Cover
Titel
Getting History Right. East and West German Collective Memories of the Holocaust and War


Autor(en)
Wolfgram, Mark A.
Erschienen
Lewisburg, PA 2010: Bucknell University Press
Anzahl Seiten
293 S.
Preis
€ 45,99
Rezensiert für H-Soz-Kult von
Mario Keßler, Zenrum für Zeithistorische Forschung, Potsdam

Wie Gesellschaften mit ihrer Vergangenheit umgehen, diese Frage ist den letzten Jahrzehnten in der Geschichtswissenschaft immer wichtiger geworden, insbesondere dann, wenn die vergleichende Perspektive hinzutritt. Das hier vorliegende Buch von Mark A. Wolfgram, dem eine an der University of Madison-Wisconsin angefertigte Dissertation zugrunde liegt, wendet sich der Aufarbeitung der Vergangenheit zu, wie sie in den Massenmedien beider deutscher Staaten sowie des vereinigten Deutschland sichtbar wurde. Zentrale Fragen sind die Auseinandersetzung mit dem Zweiten Weltkrieg, dem Holocaust und dem antifaschistischen Widerstand.

Im ersten der sieben Kapitel entfaltet Wolfgram seine Interpretation des Beziehungsgeflechtes von kollektiver Erinnerung, Politik und Kultur. Er führt in die politischen Kulturen des geteilten Deutschland ein: in den Westen mit der demokratischen, durch Wahlen legitimierten Ordnung, in der aber ein restaurativer Geist den anfänglich starken Antifaschismus unterband, und in den Osten mit seiner diktatorischen Ordnung, die aber Traditionsbestände der Arbeiterbewegung und ihres Widerstandes gegen Hitler zu bewahren suchte. Hier wie an anderen Stellen erläutert er Sachverhalte, die einer deutschen Leserschaft im Allgemeinen bekannt sind, dem Lesepublikum in englischsprachigen Ländern aber oft vorgestellt werden müssen. Das Buch kann somit, trotz der mitunter sehr akademischen Diktion, in der Lehre an angelsächsischen Universitäten Verwendung finden.

Die Kapitel zwei und drei beleuchten das Täter-Opfer-Problem in Ost und West. Als Quellen benutzt Wolfgram Printmedien, Archivbestände von Rundfunk- und Fernsehanstalten sowie Filme. Er zeigt, dass in der sowjetischen Besatzungszone und frühen DDR sowohl eine rasche Aufarbeitung der Vergangenheit wie ihre baldige Einengung auf den kommunistischen Widerstand angesagt waren. Paul Merker, ein späteres Opfer von Repressalien, wird dabei besonders hervorgehoben, versuchte er doch, sowohl nichtkommunistische wie vor allem auch jüdische Opfer des Faschismus – unabhängig von ihrer politischen Einstellung – zu unterstützen. Doch unterdrückte die SED-Führung, vor allem auf Druck Moskaus, solche offeneren Ansätze zu Beginn der 1950er-Jahre mit Brachialgewalt. Wolfgram zeigt aber auch, dass sich unter den Filmschaffenden (wie unter den hier nicht behandelten Schriftstellern) Gegentendenzen behaupten konnten. Nach den frühen Klassikern Wolfgang Staudtes („Die Mörder sind unter uns“, 1946) und Kurt Maetzigs („Ehe im Schatten“, 1947) waren es mit Konrad Wolf („Sterne“, 1959; „Professor Mamlock“, 1961) und Frank Beyer („Nackt unter Wölfen“, 1963) die wohl beiden besten DEFA-Regisseure ihrer Generation, die seit Ende der 1950er-Jahre differenzierte Bilder von der Vernichtung der Juden wie vom vielgestaltigen Widerstand gegen den Nazismus entwarfen. Widerstandsfilme gab es auch im Westen und es ist ein Verdienst des Buches, dass es sie auflistet und komprimiert wertet. Doch wurde die Vernichtung der Juden erst ab den späten 1970er-Jahren zu einem Zentralthema, nicht zuletzt durch die Wirkung der US-amerikanischen Fernsehserie „Holocaust“ (1978).

Das vierte Kapitel behandelt die Darstellung des Widerstandes in den Medien der DDR und der Bundesrepublik. Wolfgram kommt zu dem Schluss, dass im westdeutschen Film wie in anderen Medien zunächst eher Carl Goerdeler und nicht Claus Graf Schenk von Stauffenberg als Zentralfigur der Opposition gegen Hitler fungierte. Die deutliche Aufwertung Stauffenbergs erfolgte im Westen in den 1960er-Jahren, und die DDR zog unter dem Signum der kritischen Aneignung nichtkommunistischen Erbes in den frühen 1980er-Jahren nach. In diesem Zusammenhang würdigt Wolfgram die beiden Historiker Peter Steinbach (West) und Kurt Finker (Ost), die auch durch ihre Zusammenarbeit mit den Medien die komplementär verengten Narrative des Widerstandes zu verbreitern wussten: Steinbach durch seine Betonung des Arbeiterwiderstandes unter Einschluss der Kommunisten in der Westberliner Gedenkstätte Deutscher Widerstand, die er lange leitete; der Potsdamer Finker durch sein beharrliches Bemühen, bürgerliche und adlige Hitlergegner im offiziellen Geschichtsbild der DDR zu verankern. Die Geschichtspolitik ist jedoch kein Zentralthema des Buches.

Kapitel fünf widmet sich der deutschen Teilung und ihrer medialen, vor allem filmischen Verarbeitung. Die Erinnerungspolitik der Bundesrepublik konzentrierte sich sehr bald auf den 17. Juni 1953. Wolfgram wertet die Erhöhung des Aufstandstages zum Nationalfeiertag der Bundesrepublik als „a perfect example of how state’s attempt to invent tradition can almost completely fail“ (S. 153). Den Grund dafür sieht er darin, dass sich die westdeutsche Bevölkerung mehrheitlich einfach mit der Teilung abfand. Wo keine oder nur geringe Verwandtschaftsbindungen existierten, erlosch ihr Interesse an der DDR weitgehend – eine unbeabsichtigte Nebenwirkung der geglückten Westintegration. Dies schlug sich auch im Film nieder: In Helmut Käutners „Himmel ohne Sterne“ aus dem Jahr 1955 zerbricht die Liebe eines Paares an der deutsch-deutschen Teilung, ohne dass eine Alternative sichtbar wäre. Reinhard Hauffs Filmgroteske „Der Mann auf der Mauer“ (nach einer Buchvorlage von Peter Schneider) zeigt hingegen 1982 das Dilemma eines aus der DDR in den Westen gelangten Mannes, der sich dort nicht heimisch fühlt und sich schließlich, um den Kontakt mit seiner im Osten gebliebenen Freundin nicht zu verlieren, als Spitzel der Staatssicherheit anwerben lässt. Das Motiv der Flucht aus dem als totalitär gezeichneten System wird so ins Absurde verzeichnet. Auch die DDR-Filmschaffenden suchten sich, angefangen von Konrad Wolfs „Der geteilte Himmel“ (1964) bis hin zu Roland Gräfs durchaus gesellschaftskritischem Streifen „Die Flucht“ (1977) der Teilungsproblematik jenseits verordneter Klischees zu stellen.

Das sechste Kapitel behandelt „Niederlage und Befreiung: Das Kriegsende“ in Medien und Film. Vertrat in der DDR eine Mehrheit der Bevölkerung die Auffassung, die Sowjetunion habe den Hauptanteil an der Zerschlagung des Hitlerregimes, lehnte eine Mehrheit im Westen diese Wertung ab. Die Rote Armee wurde in den Zeitungen der DDR, aber nicht immer im Film idealisiert; einmal mehr würdigt Wolfgram Konrad Wolf und seinen semi-autobiografischen Film „Ich war neunzehn“ (1965). Seine Feststellung, dass Plünderungen und vor allem Vergewaltigungen deutscher Frauen durch sowjetische Soldaten „natürlich“ ein strenges Tabu waren, stimmt nicht ganz (S. 188). Die aus der Sowjetunion nach Deutschland zurückgekehrte Schriftstellerin Hedda Zinner ging 1978 in ihrem im Buchverlag „Der Morgen“ publizierten Erinnerungsbuch „Auf dem roten Teppich“ auf die Vergewaltigungen ein.1 Der Autor zeigt auch das Auf und Ab der Debatten im Westen über den Stellenwert des 8. Mai 1945 vom Tag der Kapitulation zum Tag der Befreiung nach Richard von Weizsäckers bemerkenswerter Rede 1985. Er zieht schließlich den Bogen bis hin zur Kontroverse um Daniel Goldhagens Buch „Hitlers willige Vollstrecker“ und zur „Wehrmachtsausstellung“, doch wirken diese Passagen ein wenig wie Pflichtübungen. Das kurze siebte Schlusskapitel zeigt die Problematik einer Erinnerungskultur, in der die Deutschen – zu sehr, wie der Autor meint – als Opfer des Krieges auftreten und in klassischer Schuldabwehr nur wenige Tätergruppen benennen, zu denen „man selbst“ auf keinen Fall dazugehören möchte: die Schutzstaffel, die Generalität, die NSDAP-Funktionäre im Westen, die kapitalistischen Unterstützer Hitlers im Osten.

Wolfgrams Wertung, wonach der Antifaschismus in der DDR eine Loyalitätsbindung auch von ansonsten kritischen Bürgern an den Staat erzeugte, kann zugestimmt werden, „but this narrative alone could not sustain it indefinitely“ (S. 212). Angesichts „[t]he State’s growing weakness throughout the 1970s and 1980s“ erstarrte es in „rituals“ (S. 212). Die offener werdende Gesellschaft der Bundesrepublik bot zunehmend alternative Angebote, die die DDR-Bürger über die elektronischen Medien wahrnahmen.

Zuletzt plädiert Wolfgram für eine vergleichende Betrachtung der Aufarbeitung verschiedener Vergangenheiten. Er nennt die Kontroversen um den Platz von Vichy-Frankreich, aber auch die Palästina-Debatten der (so bezeichneten) „Neuen Historiker“ in Israel als mögliche Anknüpfungspunkte. Eine (im Buch nicht diskutierte) Frage ist in diesem Zusammenhang die nach verbindenden Kategorien. So sträubt sich eine Mehrheit deutscher Wissenschaftler und Publizisten, den Faschismus-Begriff auf Nazi-Deutschland reflektiert anzuwenden, benutzt stattdessen mit dem Terminus „Nationalsozialismus“ die demagogische Selbstkennzeichnung des Regimes. Englische, US-amerikanische und französische Forscher handeln bekanntlich hier meist anders. Das vorliegende Buch gehört zu den wenigen, die eine vergleichende Perspektive konsequent durchhalten, und schon deshalb lohnt seine Lektüre.

Anmerkung:
1 Vgl. Hedda Zinner, Auf dem roten Teppich. Erfahrungen, Gedanken, Impressionen, Berlin 1978, S. 38.

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