A. Schmitt: Naturnutzung und Nachhaltigkeit

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Titel
Naturnutzung und Nachhaltigkeit. Osnabrücker Markenwirtschaft im Wandel (1765–1820)


Autor(en)
Schmitt, Annika
Reihe
Westfalen in der Vormoderne 23
Erschienen
Münster 2015: Aschendorff Verlag
Anzahl Seiten
232 S.
Preis
€ 37,00
Rezensiert für H-Soz-Kult von
Oliver Auge, Historisches Seminar, Christian-Albrechts-Universität zu Kiel

Nachhaltigkeit ist derzeit ein Begriff in aller Munde, der für manchen deswegen schon zum „Plastikwort“ leeren Inhalts verkommen ist.1 Umso größeren Mutes bedarf es, sich mit einem eigenen Beitrag an der von Umwelt- und Wirtschaftsgeschichte nach wie vor lebhaft geführten Nachhaltigkeitsdebatte zu beteiligen. Je mehr Stimmen andererseits in den Chor der Debattierenden einfallen, desto größer wird der Bedarf an fundierten, das heißt gründlich aus den Quellen gearbeiteten und sorgsam mit der Literatur abgeglichenen Studien. Annika Schmitt hatte diesen Mut und ihre Arbeit hat den nötigen Grad an Nachhaltigkeit, um die angesprochene wissenschaftliche Debatte sinnvoll zu bereichern.

Es handelt sich dabei um die bei Siegrid Westphal entstandene und im Sommersemester 2014 im Fachbereich der Kultur- und Geowissenschaften der Universität Osnabrück angenommene Dissertation, die für die Druckfassung einen anderen Titel erhielt und eine geringfügige Überarbeitung erfuhr. Die Arbeit wurde nicht nur mit dem Förderpreis 2015 der Herrenteichlaischaft Osnabrück ausgezeichnet. Sie ging auch, was fast bemerkenswerter erscheint, aus einem Pilotprojekt zur Vernetzung von historischer Forschung, museologischer Dokumentation und Didaktik hervor, vereint also eine Dreiheit in sich, die an vielen Universitäten mittlerweile mehr oder minder erfolgreich angestrebt wird.

Als Untersuchungsobjekt suchte sich die Verfasserin die aus dem Mittelalter überkommene Landwirtschaft mit ihren üblichen Gemeinformen – gemeinhin als Allmende bekannt und im Nordwesten Deutschlands als Markenwirtschaft bezeichnet – heraus. Diese wurde in der zweiten Hälfte des 18. Jahrhunderts zur Zielscheibe einer wachsenden, von der Aufklärung motivierten Kritik und einer um Modernisierung bemühten Reformpolitik, galt sie doch als ineffizient, ressourcenvergeudend, Übernutzung begünstigend und strukturbedingt krisenbehaftet. Als konkretes Fallbeispiel für ihre Studie dient der Verfasserin das Hochstift Osnabrück und noch spezifischer die in selbigem gelegene Oldendorfer Mark, die für den Zeitraum zwischen 1765 und 1820 gezielt in den Blick genommen wird.

Nach einer erfreulich ausführlichen Einleitung, die den Forschungsstand referiert, das Untersuchungsgebiet skizziert, methodische Überlegungen anzeigt sowie die politischen und ideengeschichtlichen Hintergründe, die für die Agrarreformen im Hochstift Osnabrück relevant wurden (Kapitel I, S. 11–70), darlegt, geht die Autorin zunächst, geboten umfänglich, auf die Verfassung, Verwaltung, Rechtsprechung und Agrarverfassung im Hochstift ein (Kapitel II, S. 71–101). Im folgenden Hauptkapitel (III, S. 103–212) untersucht sie sodann die zeitgenössischen Verhältnisse in der schon genannten Oldendorfer Mark. Eine im Vergleich zum Vorangehenden vielleicht etwas zu knapp geratene Schlussbetrachtung (IV, S. 213–217) beschließt den Darstellungsteil. Immerhin hat Schmitt jedem Abschnitt ihrer Hauptuntersuchung ein Zwischenfazit (III, 1.3, S. 132; 2.4, S. 156f.; 3.3., S. 184; 4.4, S. 211f.) beigegeben, sodass die eben monierte Kürze wohlwollend auch wieder gerechtfertigt werden kann. Ein Verzeichnis der benutzten Quellen (S. 219), ein stärker als üblich untergliedertes, aber in sich stimmiges Literaturverzeichnis (S. 220–231) und zu guter Letzt ein hilfreiches Tabellen- und Abbildungsverzeichnis (S. 232) beschließen den insgesamt erfreulich gründlich redigierten und obendrein flüssig geschriebenen Band.

Die Bedeutung der Studie kann in dreierlei Hinsicht zusammengefasst werden. Einmal kann Schmitt gute Argumente dafür liefern, dass es Nachhaltigkeitsdenken schon vor den forstwirtschaftlichen Bemühungen des 18. Jahrhunderts, insbesondere vor dem bahnbrechenden Werk mit dem Titel „Sylvicultura oeconomica…“ von Hans Carl von Carlowitz (1713) gegeben hat. Das stand eigentlich kaum anders zu erwarten, ist so explizit aber bisher kaum geäußert und noch weniger nachgewiesen worden.2 Der Zwang zur Flächen- und Ressourcenlimitierung habe Nachhaltigkeitsstrategien im Wechselgefüge zwischen Gesellschaft, Mensch und Natur erforderlich gemacht, so Schmitts weithin überzeugendes Fazit. Zum anderen klärt Schmitt implizit darüber auf, dass Nachhaltigkeit auch in historischer Dimension kein Begriff ist, der allein in einer Anwendung Sinn macht, die auf historische Waldnutzung beschränkt bleibt.3 Denn Schmitts Markenwirtschaft bezieht sich natürlich auch auf Weide- und Heideland und Wasserflächen. Und zum Dritten entwickelt die Verfasserin aus ihrer konzisen Quelleninterpretation heraus einen, wie sie selbst schreibt, „Gegenentwurf“ zur zeitgenössischen Reformrhetorik, die ihre eigenen Argumente positiv hervorhob und die vorangehenden Zustände der Markenwirtschaft einseitig abschätzig beurteilte. Dieser Argumentation folgten dann nachfolgende Generationen vielfach blindlings – bis heute. Weiter gefolgert, kann man Schmitts Buch somit auch als grundsätzliches Plädoyer begreifen, Reformrhetorik nicht unkritisch zu vertrauen. Indes führte nicht diese den Untergang der Markenwirtschaft herbei, wie Schmitt deutlich sagt, sondern ein ganzes Ursachenbündel, angefangen mit der Einführung einer Realbesteuerung bei Beibehaltung bäuerlicher Unfreiheit. Die Gemeinschaftsnutzung von Ressourcen war andererseits aber eben auch nicht hauptursächlich am Untergang der Markenwirtschaft schuld, wie die Aufklärer behaupteten. So ganz nebenbei zeigt Schmitt übrigens auch noch, wie geeignet ein regionalhistorischer Zugriff auf die Thematik der Nachhaltigkeit ist.

Durchaus besteht die Gefahr, dass Formulierungen Schmitts wie die „Transformation der alten ‚stabilen Bedarfsdeckungsgesellschaft‘ in die neue ‚naturausbeuterische Wachstumsgesellschaft‘“ (S. 217) den Eindruck einer neuen agrarromantischen Position hervorrufen, die schwarzweiß malend Verhältnisse der Vormoderne positiv von denjenigen der nachfolgenden Zeit mit ihren vermeintlich naturfeindlicheren, rücksichtsloseren Produktionsprinzipien absetzt. Ein solcher Eindruck ist von der Autorin ganz gewiss nicht intendiert, was aber vielleicht manches Mal noch deutlicher hätte hervorgehoben werden müssen. Denn auch die vormoderne Epoche kannte die gemeinschaftliche Ausbeutung natürlicher Ressourcen nur zu gut. Bedauerlich ist es auch, dass wirklich grundlegende Literatur nicht für die Arbeit herangezogen wurde, wie zum Beispiel der einschlägige Handbuchartikel von Reinhold Reith.4 Allerdings tun solche Monita dem rundweg positiven Gesamteindruck einer gründlich recherchierten und sensibel argumentierenden Arbeit keinen wirklichen Abbruch. Die offenkundig überfällige Revision in der Bewertung der historischen Markenwirtschaft ist Annika Schmitt mithin gelungen!

Anmerkungen:
1 Vgl. dazu etwa Oliver Auge, „Nachhaltigkeit“ als historisches Thema – eine Hinführung, in: Jahrbuch für Regionalgeschichte 32 (2014), S. 45–53.
2 Siehe etwa Arne Paysen, Die Waldwirtschaft des Klosters Ahrensbök als Beispiel für eine nachhaltige Ressourcennutzung, in: Jahrbuch für Regionalgeschichte 32 (2014), S. 73–86. Zum Problem auch Oliver Auge, Auf dem Weg zur Nachhaltigkeit? Ansätze zu Ressourcenschutz und Ressourcenregeneration im spätmittelalterlichen und frühneuzeitlichen Schleswig-Holstein, in: Günther Schulz / Reinhold Reith (Hrsg.), Wirtschaft und Umwelt vom Spätmittelalter bis zur Gegenwart. Auf dem Weg zur Nachhaltigkeit? (VSWG-Beihefte, Bd. 233), Stuttgart 2015, S. 31–51.
3 Ähnlich positiv verfährt David Petry, Zwischen Ausrottung und Nachhaltigkeit. Das Mensch-Natur-Verhältnis im Spiegel fränkischer Dorfordnungen des 15. bis 18. Jahrhunderts, in: Jahrbuch für fränkische Landesforschung 71 (2011), S. 113–129.
4 Reinhold Reith, Artikel Nachhaltigkeit, in: Enzyklopädie der Neuzeit VIII, Stuttgart 2008, S. 1009–1012.

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