Alter und Geschlecht

Organisatoren
Postdoc-Kolleg „Krankheit und Geschlecht“, Interdisziplinäres Zentrum für Frauen- und Geschlechterstudien, Universität Greifswald
Ort
Greifswald
Land
Deutschland
Vom - Bis
12.11.2004 - 13.11.2004
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Von
Sabine Lucia Müller, Freie Universität Berlin

„Methusalem-Komplex“, „Generationenvertrag“, „Überalterung“, „junge Alte“ – das Alter ist in aktuellen öffentlichen Debatten längst zu einer allgegenwärtigen Kategorie geworden, wie Heike Hartung in einer knappen Einleitung zum Workshop darstellte. Dennoch haben die Kulturwissenschaften den demographischen Wandel bisher kaum zum Anlass genommen, Kulturen des Alterns in ihrer historischen Kontingenz zu untersuchen.
Der Workshop Alter und Geschlecht machte es sich zur Aufgabe, Alter jenseits von Pathologie und Gerontologie als kulturelles Phänomen zu analysieren und stellte dabei die Kategorie Geschlecht ins Zentrum der Diskussion. Fragen nach der Repräsentation und geschlechtlichen Codierung von Alter wurden von den TeilnehmerInnen aus der Perspektive verschiedener Disziplinen diskutiert, zu denen sowohl die Geistes- und Sozialwissenschaften als auch die Medizin(geschichte) zählte.

Ihren Anfang nahm die Tagung mit einer Präsentation der Kunsthistorikerin Kristina Bake (Halle), die zur Darstellung der Lebensalter von Mann und Frau sowie „bürgerlichen Geschlechterrollen im Lebensalterzyklus des Tobias Stimmer (um 1575)“ referierte. Sie zeigte, wie z.B. über Symbole und Analogisierungen in der Repräsentation der unterschiedlichen Lebensalter eine geschlechtliche Differenzierung erfolgte. Hierbei erwiesen sich, wie insbesondere in der nachfolgenden Diskussion deutlich wurde, die Figuration der alternden Frau als Körper sowie der Unterschied zwischen biologischem und sozialem Alter im Hinblick auf die Geschlechterordnung als besonders bedeutsam.
Die Historikerin Silke Kamp (Potsdam) stellte in ihrem Referat „Verkehrte Welt: Greise ‚Krieger‘ als ‚Geburtshelfer‘? – Zur Rolle der officiers réformés bei der Gründung der Französischen Kolonie in Potsdam unter Friedrich Wilhelm I.“ die Aktenlage und Archivfunde zur Potsdamer Französischen Kolonie alternder Offiziere dar, die dorthin in den Ruhestand beordert wurden, um etwas Neues aufzubauen.

Aus linguistischer Perspektive untersuchte Amei Koll-Stobbe (Greifswald) in „Forever Young?“ „sprachliche Kodierungen von Jugend und Alter“, unter anderem anhand von Auflistungen zu „youth“ und „age“ in unterschiedlichen Editionen des Oxford English Dictionary. Hierbei ging sie vor allem auf die von ökonomischen Interessen geleitete Neukodierung von Alter und Lebensstilen ein, die sich aus dem demographischen Wandel und einer stets alternden Gesellschaft ergibt. Besonders deutlich zeige sich die neue, extensive Phase des „Mittelalters“ an der Darstellung des Alters als Prozeß des Lange-Jungbleibens in der Werbung. Im Wettbewerbsdialog der Optiker Fielmann und Apollo glaubte die Referentin eine Reproduktion und ironische Brechung von Geschlechterstereotypen (Stichwort‚vitale’/ ‚lüsterne’ alte Männer) zu beobachten. Insbesondere dieser Punkt sowie der mögliche Adressatenkreis solcher Werbespots mit ‚jungen Alten’ wurden anschließend kontrovers diskutiert. Koll-Stobbe warf zudem die Frage auf, ob das Alter zur Leerstelle werde, wenn man es in solchen Darstellungen ‚verjünge’.
Hohes Alter und Geschlecht in der Feldforschung waren Thema eines Beitrages von Christa Winter-von Lersner (Fulda, Psychologie), der sich mit sozialer Unterstützung im Alter befaßte. Die Sprecherin kam aufgrund ihrer empirischen Forschungen zu dem Ergebnis, daß im so genannten – bisher wenig erforschten Hochalter – (ab 80/85+) die Kategorie Geschlecht bei dem Aspekt sozialer Zufriedenheit keine große Rolle mehr spiele, vielmehr die soziale Integration und Netzwerkbildung von höchster Bedeutung seien.

Der erste Tag des Workshops wurde beschlossen mit der Vorführung eines japanischen Filmes, Yurisai (Lily Festival) von Sachi Hamano, dessen HauptprotagonistInnen alle mindestens 70 Jahre alt sind. Das Tabu der Darstellung von Sexualität im Alter wird hier gebrochen, Fragen nach Begehren, geschlechtlicher Codierung und heterosexueller Matrix verhandelt und durchgespielt. Auch der Aspekt eines möglichen Freiheitsgewinns für alternde Frauen gerade durch ihre Ausgrenzung aus der Gesellschaft wird erkundet. Die Medienwissenschaftlerin Nanna Heidenreich (Berlin) bot eine kundige Einführung. Überzeugend belegten Heidenreich und Lily Festival selbst, wie auch narrative Filme politisches Kino bieten können.

Der zweite Tag begann mit einem anregenden medizinhistorischen Vortrag von Daniel Schäfer (Köln), „Alte Frau = Alter Mann? – Über die Wahrnehmung alter Frauen in der medizinischen Fachprosa des 18. Jahrhunderts“. Diese Wahrnehmung vollzog sich laut Schäfer erst allmählich im Verlauf dieses Zeitraumes. Insbesondere die Menopause als mögliche Krankheitsursache erfuhr zunehmend die Aufmerksamkeit (männlicher) Heilkundler. Doch konnte Schäfer den WorkshopteilnehmerInnen überzeugend darstellen, dass – entgegen Foucaults Thesen – von einer generellen Medikalisierung oder Pathologisierung älterer Frauen hier nicht gesprochen werden könne. Vielmehr handle es sich um einen komplexen und uneinheitlichen Prozess, wie die Quellen belegten.

Das weitere Tagungsprogramm widmete sich der Untersuchung von Alter und Geschlecht unter literatur- und kulturwissenschaftlicher Perspektive.
Zwei Vorträge befassten sich mit „Alter erzählt“ was sowohl alte und alternde Erzählfiguren als auch die Arten, auf die über das Alter(n) erzählt wird, einschloß.
Thomas Küpper (Frankfurt, Medienwissenschaft) schrieb der alternden Frau als Erzählerin in Theodor Storms Novellen eine besondere Rolle zu. Sie verkörpere tradiertes, für die Moderne nutzlos gewordenes Wissen. Gerade aufgrund dieser fehlenden Alltagsrelevanz würde sie ästhetisiert und zum Bezugspunkt der Nostalgie.

Heike Hartung (Greifswald, Anglistik) untersuchte in ihrem Beitrag „The Iron Dowager“ Lebensgeschichten und alte Frauen im englischen und amerikanischen Detektivroman. Auf den ersten Blick scheinen in der gegenwärtigen Kriminalliteratur Profidetektivinnen die schrulligen alten Damen abgelöst zu haben. Dennoch wird die Frage nach Alter und Geschlecht von Detektivinnen im Genre immer wieder neu verhandelt. So führt beispielsweise Sara Paretskys neuer Roman Blacklist (2003) eine historische Perspektive auf die Lebensgeschichte älterer Frauen ein gerade durch das Erzählen dieser Geschichte wird ein Verbrechen aufgeklärt; zudem wird die Detektivin gezeigt, wie sie gegen Symptome des Alterns ankämpft. So werden Alter und Geschlecht auch hier auf besondere Weise sichtbar.

Die letzten drei Vorträge wurden von den Veranstalterinnen unter dem Titel „Performativität und Kulturen des Alter(n)s“ zusammengefasst.
Die Kulturwissenschaftlerin Miriam Haller (Köln) erörterte in „Greisinnen. ‘Ageing trouble’ im literarischen Text“ mögliche kulturwissenschaftliche Ansätze zu einer Theorie des Alterns. Ausgehend vom Konstruktcharakter der beiden Kategorien Alter und Geschlecht schlug sie vor, das Alter analog zu Butlers Konzept der Geschlechtsperformanz zu fassen. Sie benannte drei Topoi des weiblichen Alterns in literarischen Texten, an denen die Performanz der Altersidentität abzulesen sei, das Alterslob, die Altersklage sowie den Altersspott. Während bei der Klage durch Iteration ein Stagnationseffekt erzeugt werde, stelle ein Spotten über das Alter dessen Inszenierungsqualität aus. Daran schloss sich die Frage nach Strategien der Resignifikation kultureller Einschreibungen an. Haller schlug vor, man könne aus ‚Zitaten’ (im Butlerschen Sinne), bei denen die Norm im Grotesken zitiert werde, durchaus von Subversivität sprechen. Sie übertrug hierbei den Butlerschen Begriff der Hyperaffirmation auf die Performanz der Altersidentität und folgerte daraus ein mögliches positives Subversionspotential dieser Performanz, das jedoch nicht unproblematisch sei.

Elfi Bettinger (Braunschweig, Anglistik) sprach in ihrem Beitrag „The Journey Not The Arrival Matters“ zu Virginia Woolf und der Kultur des Alterns. Sie konnte zeigen, wie sich in biographischen Darstellungen durch die Auswahl und den stetigen Abdruck bestimmter Jugendfotografien eine Woolf-Ikonographie herausbildete, welche die Autorin als jugendliche Ikone fixierte. Zudem wurde ihr Leben von ihrem Ende, also ihrem ‚Freitod’ her interpretiert und so romantisch trivialisiert. Diese beiden Stränge der Darstellungstradition sind insbesondere in der Verfilmung von Michael Cunninghams 1998er Roman The Hours (2002, Regie: Stephen Daldry) zu beobachten. Gerade was die Repräsentation von Alter und Geschlecht angeht, erweist sich diese Verfilmung als sehr fruchtbar für eine Untersuchung aus geschlechtergeschichtlicher Perspektive; denn das Leben der Figur Woolfs kulminiert hier in der Fertigstellung ihres Romans Mrs Dalloway (1925), an den sich ihr Suizid (geschehen 1941) unmittelbar anschließt. Somit wird über die romantisierende Darstellung eines grazilen, jungen Talents auch die für die Geschlechterforschung zentrale Frage nach den Implikationen eines solchen Ausblendens des weiblichen Alterungsprozesses aufgeworfen. Bettinger zeigte interessantes Fotomaterial, das belegte, wie Virginia und Leonard Woolf sich auch visuell mit Zeitläufen beschäftigten und durch Fotoserien Zeugnis von ihrem Altern ablegten. Dennoch wurde die junge Virginia als Ikone fixiert.

Die Tagung endete mit einem Vortrag der Romanistin Marlene Kuch (Würzburg), die mit „Konstruktionen und Subversionen weiblicher Altersbilder in der französischen Literatur“ einen Einblick in die Darstellung des alternden weiblichen Körpers in verschiedenen Epochen der französischen Literaturgeschichte gab. Erst die Aneignung des Themas durch Autorinnen habe es ermöglicht, stereotypen Zuschreibungen andere Repräsentationen entgegenzusetzen.

Der Verdienst dieses Workshops ist insbesondere darin zu sehen, die Kategorie des ‚Alters’, die bisher kaum in den Kulturwissenschaften beachtet wurde, in ihrer Wechselwirkung mit der Kategorie ‚Geschlecht’ in den Blick genommen zu haben. Der geplante Sammelband wird demnach nicht nur die Tagung dokumentieren, sondern auch dazu beitragen, eine neue Analysekategorie in der Geschlechterforschung und in den Kulturwissenschaften zu etablieren. Die interessierten und lebhaften Diskussionen werden sicherlich weitere Forschungen zu den beiden Kategorien Alter und Geschlecht in ihrer vielgestaltigen historischen Kontingenz anregen.


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