J. Firnhaber-Baker: The Jacquerie of 1358

Cover
Titel
The Jacquerie of 1358. A French Peasants' Revolt


Autor(en)
Firnhaber-Baker, Justine
Reihe
Oxford Studies in Medieval European History
Erschienen
Anzahl Seiten
336 S.
Preis
£ 75.00
Rezensiert für H-Soz-Kult von
Christoph Mauntel, Seminar für Mittelalterliche Geschichte, Eberhard Karls Universität Tübingen

Auf der Verlagswebsite wird das hier zu besprechende Buch mit den Worten angekündigt, es sei „the first extended study of the Jacquerie in over a century“.1 Diese Aussage zielt auf die wegweisende Studie von Siméon Luce aus dem Jahr 18942, lässt aber zwei Monographien aus den 1970ern, der Hochphase der Erforschung von Revolten, außer Acht.3 Dabei müsste sich das Buch von Justine Firnhaber-Baker ohnehin nicht verstecken: Die konsequente Fundierung der Studie auf den Quellen, zu denen eine Fülle von bisher unbekannten Archivalien gehört, macht die Monographie zu einem künftigen Referenzpunkt nicht nur für den als Jacquerie firmierenden Aufstand von 1358, sondern für jedwede Studie zu sozialen Protesten (dies sei vor allem mit Blick auf das sich nähernde 500. „Jubiläum“ des „Bauernkrieges“ gesagt).

Die in St. Andrews forschende Mediävistin hat sich seit einigen Jahren auf eine intensive Auseinandersetzung mit der Jacquerie verlegt, einem Aufstand der Landbevölkerung vor allem im Nordosten Frankeichs im Jahr 1358, der noch immer als Inbegriff eines „Bauernaufstands“ im Mittelalter firmiert. Die nun vorliegende Monographie behandelt den Aufstand erschöpfend, samt Vorgeschichte und Folgen. Firnhaber-Bakers Ziel war es, eine „story about how individuals reacted to a specific set of circumstances” (S. 4) zu schreiben, den Blick also auf individuelle Intentionen zu legen, die letztlich eine Gruppenbewegung wurden. Um es vorweg zu sagen: Die Autorin wird ihrem selbst gestecktem Ziel vollauf gerecht.

Das Buch gliedert sich in eine Einleitung und zehn Kapitel, die chronologisch vorgehen und jeweils spezifische Momente des Aufstands in den Blick nehmen. Die Einleitung (S. 1–22) umreißt knapp die Forschungsgeschichte sowie die Problematik der zumeist einseitigen Quellen: Chronisten und Begnadigungsbriefe sehen in der Protestbewegung ein Verbrechen gegen die existierende Ordnung und bringen dem Geschehen entsprechend wenig Sympathie entgegen. Nur wenige Quellen erlauben Einblicke in die Motive und Erwartungshaltungen der Aufständischen selbst. Dieser Bias findet sich auch in der Forschung, die die Jacquerie mal als aus Not geborenes Aufbegehren der unterdrückten Bevölkerung gegen den Adel, mal als Ausdruck wildgewordener Horden von Bauern darstellte. Beides lässt sich nicht halten.

Das erste Kapitel (S. 23–48) widmet sich der Vorgeschichte der Jacquerie, die durch vielfältige Krisen geprägt ist. Den Beginn markiert die für Frankreich verheerende Niederlage in der Schlacht von Poitiers 1355, deren größerer Kontext der Hundertjährige Krieg ist, den die englischen und französischen Könige seit 1337 ausfochten und der in dieser Phase nicht gut für Frankreich lief: In Poitiers wurde nicht nur zum zweiten Mal (nach Crécy 1346) ein französisches Ritterheer auf französischem Boden von den Engländern besiegt, sondern diesmal geriet sogar der französische König Johann II. in englische Gefangenschaft. Sein Sohn, der Dauphin Karl V. versuchte, das Vakuum zu füllen, musste sich jedoch sowohl mit den politischen Ambitionen des Grafen von Évreux und Königs von Navarra, Karl, auseinandersetzen als auch mit den Vorstellungen einer Reformpartei, die angesichts der Krise durch die Generalstände politische Änderungen durchsetzen wollte. Teilweise radikalisierte sich diese Reformpartei, was im Herbst 1357 zu einem Aufstand in Paris unter dem Marktvorsteher Étienne Marcel führte, der im zweiten Kapitel (S. 49–70) behandelt wird. Wichtig für die Jacquerie ist dies, weil es nachweislich enge Bindungen zwischen der Pariser Revolte und dem Aufstand im ländlichen Bereich gab, wie die Autorin überzeugend zeigen kann.

Den eigentlichen Ausbruch der Jacquerie beschreibt das dritte Kapitel (S. 71–95). Dieser ist in dem kleinem, an der Oise gelegenen Dorf Saint-Leu-d’Esserent fassbar, wo es (vermutlich) am 28. Mai 1358 zu einem Angriff auf eine Gruppe Adliger kam, bei der mindestens neun Personen starben. Trotz der unklaren Quellenlage für diese frühe Zeit vermag die Autorin zu zeigen, dass der Zwischenfall wohl ein lokal koordinierter Angriff war, dem es um die Kontrolle der Oise nach Creil hin ging, einem wichtigen Handels- und Verbindungsweg. Auch der bei Saint-Leu d’Esserent liegende Steinbruch war wichtig, zumal der Dauphin kurz zuvor die Instandsetzung von Burgen angeordnet hatte. Das Geschehen diente also erkennbar auch dem Pariser Interesse, das Umland der Hauptstadt zu sichern, ohne dass jedoch belegbar wäre, dass Étienne Marcel den Aufstand auf dem Land ausgelöst hätte. Er wusste ihn jedoch, sobald er da war, für seine Zwecke zu nutzen. Der blutige Anfang der Revolte steht für sich, wie Firnhaber-Baker deutlich macht, denn in der Folge sollte der Aufstand nie wieder so viele Opfer auf einmal fordern.

Das Funktionieren der frühen Jacquerie erläutert das vierte Kapitel (S. 96–118). Hier verweist die Autorin auf die Bedeutung von Versammlungen für die interne Organisation der Aufständischen – es waren keine wilden Horden am Werk, sondern Gruppen, die sich abstimmten, Führungspersönlichkeiten wählten und sich durch diese koordinieren ließen. Zentrales Ziel scheint die Selbstverteidigung gewesen zu sein: Die Pest und der Krieg hatten viele Burgen unbemannt zurückgelassen, in denen sich dann arbeitslose Söldner und Räuber verschanzten – hiergegen ging man lokal koordiniert vor. Dies erfolgte zumeist gewaltlos, wurde von den Adligen, wie Firnhaber-Baker zeigen kann, aber als Aufstand gegen die Adelsherrschaft gewertet (S. 105).

Der während des Aufstands ausgeübten Gewalt widmet Firnhaber-Baker ein eigenes Kapitel (S. 119–143) ebenso wie der inneren Organisation (S. 144–168). Hier zeigt sie, dass die Mehrzahl der Opfer (85 Prozent) adlig war, jedoch kaum je die lokalen Herren der Aufständischen getötet wurden. Der Autorin zufolge ist die Jacquerie damit ein Aufstand gegen die Adligen, nicht gegen die Herren oder den Klerus (S. 121). Gewalt gegen Frauen und Kinder ist, anders als von den Chronisten in Schreckensbildern beschrieben, in Gerichtsquellen kaum nachweisbar. Die „Jacques“, wie die Landbevölkerung genannt wurde, wandten sich vor allem gegen Herrenhäuser und Burgen, die man mitunter systematisch zerstörte: Konkret nachvollziehbar ist die Zerstörung von 21 Burgen, zwei Festungen, einem Turm und über 27 Herrenhäusern – häufig durch Feuer, oft aber auch durch tagelange schwere Handarbeit. Insofern verwundet es nicht, dass der zum Anführer gewählte Guillaume Cale vermutlich Steinmetz war. (S. 78). Neben Cale wurden mehrere andere lokale Anführer (capitaines) gewählt, die das Vorgehen der Jacques organisierten und koordinierten. Meist waren dies begüterte, lokal verwurzelte und angesehene Mitglieder der örtlichen Gesellschaft.

Die Frage, wer die Aufständischen waren, beantwortet das siebte Kapitel (S. 169–189), wobei nach Firnhaber-Baker 498 Personen einzeln identifizierbar sind, man aber mit Tausenden tatsächlich beteiligten rechnen muss: Es waren vornehmlich Männer (wobei auch Frauen nachweisbar sind), die landwirtschaftlich oder handwerklich tätig waren und teils enge Kontakte zu den umliegenden Städten unterhielten. Kein Aufstand der Elenden also, zumal die Kernregionen der Jacquerie im Nordosten Frankreichs nicht zu den vom Krieg am stärksten betroffenen Gebieten gehörten.

Das achte (S. 191–211) und neunte Kapitel (S. 212–239) nehmen die Folge der Ereignisse wieder auf und thematisieren, wie die Bewegung sich weiter ausbreitete. Im Juni mussten die Jacques in Meaux und bei Mello jedoch zwei Niederlagen gegen den sich formierenden Widerstand der Adligen hinnehmen. Dieser vereinte sich um Karl von Navarra, der nun die Niederschlagung der Jacquerie organisierte, die deutlich blutiger werden sollte, als der Aufstand selbst.

Die juristische Aufarbeitung (Kapitel 10, S. 241–265) ging im Anschluss vom nun als „Regent“ firmierenden Dauphin Karl aus. Erneut zeigt sich, wie der genaue Blick der Autorin auf die Archivquellen unser bisheriges Wissen erweitert: Sie kann zeigen, wie aufseiten der Obrigkeit schnell ein Narrativ gefunden wurde, nach dem der Aufstand auch gegen die Krone gerichtet gewesen sei. Karl ließ diese Prägung in unzähligen Begnadigungsbriefen verlautbaren, auch weil ihm für eine umfassende Bestrafung der Landbevölkerung die Mittel fehlten. Das obrigkeitliche Narrativ wurde jedoch ab 1359 nicht mehr strikt durchgesetzt, so dass spätere Begnadigungsbriefe individuellere Erzählungen bieten.

Es ist insbesondere dieses genaue, kleinteilige Vorgehen, bei dem stets die Quellen im Blick bleiben, das die Stärke dieser Studie ausmacht. Obwohl der Verlag das Buch auch mit dem Hinweis, die Jacquerie werde mit anderen Revolten verglichen, bewirbt, kommt der komparatistische Zugang etwas kurz – dies ist insofern bedauerlich, als dass dies womöglich eine größere Forschungslücke wäre als die Rekonstruktion der Jacquerie selbst. Viele der beschriebenen Phänomene sind letztlich typisch für mittelalterliche Revolten.4 Kritisch könnte man auch die Qualität der Karten anmerken, die wenig übersichtlich gelungen sind – dies ist bedauerlich, aber leicht verkraftbar, da Firnhaber-Baker hierzu eine eigene Webseite vorgelegt hat, die die vielfältigen Möglichkeiten computergestützter Visualisierung aller in Quellen zur Jacquerie belegter Orte nutzt.5 Kurzum: Das Buch schafft es, den Aufstand insgesamt zu beschreiben und zu erklären, ohne dabei die individuell handelnden Menschen aus dem Blick zu verlieren.

Anmerkungen:
1 Oxford University Press, URL: <https://global.oup.com/academic/product/the-jacquerie-of-1358-9780198856412> (15.11.2021).
2 Siméon Luce, Histoire de la Jacquerie. D’après des documents inédits, Paris 1894.
3 Maurice Dommanget, La Jacquerie, Paris 1971; Marie-Thérèse de Medeiros, Jacques et chroniqueurs. Une étude comparée de récits contemporains relatant la Jacquerie de 1358 (Nouvelle Bibliothèque du Moyen Âge 7), Paris 1979.
4 Vgl. dazu Samuel K. Cohn, Lust for Liberty. The Politics of Social Revolt in Medieval Europe, 1200–1425. Italy, France and Flanders, Cambridge, MA 2006.
5 Vgl. The Jacquerie Revolt of 1358-Updated viewer (19.07.2021), URL: <https://worldmap.maps.arcgis.com/home/item.html?id=c2d6f953cbe64cb38323f1c71a68de5c> (15.11.2021).

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