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Titel
Beruf und Berufung transnational. Deutsche und polnische Akademikerinnen in der Zwischenkriegszeit


Autor(en)
Dadej, Iwona
Reihe
Einzelveröffentlichungen des Deutschen Historischen Instituts Warschau 38
Erschienen
Osnabrück 2019: fibre Verlag
Anzahl Seiten
357 S.
Preis
€ 39,80
Rezensiert für H-Soz-Kult von
Anne Kluger, Westfälische Wilhelms-Universität Münster

Dem Vorwurf der Unwissenschaftlichkeit, mit dem sich die Gender Studies in Polen mitunter konfrontiert sehen, stellt sich Iwona Dadej mit ihrer Studie Beruf und Berufung transnational. Deutsche und polnische Akademikerinnen in der Zwischenkriegszeit auf zweifache Weise entgegen. Zum einen ist Dadejs Monographie, die eine überarbeitete Version ihrer Dissertationsschrift von 2015 darstellt, als Beitrag zu der von ihr mit Blick auf den deutschen und polnischen Forschungsstand konstatierten Bearbeitungslücke im Bereich der ostmitteleuropäischen Geschlechtergeschichte gedacht.1 So kann die Studie zwar in eine Reihe bereits vorliegender Arbeiten zu Frauenbildungsthemen in historischer Perspektive, etwa von Gunilla Budde, Ilse Costas, Christine von Oertzen oder Marion Röwekamp, eingeordnet werden, greift aber gleichzeitig – nicht zuletzt durch die transnationale Ausrichtung – ein Forschungsdesiderat auf. Zum anderen wählt Dadej mit den ersten Universitätsabsolventinnen in Deutschland und Polen in der Zwischenkriegszeit einen Untersuchungsgegenstand, der gewissermaßen bereits in sich einen Wissenschaftsbezug aufweist. Den Fokus legt sie dabei auf die Untersuchung der „Handlungsräume“ (S. 10) ihrer Protagonistinnen. Deren wissenschaftliche und frauenpolitische Lebensläufe und Aktivitäten möchte sie in die jeweiligen politischen und gesellschaftlichen Kontexte einordnen und so Wechselwirkungen zwischen individuellen und strukturellen Faktoren analysieren. Von der vergleichenden Perspektive auf die Weimarer Republik und die Zweite Polnische Republik verspricht sich Dadej einen differenzierten Blick auf das Verhältnis von nationalen Spezifika und transnationalen Tendenzen in weiblichen Akademisierungsprozessen.

Theoretisch verordnet Dadej ihre Arbeit unter anderem im Bereich der Transfergeschichte und lenkt den Fokus ergänzend auf konkrete „Verflechtungen“ zwischen den von ihr betrachteten Einheiten und Akteurinnen. Des Weiteren stellen etwa Axel Honneths Anerkennungsmodell2 und die Kategorien „international“ und „transnational“ wichtige Bezugspunkte dar, auf die Dadej zur Eingrenzung ihres terminologischen Analyseinstrumentariums zurückgreift. Um die Situation in Deutschland und Polen in der Zwischenkriegszeit anhand der Vergleichsdimensionen „Raum“ und „Geschlecht“ erschließen zu können, nutzt sie mikrohistorische Fallstudien, einzelbiographische Zugänge als „Mosaiksteine bei der Rekonstruktion von historisch-gesellschaftlichen Situationen“ (S. 36) sowie kollektivbiographische Methoden. Ihre Analyse stützt sich dabei auf ein umfangreiches, wenn auch vor allem durch kriegsbedingte Verluste fragmentarisches Quellenkorpus. Die erhaltenen Unterlagen und die Korrespondenz der von ihr untersuchten Institutionen bilden die zentrale Grundlage der Arbeit. Sie wird durch weitere Quellenbestände wie Universitätsakten, Unterlagen anderer kooperierender Institutionen sowie durch biographische und autobiographische Dokumente ergänzt.

Nach einer thematischen und methodisch-theoretischen Einordnung ihres Analysevorhabens gibt Dadej einen kurzen Überblick über die Vorgeschichte sowie den Zustand der Frauenbewegung in der Zwischenkriegszeit, besonders der „professionalisierten akademischen Frauenbewegung“ (S. 12). Die Frauenbewegung begreift sie als soziale Bewegung sowie als „intellektuelles Projekt“ (S. 43).3 Dabei hält sie deren trans- und internationale Verknüpfungen in Form von Netzwerken und Organisationen als wichtiges Merkmal fest. Außerdem ordnet sie die Protagonistinnen ihrer biographischen Fallstudien vornehmlich als Angehörige des Bildungsbürgertums beziehungsweise der inteligencja ein und beschreibt die Diskrepanz zwischen der rechtlich möglichen und der tatsächlichen Position der ersten deutschen und polnischen Akademikerinnen in der Scientific Community ihrer Zeit.

Darauf folgt die Analyse einzelner Akademikerinnenorganisationen. Hier stehen die 1919 gegründete International Federation of University Women (IFUW) als internationaler Dachverband sowie die nach ihrem Vorbild 1926 geschaffenen deutschen und polnischen „Ablegerinstitutionen“, der Deutsche Akademikerinnenbund (DAB) und der Polnische Verband von Frauen mit höherem Abschluss (PSKzWW), im Fokus. Mit der Betrachtung der Organisationen strebt Dadej die „Verflechtung der zwei bisher getrennt untersuchten Bereiche – der Geschichte der Frauenbewegung mit ihren internationalen und nationalen Organisationen einerseits und der Geschichte der Wissenschaft in geschlechterspezifischer Perspektive andererseits“ (S. 61) an und führt so geschickt die zuvor dargestellten Kontexte und Entwicklungslinien argumentativ zusammen. Nach der Beschreibung der Gründungsumstände, Initiatorinnen, Strukturen und Zielsetzungen der IFUW wird der Blick auf den DAB und den PSKzWW verengt. Dabei interessiert sich Dadej insbesondere für das Verhältnis zwischen der internationalen Ausrichtung der Verbände und ihrer konkreten, an den nationalen Kontextbedingungen orientierten Ausgestaltung in Deutschland und Polen. So hält sie als ein zentrales Ergebnis einen „nationalen Internationalismus“ der Organisationen und ihrer Mitglieder als deutsch-polnische Gemeinsamkeit fest. Denn Spannungen und Wechselwirkungen zwischen Nationalem auf der einen und Inter- oder Transnationalem auf der anderen Seite würden sich ebenfalls in den Aktivitäten der betrachteten Frauengeneration wiederspiegeln. Diese sieht Dadej einerseits stark in ihren kulturellen und nationalen Kontexten verwurzelt und andererseits nach grenzüberschreitender Zusammenarbeit streben. Ihren Befund belegt sie unter anderem mit Verweisen auf die Organisation des IFUW-Kongresses 1936 in Krakau und der Idee einer traditions(ab)bildenden feministischen Bibliographie als „travelling concept“4, anhand derer sie die Wechselwirkungen zwischen nationalen und internationalen Diskursen darstellt. Neben einigen Unterschieden, etwa bezüglich der Gründungsinitiativen oder nationalen Wissenschaftstraditionen, arbeitet Dadej eine wichtige deutsch-polnische Gemeinsamkeit heraus: Nicht etwa wissenschaftliches Renommee, sondern bereits erfolgtes frauenpolitisches Engagement und daraus resultierende Netzwerke und Austauschbeziehungen charakterisieren die Akademikerinnen in den Führungspositionen der untersuchten Organisationen. So handelt es sich überwiegend um Vertreterinnen der „älteren“ Frauenrechtlerinnen-Generation mit beruflichen Tätigkeitsfeldern außerhalb der Wissenschaft.

Den nächsten Analyseschritt in Dadejs Arbeit bildet die Untersuchung der deutschen und polnischen Juristinnen der Zwischenkriegszeit als berufsbezogene Fallstudie. Im Zentrum dieses Kapitels steht der Kampf der Juristinnen um gesamtgesellschaftliche und fachliche Anerkennung und den Zugang zu bestimmten Berufen (vor allem zum Amt der Richterin und Staatsanwältin), der in Deutschland und Polen – so die Autorin – „unter vollkommen unterschiedlichen politischen und rechtlichen Bedingungen der Frauen“ (S. 251) stattgefunden habe und insofern nationale Abweichungen aufweise. Gleichzeitig erkennt Dadej einige Gemeinsamkeiten zwischen dem deutschen und polnischen Fall – etwa die Abhängigkeit weiblicher Karriereverläufe von männlichen Entscheidern, die Konfrontation mit ablehnenden Reaktionen aus Fachwelt und Öffentlichkeit und die Nutzung ähnlicher Argumentationsstrategien zur Begründung von Berufsansprüchen. Die Verknüpfung der Lebenswege einzelner Aktivistinnen mit kollektivbiographischen Charakterisierungen wird auch hier durch eine institutionengeschichtliche Perspektive ergänzt, wenn Dadej vergleichend die deutschen und polnischen Berufsverbände der Juristinnen betrachtet, bevor ein Fazit die zentralen Analyseergebnisse zusammenfasst.

Im Anhang stellt Dadej einen kleinen Ausschnitt aus ihrem Quellenmaterial zur Verfügung. Hier finden sich beispielsweise Übersichten über frauenpolitische Organisationen und Zusammenkünfte, Kurzbiographien zu Protagonistinnen aus Frauenbewegung und Wissenschaft und Mitgliederlisten der von ihr analysierten Institutionen.

Die vorliegende Untersuchung überzeugt vor allem durch die gekonnte Verknüpfung der verschiedenen methodischen Zugänge. Daraus ergibt sich ein Zusammenspiel von Perspektivverengungen und -weitungen, das Wechselwirkungen zwischen Mikro- und Mesoebene deutlich werden lässt. An einigen Stellen hätte allerdings die Makroebene, etwa die gesellschaftlichen und politischen Entwicklungen in den hier betrachteten Staaten sowie auf globaler Ebene, ausführlicher in die Analyse miteinbezogen werden können. Dies zeigt sich beispielsweise bei Dadejs organisationsgeschichtlichen Erläuterungen, die recht deskriptiv und teilweise redundant ausfallen und durch eine zwingendere analytische Verknüpfung mit größeren Kontextfaktoren noch erkenntnisreicher hätten gestaltet werden können. Dabei ist jedoch zu berücksichtigen, dass Dadej ihre Arbeit selbst – angesichts der festgestellten Forschungslücken – als Grundlagenforschung begreift und insofern die Aufbereitung von Informationen zu den relevanten Institutionen, Kollektiven und Personen eines ihrer zentralen Anliegen darstellt. Diesen Anspruch löst sie besonders durch die umfassende Quellengrundlage und -auswertung ein.

Die Lektüre erschweren allerdings eine stellenweise uneindeutige Textstruktur sowie im Hinblick auf den deutsch-polnischen Vergleich „ungleichgewichtig“ ausfallende Erläuterungen zu nationalen Einzelphänomenen ein wenig. Die zahlreichen theoretischen Bezugspunkte der Arbeit sorgen einerseits für eine eindeutige konzeptuelle Eingrenzung des Forschungsvorhabens, führen andererseits aber zu Unübersichtlichkeiten. So werden ergänzend zur theoretischen Einordnung in der Einleitung in einzelnen Kapiteln und Unterkapiteln weitere Ansätze vorgestellt, die dann in der Analyse allerdings nur in geringem Maße aufgegriffen werden. Hier wäre zumindest eine abschließende Reflexion im Fazit wünschenswert gewesen, die den Erkenntniswert der theoretischen Referenzen sowie einen gegebenenfalls im Rahmen der Studie festgestellten Modifizierungsbedarfs ausführlicher diskutiert.

Insgesamt gelingt Iwona Dadej mit ihrer Monographie ein sehr lesenswerter und erkenntnisreicher Einblick in das Leben und Wirken der deutschen und polnischen Akademikerinnen in der Zwischenkriegszeit. Ihre Studie leistet einen wichtigen Beitrag hinsichtlich der konstatierten Forschungsdesiderate, denn sie bietet eine hilfreiche Materialgrundlage und zahlreiche inhaltliche und methodisch-theoretische Anknüpfungspunkte für weiterführende Analysen, die die bestehenden Erkenntnislücken weiter schließen können.

Anmerkungen:
1 Diesbezüglichen Bedarf erkennt auch Claudia Kraft, Die Geschlechtergeschichte Osteuropas als doppelte Herausforderung für die „allgemeine“ Geschichte, in: H-Soz-Kult, 06.06.2006, https://www.hsozkult.de/article/id/artikel-740 (05.05.2020).
2 Axel Honneth, Kampf um Anerkennung. Zur moralischen Grammatik sozialer Konflikte, Frankfurt am Main 2003.
3 Hier bezieht sich Dadej auf Ute Gerhard, Frauenbewegung, in: Roland Roth / Dieter Rucht (Hrsg.), Die sozialen Bewegungen in Deutschland seit 1945. Ein Handbuch, Frankfurt am Main 2008, S. 187–218; und Karin Hausen, Eine eigentümliche Gewissheit… dass Intellektuelle im 20. Jahrhundert ausnahmslos unter Menschen männlichen Geschlechts zu finden seien, in: Gesa Dane / Barbara Hahn (Hrsg.), Denk- und Schreibweisen einer Intellektuellen im 20. Jahrhundert. Über Ricarda Huch, Göttingen 2012, S. 179–220.
4 Diesen Analysebegriff entnimmt Dadej Mieke Bal, Travelling Concepts in the Humanities. A Rough Guide, Toronto 2002.

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