Kriegsgreuel. Jahrestagung Arbeitskreis Militärgeschichte

Kriegsgreuel. Jahrestagung Arbeitskreis Militärgeschichte

Organisatoren
Arbeitskreis Militärgeschichte (AKM)
Ort
Mainz
Land
Deutschland
Vom - Bis
03.11.2005 - 05.11.2005
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Von
Thomas W. Probst, Universität Mainz

Die Jahrestagung des Arbeitskreises Militärgeschichte (AKM) fand in diesem Jahr vom 3. bis 5. November im Ratssaal zu Mainz statt. Zu der Tagung unter dem Leitthema "Kriegsgreuel" hatten SÖNKE NEITZEL (MAINZ) und DANIEL HOHRATH (ESSLINGEN) geladen.

In der Eröffnung wurden die Ziele der Tagung von Sönke Neitzel klar umrissen: Unter Berücksichtigung zahlreicher Beispiele aus über fünf Jahrhunderten und mehreren Ländern sollten die Ähnlichkeiten und Epochenspezifika des noch immer aktuellen Phänomens der Kriegsgreuel beleuchtet werden, um in einem nächsten Schritt deren Motivationen und die Einflußnahme politischer, konfessioneller und anderer Art zu ergründen.

Der erste Themenblock beschäftigte sich gleichsam mit dem Basiswissen für die folgende Behandlung der Thematik anhand historisch faßbarer Ereignisse.
Der Völkerrechtler UDO FINK (MAINZ) schilderte in seinem Referat "Der Krieg und seine Regeln" den langen Weg des ius in bello, des Rechtes im Kriege, von tradierten Verhaltensweisen im Kriege bis zum schriftlich fixierten Kriegsrecht. Die Erfahrungen zahlreicher Kriege geben bis heute entscheidende Impulse zur Weiterentwicklung kodifizierter Rechtsnormen, deren Anerkennung jedoch unverbindlich bleibt. Die Herkunft des Begriffes Kriegsverbrechen von Johann Caspar Bluntschli und Lassa Oppenheim zeigte DANIEL MARC SEGESSER (BERN) auf. In seinem Vortrag ""Moralische Sanktionen reichen nicht aus!" Die Bemühungen um eine strafrechtliche Ahndung von Kriegsverbrechen auf nationaler und internationaler Ebene" schlug er einen Bogen von der sakralen Bewältigung der als Unrecht empfundenen Kriegsgrausamkeiten in der Frühen Neuzeit über die ersten Zwangsversuche zur Rechtfertigung seitens der Verantwortlichen für die offenbaren Regelverstöße bis zur juristischen Aufarbeitung vor dem 1998 etablierten Internationalen Strafgerichtshof in Den Haag.

JAN MARTIN LEMNITZER (HEIDELBERG/ LONDON) beendete den ersten Tag mit dem Referat "Seekrieg und Kriegsgreuel im 19. Jahrhundert". Vor dem Hintergrund seewärtiger Bombardierung von Küstenstädten oder der Kaperei und dem Plündern zu See ging er der Frage nach, ab wann Kriegsgeschehnisse als Greuel empfunden wurden und sich daraufhin eine Normierung im Völkerrecht ergeben mußte.

Die "Kriegsgreuel in der Schlacht von Agincourt (1415)" thematisierte MARTIN CLAUß (REGENSBURG) als erster Referent am Folgetag. In seinem Vortrag, der das historische Ereignis exemplarisch der literarischen Verarbeitung durch Shakespeare gegenüberstellte, wurde deutlich, daß die Beurteilung einer kriegerischen Handlung als Kriegsgreuel zeitabhängig ist. Was ereignisnah und selbstkritisch als Ergebnis eines selbstverschuldeten Führungsfehlers angesehen wurde, faßte die nachmalige literarische oder historische Perzeption als losgelöste Greueltat auf.

OLIVER LANDOLT (SCHWYZ) lenkte den Blick in die Schweiz und beleuchtete "Kriegsgreuel und Kriegführung der spätmittelalterlichen Eidgenossenschaft". Allein die von den Eidgenossen angedrohten Kriegsgreuel, deren historische Beispiele kolportiert worden waren, übten einen derartigen psychologischen Druck auf den Gegner aus, daß dieser gefügig wurde. Der Sempacherbrief (1393) als kodifizierte Kriegsordnung hingegen blieb für die realiter vorkommenden Kriegsgrausamkeiten ebenso indifferent und unzureichend wie die zur Untersuchung von Söldnertaten zuständige Tagsatzung. Psychische Heilung sowie Absolution erhofften sich die der Greuel schuldig gewordenen Soldaten durch Opfergaben und Mahnmalbau.

"Die Frage der Gewalt in der Eroberung Amerikas (1519-1566)" war das Thema von ANJA BRÖCHLER (KÖLN). Militär, Hernando Cortés, und Dominikanermönch, Bartolomé de las Casas, standen sich in der Bewertung militärischen Vorgehens gegen die indigene Bevölkerung konträr gegenüber: Eine gewisse Grenzenlosigkeit der Gewalt schien dem einen militärtaktisch gerechtfertigt und der Herrschaftssicherung dienlich, wohingegen dem anderen ebendies ein Indiz für die Selbstdarstellungssucht eines "göttliches Recht" brechenden Soldaten waren, der die Möglichkeit der Missionierung nicht als Alternative zur Vernichtung gesehen habe.

Die "Kriegsgreuel als Verhaltensmuster der Soldaten" im Dreißigjährigen Krieg lassen sich nicht alleine durch eine gegen den "Turk" entfesselte violentia verstehen. Ihre Ursache werde, so MICHAEL KAISER (KÖLN), vor allem im Verhalten gegen Zivilisten deutlich. Die Zivilbevölkerung wurde demnach im kriegerischen Konflikt nicht nur Opfer zufälliger Kolateralschäden oder mangelnder Disziplin. Kriegsgreuel gegen sie wurden funktionalisiert, um einerseits "Drohgebärden" beispielsweise bei Belagerungen aufzubauen und andererseits die Überlegenheit des Söldners gegenüber dem Zivilisten kontinuierlich zu demonstrieren, den eigenen Stand zu behaupten.

SASCHA MÖBIUS (MAGDEBURG) verdeutlichte, was die Soldaten selbst als Kriegsgreuel auf dem Schlachtfeld empfanden. In seinem Referat "Kriegsgreuel auf dem Schlachtfeld im Siebenjährigen Krieg zwischen militärischem Kontext und Erinnerungskultur" erhellte er die truppeninterne Differenzierung der Greueltat. Übermäßige Opferzahlen in einer Schlacht oder das häufiger als dreimalige Zusammentreffen mit dem Gegner sowie die Tötung sich ergebender oder fliehender Soldaten wurden als "Abweichung von der Regel" und somit als Verbrechen aufgefaßt. Die exzessivere Kriegführung gegenüber "ethnisch-national minderwertig wahrgenommenen Gegnern" war allerdings von jener Klassifizierung ausgenommen.

Um einen neuen Aspekt bisweilen verbrecherischer Konfliktaustragung in einem kleinen Krieg, der Guerilla, erweiterte LUDOLF PELIZAEUS (MAINZ) den Horizont, indem er den "Gründe(n) für die Radikalisierung des Kampfes der Französischen und Rheinbundtruppen gegen die "Guerilla" 1808-1813" nachging. Die abscheuliche Besonderheit einer Trias aus "Überfall, Tötung und Verstümmelung", der die französischen Truppen gleichsam in einem Bandenkrieg auf der Iberischen Halbinsel und Neapel ausgeliefert waren, machte in Europa keine Schule. Die Eigentümlichkeiten der Besetzung, ihre Umstände und klimatischen, militärstrategischen, mentalen Bedingungen sowie eine von Klerikern und Mönchen rege betriebene Propaganda gegen die Besatzer fanden in Europa kein Äquivalent und machen diese Guerilla einzigartig.

Mit STEFFEN BRUENDELS (FRANKFURT/ MAIN) Vortrag "Kriegsverbrechen im Ersten Weltkrieg und ihre Aufarbeitung im Spannungsfeld von Völkerrecht und Kriegspropaganda" kam die Tagung thematisch im 20. Jahrhundert an, das im Hinblick auf Kriegsgreuel gemeinhin die meisten Assoziationen weckt. Steffen Bruendel beleuchtete die nicht planmäßigen, aber durchaus angeordneten Greueltaten der Deutschen in der Anfangsphase des Ersten Weltkrieges, deren Ursache in einer "Franctireurspsychose" und der soldatischen Überanstrengung zu suchen seien. Die vernachlässigte "Kriegsmanier" wurde unmittelbar von den Alliierten propagandistisch aufgegriffen und hielt letztlich noch Einzug in den Versailler Friedensvertrag, wonach sich das Leipziger Reichsgericht der Verantwortlichen für die nachweisbaren Kriegsgreuel annehmen sollte. Der Versuch dieses frühen Kriegsverbrecherprozesses konnte für die Zeit nach 1945 nur als Negativbeispiel dienen.

Bevor am letzten Tag der Jahrestagung auf den Zweiten Weltkrieg eingegangen werden sollte, analysierten GERHARD HIRSCHFELD (STUTTGART) und JEAN-PAUL CAHN (PARIS) in ihren Vorträgen das grausame Vorgehen in kolonialen Konflikten der Nachkriegszeit. Gerhard Hirschfeld sah die "Kriegsgreuel der Niederländer in Indonesien 1945-1949" einerseits von rassistisch-nationalistischem Gedankengut der Niederländer bedingt, die andererseits in Indonesien ihren seit 1940 empfundenen Opferstatus in einer "Sphäre relativer Isolierung" weit entfernt vom Mutterland und zudem in erklärter zahlenmäßiger Unterlegenheit, was "Exzeßtaten" zu legitimieren schien, zu kompensieren versuchten. In Jean-Paul Cahns Referat über die "Kriegsgreuel im Algerienkrieg (1954-1962)" kristallisierte sich ebenso die These heraus, daß Greueltaten einer zuvor traumatisch empfundenen Niederlage - Niederlage der Franzosen in Indochina - sowie der Adaption der Guerillakriegtechniken und somit der situationsbedingten Abkehr von der traditionellen Kriegführung entsprangen. Die Gewißheit der Straffreiheit für folternde französische Offiziere tat ihr übriges bei der "beiderseits zumindest akzeptierte(n) Eskalation der Gewalt".

BJÖRN OPFER (LEIPZIG) thematisierte unter dem Titel "Vom Befreier zum Unterdrücker - Bulgarische Kriegsgreuel 1912-1944" die vor allem nach den militärischen Konflikten einsetzenden Verbrechen in Gestalt von Vertreibung, Internierung, Deportation und Liquidierung. Diesen waren diejenigen Volks- und Gesellschaftsgruppen auf dem Balkan ausgeliefert, die gegen die "Bulgarisierungspolitik" opponierten. Die Genfer Konvention wurde seitens der Bulgaren am 6. Oktober 1941 gleichsam offiziell außer Kraft gesetzt, woraufhin bandenmäßige Gewalt und z. T. ebensowenig institutionalisierte bulgarische Gegengewalt stetig zunahmen. Die selbstperpetuierende Spirale der Willkür und Überwachung produzierte Angst und diskreditierte den bulgarischen Nationalismus auf Jahrzehnte.

Daß auch Befehle zur Gewalttätigkeit nicht zwingend zu einer nicht mehr steuerbaren Gewalteskalation führen mußten, bewies KLAUS SCHMIDER (SANDHURST) mit der Darstellung "Deutscher Kriegsverbrechen in Jugoslawien 1941-1944". Repressionsmaßnahmen deutscher Truppen hingen, das zeigte das Beispiel des Kommandierenden Generals in Serbien, Paul Bader, vom jeweiligen Befehlshaber und dessen Mut zur Ausschöpfung von Handlungsspielräumen, die jeder Befehl ließ, ab.

Erweitert wurde diese Einschätzung durch die auf Dissertationsprojekten basierenden Referate von FELIX RÖMER (FREIBURG/ KIEL) und PETER LIEB (SANDHURST). Sie destillierten den Faktor der ideologischen Durchdringung des kämpfenden Soldaten als Ursache zur Bereitschaft und zur Durchführung von Kriegsgreueln heraus. Den gleichsam positiven Beweis gab Felix Römer durch die Beleuchtung der "Gefangenenerschießung und Gewalteskalation im deutsch-sowjetischen Krieg 1941/42". Die propagandistische "Dämonisierung" des Gegners führte zwar nicht zu einem einheitlichen, verbrecherischen Verhalten der Truppenführer, lieferte aber einen Kausalnexus für die anfänglich extensiv betriebene Erschießung sowjetischer Kriegsgefangener. Mit der Erkenntnis einer dadurch erzielten Potenzierung der Gewalt, deren rückwirkender Schaden unermeßlich sei, wurde nicht zuletzt durch schonende Behandlung von Kriegsgefangenen eine Deeskalation angestrebt, die allerdings, nach dem Scheitern der Operation Barbarossa, die Ausnahme blieb.
Der Transfer eines Weltanschauungskrieges vom Osten auf die Westfront, zur Ausschöpfung aller Mittel für den "Endsieg", scheiterte, so Peter Lieb in dem Referat "Eskalation und Deeskalation an der Westfront 1944", bis auf wenige Ausnahmen. Obgleich primär die indoktrinierten Waffen-SS-Verbände und elitäre Fallschirmjägereinheiten der Wehrmacht unmittelbar nach der Landung Kriegsverbrechen begangen hatten, blieb der Krieg im Westen weitgehend "ritterlich". Ebenfalls zu konstatierende alliierte Kriegsgreuel ließen sich neben herrschender Disziplinlosigkeit und der Motivation durch Hasspropaganda und Revanchegedanken vor allem der Überlegung zuschreiben, durch übermäßige Kriegführung eine lokal initiierte Entscheidung des Krieges herbeiführen zu wollen.

Die Tagung hat deutlich gemacht, daß Kriegsgreuel eine "Kultur der Folter" wider spiegelten (Stig Förster). Sie sind eine zeit- und situationsabhängige "Modeerscheinung". Der stetige Wandlungsprozeß der Umsetzung und des Verständnisses von Greueltaten, die selbst der Logik des Krieges enthoben seien, wurde in den zahlreichen Fallbeispielen präsent. Es sei gezeigt worden, daß sich die menschliche Fähigkeit und Bereitschaft zur Gewalteskalation nicht "einhegen" lasse - z.B. durch die Genfer Konventionen - und eher die "Regel als Ausnahme" gewesen ist und wohl auch bleibe.


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