Militär und Religiosität in der Frühen Neuzeit

Militär und Religiosität in der Frühen Neuzeit

Organisatoren
„Arbeitskreis Militär und Gesellschaft in der Frühen Neuzeit“ (AMG), Michael Kaiser (Köln), Stefan Kroll (Rostock) und Norbert Winnige (Göttingen)
Ort
Göttingen
Land
Deutschland
Vom - Bis
24.05.2002 - 25.05.2002
Von
Stefan Kroll, Philosophische Fakultät Fachbereich Geschichtswissenschaften, Universität Rostock

Am 24. und 25. Mai 2002 fand am Max-Planck-Institut für Geschichte in Göttingen der Workshop „Militär und Religiosität in der Frühen Neuzeit“ statt. Gemeinsame Veranstalter und Organisatoren waren in Verbindung mit dem „Arbeitskreis Militär und Gesellschaft in der Frühen Neuzeit“ (AMG) Michael Kaiser (Köln), Stefan Kroll (Rostock) und Norbert Winnige (Göttingen). Für die Finanzierung sorgte die Fritz Thyssen Stiftung.

Die Tagung war in vier Sektionen unterteilt, von denen sich die erste mit „Militär und Religion in den Territorien“ befasste. Stefan Kroll wählte Beispiele aus Kursachsen, um dem engen Zusammenhang von Religiosität und Patriotismus als Triebfedern für die Motivation, aber auch als Mittel zur Disziplinierung der Unteroffiziere und einfachen Soldaten im 18. Jahrhundert nachzugehen. Dabei ging es ihm einerseits darum, die teils unbeabsichtigte, teils gezielte Einflussnahme auf die niederen Chargen nachzuzeichnen. Daneben befasste er sich aber auch mit der Wirkungsebene: Konnten der Unteroffizier und der Gemeine tatsächlich durch religiöse Ansprache zu Mut und Tapferkeit im Kampf gegen den Feind motiviert werden, und inwieweit war es möglich, die Leidensbereitschaft zu steigern und die Angst vor dem Tod zu verringern? Kroll kam zu dem Ergebnis, dass der Appell an die „Gottesfurcht“ der Soldaten durchaus auch über die Epochenscheide der Französischen Revolution hinaus auf Resonanz gestoßen sei. „Vaterlandsliebe“ bezog sich dagegen zumindest in Sachsen in erster Linie auf die Person des Kurfürsten und daneben auf das Kurfürstentum. Die nationale Aufbruchstimmung während des ersten Koalitionskrieges gegen Frankreich 1793 habe den einfachen Soldaten noch nicht nachhaltig beeinflusst.

Michael Reiff beschäftigte sich in seinem Referat mit der Frage der konfessionellen Homogenität im kurbayerischen Heer zwischen Dreißigjährigem Krieg und Bayerischem Erbfolgekrieg. Während das Kurfürstentum ansonsten ein Hort des Katholizismus war und Andersgläubige auf keine Weise duldete, machte es in Kriegszeiten der nicht aus der eigenen Bevölkerung zu deckende Bedarf an Rekruten notwendig, in größerem Umfang auch protestantische Soldaten aus dem Ausland für das Stehende Heer anzuwerben. Für entlassene Soldaten mit abweichender Konfession war indes in Bayern kein Platz. Mit dem preußischen Feldpredigerwesen unter dem „Soldatenkönig“ Friedrich Wilhelm I. (1713-1740) setzte sich Benjamin Marschke auseinander. Er rekonstruierte das von August Hermann Francke in Halle ausgehende Netzwerk pietistischer Feldprediger, das in einer Phase der Bürokratisierung und Zentralisation zumindest zeitweise einen beherrschenden Einfluss auf die Vermittlung der protestantischen Religion im preußischen Heer erlangte.

In der zweiten Sektion ging es um „Besondere Schauplätze“. Dabei stellte Jürgen Luh grundsätzlich die bisher vorherrschende Forschungsmeinung zu den Türkenkriegen des späten 17. Jahrhunderts in Frage, wonach besonders religiös motivierter Hass zu außergewöhnlicher Grausamkeit der christlichen Soldaten in der Auseinandersetzung mit ihren muslimischen Gegnern geführt habe. Durch intensive Befragung von Selbstzeugnissen kam Luh im Gegenteil zu dem Schluss, dass sich die Soldaten bei den Belagerungen und Schlachten der Türkenkriege nur selten anders verhielten als gegenüber christlichen Feinden. Für die aufgezeigte Diskrepanz machte er vor allem das seit Jahrhunderten verbreitete Konstrukt des „türkischen Erbfeindes“ verantwortlich. Die entsprechende Kriegspropaganda sollte vor allem die Widerstandskraft der Bevölkerung stärken. Ähnlich skeptisch äußerte sich Max Plassmann über die Wirkungsmacht von Religiosität für die Disziplinierung der Soldaten, die zwischen 1648 und 1803 in den bikonfessionellen Streitkräften des Schwäbischen Reichskreises dienten. Er betonte stattdessen das relativ konfliktarme Miteinander von Katholiken und Protestanten. In der Diskussion wurde ein Vergleich mit dem Fränkischen Reichskreis angeregt, dessen gleichfalls gemischtkonfessionelle Zusammensetzung bis in die zweite Hälfte des 18. Jahrhunderts hinein durchaus zu heftigen Auseinandersetzungen geführt habe.

Den zweiten Tag des Workshops und damit zugleich die Sektion „Religion zwischen Propaganda und Seelsorge“ eröffnete Matthias Rogg mit einem Vortrag über „Gottlose Kriegsleute? Die bildliche Darstellung von Söldnern des 16. Jahrhunderts im Spannungsfeld von Lebenswirklichkeit, öffentlicher Meinung und konfessioneller Bildpropaganda“. Er wies dabei auf das allgemein breite Spektrum von sehr positiver bis äußerst negativer Darstellung der Landsknechte und Reisläufer hin. Allerdings befanden sich bei religiösen Bildthemen negative Aussagen deutlich in der Mehrzahl. Im Anschluss unterzog Cornel Zwierlein das zuletzt maßgeblich von Heinz Schilling und Wolfgang Reinhard geprägte Konfessionalisierungskonzept einer kritischen Überprüfung, indem er es auf das militärische Eingreifens Papst Pius’ V. in die französischen Religionskriege 1569 anwandte. Seine Quellenanalyse ließ den Schluss zu, „dass eine Homogenisierung der Heere im Hinblick auf eine konfessionelle Identifizierung der Kämpfer mit den offiziellen Religionskriegszielen“ nicht stattfand. Dieses Ergebnis führte Zwierlein zu dem Plädoyer, zukünftig doch wieder stärker zwischen Staatsbildungs- und Konfessionalisierungsprozess zu unterscheiden. Maren Lorenz behandelte die Kriegspublizistik der nordischen Kriege zwischen 1655 und 1679. Dabei konzentrierte sie sich auf Schwedisch-Pommern, ein von der Forschung vielfach vernachlässigtes Territorium. Die von ihr herangezogenen gedruckten Schriften lassen eine sehr flexible Anwendung religiöser Argumentationsmuster erkennen. Häufig dienten sie lediglich zur Unterstützung staatlicher Machtpolitik. In Ausnahmesituationen existenzieller Bedrohung, wie etwa der bevorstehenden Bombardierung einer bereits vom Feind eingeschlossenen Stadt, scheinen theologisch-moralische Durchhalteparolen noch am ehesten Wirkung gezeigt zu haben. Zu unterscheiden ist in jedem Fall auch nach den Zielgruppen der Kriegspropaganda. Die staatstragende bürgerliche Elite ließ sich kaum anders als durch juristisch-moralische Argumente überzeugen, während die Masse der Bevölkerung im Wesentlichen nur über die von den Kanzeln predigenden Geistlichen beeinflussbar war. Hannelore Lehmann stellte das von dem Pietisten Victor Christoph Tuchtfeld 1726/27 in Potsdam initiierte Soldatenkonventikel vor. Ihr Vortrag ermöglichte interessante Einblicke in eine Form soldatischer Frömmigkeit, die sicher nicht repräsentativ für die preußische Armee war, aber dennoch zum vielschichtigen Bild der Religionswahrnehmung und -ausübung von Angehörigen der protestantischen Militärbevölkerung dazugehört. Die Sektion wurde abgeschlossen mit einem Beitrag von Antje Fuchs, die sich mit kurhannoverscher Kriegspropaganda gegen den katholischen Kriegsgegner im Siebenjährigen Krieg auseinander setzte. Ihre bisherigen Quellenfunde ließen den Schluss zu, dass es in Kurhannover – anders als in Preußen – keine staatlich gelenkte Kriegspropaganda gab, die das Motiv des Religionskrieges gegen die katholischen Feinde in den Vordergrund gestellt hätte. Auf der Wahrnehmungs- und Erfahrungsebene lassen zumindest autobiographische Aufzeichnungen eines Hannoverschen Bäckermeisters erkennen, dass die konfessionell argumentierende preußische Kriegspropaganda nicht völlig wirkungslos blieb. Mehrere Göttinger Universitäts-Professoren blieben dagegen von dieser Form der Agitation völlig unbeeindruckt, jedenfalls beurteilten sie die mehrere Jahre andauernde Zeit der französischen Besatzung in ihren Erinnerungen durchweg positiv.

Der Workshop wurde abgeschlossen mit zwei Beiträgen zu „Extremsituationen“, der vierten Sektion der Veranstaltung. Daniel Hohrath stellte Aufzeichnungen protestantischer Pfarrer zu Belagerungen des 18. Jahrhunderts vor, die sie selbst als Betroffene auf der Seite der Belagerten miterlebt hatten. Anders als in den Diarien von Offizieren finden sich hier regelmäßig religiös argumentierende Erklärungsversuche für die Geschehnisse. Schließlich versuchte Michael Kaiser eine Annäherung an die militärische ars moriendi in der Frühen Neuzeit. Trotz schwieriger Quellenlage ist deutlich erkennbar, dass Angehörige des Militärs keinesfalls ausschließlich christlich-religiöse Strategien verwendeten, um das Phänomen Tod im Krieg zu bewältigen. Zu den wichtigsten konkurrierenden Ansätzen zählten solche magischer und „ideologisch-verbrämter“ Natur.

In der Schlussdiskussion wurde versucht, wesentliche Grundlinien des Tagungsthemas nochmals aufzugreifen und stärker zu konturieren. Im Hinblick auf die maßgeblichen Quellen wurde übereinstimmend betont, wie wichtig die klare Unterscheidung zwischen Diskurs- und Handlungsebene ist. Nur so lässt sich auch die Rolle der gedruckten Kriegspropaganda angemessen bewerten. Es wurde auch davor gewarnt, an einer zu engen Vorstellung von „Glauben“ festzuhalten. Religiosität im Verständnis der christlichen Konfessionen und „Aberglaube“, der nicht zuletzt magische Praktiken umfasste, waren offenbar im Alltagsleben der Bevölkerung kein Gegensatz, sondern wurden als Bewältigungsstrategien durchaus parallel genutzt. Dagegen ist der Einfluss der unterschiedlichen Konfessionen auf die Verhältnisse im Militär allem Anschein nach von der Forschung bisher überschätzt worden. Ausgerechnet für das Militär, das unstreitbar von zentraler Bedeutung für den frühneuzeitlichen Staatsbildungsprozess gewesen ist, scheint das Konzept der Konfessionalisierung nicht anwendbar zu sein. Diese These gilt sowohl für das 16., wie auch das 17. und das 18. Jahrhundert. Wie sich dies angemessen erklären lässt, bedarf noch weiterer intensiver Forschung. Die Beiträge des Göttinger Workshops dürften dazu zumindest einen wichtigen Anstoß gegeben haben. Sie werden im kommenden Jahr gemeinsam als Sammelband in der Schriftenreihe des AMG im LIT-Verlag veröffentlicht.

http://www.amg-fnz.de/veranstaltungen.php
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