C. Ludwig: Amerikanische Herausforderungen

Titel
Amerikanische Herausforderungen. Deutsche Großunternehmen in den USA nach dem Zweiten Weltkrieg


Autor(en)
Ludwig, Corinna
Erschienen
Frankfurt am Main 2016: Peter Lang/Frankfurt am Main
Anzahl Seiten
284 S.
Preis
€ 56,00
Rezensiert für H-Soz-Kult von
Franziskus von Boeselager, Historisches Institut, Ruhr-Universität Bochum

Es gibt Bücher, die erscheinen zu einem passenden Zeitpunkt. Dazu zählt die Monographie von Corinna Ludwig, die sich mit „Amerikanischen Herausforderungen“ beschäftigt. Die transatlantischen Beziehungen zwischen Deutschland und den USA stehen derzeit unter intensiver Beobachtung. Fundierte Beiträge, die sich mit der historischen Entwicklung des Verhältnisses der beiden Volkswirtschaften beschäftigen, sind daher schon per se zu begrüßen. Darüber hinaus birgt das Buch von Ludwig aber großes Potential, weil es einen Aspekt behandelt, der in der wirtschaftshistorischen Forschung bislang kaum Aufmerksamkeit erfahren hat. Die Autorin erweitert die These von der „Amerikanisierung“1 der deutschen Wirtschaft bzw. deutscher Unternehmen nach dem Zweiten Weltkrieg, indem sie die Kommunikationsstrategien – Public Relations und Marketingstrategien – deutscher Unternehmen auf dem US-amerikanischen Markt untersucht. Dabei konzentriert sie sich auf vier deutsche Großunternehmen (Volkswagen, Bayer, Beiersdorfer und Siemens) und betrachtet deren Aktivitäten in den USA von der unmittelbaren Nachkriegszeit bis in die 1980er-Jahre.

Ludwig nimmt ihre vergleichende Untersuchung entlang von fünf Herausforderungen vor, die die ausgewählten deutschen Unternehmen für eine erfolgreiche Etablierung auf dem US-amerikanischen Markt bewältigen mussten: Enteignungen, Internationalisierung, Öffentlichkeitsarbeit, Konsumentenwerbung und Corporate Identity. Für Ludwig spielen dabei die Kategorien Vertrauen und Reputation eine übergeordnete Rolle, wobei der wirtschaftliche Erfolg in zunehmendem Maße auch von einer geschickten Produktpolitik abhing. Zunächst wurden in den 1950er-Jahren die Aktivitäten der Unternehmen auf deutscher Seite durch eine breite Allianz von Privatwirtschaft und Politik unterstützt. Die Steigerung der deutschen Exportquote in die USA stellte sich wegen der deutschen Dollarlücke als eine volkswirtschaftliche Notwendigkeit dar. Die Präsenz deutscher Unternehmen auf dem US-amerikanischen Markt nahm beständig zu, wobei ab Mitte der 1960er-Jahre die deutschen Direktinvestitionen in den USA rasant anstiegen.

Wie Ludwig herausarbeitet, spielte „die nationale Identität als Element der Public Relations und Werbung deutscher Unternehmen“ (S. 11) für den Erfolg auf dem US-amerikanischen Markt eine wichtige Rolle. Der Faktor „Made in Germany“ kam den Unternehmen durchaus zugute, als diese in der zweiten Hälfte der 1950er-Jahre wieder mit eigenen Vertriebsstätten in den USA aktiv wurden. Die Expansionsstrategien der betrachteten Unternehmen unterschieden sich dabei erheblich: Während Volkswagen mit dem Käfer erfolgreich eine Nische im US-amerikanischen Automobilmarkt besetzte und sich mithilfe einer US-amerikanischen Werbeagentur ein Image aufbaute, das auf Zuverlässigkeit beruhte, konnte Beiersdorf erst Mitte der 1970er-Jahre seine Marke Nivea in den USA neu aufstellen. Siemens‘ Eroberung des US-amerikanischen Marktes in den 1970er-Jahren ging ein langwieriger Konsolidierungsprozess des Konzerns voraus, der Siemens als „global player“ installierte und in der Folge durch Joint Ventures als globale Marke verankerte. Besonders schwierig gestaltete sich der Wiedereinstieg auf dem US-amerikanischen Markt für Bayer; bis in die 1970er-Jahre verlief dieser „eher auf leisen Sohlen“ (S. 148). Ein Joint Venture mit Monsanto sicherte lediglich den Zugriff auf den wichtigen Exportmarkt. Die Markenrechte und das Aspirin-Geschäft in den USA musste Bayer noch bis in die 1990er-Jahre der Sterling Products Inc. überlassen, die beides bereits im Zuge des Ersten Weltkrieges erlangt hatte.

Ludwig bettet die Untersuchung der ausgewählten Fallbeispiele in einen größeren Bezugsrahmen ein, der eine Anbindung der speziellen Unternehmenskommunikation an übergeordnete ökonomische und politische Motive zulässt. Das zeigt sich insbesondere im Kapitel über die Konsumentenwerbung in den USA, das den Kern der Untersuchung darstellt. Hier kommen die Ergebnisse der sowohl in den USA als auch in Deutschland durchgeführten Recherchen in öffentlichen sowie Unternehmensarchiven auffällig zum Tragen. Ludwig gelingt es, das Quellenmaterial ausführlich auszuwerten. Mit der Aufarbeitung der Werbestrategien der deutschen Unternehmen und der Rolle der dafür beauftragten US-amerikanischen Agenturen leistet sie einen wichtigen Beitrag zur historischen Marketingforschung. Das Kapitel ist darüber hinaus angereichert mit zahlreichen Abbildungen von Werbeplakaten und Aufstellungen zu den damaligen Werbeausgaben in Wirtschaftssektoren der USA.

In ihrer Untersuchung nimmt Ludwig insgesamt eine weitergefasste Perspektive ein, um den langen Untersuchungszeitraum abdecken zu können, der den langwierigen Rückerwerb der Markenrechte und mehrere Globalisierungsschübe umfasst. Sie betont den grundlegenden Wandel, den die Kommunikationsstrategien deutscher Unternehmen insbesondere seit den 1970er-Jahren durchliefen. Der Fall Siemens zeigt exemplarisch, wie die Entwicklung einer Corporate Identity sich sukzessive vom Herkunftsland abkoppelte; Markenmacht spielte auf globaler Ebene eine zunehmend wichtige Rolle, was sich auf die Positionierung im Heimatland auswirkte.

Das Buch kann überzeugend darlegen, wie deutsche Unternehmen frühzeitig und in einzigartiger Weise durch Anpassungsprozesse als Folge von Herausforderungen auf dem kompetitiven Exportmarkt der USA beeinflusst wurden. Es fehlt jedoch ein theoretischer Rahmen, der eine gezieltere Fragestellung erlaubt hätte. So stellt Ludwig auf die Kategorien Vertrauen und Reputation ab, um damit das Spannungsfeld, in dem die Kommunikationsstrategien der deutschen Unternehmen standen, aufzuzeigen. Sie setzt sich aber nicht mit der Definition der Konzepte auseinander und unterscheidet nicht ausreichend zwischen den beiden Begriffen. Wenn die Untersuchung nach den Kommunikationsstrategien fragt, mit denen die ausgesuchten Unternehmen Vertrauen bilden wollten (S. 10), wie ist in diesem Zusammenhang der Aufbau von Reputation davon abzugrenzen (S. 123) und wie sollte der Begriff „Image“ demgegenüber eingeordnet werden?

Damit einher geht die offene Frage, welche Bedeutung welcher Unternehmensstrategie zuerkannt werden sollte – schließlich könnte der zeitweise Erfolg von Volkswagen in den USA fast ausschließlich auf die Preis- und Produktpolitik des Unternehmens zurückgeführt werden, während die Reputation des Unternehmens beim US-amerikanischen Konsumenten eine untergeordnete Rolle spielte. Es wäre an dieser Stelle zu hinterfragen gewesen, inwieweit das „Image“ der ausgewählten deutschen Unternehmen durch den Zweiten Weltkrieg tatsächlich beschädigt wurde. Die Unterstellung einer Korrelation der Reputation eines Staates mit der der dort beheimateten Unternehmen greift hier viel zu kurz.

Ungeachtet dessen argumentiert die Untersuchung schlüssig, dass deutsche Großunternehmen durch ihre Marktstrategien in den USA nachhaltig beeinflusst wurden und erschließt damit ein neues Terrain für die Beschäftigung mit der These der „Amerikanisierung“. Das gut lesbare Buch von Ludwig ist für ein besseres Verständnis der transatlantischen Beziehungen zu empfehlen, weil es aufzeigt, wie die deutsch-amerikanischen Wirtschaftsbeziehungen sich nicht nur im ökonomischen Austausch widerspiegeln, sondern auch von den Kommunikationsstrategien der Großunternehmen abgelesen werden müssen, die sich zunehmend internationalisierten.

Anmerkung:
1 Vgl. grundlegend: Volker Berghahn, The Americanisation of West German industry 1945–1973, Cambridge 1986. Einen Überblick gibt: Konrad Jarausch / Hannes Siegrist (Hrsg.), Amerikanisierung und Sowjetisierung in Deutschland 1945–1970, Frankfurt am Main 1997. Weiterführend: Harm G. Schröter, Amercanization of the European economy. A compact survey of American economic influence in Europe since the 1880s, Dordrecht 2005.

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