M. Bechhaus-Gerst: Treu bis in den Tod

Cover
Titel
Treu bis in den Tod. Von Deutsch-Ostafrika nach Sachsenhausen. Eine Lebensgeschichte


Autor(en)
Bechhaus-Gerst, Marianne
Erschienen
Anzahl Seiten
207 S.
Preis
€ 24,90
Rezensiert für H-Soz-Kult von
Stefanie Michels, Universität Hannover

Emblematisch steht das Diktum der „Todestreue“ in roten Lettern über dem Porträt eines Mannes, der in Deutschland als Mohamed Husen starb und in der ehemaligen deutschen Kolonie Deutsch-Ostafrika als Mahjub bin Adam Mohamed geboren wurde. Marianne Bechhaus-Gerst hat dessen äußerst facettenreiche Lebensgeschichte zurückverfolgt und dazu nicht nur in den unterschiedlichsten Archiven geforscht, sondern auch – und das ist eine entscheidende Stärke des Buches – durch persönliche Befragungen ergänzt, wo schriftliche Zeugnisse fehlen. Das Resultat ihrer Forschungen erlaubt erstaunliche Einsichten in die Lebenswirklichkeiten schwarzer Menschen im 20. Jahrhundert. In 22 Kapiteln erzählt sie über den bisher in Deutschland meist als Bayume Mohammed Hussein bekannten Mann. Thematisch wird dadurch ein weiter Bogen von der Kolonialzeit über die Weimarer Republik, afrikanische Migration, Familiengründung, die NS-Zeit bis zum Gedenken in der heutigen Zeit in Deutschland und Tansania gespannt.

Bechhaus-Gerst stellt in einem persönlich gehaltenen Vorwort zunächst dar, warum diese Geschichte erzählt wird und warum sie ihren Protagonisten im weiteren Verlauf des Buches vertraulich mit seinem – in Deutschland von ihm fallen gelassenen – Vornamen "Mahjub" anspricht. Sodann stellt sie kurz das „koloniale Projekt" vor, um danach in die Familiengeschichte einzusteigen, indem sie von der deutschen Kolonialarmee und Adam Mohamed, dem Vater Husens, erzählt, der 1889 zu den ersten für deutsche Dienste in Ostafrika angeworbenen Soldaten aus Ägypten gehörte. Sie gewährt in diesem Kapitel Einblicke in das Leben "in Diensten des Kaisers" als deutscher Kolonialsoldat, als Askari. Bereits hier zeigt sich die Stärke des biografischen Ansatzes, der den einzelnen Soldaten heraushebt aus der kolonialen Inszenierung in der gesichtslosen, uniformierten, disziplinierten Masse. Der Leser erfährt Einzelheiten zu Adam Mohammeds Familienverhältnissen, den unterschiedlichen Schauplätzen seines Einsatzes und seines Todes.

Eindringlicher noch ist die Geschichte seines 1904 geborenen Sohnes Mahjub, der als "Kindersoldat" in der deutschen Kolonialarmee eingesetzt wurde, zuletzt im Ersten Weltkrieg. Als dessen Nachspiel und als Reaktion auf den Verlust der Kolonien nach 1919 wurde dann von der gedemütigten deutschen Nation das Bild der "bis in den Tod treuen Askari" beschworen – ein politischer Mythos, den Husen in seinem weiteren Leben an vielen Stellen für sich einzusetzen vermochte, wie Bechhaus-Gerst zeigen kann. So kämpfte er mit den deutschen Behörden nicht nur um die Zahlung des ausstehenden Soldes für sich und seinen verstorbenen Vater seit den 1920er Jahren, sondern forderte auch das deutsche Frontkämpferabzeichen, das ihm zwar letztendlich offiziell nicht verliehen wurde, er aber dennoch bei formalen Anlässen in Uniform dekorativ auf der Brust trug. Nicht nur an dieser Stelle zeigt sich die Bedeutung von Bilddokumenten. Bechhaus-Gerst hat einige zusammengetragen, die ein plastisches Licht auf die unterschiedlichen Inszenierungen werfen, die Husen zu spielen im Stande war: "treuer Askari" im Kontext der kolonialrevanchistischen Bewegung, Sprachlehrer für Swahili am Institut für Afrikakunde in Berlin, Kellner in der Wild-West-Bar im Kempinski, Schauspieler in vielen Filmen mit kolonialem Inhalt wie zum Beispiel "Die Reiter von Deutsch-Ostafrika" und "Carl Peters", Darsteller in der „Deutschen Afrika-Schau" und auf der Reeperbahn in St. Pauli. Die Anzeige, die er 1941 im Künstler-Almanach für Bühne und Film schaltete, zeigt deutlich, wie er sich bewusst in dieser Bandbreite präsentierte: auf dem einen Foto in Askari-Uniform mit Ehrenabzeichen, auf dem anderen Foto mit Anzug und Krawatte im Halbporträt, nennt er sich "B. Mohamed Husen", zählt seine Film- und Theaterengagements sowie seine Sprachkenntnisse auf ("deutsch, englisch, arabisch, suaheli, vier afrikanische Ost-Küsten-Dialekte") und weist darauf hin, dass er im Besitz aller Adressen von "Afrikanern und Afrikanerinnen in Großdeutschland" sei (S. 139).

Bechhaus-Gerst erzählt Husens Lebensgeschichte weitgehend chronologisch und geht auch intensiv auf sein Privatleben ein, über das an vielen Stellen nur spekuliert werden kann. 1933 heiratete er Maria Schwandner, mit der er zwei Kinder hatte – ein außereheliches Kind Husens wurde ebenfalls in die Familie aufgenommen und später für ehelich erklärt. Husen, der beruflich viel unterwegs war, hatte mehrere außereheliche Verhältnisse, aus denen weitere Kinder entstammten, über die bisher nichts näher bekannt ist. Sensibel und einfühlsam berichtet Bechhaus-Gerst über die finanziellen Probleme der Familie, die im Rassestaat der NS-Zeit überleben musste. Lange Zeit gelang dies mehr schlecht als recht. Nachdem das NS-Regime aber ab 1941 alle Pläne, die Kolonien zurück zu erobern, aufgeben musste, wurden die Überlebensmöglichkeiten für Afrikaner und deren Familien drastisch schlechter. 1941 wurde Husen wegen "Rassenschande" denunziert - eine Anklage, der nicht nur die rechtliche, sondern sehr wahrscheinlich, ebenso wie bei einer weiteren Anklage wegen Vergewaltigung, auch die faktische Grundlage fehlte. Statt aus der Haft im Gestapo-Gefängnis freigelassen zu werden, wurde er jedoch in Konzentrationslager Sachsenhausen eingeliefert. Auch auf die letzten drei Jahre seines Lebens, die er dort verbrachte, kann Bechhaus-Gerst ein Licht werfen – Mithäftlinge berichteten über ihn in ihren Memoiren, haben ihn sogar gemalt. Bechhaus-Gerst erkennt in diesen Fragmenten einen bis zuletzt selbstbewussten Mann. Am 24. November 1944 starb er, wahrscheinlich an einer nicht ausgeheilten Krankheit, im KZ. Seine beiden ehelichen Kinder waren früh, wahrscheinlich an Kinderkrankheiten, verstorben. Sein Sohn Bodo Husen wurde 1945 Opfer eines Bombenangriffs auf Berlin. Von seiner zu dem Zeitpunkt bereits geschiedene Frau Maria fehlt bisher jede Spur.

Bechhaus-Gerst setzt durch ihr Buch Mahjub bin Adam Mohamed alias Bayume Mohamed Husen ein Denkmal und zeigt, dass seine Geschichte Menschen aus Deutschland und Afrika nicht nur in der Vergangenheit, sondern auch in der Gegenwart verbindet. Die Lebensgeschichte Husens zeigt deutlich die Mobilität, die Möglichkeiten und die Grenzen schwarzer Akteure in unterschiedlichen historischen Kontexten. Für eine breitere deutsche Öffentlichkeit wird das Buch Zugänge zur Geschichte von Schwarzen in Deutschland öffnen. Eine Übersetzung ins Kiswahili ist geplant, und die Reaktionen auf das Buch in Tansania dürfen gespannt erwartet werden.

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