Cover
Titel
Ehrensache. Jüdische Studentenverbindungen an deutschen Universitäten 1886-1937


Autor(en)
Rürup, Miriam
Reihe
Hamburger Beiträge zur Geschichte der deutschen Juden, 33
Erschienen
Göttingen 2008: Wallstein Verlag
Anzahl Seiten
504 S.
Preis
€ 40,00
Rezensiert für H-Soz-Kult von
Christine G. Krüger, Universität Oldenburg/University of Oxford

Als Aufhänger für ihre Arbeit schildert Miriam Rürup zwei kurios anmutende Begebenheiten aus den Jahren 1953 und 1983: eine Geburtstagsfeier in Haifa, die ganz im Format eines verbindungsstudentischen Kommers abgehalten wurde, und das Begräbnis eines in die USA ausgewanderten deutschen Juden, der sich in den Farben seiner Verbindung bestatten ließ. Obwohl das Verbindungswesen nicht nur eine spezifisch deutsche Institution war, sondern auch einem aggressiven Nationalismus und Antisemitismus Vorschub geleistet hat, war die Identifikation jüdischer Studenten mit ihren Verbindungen so groß, dass sie auch die Vertreibung aus dem nationalsozialistischen Deutschland überlebte. Form und Inhalt ließen sich in den Augen der exilierten jüdischen Verbindungsmitglieder offenbar trennen. Inwieweit eine solche Trennung in der Tat möglich war, ist eine der Leitfragen der Untersuchung Miriam Rürups. Und sie stellt dies letztlich in Frage.

Die Studie ist thematisch gegliedert. Das erste Kapitel widmet sich anfänglich recht allgemein der jüdischen Emanzipation, dem Antisemitismus und dem Verbindungswesen, bevor dann das eigentliche Thema, die Entwicklung der jüdischen Verbindungen, in den Blick genommen wird. Die erste jüdische Studentenverbindung wurde 1886 in Breslau gegründet, einige weitere entstanden bis zum Ende des 19. und zu Beginn des 20. Jahrhunderts. Zahlreiche Neugründungen sind dann für die Zeit nach dem Ersten Weltkrieg zu verzeichnen. Hierin spiegelt sich einerseits – für die zionistischen Verbindungen – die wachsende Anziehungskraft einer jüdisch-nationalen Selbstdefinition und eines jüdischen Selbstbewusstseins wider, das in eigenen Organisationen ein gezieltes Bekenntnis zum Judentum erblickte. Noch entscheidender aber war andererseits die zunehmende Ausschließung der jüdischen Studenten aus den nicht-jüdischen Verbindungen. Zum Eintritt in eine jüdische Verbindung entschied sich allerdings nur ein Teil der jüdischen Studenten. In Berlin etwa war vor dem Ersten Weltkrieg ungefähr ein Drittel von ihnen in Verbindungen organisiert, im Gegensatz zu 80 Prozent der nicht-jüdischen Studenten. Gegen Ende der Weimarer Republik nahm die Aktivität jüdischer Verbindungen ab, viele der Verbindungen bestanden nur bis Mitte der 1920er-Jahre, alle übrigen wurden 1933 von den Nationalsozialisten aufgelöst.

Das zweite Kapitel fragt nach den Selbstdefinitionen jüdischer Verbindungsstudenten im Spannungsfeld zwischen Deutschtum und Judentum. Wie auch andere Forschungen der letzten Jahre betont Miriam Rürup, dass die Selbstbeschreibungen durchaus nicht konstant und eindeutig ausfallen mussten, sondern zwischen den Polen dieses Spannungsfeldes changieren konnten. Detailliert widmet sich die Autorin den Unterschieden zwischen den zionistischen und den deutsch-national ausgerichteten Verbindungen, deren Positionen hier wie in anderen Fragen weit auseinander gingen. Deutsch-national gesinnte jüdische Studenten betrachteten ihr Verbindungsstudententum als Ausdruck der deutschen Kultur. Den zionistischen Verbindungen hingegen spricht Rürup eine diskursive Vorreiterrolle bei der Ausbildung eines nationalen und gar rassischen Verständnisses des Judentums zu. Beiden Zweigen war eine Beschwörung eines jüdischen Selbstbewusstseins gemeinsam. Die deutsch-nationalen Verbindungen betrachteten ihre Existenz zwar als vorübergehend und hielten sie nur so lange für notwendig, wie jüdische Studenten aus den allgemeinen Verbindungen ausgeschlossen blieben. Dennoch bekannten auch sie sich zur jüdischen Kultur und Eigenart. Deutlich wurde dies im sogenannten Taufparagraphen, der getauften Juden die Mitgliedschaft verwehrte.

Das dritte Kapitel behandelt die für das Verbindungsleben zentralen Begriffe der Ehre, Satisfaktionsfähigkeit, Männlichkeit und Wehrhaftigkeit. Gerade weil ihnen diese Eigenschaften von antisemitischer Seite abgesprochen wurden, versuchten die jüdischen Studentenverbindungen, sich auf diesem Feld in besonderem Maße zu beweisen. Da die nicht-jüdischen Verbindungen ihnen zunehmend die Satisfaktion verweigerten, fochten die jüdischen Verbindungen mehr und mehr unter sich. Unter den zionistischen Studenten, die dem Mensur- und Duellwesen allgemein skeptischer gegenüberstanden, kritisierten einige diese Entwicklung, andere hingegen rechtfertigten die innerjüdischen Ehrkämpfe wie die deutsch-nationalen Verbindungen als Nachweis der Mannhaftigkeit. Die „Judenzählung“ und der wachsende Antisemitismus während des Ersten Weltkriegs offenbarten indes die Fruchtlosigkeit aller Bemühungen darum, die antijüdischen Stereotype zu entkräften und die Anerkennung der Nichtjuden zu finden. 1919 sprach der Allgemeine Deutsche Waffenring, der bedeutendste Zusammenschluss der schlagenden Verbindungen, den jüdischen Verbindungen die Satisfaktionsfähigkeit ab. In der Folgezeit verlor der Fechtkampf vor allem bei den zionistischen, aber auch bei den deutsch-nationalen jüdischen Verbindungen seine Bedeutung. Einen Ersatz suchten sie nun verstärkt in anderen Sportarten, vor allem im Turnen.

Ein weiteres Feld studentischer Rituale steht im Mittelpunkt des vierten Kapitels, in dem es um Farb- und Festsymbolik sowie um Geselligkeitsformen geht. Die Symbolkämpfe zwischen jüdischen und nicht-jüdischen Verbindungen zeigen anschaulich den schweren Stand der Ersteren innerhalb des zunehmend antisemitischen Klimas im akademischen Umfeld. Rückhalt von Seiten der Universitätsbehörden wurde den jüdischen Verbindungen nur selten zuteil. So gaben die Behörden vielfach nach, wenn nicht-jüdische Verbindungen forderten, die jüdischen Verbindungen müssten ihre Farben ändern, da sie denen anderer Verbindungen zu ähnlich seien und somit Verwechslungsgefahr bestehe. Ein anderes Beispiel für eine symbolische Herabsetzung war es, wenn etwa den Heidelberger jüdischen Verbindungsstudenten bei einem öffentlichen studentischen Aufmarsch ein Platz hinter der Frauenverbindung zugeordnet wurde, was in der zeitgenössischen Sicht als unwürdig galt.

Um die Verbindungen als Erziehungsinstitution geht es im fünften Kapitel. Wie bei den nicht-jüdischen Verbindungen waren die Hauptziele der Verbindungserziehung die Mann- und Wehrhaftigkeit. Damit verbunden erstrebten aber zionistische ebenso wie die deutsch-national ausgerichteten jüdischen Verbindungen als weiteres wichtiges Ziel die Erziehung zu einem spezifisch jüdischen Selbstbewusstsein. Vor allem nach dem Ersten Weltkrieg nahmen bei den zionistischen Verbindungen Hebräischunterricht und Palästinakunde einen immer größeren Raum ein, oftmals ergänzt durch Palästinareisen.

In ihrem politischen Bekenntnis, dem sich das sechste Kapitel zuwendet, unterschieden sich die jüdischen deutlich von den nicht-jüdischen Verbindungen, was vor allem in der Weimarer Zeit sichtbar wurde: Während sich die nicht-jüdischen Verbindungen von der Republik distanzierten, bekundeten die jüdischen Verbindungen dieser ihre Loyalität. Die Reaktionen auf den Antisemitismus indes zeigen Miriam Rürup zufolge, dass bei den jüdischen Verbindungen ein deutlicher „Vorrang studentischer Wertmuster vor politischen Idealen“ (S. 392) zu erkennen sei. So fiel auch ihre Antwort auf den Antisemitismus nicht politisch, sondern verbindungsstudentisch aus, wenn sie versuchten, durch Mensur und Duell ihre Ehre wiederherzustellen. Die jüdischen Verbindungsstudenten, so Rürup, nahmen den Antisemitismus als Kränkung wahr, nicht aber als Gefahr.

Einige Aussagen des Buches bleiben vielleicht etwas vage oder zumindest diskutabel, so etwa, wenn es heißt: „Die jüdischen Verbindungsstudenten übernahmen ausgerechnet die Rituale jenes Segments der deutschen Gesellschaft, das für die neue Ausformung der antisemitischen Ideologie als kulturellem Code verantwortlich war. Indem sie dies taten, legten sie bereits den Grundstein dafür, dass sie sich aus dem Gesellschaftskonstrukt der deutschen Hegemonialgesellschaft nicht lösen konnten – waren sie nun deutsch-vaterländischer oder zionistischer Überzeugung“ (S. 429f.). Doch inwiefern sollten sich die jüdischen Studenten aus dem „Gesellschaftskonstrukt der Hegemonialgesellschaft“ – was immer damit gemeint ist – lösen? Welche Alternative hatten sie? Und prägte tatsächlich, wie Miriam Rürup hier wie andernorts impliziert, die Form den Inhalt? Kann es nicht auch sein, dass gerade eine schon vorhandene hohe Wertschätzung von Idealen wie Männlichkeit, Wehrhaftigkeit und Ehre die jüdischen Studenten die dazu passende Organisationsform und die dazugehörigen Ritualen wählen ließ?

Aber zu Diskussionen zu animieren, ist das Ziel der Forschung. Miriam Rürup gelingt dies. Methodisch ist die Studie sauber gearbeitet. Sie basiert auf einer akribischen Quellenrecherche, mit der Material aus über zwanzig Archiven zusammengetragen werden konnte. Die Autorin bedient sich in den verschiedenen Kapiteln unterschiedlicher Theoriekonzepte, etwa wenn sie den Ehrbegriff diskutiert oder angelehnt an Pierre Bourdieu sich überlappende und teilweise miteinander in Konflikt geratende „Felder“ beschreibt, auf denen die jüdischen Studierenden agierten. Doch die Theoriediskussionen bleiben unaufdringlich und ein angemessen eingesetztes Mittel zum Zweck. Im Ganzen ist die Studie ohne Zweifel ein lesenswertes Buch.

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