial- und Gesundheitspolitik verwoben ist. PlanerInnen, ProduzentInnen und PolitikerInnen versuchten durch Technologien und technische Artefakte Einfluss auf die Lebensgestaltung von Frauen und Männern in ihren Haushalten zu nehmen. Auf einer zweiten Ebene betrachtet sie die NutzerInnen-Perspektive und knüpft an die jüngste Forschung zum User-Design oder zur Konsum- und Konsumentenforschung an. Dabei gelingt es ihr, die strukturelle Ebene mit derjenigen des Artefaktes und dem Aspekt der subjektiven Aneignung zu verbinden.
Kritische Einwände gegen allzu etablierte Erzählungen in der Technikgeschichte werden besonders im sechsten Kapitel zur Geschichte der Mobilität und im siebten Kapitel zu Kommunikationstechnologien formuliert. Nichtwestliche, außereuropäische oder globalhistorische Gleichzeitigkeiten eröffnen Perspektiven, die etablierte, auf spezifisch westliche Entwicklungen konzentrierte Darstellungen infrage stellen und relativieren. Gleichermaßen wird im Kapitel zur Verkehrsgeschichte deutlich, wie wertvoll ein Zugang ist, der neben den technischen Artefakten, Praktiken oder Bedeutungen, institutionelle oder lokale Kontexte mit einbezieht. Erst dadurch wird es möglich, eine Geschichte von Mobilitäten zu schreiben, die einerseits vielfältig und dabei zugleich bodenständig ist.
Im folgenden Kapitel zu Menschen- und Maschinenbildern untersucht Heßler Formen menschlicher Selbstentwürfe in Maschinen und Maschinenverständnissen. Ausgehend vom mechanischen Uhrmachermodell beschreibt sie über die Dampfmaschine bis hin zu Forschungen zur künstlichen Intelligenz, wie das maschinenartige Andere dem Menschen zur Selbstbestimmung und -beschreibung diente.
Danach beschwört die Autorin überraschend düstere Bilder, indem sie sich dem technischen Unfall zuwendet. Neben seiner bedeutenden Rolle für die kulturwissenschaftliche Untersuchung betont sie die Unberechenbarkeit und störanfällige Komplexität technologischer Systeme. Im Anschluss an Günter Anders schließt sie ihr Narrativ mit der Apokalypse-Blindheit des Menschen, der die Konsequenzen seines Tuns – die mögliche Vernichtung der Welt – nicht zu begreifen vermag und reproduziert eine technikskeptische Kulturkritik, die sie zu Beginn des Buches noch so eloquent kritisiert hatte.
Das Werk wird online um Quellen, eine Bibliografie – welche als Ergänzung zur gedruckten stetig aktualisiert wird – sowie ein zusätzliches Kapitel ergänzt. Diese Entscheidung erscheint mir schwierig. Denn das sehr umfangreiche, über 60 Seiten umfassende Kapitel zur Theorie und Methodik der Technikgeschichte nicht zu drucken, mag aus wirtschaftlichen Gründen nachvollziehbar sein und ermöglicht nicht zuletzt die Preisgestaltung. Die Technikforschung und -geschichte ist aber durch eine intensive Auseinandersetzung mit Theorie und Methodik geprägt, sodass selbst im gedruckten Text Verweise auf Bruno Latour, Donna Haraway, Andrew Pickering und andere nicht fehlen. Der Mangel eines eigenen Kapitels ist daher umso auffälliger. Diese Fehlstelle suggeriert eine geringere Bedeutung methodischer und theoretischer Fragestellungen im Vergleich zu inhaltlichen Auseinandersetzungen. Einen solchen Eindruck müsste jedoch gerade eine Einführung in die Kulturgeschichte der Technik konsequent vermeiden.
Heßler bearbeitet in diesem Kapitel die Geschichte der Technikgeschichtsschreibung ausgehend von deterministischen Ansätzen über die „Social Construction of Technology“-Theorie bis in die jüngste Zeit hinein. Sie setzt sich intensiv mit Latours Akteur-Netzwerk-Theorie auseinander und vermag es, ebenso kritisch wie unaufgeregt mit dieser immer noch aneckenden Theorie umzugehen. Es folgen Positionen zu Materialitäten, zu kulturellen Praktiken und kritischen Perspektiven der feministischen Technikgeschichte ebenso wie Anknüpfungen zur generellen Geschlechterforschung und der Frage der Ko-Evolution von Technik und Geschlecht. Ihre Diskussionen der Methodiken und Theorien belegen eindrucksvoll die Produktivität kulturhistorischer Technikgeschichtsschreibung. Sie erlaubt, die Verflochtenheit von Technologien in großen Institutionen, Alltagspraktiken, Konsumverhalten, Geschlechterordnungen oder nationalen, globalen wie transnationalen Räumen zu erkennen und zu untersuchen.
Martina Heßler liefert mit ihrer sehr lesenswerten Einführung ein dringend notwendiges, handliches Buch, das einerseits den aktuellen Forschungs- und Theoriestand der Technikgeschichte zusammenfasst und andererseits ein engagiertes Plädoyer zum Weiterdenken und -forschen darstellt. Hinweise auf globalhistorische oder transnationale Fragen und die deutlich aufgezeigten Desiderate der Forschung machen diese Kulturgeschichte der Technik zu einem produktiven Ausgangspunkt für Studierende und Forschende. Heßler schafft einen sehr guten Einstieg in das komplexe und vielfältige Feld der Technikgeschichte und bietet im kulturhistorischen Zugriff Anknüpfungspunkte für alle ebenso differenzierten und spezialisierten Geschichtswissenschaften der „technisch verdichteten Moderne“.
Anmerkungen:
1 Mikael Hård / Andrew Jamison, Hubris and Hybrids. A cultural History of Technology and Science, New York 2005.
2 Siegfried Giedion, Die Herrschaft der Mechanisierung, Frankfurt am Main 1987; Lewis Mumford, Mythos der Maschine. Kultur, Technik und Macht. Die umfassende Darstellung der Entdeckung und Entwicklung der Technik, Frankfurt am Main 1981.