Historische Forschungsprojekte zu Risiko, Sicherheit und Terrorismus erfreuen sich seit der Jahrtausendwende einer steigenden Konjunktur. Dabei geht es nicht nur darum, diese Begriffe zu historisieren und bestehende Forschungslücken zu schließen. Ziel der zahlreichen Projekte, die sich in Deutschland und Europa um Themen wie Versicherheitlichung und Bedrohungskommunikation konstituiert haben, ist es auch, neue paradigmatische Zugänge zur Geschichte von Gesellschaftswandel, Modernisierung und Staatsbildung im 19. und 20. Jahrhundert zu eröffnen. Die historische Terrorismusforschung gehört zu dieser sehr dynamischen Konstellation der Sicherheits- und Risikoforschung. Sie ist auch deswegen innovativ, weil viele aktuelle Studien eine vergleichende und transnationale Perspektive einnehmen.1 So auch die Arbeit der Historikerin Laura Di Fabio, die einen Beitrag zur Sicherheits-, Polizei- und Antiterrorismusgeschichte leistet, dabei zwei nationale Fallstudien vergleicht und transnationale Verflechtungen nachzeichnet.
Mit dem schönen Titel „Due Democrazie, una sorveglianza comune“ präsentiert das Buch, das aus Di Fabios an den Universitäten Roma Tor Vergata und Münster vorgelegter Dissertation resultiert, die Reaktionen westdeutscher und italienischer Behörden auf die Bedrohung des internen und internationalen Terrorismus in den 1970er-Jahren. Auf den ersten Blick wirkt das Vorhaben wenig innovativ, denn inzwischen liegt eine Fülle an einschlägigen aktuellen Studien über den Terrorismus der „bleiernen Jahre“ vor. Auch diese vergleichen zwischen dem westdeutschen und dem italienischen Fall und beleuchten das Phänomen des politischen Terrorismus in europäischer Perspektive.2 Angesichts dieser starken Konkurrenz wählt Di Fabio in ihrer Arbeit jedoch einen Zugang, der nicht im Mittelpunkt der neueren Terrorismusforschung steht: Während andere Studien bevorzugt die terroristischen Gruppen und ihre Organisation sowie die Medien, die Politik und die Gesellschaft der langen 1970er-Jahre in den Blick nehmen, konzentriert sich Di Fabio auf den Staatsapparat und die Polizeigeschichte. Der gewählte Zugang ist schlüssig, wenngleich eine intensivere Auseinandersetzung mit breit diskutierten Konzepten wie Versicherheitlichung und Bedrohungskommunikation wünschenswert gewesen wäre. Di Fabio benutzt die Thesen von Michel Foucault zur Entwicklung moderner Überwachungs- und Strafsysteme als zentrale theoretische Stütze ihrer Untersuchung, was angesichts des polizeigeschichtlichen Schwerpunkts ihrer Arbeit naheliegend ist.
In der Einleitung führt Di Fabio die Begriffe Terrorismus, Staat und Gewalt ein und illustriert die wichtigsten Aspekte der deutschen und italienischen Geschichte zwischen den unmittelbaren Nachkriegsjahren und der Radikalisierung von sozialen Konflikten und politischer Gewalt in den 1970er-Jahren. Hierzu sind die Endnoten und Anmerkungen unübersichtlich und nicht wirklich hilfreich. In den massiven Endnoten 7 und 9 zum Beispiel wird die neuere Polizei-, Gewalt- und Terrorismusforschung, jeweils bezogen auf Deutschland und Italien, kommentarlos eingepackt. Anstatt solcher monolithischer Endnoten mit bis zu 22 aufgelisteten Publikationen wäre es zielführender gewesen, die aktuelle Literatur – vor allem angesichts ihrer Vielfalt und unterschiedlichen Bedeutung – im Haupttext ausführlicher zu diskutieren.
Das erste Kapitel beschäftigt sich weiter mit dem historischen Kontext, vor allem mit der Vorgeschichte der „langen“ 1970er-Jahre. Hier zeigt Di Fabio, dass in beiden Ländern die Polizei, die Geheimdienste und die Justiz starke personelle und teils auch ideelle Kontinuitäten mit dem faschistischen bzw. nationalsozialistischen Regime hatten. In Italien vor allem im Bereich der Präfekturen und der militärischen Geheimdienste; in der BRD insbesondere in der Justiz, beim Bundeskriminalamt und im Rahmen der Organisation Gehlen, der Vorläuferin des Bundesnachrichtendienstes. Im Gegensatz zur BRD gab es in Italien starke Verquickungen zwischen rechtsextremen Gruppierungen und paramilitärischen Stay-behind-Organisationen einerseits und reaktionären antikommunistischen Netzwerken im Staatsapparat andererseits. Diese Verflechtungen, erklärt Di Fabio, ermöglichten die Planung und Durchführung von Terroranschlägen sowie Putschversuchen im Sinne der Strategie der Spannung (Strategia della tensione). Ziel dieser Form von Staatsterrorismus war es, soziale Bewegungen einzuschüchtern und einen Linksruck der Regierung zu unterbinden. Der politische Antagonismus zwischen Kommunisten und (Neo-)Faschisten trug zur ideologischen Polarisierung bei und, was noch gefährlicher für die junge italienische Demokratie war, zementierte die Wahrnehmung des Staates als Feind im linken Spektrum. Neben dem klassischen Spannungsfeld von Sicherheit und Freiheit verbreitete sich im Italien der „bleiernen Jahre“ auch die nicht unbegründete Wahrnehmung, dass der Staat sogar Terror-Strategien und die Zusammenarbeit mit Neofaschisten in Kauf nahm, um die Kommunisten von der Regierung fernzuhalten. Die politische Radikalisierung in der Bundesrepublik weist mehrere Ähnlichkeiten mit der italienischen Fallstudie auf. Jedoch hebt Di Fabio hervor, dass in Westdeutschland eine antidemokratische Reaktion von Teilen des Staatsapparats, die mit der Strategia della tensione vergleichbar wäre, nicht zustande kam. Zudem gab es in der Bundesrepublik einen stärkeren antitotalitären Konsens sowie viel weniger Kontakte zwischen Linksextremismus und Arbeiterbewegung.
Im zweiten Kapitel analysiert Di Fabio die politischen Sicherheitsdiskurse und die Normierung des Antiterrorismus. Das Kernstück des Buches bilden die Kapitel 3 und 4, die sich mit der operativen Durchführung und der internationalen Koordination von antiterroristischen Strategien auseinandersetzen. Spionage und „präventive Überwachung“ spielten im Laufe der 1970er-Jahre in beiden Ländern eine zunehmend wichtige Rolle, wobei in Italien die Teilnahme des Militärs im Rahmen der Terrorismusbekämpfung und eine stärkere Politisierung des Antiterrorismus zu beobachten sind. Die Notwendigkeit, neue antiterroristische Konzepte und Apparate herauszubilden, zeigt, dass beide Staaten der politischen Gewalt von Terrorgruppen gegenüber vulnerabel waren. Ihre Anpassung und Transformation angesichts der neuen Bedrohung zeugt aber auch, trotz einiger reaktionärer und verfassungswidriger Maßnahmen, von starken Resilienzressourcen dieser westeuropäischen Demokratien.
Das vierte Kapitel über internationale Polizeikooperation behandelt einen Aspekt, der vor allem für die italienische Fallstudie kaum erforscht ist. Hier beschreibt Di Fabio die gegenseitige Wahrnehmung und den Austausch von Behörden im deutsch-italienischen und internationalen Kontext. Transfer von Informationen und Know-how hatten einerseits konkrete Folgen wie die Entwicklung von Polizeispezialeinheiten in Italien nach dem Beispiel der GSG 9. Gleichzeitig führte die Kooperation im Bereich von Sicherheit und Antiterrorismus dazu, so Di Fabios These, dass sich die diplomatischen Beziehungen zwischen der BRD und Italien insgesamt verfestigten. Wenig überzeugend ist hingegen ihre These, dass die internationale Zusammenarbeit gegen den Terrorismus in den 1970er-Jahren „Neuland“ betrat (S. 146). Wie unter anderem Jens Jäger in seiner Arbeit über internationale Polizeikooperation um 1900 gezeigt hat, gibt es eine lange Vorgeschichte an Ideen und Initiativen der Zusammenarbeit über die nationalen Grenzen hinweg.3
Laura Di Fabio bietet auf knapp 220 Seiten eine sehr gut lesbare und aufschlussreiche Darstellung der Reaktionen zweier Demokratien im Kampf gegen den Terrorismus. Die gut organisierte und bündige Studie, die immerhin Quellenbestände aus einem Dutzend verschiedener Archive miteinbezieht, hätte von einer systematischen Einbeziehung der auch konzeptuell starken Forschungsdiskussion über Sicherheit und Risiko erheblich profitiert. Außerdem sind einige vielversprechenden Thesen, die diese interessante Studie aufstellt, nur knapp problematisiert. Insbesondere hätte man die spannende Überlegung, dass die internationale Polizeikooperation die Entstehung eines transnational gültigen Kanons von Ideen und Praktiken gegen den Terrorismus bzw. einer europäischen Sicherheitskultur begünstigte, mit Gewinn ausführlicher thematisieren können. Die Monographie bietet nur Zwischenfazite am Ende der vier Hauptkapitel. Ein Schlusskapitel fehlt. Dieses hätte die Chance geboten, die vielen interessanten Aspekte und Befunde dieser Studie miteinander zu verknüpfen und im Rahmen der aktuellen Forschung stärker zu profilieren.
Anmerkungen:
1 Richard Bach Jensen, The Battle against Anarchist Terrorism. An International History, 1878–1934, Cambridge 2014; Petra Terhoeven, Deutscher Herbst in Europa. Der Linksterrorismus der siebziger Jahre als transnationales Phänomen, München 2014; Carola Dietze, Die Erfindung des Terrorismus in Europa, Russland und den USA (1858–1866), Hamburg 2016.
2 Zu nennen wären neben der bereits erwähnten Arbeit von Petra Terhoeven, Deutscher Herbst in Europa, auch zahlreiche andere Studien wie Marica Tolomelli, Terrorismo e società. Il pubblico dibattito sul terrorismo in Italia e in Germania negli anni Settanta, Bologna 2006; Donatella della Porta, Social Movements, Political Violence, and the State. A Comparative Analysis of Italy and Germany, Cambridge 2009; Johannes Hürter / Gian Enrico Rusconi (Hrsg.), Die bleiernen Jahre. Staat und Terrorismus in der Bundesrepublik Deutschland und Italien 1(969–1982), München 2010; Beatrice de Graaf, Evaluating Counterterrorism Performance. A Comparative Approach, New York 2011; Christoph Cornelißen / Brunello Mantelli / Petra Terhoeven (Hrsg.), Il decennio rosso. Contestazione sociale e conflitto politico in Germania e in Italia negli anni Sessanta e Settanta, Mailand 2012; Johannes Hürter (Hrsg.), Terrorismusbekämpfung in Westeuropa. Demokratie und Sicherheit in den 1970er und 1980er Jahren, Berlin 2015; Valentine Lomellini, Il mondo della guerra fredda e l'Italia degli anni di piombo. Una regia internazionale per il terrorismo?, Florenz 2016.
3 Jens Jäger, Verfolgung durch Verwaltung. Internationales Verbrechen und internationale Polizeikooperation (1880–1933), Konstanz 2006.