M. Řezník u.a. (Hrsg.): Eigentumsregime und Eigentumskonflikte

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Titel
Eigentumsregime und Eigentumskonflikte im 20. Jahrhundert. Deutschland und die Tschechoslowakei im internationalen Kontext


Herausgeber
Řezník, Miloš; Gosewinkel, Dieter; Holec, Roman
Reihe
Veröffentlichungen zur Kultur und Geschichte im östlichen Europa 53 / Veröffentlichungen der Deutsch-Tschechischen und Deutsch-Slowakischen Historikerkommission 23
Erschienen
Anzahl Seiten
423 S.
Preis
€ 39,95
Rezensiert für H-Soz-Kult von
Max Trecker, Leibniz-Institut für Geschichte und Kultur des östlichen Europa (GWZO), Leipzig

Keine europäische Region war im 20. Jahrhundert so sehr von gewaltsamen territorialen und bevölkerungspolitischen Veränderungen betroffen wie das östliche und südöstliche Europa. Diese ereigneten sich zum einen als Folge von Kriegen zwischen Staaten mit imperialem Gestaltungsanspruch. Zum anderen mussten oder wollten neu entstandene oder wieder entstandene Staaten, die sich selbst als Nationalstaaten definierten, ihr Staatsgebiet neu ordnen. Solche Ordnungsprozesse standen vielfach unter den Vorzeichen eines Ethnonationalismus, dem sich die jeweiligen Minderheiten unterzuordnen hatten. Wichtigstes Gestaltungsmittel dieser räumlichen Neuordnung war die Umverteilung von Eigentumsrechten. Hierbei konnte es sich um kollektive oder individuelle Verfügungsrechte handeln. Der vorliegende Sammelband beschäftigt sich mit diesem komplexen Themenfeld, dessen Schatten bis in die neueste Zeitgeschichte reicht.

Hervorgegangen ist der Sammelband aus einer Tagung der Deutsch-Tschechischen und Deutsch-Slowakischen Historikerkommission im Jahr 2011 in Eisenach. Der Band umfasst insgesamt 15 Beiträge, die drei verschiedene Zeitebenen, drei räumliche Ebenen sowie drei Ebenen wirtschaftlichen Eigentums beleuchten. Zu den betrachteten Zeitebenen gehören die Zwischenkriegszeit im engeren Sinn (1918–33), die Zeit des Nationalsozialismus und des Zweiten Weltkriegs (1933–45) sowie die unmittelbare Nachkriegszeit (1945–52). Die drei räumlichen Untersuchungsfelder bilden die Tschechoslowakei, das weitere Ostmittel-/Südosteuropa und Westeuropa inklusive Deutschland. Hierbei werden zeitgenössische Landesgrenzen bzw. Grenzen etablierter Regionen wie Elsass-Lothringens von den Autor:innen als Sinneinheiten reproduziert. Die drei Analysekategorien wirtschaftlichen Eigentums betreffen das Eigentum bestimmter ethnisch oder anderweitig definierter Gruppen, den landwirtschaftlichen Sektor sowie die Industrie.

Sortiert man die 15 Beiträge in einer Matrix anhand dieser verschiedenen Kategorien, fällt Folgendes auf: Erwartungsgemäß beschäftigt sich die Mehrzahl der Beiträge (8) vorwiegend mit der Tschechoslowakei, wobei hier ein gewisser Schwerpunkt auf Tschechien auffällt. Zwei Aufsätze verorten die Tschechoslowakei in einem weiteren mittelosteuropäischen Kontext, während ein Artikel sich ausschließlich mit Rumänien beschäftigt. Die verbliebenen vier Beiträge befassen sich primär mit Westeuropa. Somit stellt kein Aufsatz eine analytische Brücke zwischen dem östlichen und westlichen Europa her. Dies wäre für sich genommen kein Problem, wenn etwa eine ausführliche Einleitung oder ein zusammenfassendes Resümee die analytische Lücke füllen würde. Dies geschieht im vorliegenden Fall jedoch nicht, da die Einleitung sich explizit auf ein „Vorwort“ beschränkt und keine inhaltliche Klammer zwischen den Einzelbeiträgen herstellt. Darüber hinaus folgt das Inhaltsverzeichnis keinem erkennbaren Ordnungsmuster, weshalb die Leser:in darauf verwiesen ist, die 15 Beiträge selbst nach einem logischen Muster zu ordnen.

Diese Kritik an der Konzeption des Bandes betrifft nicht die einzelnen Beiträge, die jeder für sich genommen sehr lesenswert sind. Zwei der Beiträge werden im Folgenden beispielhaft für die Erkenntnischancen verschiedener Zugänge hervorgehoben: Dies sind zum einen der Aufsatz von Dietmar Müller über Agrarreformen in Rumänien sowie der Artikel von Eduard Kubů und Jiří Šouša über die sogenannte „Nostrifizierungspolitik“ in der Tschechoslowakischen Republik der Zwischenkriegszeit. Dietmar Müllers Beitrag ist einer von zwei Aufsätzen, der mehrere Zeitebenen betrachtet und der einzige, der sich seinem Betrachtungsgegenstand von 1918 bis in die unmittelbare Nachkriegszeit widmet. Der Beitrag von Kubů und Šouša ist in seinem zeitlichen Zugriff enger gefasst, qualitativ aber ebenso reichhaltig.

Dietmar Müller geht in seinem Aufsatz explizit auf die historiographischen Debatten zur Zwischenkriegszeit ein und konstatiert für Rumänien, dass die Zwischenkriegszeit häufig als Periode einer gelungenen Modernisierung von Staat, Wirtschaft und Gesellschaft charakterisiert werde. Die Zwischenkriegszeit fungiere hierbei jedoch vor allem als Projektionsfläche für Hoffnungen und Wünsche der post-kommunistischen Zeit, die auf drei Annahmen beruhten: a) Die Agrarreformen der Zwischenkriegszeit hätten in der Tradition des individualistischen Eigentumsbegriffs des klassischen Liberalismus gestanden, b) bei den Agrarreformen am Ende des Zweiten Weltkriegs habe es sich um einen Prolog zur Zwangskollektivierung gehandelt, c) die Etablierung des staatssozialistischen Wirtschaftsmodells habe einen vollkommenen Bruch in der Eigentumsgeschichte der Region dargestellt. Der Autor widerspricht diesen Annahmen und betont seinerseits, dass der Bruch mit der Eigentumsauffassung des klassischen Liberalismus bereits unmittelbar nach Ende des Ersten Weltkriegs stattgefunden habe. Die individualistische Eigentumstradition des ausgehenden 19. Jahrhunderts sei bereits in der Zwischenkriegszeit durch eine Bodenpolitik im Sinne eines ethnisch verstandenen Nationalstaats sowie durch eine gesteigerte Erwartungshaltung ländlicher Akteure an die staatliche Wirtschaftspolitik unterminiert worden. Trotz Verbesserung administrativer Techniken konnte der Staat die gesteigerten Erwartungen an ihn aber zu keinem Zeitpunkt erfüllen. Das sich nach 1945 formierende kommunistische Regime traf somit laut Müller auf ein Eigentumsregime, das sich bereits weit von der Tradition des 19. Jahrhunderts entfernt hatte und leicht im Sinne des Regimes manipuliert werden konnte.1

Kubů und Šouša konzentrieren sich in ihrem Beitrag auf die „Nostrifizierungsmaßnahmen“ der tschechoslowakischen Regierung in der (Groß)industrie nach 1918. Hinter dem Begriff der „Nostrifizierung“ verbarg sich der Versuch, nach dem Zerfall Österreich-Ungarns möglichst viel industrielle Substanz aus der Konkursmasse des Imperiums an den neu entstandenen Nationalstaat der Tschechen und Slowaken zu binden. In der Realität ging es hierbei vor allem um die Bedürfnisse der erstgenannten Titularnation. Die beiden Autoren legen einen Fokus ihrer Untersuchung auf die Ausgangssituation am Ende des Ersten Weltkriegs und die unmittelbar folgenden Jahre. Auch wenn vor allem Böhmen als industrielles Herz des alten Imperiums gelten konnte, so befand sich der Hauptsitz vieler größerer Industriebetriebe dennoch in Wien, das – so die Autoren – aufgrund einer geschickten Steuerpolitik und seines Hauptstadtstatus viel Kapital aus allen Landesteilen anzog. Die Unsicherheit am Ende des Krieges bot Akteuren aus Wirtschaft und Politik des sich formierenden tschechoslowakischen Staates die einmalige Chance, die Vormachtstellung Wiens anzugreifen. Dies geschah auf verschiedene Weise: So konnten sich tschechische Banken an der Wiener Börse die Mehrheit an als wichtig erachteten Firmen sichern und deren „Repatriierung“ durchsetzen. Die Politik konnte allein durch die Debatten um ein „Nostrifizierungsgesetz“ Druck auf in Böhmen oder Mähren produzierende Firmen ausüben, sich für einen Unternehmenssitz in der Tschechoslowakischen Republik zu entscheiden. Bei dieser „spontanen Nostrifizierung“ half – so die Autoren – die relative politische Stabilität in der Tschechoslowakei verglichen mit Österreich. Ein bedeutender Teil von Firmenverlegungen sei daher bereits vor der Verabschiedung des offiziellen „Nostrifizierungsgesetzes“ im Dezember 1919 erfolgt.

Ähnlich wie Dietmar Müller weben die beiden Autoren historische Debatten in ihren Beitrag ein und betonen, dass es sich bei der „Nostrifizierung“ nicht um eine Art Autarkiebestrebung gehandelt habe. Vielmehr sei allen Akteuren bewusst gewesen, dass ein „überindustrialisiertes“ Land wie die Tschechoslowakei ohne den Zugang zu Exportmärkten nicht überlebensfähig sei. Daher lasse sich die „Nostrifizierungspolitik“ auch nicht mit dem radikalen Nationalismus der 1930er- und 1940er-Jahre gleichsetzen. Beide hier näher besprochenen Beiträge vermeiden simplifizierende teleologische Sichtweisen, zeigen aber auch deutlich die Bruchlinien zum Eigentumsregime der Zeit vor dem Ersten Weltkrieg auf. Ihre Autoren betonen darüber hinaus die Überforderung des Staates der Zwischenkriegszeit, der sowohl an seinem Selbstverständnis als auch an den Ansprüchen breiter Bevölkerungskreise an die Rolle des Staates in der national verstandenen Gesellschaft gescheitert sei. Aus rein ökonomischer Sicht hätten sowohl die Agrarreformen in Rumänien als auch die „Nostrifizierungsmaßnahmen“ in der Tschechoslowakei der langfristigen Wettbewerbsfähigkeit der jeweiligen Volkswirtschaft geschadet.

Als Fazit bleibt festzuhalten: Der vorliegende Sammelband präsentiert 15 erkenntnisreiche und lesenswerte Einzelbeiträge. Er schöpft die Möglichkeiten, die das Medium Sammelband durchaus bietet, jedoch leider nicht aus. Die Beiträge stehen losgelöst nebeneinander; eine Verknüpfung zwischen ihnen fehlt ebenso wie eine abstrahierende Reflexion. So ist es durchaus wünschenswert und lobenswert, Forschungen zur Tschechoslowakei in einem internationalen Rahmen zu kontextualisieren. Es bleibt aber völlig unklar, nach welchen Kriterien die westeuropäischen Beispiele ausgewählt wurden, die alle ohne direktes ostmitteleuropäisches Pendant sind. Auch bleibt die Frage offen, warum „international“ im vorliegenden Beispiel ausschließlich europäisch heißen muss, obwohl sich theoretisch auch ein Vergleich zu Bodenreformen und „Nostrifizierungs“-Debatten in Lateinamerika angeboten hätte.

Anmerkung:
1 Müller hat diesen Befund inzwischen in einer monographischen, vergleichend angelegten Studie ausführlicher dargelegt: Dietmar Müller, Bodeneigentum und Nation. Rumänien, Jugoslawien und Polen im europäischen Vergleich, 1918–1948, Göttingen 2020; vgl. die Rezension von Heiner Grunert für H-Soz-Kult, 02.10.2020, https://www.hsozkult.de/review/id/reb-29774 (17.03.2021).

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