Wi(e)der die Frau. Zu Geschichte und Funktion misogyner Rede.

Wi(e)der die Frau. Zu Geschichte und Funktion misogyner Rede.

Organisatoren
Andrea Geier (Universität Tübingen), Dr. Ursula Kocher (Freie Universität Berlin), in Zusammenarbeit mit dem Tübinger Forum für interdisziplinäre FrühneuzeitForschung (IFF)
Ort
Berlin
Land
Deutschland
Vom - Bis
18.07.2002 - 20.07.2002
Url der Konferenzwebsite
Von
Andrea Sieber; Annett Volmer

Mulier est imbecillioris sexus quam masculus. (Baldus Ubaldi, Ende 14. Jh.)

Dass ‘Misogynie’ im Alltag nach wie vor omnipräsent, dagegen eine zunehmende Zurückhaltung in der feministischen Forschung hinsichtlich dieses Themas zu beobachten ist, mag für die Organisatorinnen des interdisziplinären Colloquiums Andrea Geier (Tübingen) und Ursula Kocher (Berlin) mit ein Anlass gewesen sein, die Debatte um frauenverachtende kulturelle Praktiken erneut aufzurollen. Frauenfeindlichkeit war stets eine verbreitete Strömung in der abendländischen Zivilisation. Den Veränderungen und unterschiedlichen Implikationen des Phänomens Misogynie von der Antike bis zur Gegenwart wollte diese Tagung an der Freien Universität nachgehen. Die Organisatorinnen haben die historisch, philosophisch, literatur- und kulturwissenschaftlich orientierten Vorträge in Themenblöcke geordnet, die der interdisziplinären Divergenz eine erstaunliche inhaltliche Kohärenz verliehen.

Einen thematischen Schwerpunkt bildeten die Argumentationen und Diskurstraditionen misogynen Redens in Mittelalter und Renaissance. Claudia Opitz (Basel) untersuchte die Streitschrift „De la démonomanie des sorciers“ von Jean Bodin (1580) als Antwort auf zeitgenössische Schriften gegen die Hexenverfolgung (Agrippa von Nettesheim, Johann Weyer) und stellte anschaulich die Inversion der weiblichen Tugendkataloge heraus. Innerhalb der „Démonomanie“ gab es für Frauen keine andere Sprecherposition als die der Hexe. Wie Misogynie als Textphänomen in scheinbar frauenfreundlichen Texten auf verschiedenen Ebenen inhaltlich und strukturell erzeugt wird, rekonstruierte Peter Hess (Austin/Texas) anhand einzelner Sequenzen aus den „Frauenzimmer Gesprächsspiele[n]“ (1641-1649) von Georg Philipp Harsdörffer. Mit der Philogynie im westlichen Mittelmeerraum um 1200 als Gegensatz zur westeuropäischen Misogynie beschäftigte sich Jan Rüdiger (Berlin). Ausgehend von einem Gedicht des Trobadours Raimon de Miraval erläuterte Rüdiger den Unterschied zwischen dem Preis der Frau als dem aktuellen Kurswert ihrer Tugendhaftigkeit und dem valor, ihrem inneren Wert. Beider Zusammenspiel konstituiere im Kontext des höfischen Diskurses das symbolische Idiom Frau, ein verfügbares Zeichen für alle möglichen gesellschaftlichen Bedeutungen. Maria E. Müller (Berlin) führte am Beispiel des Eneasromans von Heinrich von Veldeke (1186) einen Katalog misogyner Argumente vor und zeigte anhand aktueller Lehrerfahrungen, dass auch moderne Leser unreflektiert die misogynen Topoi fortschreiben. Bea Lundt (Flensburg) stellte in ihrem Beitrag die Frage nach der misogynen Tradition vom 12. bis zum 15. Jahrhundert und rekurrierte dabei auf die weitverbreitete Erzähltradition der „Sieben Weisen Meister“. Die Bezeichnung einer Tradition als misogyn – so die Schlussfolgerung ihrer Analyse – erkläre noch nicht die Vielfalt der Geschlechterbeziehungen. Misogynie kristallisierte sich zunehmend als Stellvertreterargument für andere gesellschaftliche Problembereiche heraus. Diese Sichtweise vertrat auch Ulrike Neumann (Berlin) in ihrem Beitrag über die Romane von Johann Beer, denen ein misogyner Ruf anhaftet. Neumann wies prägnant nach, dass der Vorwurf der Misogynie an Beer zu kurz greift. Beer war nämlich keineswegs ein „dümmlicher Frauenhasser“, als der er gern in der Forschungsliteratur dargestellt wird. Seine Belehrungen betreffen vielmehr die Veranschaulichung der moralischen Übel der Welt. Was sich als misogyn liest, ist eine diskursive Praxis des Vorführens menschlicher Lasterhaftigkeit. Hier sind Misogynie und die Frau Vehikel für ein Repertoire historischen Materials, aus dem sich schöpfen lässt. Daraus ergibt sich die Frage, warum misogyne Rede in diesem Sinne instrumentalisiert werden konnte.

Mögliche Antworten ergibt die Auseinandersetzung mit weiblicher Autorschaft, der sich Claudia Gronemann (Leipzig), Agnieszka Madej-Anderson (Tübingen) und Corinna Heipcke (Guildford) widmeten. Madej-Anderson stellte im „Exemplar“ von Heinrich Seuse die eindeutige Absicht der Verunklarung von Autorschaft heraus und zeigte, dass die Abfassung des Werkes durch Elsbeth Stagel als weibliche Autorschaft der männlichen Autorschaft stets nachgeordnet bleibt. Die Frau ist das Medium, die Projektionsfläche für männliche Originalität. Dennoch können Autorinnen auf diesem Wege ihre Weiblichkeit transzendieren. Corinna Heipcke wies in ihrem Beitrag zur Konstruktion weiblicher Autorschaft im ausgehenden 18. Jahrhundert nach, dass genau diese Transzendierung nun nicht mehr möglich war. Autorschaft für Frauen bleibt nur ohne Folgen, wenn die Schriftstellerinnen ihren Status als Autorin leugnen. Die weibliche Autorschaft ist begrenzt, weil sich die Vorstellung des Autors im 18. Jahrhundert fundamental verändert. Zu scheinbar gegenläufigen Erkenntnissen kam Claudia Gronemann am Beispiel des aufklärerischen Diskurses in Spanien: Das literarische Schaffen einzelner Autorinnen sei dort zum Ende des 18. Jahrhunderts geprägt von einer Selbstverständlichkeit, die Gronemann vor allem im Verzicht auf Bescheidenheitstopoi rekonstruierte.

Der Funktion des misogynen Diskurses im Bereich der Musikwissenschaft widmeten sich die Beiträge von Rebecca Grotjahn (Köln) und Achim Stricker (Tübingen). Grotjahn wies am Beispiel der Zauberflöte nach, wie die geniale Musik Mozarts genutzt wird, einen verdeckten Diskurs gegen weibliche Handlungs- und Machtpositionen zu führen. Dagegen widmete sich Stricker der Frage, warum bis ins 21. Jahrhundert Musik vornehmlich als „Männersache“ praktiziert wird. Hierfür rekonstruierte Stricker die historische Entwicklung weiblichen Musizierens und Komponierens, wobei er den Kastraten als strategische Figur zur Hintergehung der Geschlechtsstereotype deutete.

Zweigeschlechtigkeit musste in der Frühen Neuzeit immer wieder hergestellt werden, um eine Ordnung zu etablieren. Die uns heute vertraute bipolare Sichtweise der Geschlechter bildete sich erst im 18. Jahrhundert mit der Entstehung der bürgerlichen Gesellschaft und der damit einhergehenden gesellschaftlichen Sanktionierung des Körpers heraus. Dieses Spannungsverhältnis thematisierte Eva Kormann (Karlsruhe) am Beispiel des Pygmalionmotivs in der Literatur des 18. und 19. Jahrhunderts. Die Idealisierung der weiblichen „Natur“ in einer künstlichen, von Männern geschaffenen Traumfrau wirkt der Enttäuschung über die reale Frau entgegen und leistet außerdem der Dichotomisierung der Geschlechterverhältnisse Vorschub. Kormann führte anhand der Motivwahl vor, in welchem Maße die Geschlechterverhältnisse der Künstlichkeit und Konstruktion unterliegen. Zuschreibungen wie „Sünde und Sinnlichkeit = Weib = Schlange“ (Otto Julius Bierbaum) nahm Alexandra Karentzos (Bochum) zum Anlass misogynen Tierbildern um 1900 nachzugehen. In bewährter kunsthistorischer Anschaulichkeit sensibilisierte ihr Vortrag für die stark sexualisierte Wahrnehmung der Frau in der Malerei um die Jahrhundertwende.
Ausgehend von der feministischen Forschungsposition, Pornographie wirke affirmativ, suchte Svenja Flaßpöhler in ihrem Beitrag nach diskursivem und medialem Subversionspotential im Mainstream-Porno. Dabei fokussierte sie den bisher ungenügend berücksichtigten Inszenierungscharakter, der sich zum einen in der Absurdität und parodistischen Entgrenzung vermeintlich authentischen Begehrens und zum anderen in der paralysierenden Rezeptionswirkung jenseits der Beate-Uhse-Kabine niederschlagen würde.
Auf einer Schnittstelle zwischen literarischem Diskurs und körperbezogener Praxis war der Beitrag von Katherine Ebisch-Burton (Oxford) angesiedelt. Ebisch-Burton zeigte am Beispiel von Badeszenen im Werk Kleists wie über die Soziologie des Scheiterns Weiblichkeit und Männlichkeit als Identitätstypen im voyeuristischen Blick auf und in der misogynen Rede über die Einzelfigur konstituiert werden.

Der Wirkungsmacht misogyner Darstellungsweisen im Medien- und Alltagsdiskurs widmeten sich die Vorträge von Elke Frietsch (Berlin) und Jörg Fichtner (München). Aus historischer Perspektive beleuchtete Frietsch, wie während der Zeit des Nationalsozialismus der misogyne Diskurs als Indiz eines zivilisatorischen Verfalls verfeindeter Nationen gedeutet und zu deren Abqualifizierung in der illustrierten Presse eingesetzt wurde. Hierfür kreierte Allegorien eines neuen Weiblichkeitsideals verbleiben jedoch im ambivalentem Zustand umcodierter Misogynie.
In seinem abschließenden Beitrag führte der Familientherapeut Jörg Fichtner vor, wie mit den strategischen Mitteln frauenverachtenden Sprechens ein neues Syndrom - Parental Alienation Syndrom (PAS) - im medizinischen, juridischen und Alltagsdiskurs erzeugt wird, um die Emanzipation alleinstehender Mütter zu kriminalisieren. Ziel der neuen Väterbewegung sei es, die Sozialisation vereinsamter Kinder durch die Rückkehr zum existierenden Vater zu korrigieren.

Der im Colloquium vollzogene Blick auf Kontexte, strategische Funktionen und Wirkungen misogyner Rede durch verschiedene Epochen und Diskurse konnte zeigen, dass weder eine emanzipatorische Grundlinie in der historischen Entwicklung des Konzeptes ‘Misogynie’ noch eine ahistorische Kohärenz im konkreten Einzelfall rekonstruierbar ist.
Misogyne Rede lässt sich nicht auf historische Topoi begrenzen, stets ist eine kontextuelle Einbettung der Erscheinungsformen notwendig. Zudem existiert keine Homogenität in der Tradition frauenverachtender kultureller Praktiken vom Mittelalter bis zur Postmoderne. Misogynie bleibt daher stets eine interpretatorische Herausforderung, die aus diskursiven und gattungsspezifischen Zusammenhängen resultiert.

Kontakt

Andrea Sieber <sieber@germanistik.fu-berlin.de>


Redaktion
Veröffentlicht am
Beiträger
Klassifikation
Weitere Informationen
Land Veranstaltung
Sprache(n) der Konferenz
Deutsch
Sprache des Berichts