Mit seiner Dissertation über Theorien der Öffentlichkeit und der öffentlichen Meinung in der Zeit zwischen 1780 und 1850 begibt sich Torsten Liesegang auf ein Feld, das nicht gerade ein Brachland der Forschung ist. Die Studien von Reinhart Koselleck und Jürgen Habermas bilden hier immer noch unübersehbare Marksteine. Vor allem an Habermas‘ Habilitationsschrift zum Strukturwandel der Öffentlichkeit haben sich aberhunderte von Studien gerieben, so dass sich jede Beschäftigung mit dem Phänomen inzwischen in dem Dreieck zwischen empirischer und theoretischer Untersuchung sowie deren jeweiliger Interpretation durch Jürgen Habermas bewegt. Wer sich hier zutraut, neue Schneisen zu schlagen, braucht nicht nur Mut, er muss wohl auch notwendigerweise eine gewisse Art von „Popanz“ aufbauen: Die zeitgenössische Konzeption von Öffentlichkeit im ausgehenden 18. und frühen 19. Jahrhundert sei bislang stets als viel zu homogen wahrgenommen worden, und so als hätten die einschlägigen Theoretiker die Öffentlichkeit ungebrochen idealisiert. Als Grund für die „Fehleinschätzungen in der bisherigen Öffentlichkeitsforschung“ macht Liesegang die „Herauslösung der Quellen aus dem historischen und intellektuellen Kontext der jeweiligen Theoretiker“ aus. Angesichts der Breite und Differenziertheit der bisherigen Forschung muten solche Urteile etwas kühn an. Die Frage ist jedoch vor allem, was Liesegang dagegen anzubieten hat.
Nach der Einleitung folgen insgesamt acht etwa gleichgewichtige Kapitel, die je einem Autor gewidmet sind. Dabei fällt das erste dieser Kapitel insofern aus dem Rahmen, als es keinen Denker des Untersuchungszeitraums behandelt, sondern sich zunächst noch einmal Jürgen Habermas’ Konzeption der bürgerlichen Öffentlichkeit widmet. Hierin werden die Grundzüge von Habermas’ Argumentation und die Kritik daran in durchaus einleuchtender Art und Weise wiedergegeben, ohne jedoch grundsätzlich Neues zu bieten. Vor allem aber bleibt die Funktion des Kapitels unklar, wie Liesegang ohnehin etwas sparsam mit Erläuterungen zu seinem Vorgehen umgeht. Dies gilt insbesondere für die Auswahlkriterien der behandelten Autoren. Im Einzelnen befasst sich Liesegang mit Immanuel Kant, Christoph Martin Wieland, Georg Forster, Christian Grave, Friedrich Hegel, Carl Theodor Welcker und Karl Marx. Eine solche Auswahl ist sicherlich begründbar. Aber andererseits hätten Ernst-Moritz Arndt, Josef Görres, Johann Caspar Bluntschli und einige andere auch berücksichtigt werden können. Die über das Pragmatische hinausgehenden Überlegungen zur Auswahl hätte man als Leser daher schon gerne mitgeteilt bekommen.
Methodisch beansprucht Liesegang einen interdisziplinären Zugang und kündigt zudem an, je nach Autor „verschiedene Herangehensweisen“ zu wählen, „die zwischen dem Versuch einer theoretischen Systematisierung (Kant) und der Rekonstruktion einer Entwicklungsgeschichte (Forster) der Öffentlichkeitstheorien variieren“ (S. 20). Jenseits solcher in der Tat jeweils etwas unterschiedlichen Zugangsweisen arbeitet Liesegang jedoch im Wesentlichen hermeneutisch. Er analysiert die zentralen Texte der Autoren und setzt diese teils miteinander, teils mit dem historischen Kontext, teils mit den Biografien der Autoren in Beziehung. Diese Untersuchungen sind gründlich und vor allem in Bezug auf etwas weniger bekannte Autoren wie Forster oder Grave fördern sie einiges zutage, was in der Regel weniger in den Blick gerät. Allerdings stehen diese Einzelkapitel trotz mancher Querverweise zunächst relativ unverbunden nebeneinander.
Da Liesegang es unterlässt, am Ende der Einzelkapitel noch einmal die Hauptstoßrichtung seiner Argumentation auf den Punkt zu bringen und auf das Untersuchungsinteresse zu beziehen, bürdet er diese Syntheseleistung ganz dem Schlusskapitel auf. Hier nun gelingt es tatsächlich, seine zentralen Argumente herauszuarbeiten. Sie zielen insbesondere in drei Richtungen: Erstens übersehe die Konstruktion einer kohärenten theoretischen Entwicklung, wie sie von der bisherigen Öffentlichkeitsforschung unterstellt werde, die Widersprüchlichkeiten dieser Theoriebildung. Die Existenz „konkurrierender Öffentlichkeiten“ und die „Dynamik der von der dominierenden Öffentlichkeit ausgeschlossenen Kommunikationsprozesse“ werde nicht erst retrospektiv von der heutigen Forschung festgestellt, sondern sei bereits von den untersuchten Theoretikern selbst in ihre Überlegungen einbezogen worden.
Zweitens seien die untersuchten Autoren sehr viel skeptischer gegenüber dem Prinzip der Öffentlichkeit gewesen, als dies von der Forschung gesehen werde. Die Erkenntnis etwa, dass die Idee der Öffentlichkeit perspektivisch alle Menschen, also insbesondere die Besitzlosen und die „Ungebildeten“ mit einbeziehe, habe etwa Wieland, Grave und Hegel dem allgemeinen Prinzip der Öffentlichkeit reserviert bis ablehnend gegenüber stehen lassen. Überhaupt habe bei den Autoren das Vertrauen in die Aufklärungsfähigkeit – und damit ihre Fähigkeit an der Teilhabe an der öffentlichen Auseinandersetzung – „zwischen konzeptionellem Optimismus und pragmatischem Pessimismus“ geschwankt.
Damit hängt drittens eng zusammen, dass die analysierten Autoren in Liesegangs Interpretation Öffentlichkeit nur sehr eingeschränkt als „Organ der Selbstvermittlung der bürgerlichen Gesellschaft“ gegenüber der Staatsgewalt sahen. Dies habe am ehesten für Welcker gegolten. Darüber hinaus hätten nur Forster und Marx in der Öffentlichkeit ein Prinzip gesehen, das die bestehenden Herrschaftsformen unterlaufen und durch Kontrolle verändern sollte. Ansonsten sei das Prinzip der Öffentlichkeit als Bindeglied zwischen Staat und Gesellschaft mit dem Ziel der Stärkung, nicht der Schwächung des Staates konzipiert worden. Daher sei Öffentlichkeit auch „keinesfalls eindeutig als liberaler ‚Kampfbegriff‘ gegen die bestehende Ordnung definiert“ gewesen, sondern habe als gesellschaftliche Ordnungskategorie dazu gedient „den Einfluss des Bürgertums innerhalb der konstitutionellen Monarchie auszuweiten und die von der Französischen Revolution ausgehenden Demokratisierungs- und Egalitätsimpulse abzuwehren“. Die gesamte Öffentlichkeitsdiskussion habe daher ein „konservatives Moment“ gehabt, in der es weniger darum gegangen sei Veränderungen hervorzubringen, als auf diese zu reagieren.
Auch wenn die bisherige Forschung die Öffentlichkeitsdebatte deutlich differenzierter wahrgenommen hat, als Liesegang unterstellt, so gelingt es ihm doch, einen Kontrapunkt zu setzten. Die Frage ist nur, ob seine Argumentation einleuchtet. Ein Verdienst der Studie ist es gewiss deutlich zu machen, dass die Debatte um das Öffentlichkeitsprinzip weit vielschichtiger war, als dies häufig wahrgenommen wird und dass das Prinzip der Öffentlichkeit tatsächlich von Beginn der Debatte an durchaus auch von Skepsis begleitet war – gerade auch bei dessen grundsätzlichen Befürwortern. Damit jedoch das Prinzip der Öffentlichkeit in der Tendenz seines emanzipatorischen Gehaltes im Sinne einer sich gegenüber dem Staat behauptenden bürgerlichen Gesellschaft zu entkleiden und es zu einem Instrument staatlicher Herrschaft zu machen, schießt nicht nur weit über das Ziel hinaus, sondern beruht auf einer sehr grundsätzlichen Verkennung sowohl des Liberalismus als auch des Konservativismus in der Zeit, um die es hier geht. Was die konservative Position zum Thema Öffentlichkeit angeht, so kommt diese in keiner Formulierung so schön zum Ausdruck, wie in der von Friedrich Gentz, der feststellte, dass „zur Verhütung des Mißbrauchs der Presse“ am besten „gar nichts gedruckt“ werde.1 Nicht umsonst wurde der Begriff der „Preßfreiheit“ in der ersten Hälfte des 19. Jahrhunderts nun unbestreitbar zu dem liberalen Kampfbegriff schlechthin, der jedes Freiheitsbestreben der aufstrebenden Gesellschaft gegenüber dem Staat in sich bündelte. Von irgendeiner Annäherung an das Öffentlichkeitsprinzip zugunsten einer staatlichen Herrschaftssicherung war hier aber auch gar nichts zu entdecken. Gleichwohl zielten der Liberalismus und insofern auch die liberale Öffentlichkeitskonzeption in der Tat nicht auf Umsturz, sondern auf emanzipatorische Reformen. In den Überlegungen zur Öffentlichkeit – dies ist Liesegang zuzugeben – kommt der exklusive Charakter der Konzeption von der bürgerlichen Gesellschaft tatsächlich sehr viel deutlicher zum Ausdruck, als dies vielfach angenommen wird. Die allgemeinen liberalen Gesellschaftskonzeptionen und die Öffentlichkeitstheorien gingen hier unmittelbar Hand in Hand, so dass sich der mehr oder weniger exklusive Charakter der entworfenen Bürgerlichen Gesellschaft auch in den jeweiligen Öffentlichkeitskonzeptionen widerspiegelt.
Auch wenn Liesegangs Darstellung im Einzelnen eine Reihe von Schwächen und Ungereimtheiten aufweist und obwohl man die synthetisierenden Urteile nicht gänzlich teilen muss, liefert der Autor nicht nur eine gründliche Untersuchung wichtiger „Öffentlichkeitstheoretiker“, sondern erweitert die bestehende Forschung in diesem Bereich auch um eine neue Perspektive.
Anmerkung:
1 So Friedrich Gentz in einem Brief an Adam Müller: Briefwechsel zwischen Friedrich Gentz und Adam Müller 1800-1829, Stuttgart 1857, S. 301, Brief Nr. 182.