Wer würde angesichts einer aufgeheizten gesellschaftlichen Atmosphäre und zunehmend polarisiert geführter politischer Debatten bezweifeln, dass Politik und Emotionen unabdingbar zusammengehören? Dass Politik Gefühle erzeugt und diese auf die Politik zurückwirken, ist auch der Ansatzpunkt von Hans-Joachim Schmidts gewichtiger, über 700 Seiten langer Studie. Ansatzpunkt dafür ist das von Schmidt festgestellte Ungenügen der traditionellen Verfassungsgeschichte, das Phänomen der Macht ohne Elemente wie Rituale und Emotionen zu erklären (S. 14). Um dieses Manko zu beheben, fokussiert er sich auf die Begriffe ‚Schrecken‘ und ‚Liebe‘, „sowohl in konträrer Gegenüberstellung als auch in additiver und komplementärer Zusammenstellung“, die während des Mittelalters verwendet worden seien, um Herrschaft zu erklären (S. 9). Dabei geht Schmidt – der Emotionsforschung folgend – davon aus, dass wir Gefühle in historischer Perspektive nur indirekt, durch Quellen vermittelt fassen können. Ziel des Buches ist daher auch keine Geschichte der Emotionen, sondern der Blick darauf, „wie in unterschiedlichen Deutungen die Begriffe [Schrecken und Liebe] in die Sprache der Macht eindrangen.“ (S. 9)
In der Einleitung (S. 9–46) umreißt der Autor sein Thema, wobei der Forschungsbericht (S. 31–39) angesichts der ihn leitenden, gewichtigen Schlagworte Gewalt, Schrecken, Freundschaft und Liebe etwas knapp gerät und einschlägige Werke und Impulse außen vorlässt.1 Unter ‚Liebe‘ fasst Schmidt eine „Disposition […], die eine enge Verbundenheit zwischen Personen ersehnt und erlangt, ohne in jedem Fall auch ein andauernder Zustand zu sein. Liebe ist mehr als ein kurzes Gefühl.“ (S. 11). ‚Schrecken‘ „meint Bedrohungen, die nicht stets realisiert, aber durch die Möglichkeit ihres Einwirkens beständig gehalten werden – und dies unberechenbar, nicht planbar durch diejenigen, die die Gewalt erdulden.“ (S. 12).
Es folgen dreizehn Kapitel, in denen der Autor aus biblischen und antiken Grundlagen heraus die Bedeutung von Liebe und Schrecken für das Funktionieren mittelalterlicher Herrschaft auslotet. Dabei wird schnell deutlich, wie eng gerade der Schrecken an die Ausübung von Gewalt gebunden war. Schon im 5. Jahrhundert wurde kontrovers diskutiert, ob Furcht vor dem Herrscher seitens der Untertanen notwendig sei (so die pseudo-isidorischen Dekretalen) oder ob Herrschaft ohne Schrecken auskommen müsse (so Papst Gregor I.). Das richtige Verhältnis von Gewalt, Furcht und Schrecken wurde auch in den folgenden Jahrhunderten von zahlreichen Autoren verhandelt, wie Schmidt nachzeichnet.
Um einen zeitlichen Schwerpunkt beispielhaft herauszugreifen, lässt sich für die Karolingerzeit resümieren, dass sich die Frage des richtigen Maßes an Schrecken erzeugender Gewalt dann stellte, wenn die Milde als Herrschaftsinstrument versagte: Wenn die Liebe der Untertanen fehlte, musste deren Loyalität durch Schrecken erneuert werden. So schildert Einhard Karl den Großen als gerechten Herrscher, der angesichts des Widerstands der Sachsen ein Strafgericht mit tausenden Toten abhielt (S. 223f.). In den Urkunden und Chroniken des 9. Jahrhunderts lässt sich nach Schmidt das Bedürfnis erkennen, die Relation von Liebe und Schrecken fundiert abzuwägen; auch Fürstenspiegel haben diese Überlegungen aufgegriffen und stärker theoretisiert fortgeführt. Gleichzeitig ließen sich auch individuelle Entwürfe isolieren: Christian von Stablo etwa forderte, auch die Grundherren müssten den Herrscher fürchten, damit sie ihre „Herrengewalt“ nicht missbrauchten (S. 255f.).
Im 10. Jahrhundert änderte sich das Ideal des Furcht verbreitenden Herrschers insofern, als dass sich der Schrecken vor allem nach außen richten sollte, zur Abwehr von Feinden und zur Sicherung des Friedens. Gewalt und Krieg erschien bei klerikalen Autoren nicht mehr als grundlegende Aufgabe von Herrschaft, sondern als politische Notlösung, auf die ein Fürst unter bestimmten Umständen gezwungen war Rekurs zu nehmen. So formulierte Gerbert von Aurillac im Jahr 988, dass der Herrscher sich nach Möglichkeit nicht durch terror beflecken solle (S. 261).
Im Gefolge der Diskussionen um das Machtverhältnis von Königtum und Papsttum im 11. und 12. Jahrhundert wurden von kirchlicher Seite vor allem weltliche Ein- und Übergriffe auf kirchliche Angelegenheiten kritisiert und abgelehnt. Petrus Damiani etwa forderte, dass jegliche königliche Gewalt an die Legitimierung durch die Kirche gebunden bleiben müsse. Humbert von Silva Candida ging sogar noch weiter und sprach der herrschaftlichen Gewalt quasi jeglichen Nutzen ab, da sie zumeist ohnehin zum Schaden der Kirche erfolge (S. 294–296).
Für das 12. und 13. Jahrhundert konstatiert Schmidt, dass der Schrecken als Herrschaftsinstrument rehabilitiert wurde, etwa unter den Stauferkönigen, während von der Epik bis zur Theologie die Liebe aufgewertet und mitunter auch als richtungsweisendes Herrschaftsideal postuliert wurde. Im 13. Jahrhundert arbeiteten sich Autoren wie Albertus Magnus und Aegidius Romanus an der politischen Bedeutung der Liebe ab, der so ein größeres Gewicht in der Sprache der Herrschaft zukam. Politische Bindungen wurden mehr und mehr in Termini von Freundschaft und Liebe ausgedrückt, worin sich nach Schmidt zumindest auf sprachlicher Ebene die affektive Grundlegung mittelalterlicher Herrschaft spiegele.
Der Autor legt ein beeindruckendes Panorama vor, das sich auf detaillierte Analysen von narrativen Quellen, Urkunden und Traktaten vor allem (aber nicht ausschließlich) aus dem Reich stützt. Das Quellenverzeichnis gibt diese umfangreiche Basis nicht wirklich wieder, da es sich auf mehrfach genannte Quellen beschränkt; einzelne Titel werden dagegen nur in der Fußnote zitiert.
Sprachlich macht es der Autor seinen Leserinnen und Lesern nicht ganz einfach: Schlangensätze über acht und mehr Zeilen, an denen Mark Twain seine Freude gehabt hätte, sind keine Seltenheit. Mitunter geraten Sätze semantisch unverständlich, wenn es etwa heißt, dass „die Gewalt auf eine Sanktions- und Gewaltkompetenz beschränkt wurde“ (S. 296) – womit vermutlich eine Einschränkung der Herrschaft auf spezifische Handlungsfelder gemeint ist.
Dieses Beispiel führt zu einem inhaltlichen Kritikpunkt: Zwar machen die vielfältigen Analysen und Beispiele das affektive Verständnis von Politik deutlich, es bleibt jedoch unklar, inwiefern gerade ‚Schrecken‘ und ‚Liebe‘ Leitmotive mittelalterlicher Herrschaft waren – schließlich wurde auch der ‚Zorn’ schon als solches vorgestellt und diskutiert.2Ira firmiert bei Schmidt zwar als mit terror verwandter Terminus, man würde sich jedoch eine genauere Abgrenzung der Funktionsmechanismen von timor, rigor, severitas, furor, pavor und metus (alle S. 29) bei der Konturierung einer Herrscherfigur wünschen. Das Ergebnis der Studie, dass die Wirksamkeit politisch instrumentalisierter Emotionalität gerade dann besonders hoch war, wenn sie an allgemein bekannte und geteilte Bilder und Vorstellungen anknüpfte, ist überzeugend, wenn auch nicht überraschend.
Ausdrücklich positiv sei das Fazit (S. 711–739) von Schmidts beeindruckend umfassender Studie hervorgehoben, in dem es dem Autor gelingt, den großen Bogen von der Antike ins Spätmittelalter zu schlagen und die vielschichtigen Analysen zu einer Synthese zu verdichten. Hier wird deutlich, wie zentral Emotionen für das Sprechen über und das Verstehen von mittelalterlicher Politik sind – sowohl für die Zeitgenossen als auch für die heutige Forschung.
Anmerkungen:
1 Exemplarisch genannt seien nur einige wenige Monographien und Sammelbände: Ninja Roth, Freundschaft und Liebe. Codes der Intimität in der höfischen Epik des Mittelalters (Diss., Universität Frankfurt am Main, 2017, abrufbar unter <http://publikationen.ub.uni-frankfurt.de/frontdoor/index/index/docId/45084> (11.03.2020)); Evamaria Freienhofer, Verkörperungen von Herrschaft. Zorn und Macht in Texten des 12. Jahrhunderts, Berlin/Boston 2016; Christoph Mauntel, Gewalt in Wort und Tat. Praktiken und Narrative im spätmittelalterlichen Frankreich (Mittelalter-Forschungen 46), Ostfildern 2014; Annette Gerok-Reiter / Sabine Obermaier (Hrsg.), Angst und Schrecken im Mittelalter. Ursachen, Funktionen, Bewältigungsstrategien (Das Mittelalter 12/1), Berlin 2007.
2 Siehe hierzu die teils auch von Schmidt rezipierten Arbeiten von Evamaria Freienhofer, Gerd Althoff, Barbara H. Rosenwein, Bele Freudenberg u.v.m.