Kunst und Kulturtransfer zur Zeit Karls des Kühnen. Internationales Kolloquium

Kunst und Kulturtransfer zur Zeit Karls des Kühnen. Internationales Kolloquium

Organisatoren
Universität Bern (Prof. Dr. Norberto Gramaccini und PD Dr. Marc Carel Schurr) in Kooperation mit dem Historischen Museum Bern
Ort
Bern
Land
Switzerland
Vom - Bis
18.07.2008 - 19.07.2008
Url der Konferenzwebsite
Von
Jonas Kallenbach, Institut für Geschichte und Theorie der Architektur, Eidgenössisch Technische Hochschule Zürich

Die vom 25. April bis 24. August 2008 stattfindende Ausstellung „Karl der Kühne (1433 - 1477)“ in Bern stellt eine hochkarätige Schau zur Kulturgeschichte Europas der Zeit Karls des Kühnen dar und ermöglicht grossartige Einblicke in die Kunstproduktion der zweiten Hälfte des 15. Jahrhunderts. Doch obwohl die burgundisch-niederländische Hofkultur zu den Blüten der europäischen Kulturgeschichte zählt, spricht man in der kunsthistorischen Forschung nicht von einer „Zeit Karls des Kühnen“ wie man dies etwa zeitgleich für die florentinische Kunstentwicklung tut (Lorenzo de Medici). Anlass genug, ein internationales Kolloquium zu veranstalten, welches sich mit der Frage nach „Kunst und Kulturtransfer zur Zeit Karls des Kühnen“ beschäftigt. Organisiert durch die Universität Bern (Prof. Dr. Norberto Gramaccini und PD Dr. Marc Carel Schurr) in Kooperation mit dem Historischen Museum Bern, stellten sich die Referenten der Herausforderung, die Kunstproduktion zur Zeit Karls des Kühnen in der europäischen Kulturgeschichte zu verankern und Zusammenhänge zwischen individueller Herrscherbiografie, Hofkultur und politischen Ereignissen herauszuarbeiten.

Einleitend stellte NORBERTO GRAMACCINI (Bern) die Tagung unter das Motto des „Kunst- und Kulturtransfers“. Gerade in Bern eine stimmige Fragestellung. Widmet sich doch hier seit einem Jahr das Graduiertenkolleg „Kunst als Kulturtransfer seit der Renaissance“ (Universitäten Bern, Basel und ETH Zürich) den Austausch- und Transferprozessen des ausgehenden Mittelalters und der Frühen Neuzeit.

Vormittagssession 18. Juli 2008:

RENATE PROCHNO (Salzburg) eröffnete die Tagung mit einem Vortrag über die Bildnisse Karls des Kühnen. Ausgehend von dem wohl bekanntesten Bildnis des Burgunderherzogs (Rogier van der Weyden um 1460, Berlin/Gemäldegalerie) vertrat Prochno die These, dass es DAS verbindliche Porträt von Karl nicht gebe. Anhand weiterer Beispiele der Tafelmalerei, Buchmalerei und Goldschmiedekunst zeigte die Referentin auf, dass Karl durch eine den Darstellungen innewohnende Unverbindlichkeit immer wieder von neuem erfunden werden konnte. Mit einem Überblick über die Rezeptions- und Darstellungsgeschichte des Burgunderherzogs (bis ins 19. Jahrhundert) zeigte Prochno auf, dass Karl der Kühne die Betrachter bis heute fasziniert.

SCOT McKENDRICK (London) widmete sich zwei Versionen des Romuléon, einer Sammelhandschrift zur Geschichte Roms. Er griff die Versionen in Florenz und Niort heraus, um das Interesse Karls des Kühnen für Rom zu veranschaulichen. Mit Querbezügen und Textvergleichen zwischen der Florentiner Version und der Abschrift in Niort zeigte McKendrick auf, dass die Ausgabe in Niort anhand der Florentiner Version erstellt wurde. Die Präsenz der Florentiner Version des Romuléon könne in den 1480er Jahren in der Lorraine nachgewiesen werden. McKendrick schloss mit der These, dass sich das Florentiner Romuléon bis zu Karls Tod in dessen Besitz befunden habe und in der Form eines Talismans auch auf dem Schlachtfeld mitgeführt wurde. Als Kriegsbeute sei das Romuléon dann in den Besitz des Herzogs von Lothringen (René II.) gekommen.

FABIENNE JOUBERT (Paris) widmete sich den Feierlichkeiten, welche 1468 in Brügge anlässlich der Hochzeit Karls des Kühnen und Margareta von York stattfanden. Joubert beleuchtete die Frage, inwieweit sich die politischen Ereignisse in Werken der Kunst reflektierten und in welcher Form Kunstwerke zur politischen Propaganda und Machtdemonstration genutzt wurden. Die Beschreibung des Engländers John Paston und diejenige des Burgundischen Hof-Chronisten Olivier de la Marche würden die entscheidende Bedeutung der visuellen Dimension der Festivitäten bezeugen. Weiter beschrieb Joubert die Bedeutung der Malerei und zeigte anhand von Maler-Listen auf, inwieweit Informationen zur Arbeitsweise der Maler und zu deren Wertschätzung durch die Auftraggeber gewonnen werden können. Wichtig sei festzuhalten, dass nebst Malern wie Jehan Hennecart, Vrancke van der Stockt und Jacques Daret so gewichtige Namen wie Hans Memling und Petrus Christus in den Listen fehlen würden.

Nachmittagssession 18. Juli 2008:

In der Form eines „experimentellen Vortrags“ (Crossley) näherte sich PAUL CROSSLEY (London) dem Verhältnis zwischen europäischer Gotik und Karl dem Kühnen. Während in England seit Edward dem Bekenner grossartige Sakralbauten gestiftet worden seien, könne in Frankreich einzig Notre-Dame in Clery als königlicher Bau bezeichnet werden (Ludwig XI.). Karl der Kühne stehe auch in dieser Tradition. Beim Palast auf dem Coudenberg (Brüssel) hätte sich der Burgunderherzog mehr um dessen Ausstattung gekümmert (Millefleurs-Tapisserien im Berner Museum). Als Ironie der Architekturgeschichte könne gelten, dass Karl unfreiwillig den grössten Kirchenbau Lothringens des ausgehenden 15. Jahrhundert initiiert habe. So errichtete René II., Herzog von Lothringen, ab 1481 die Basilika von Saint-Nicolas-de-Port anlässlich seines Sieges über Karl in der Schlacht von Nancy (1477). Möglichkeiten seien durchaus vorhanden gewesen, Bauprojekte zu verwirklichen. In Flandern, Brabant und den südlichen Niederlanden habe der Bautypus der great church um die Mitte des 14. in seinen Höhepunkt erreicht. Karl hätte diese Werke sicher gekannt, doch seine Vorliebe habe Tapisserien, Buchillustrationen und Votiv-Bildern gegolten. Sakralarchitektur sei den mächtigen Städten Flandern und Brabants vorbehalten gewesen, wohingegen sich die Herzöge Burgunds der bildenden Kunst bedienten, um jene für ihre Ziele zu instrumentalisieren.

BRIGITTE KURMANN-SCHWARZ (Zürich) widmete sich den „schwarzen Löcher der Bauten“ (Glasmalerei). In einem Überblick über die Herrschaftszeit der Valois stellte die Referentin die Entwicklung der Glasmalerei dar und vermittelte ein Bild der – leider spärlich erhaltenen – Kunstwerke. Bis zum Tod von Johann Ohnefurcht (1419) habe sich die Glasmalerei Burgunds an Frankreich orientiert. Durch Vergleiche mit Glasmalereien, welche allesamt mit den nördlichen Niederlanden in Beziehung gebracht werden können, zeigte Kurmann-Schwarz die Austauschbeziehungen innerhalb des Herzogtums Burgund auf. Festzuhalten sei, dass die burgundischen Herzöge nicht geringe Summen für Glasmalerei ausgegeben hätten. Diese hätten die Funktion gehabt, einem grösseren Publikum die Stifter zu vergegenwärtigen (stabilitas loci) und Macht und Reichtum der Herzöge Burgunds zu bezeugen.

PHILIPPE LORENTZ (Strassburg) stellte in seinem Vortrag mit Jacob de Litemont eine Künstlerpersönlichkeit des 15. Jahrhunderts vor. Der herausragende Maler der Mitte des 14. Jahrhunderts sei zwar Jean Fouquet gewesen, eigentlicher Hofmaler dagegen besagter Jacob de Litemont. Ab 1451 fassbar, sei der Flame Jacob de Litemont anlässlich des Begräbnisses von Karl VII. (gest. 1461) tätig gewesen und dann von Ludwig XI. an dessen Hof geholt worden. Lorentz vertrat die These, dass Jacob de Litemont mit dem Maître de Jacques Coeur in Bourges identifiziert werden könne, welcher dort in den 1440er Jahren attestiert ist (Hôtel de Jacques Coeur / Kapelle Jacques Coeur). Weiter gehöre Litemont zum Umkreis der van Eyck-Schule und könne als alternativer Malertypus zu einem Jean Fouquet verstanden werden.

SUSAN MARTI (Bern) stellte dem Sakramentzyklus des Jakob von Savoyen (Stickereien) Silberstift-Zeichnungen gegenüber, die sich in Paris und Oxford befinden. Ausgehend vom Madrider Erlösungs-Triptychon des Vrancke van der Stockt zeigte Marti dessen enge Beziehung zu Rogier van der Weyden auf (Sakraments-Triptychon). Ein Chormantel im Historischen Museum Bern (1536) zeige in seinen Stäben, Rückenschild und Schliessen ebenfalls Stickereien, welche die Sakramente darstellen. Auftraggeber sei besagter Jakob von Savoyen gewesen, der den Chormantel wohl in den 1470er Jahren habe anfertigen lassen. Marti verglich diese Stickereien mit einem Zeichenzyklus, welcher sich in Oxford und Paris befindet und im Umkreis des Vrancke van der Stockt zu situieren ist. Anhand der stilistischen und motivischen Ähnlichkeiten zwischen den Zeichnungen aus Oxford/Paris und den Berner Sakramentstickereien könne der Transfer einzelner Motive von einer Gattung in eine andere nachvollzogen werden (Zeichnung – Gemälde – Stickerei).

Öffentlicher Abendvortrag 18. Juli 2008:

In seinem öffentlichen Abendvortrag wies THOMAS DACOSTA KAUFMANN (Princeton) auf die Aktualität der Kulturtransferdebatte hin. Bezeugt werde dies durch diverse Grossprojekte in ganz Europa. Neben dem Erlanger („Kulturtransfer im europäischen Mittelalter“) und dem Schweizer Graduiertenkolleg („Kunst als Kulturtransfer seit der Renaissance“, Bern/Basel/Zürich) würden weitere Projekte in Belgien und den Niederlanden stehen. Nach einer kleinen Entstehungsgeschichte der Kulturtransferdiskussion – verknüpft mit einer kritischen Beurteilung der verschiedenen Ansätze – führte DaCosta Kaufmann aus, wie die Burgundische Hofkultur in ganz Europa wahrgenommen wurde und welche Transferprozesse zu beobachten sind. Zentral sei der Aspekt der Träger (agents) von Kultur. Mit der Ausweitung auf Spanien, Portugal, Skandinavien und Osteuropa zeigte DaCosta Kaufmann auf, wie vernetzt das Europa des ausgehenden 15. Jahrhunderts war. Abschliessend erweiterte DaCosta Kaufmann die Transferdebatte, indem er Austauschprozesse im Zuge der Entdeckung der Neuen Welt beschrieb und zeigte, wie durch die Verschmelzung einheimischer Elemente mit fremden Modellen Kunstwerke von grosser Hybridität entstanden sind.

Vormittagssession 19. Juli 2008:

JOHANNES TRIPPS (Leipzig) versuchte das Rätsel der Wolkenbilder auf den Berner Cäsar-Tapisserien zu lösen. Fänden sich doch nebst normalen Wolkendarstellungen zoomorphe Gestalten. Ob diese der Phantasie der flämischen Maler oder den Webern der Teppiche entsprungen sind, versuchte Tripps in seinen Ausführungen zu beleuchten. Anhand einiger Beispiele zeigte Tripps auf, wie im Italien der Renaissance Wolkenbilder der Phantasie der Maler entsprangen. Galt doch das Renaissance-Prinzip von Makrokosmos/Mikrokosmos, stellte doch der Mensch eine Welt im Kleinen dar. Dieses Prinzip sei auch im Norden beobachtbar (z. B. „Felsengesicht“ auf der Berner Version von Niklaus Manuels Enthauptung Johannes des Täufers, 1515). Hier sei dieses Motiv aber einer eigenen Tradition verpflichtet. Wurde doch gewissen Himmelskonstellationen schon im 13. Jahrhundert zusätzliche Bedeutungen zugemessen (Albertus Magnus) und als (schlechte) Vorzeichen gedeutet.

ANNEMARIE STAUFFER (Köln) stellte fest, dass wenig Literatur über die burgundischen Textilien existiere. Als Medien der Selbstinszenierung hätten jene aber gerade im Kontext Karls des Kühnen eine wichtige Rolle gespielt. Mit der Schilderung der Handelsbedingungen in Brügge (Tommaso Portinari) zeigte Stauffer auf, wie man sich den Warenaustausch zur Zeit Karls des Kühnen vorzustellen habe. Mit Beispielen aus dem Historischen Museum von Bern veranschaulichte die Referentin, welcher Aufwand am burgundischen Hof betrieben wurde, um Macht und Reichtum in Szene zu setzen. Weiter zeigte Stauffer auf, wie einzelne Stücke aus der Burgunderbeute in liturgische Kleidungsstücke eingearbeitet wurden. Die Wertschätzung der Stoffe werde dadurch bezeugt, dass Karl der Kühne noch in den 1470er Jahren neben aktuellen Stoffen einige Stoffbahnen von 1450 mit sich führte.

Mit einem Impulsreferat stellte ROBERT SUCKALE (Berlin) einige weniger bekannte Werke der Zeit Karls des Kühnen vor. Er wies darauf hin, dass die Historiker zwar ein Zeitalter der Herzöge von Burgund aus dem Hause Valois benennen würden, dass eine Trennung zwischen Philipp dem Guten und dessen Sohn Karl aber nicht existiere. Die Szene des Aufbruchs des Markgrafen von Thüringen (Retabel, Elisabethkirche Kaschau) nahm Suckale als Ausgangspunkt für einige Beobachtungen. Obwohl nüchtern thematisiert, widerspiegle die Szene das Interesse des Malers am höfischen Abschiedszeremoniell (Kniemotiv). Mit der Frage, was eigentlich burgundisch am Hof der Herzöge Burgunds gewesen sei, öffnete Suckale ein weiteres Feld und zeigte auf, dass Maler wie Robert Campin und Rogier van der Weyden keine eigentlichen Hofkünstler waren. Das Widmungsbild der Chroniques de Hainaut (Rogier van der Weyden oder Vrancke van der Stockt, um 1448) zeige weiter, dass das subtil abgestufte Herrschaftszeremoniell mit den alten Bildtraditionen nicht dargestellt werden konnte. Abschliessend sei festzuhalten, dass die europäische Kunst von 1440 bis 1480 durchaus vom burgundischen Hof beeinflusst worden sei.

ULRIKE HEINRICHS (Berlin) stellte das Werk des Meisters W vor, einer eigentümlichen und doch virtuosen Künstlerpersönlichkeit des 15. Jahrhunderts. Seine Biographie müsse anhand der Werke erschlossen werden. Ein Teil seiner Werke würden Ausschnitte aus der burgundischen Kunstproduktion darstellen. Mit dem Vergleich zwischen Meister W (Bischofsstab) und Martin Schongauer (Bischofstab, Weihrauchfass) zeigte Heinrichs Gemeinsamkeiten und Parallelen auf. Auffällig sei, dass Meister W fast keine figürlichen Darstellungen verwende. In seiner „malerischen“ Behandlung der Oberflächen rückte Heinrichs das Werk von Meister W in die Nähe von Entwurfszeichnungen (vgl. Visierung Jörg Syrlins für den im Bildersturm zerstörten Hochaltar im Ulmer Münster). Heinrichs schloss auch nicht aus, dass einzelne Stiche Unikate seien (Spezialisierung von Meister W).

Nachmittagssession 19. Juli 2008:

Mit den Gewandschliessen der Berner Stadttrompeter rückte PETER JEZLER (Bern) Objekte der laufenden Ausstellung in den Blickpunkt der Betrachtung. Die Silberarbeiten sind seit dem 16. Jahrhundert in Bern attestiert und von hoher werktechnischer Qualität. Anhand schriftlicher Quellen zeigte Jezler die Bedeutung und den Aufgabenbereich von Stadtmusikern auf. Um die Qualität der Berner Abzeichen zu veranschaulichen verglich Jezler jene mit Chormantelschliessen des Ordens vom Goldenen Flies (Wien). Motivische und strukturelle Besonderheiten würden die Vermutung zulassen, dass die Berner Abzeichen nicht in Bern gefertigt wurden. Durch das Auseinandernehmen der Abzeichen erhärte sich die These, dass der Berner Schild erst nach den Burgunderkriegen die Abzeichen zierte. Mit einem Vergleich mit den Abzeichen der Stadt Gent (1482) schloss Jezler, dass die Berner Stadtpfeifer-Abzeichen wiederverwendete Werke aus der Burgunderbeute seien.

MARC CAREL SCHURR (Freiburg/Schweiz) stellte mit der Pérolles-Kapelle in Fribourg ein architektonisches Kleinod vor, welches vom sozialen Aufstieg der Familie von Diesbach zeugt. Christoph von Diesbach habe das Château de Pérolles samt Privatkapelle wohl bis 1516 errichten lassen. Die Kapelle zeuge vom veränderten Selbst- und Standesbewusstsein. Als Vergleichsrahmen habe kein geringerer Bautypus als die Pariser Sainte Chapelle Ludwig des Heiligen gedient. Schurr stellte heraus, dass Nachfolgebauten der Sainte-Chapelle (Riom, Châteaudun, Aigueperse) allesamt im Umkreis der Königsfamilie entstanden seien und dass dieser Aspekt wohl auch von Christophe de Diesbach wiederaufgegriffen wurde. Mit der Vermutung, dass Pérolles auf die Sainte-Chapelle in Chambéry (Herzöge von Savoyen) Bezug nimmt und dass durch die Darstellung des Grabtuchs Christi (Glasmalerei) der alleinige Anspruch der Herzöge von Savoyen auf diese Reliquie untergraben werden sollte, zeigte Schurr, dass die Pérolles-Kapelle als politisches Statement einer innerhalb weniger Generationen von Kaufleuten zu (Hoch)Adel aufgestiegenen Familie verstanden werden kann.

JAN CHLIBEC (Prag) begann seinen Vortrag mit dem Bericht einer Tschechischen Gesandtschaft, welche zwischen 1466 und 1470 Westeuropa bereiste. Weiter schilderte Chlibec, wie die Exekution Savonarolas in Tschechien aufgenommen wurde und wie sich die Nicht-katholischen Kreise Böhmens für die Schriften Savonarolas interessiert. Generell sei Tschechien den Einflüssen aus Italien (Kultur) nicht verschlossen gewesen. Mit der Gegenüberstellung von Jan Hus und Savonarola erläuterte Chlibec anschliessend die Faszination der Utraquisten für Savonarola und zog den Schluss, dass im 15. Jahrhundert eine neue Form von italienisch geprägtem Livestyle nach Böhmen gekommen sei, welchem die Utraquisten in Berufung auf Savonarola zu begegnen suchten.

BRUNO KLEIN (TU Dresden) wählte eine komplementäre Betrachtungsweise und stellte die Frage in den Raum, ob das Fehlen von Architektendynastien in unmittelbare Nähe zum Burgundischen Hof mit der Absenz einer eigentlichen Hofarchitektur zu erklären sei. Anschliessend lieferte er eine „telefonbuchartige Aufzählung“ (Klein) der wichtigsten Werkmeisterfamilien des 14. bis 16. Jahrhunderts, die von den Parlern über die Ensinger, Böblinger und Roriczer bis hin zu den Keldermans führte. Diese Baumeisterfamilien würden sich vorwiegend in den Reichsstädten Süddeutschlands und in den Niederlanden und Spanien finden. Dies lasse eine spezifische Auftragslage vermuten, welche es den Familien über mehrere Generationen hinweg erlaubt habe, den gleichen Beruf auszuüben (Hofkünstler vs. Baumeisterdynastie). Einziger Ausnahmefall sei Peter Parler unter Karl IV. (Sonderform eines „dynastischen Hofkünstlers“).

KLÁRA BENEŠOVSKÁ (Prag) stellte einige Gesichtspunkte der tschechischen Forschung zum Thema der „Junckherren von Prag“ vor. Nach einem Überblick über die Beiträge zum Thema der Junker von Prag zeigte Benešovská anhand schriftlicher Quellen das häufige Auftreten dieser Junker in Prag auf. In Zusammenhang mit Paniczi/Junker würden sowohl Werke der Bildhauerei, der Malerei, der Goldschmiedekunst und der Architektur stehen. Das vermehrte Auftreten dieser Paniczi lege den Schluss nahe, dass unter Paniczi eher eine Art Berufsbezeichnung zu verstehen sei, denn eine konkrete Künstlerfamilie. Mit dem Vergleich Prag (Veitsdom) – Strassburg (Münster) zeigte Benešovská, wie Einzelformen in der europäischen Architekturgeschichte wanderten, übernommen wurden und weiterwirkten.

Zusammenfassung

Die Berner Tagung zeichnete in ihrer Vielfältigkeit ein lebendiges Bild der Auseinandersetzung mit der Kunstproduktion im Zeitalter Karls des Kühnen. Einmal mehr wurde veranschaulicht, dass Kunst und Kulturtransfer mehr beinhaltet als den simplen Warenaustausch nach dem Sender-Empfänger-Prinzip. So sind Transferprozesse im Bereich der Kunstwerke (Transfermedien), der Kultur (Hofkultur), aber auch im Bereich der Sozialgeschichte (Aufstieg einzelner Familien) feststellbar. Den Organisatoren ist es gelungen, eine hochkarätige Tagung auf die Beine zu stellen, welche in ihrer interdisziplinären Zusammensetzung die Frage erhellte, ob im Bereich der Kunstgeschichte von einem Zeitalter Karls des Kühnen gesprochen werden kann. Der Dialog zwischen den Referenten und dem fachkundigen Publikum erwies sich in den anschliessenden Diskussionen als ausserordentlich fruchtbar.

Eine Veröffentlichung der einzelnen Beiträge ist geplant und überaus begrüssenswert.

Kurzübersicht:

Vormittagssession 18. Juli 2008:

Renate Prochno (Salzburg): Bildnisse Karls des Kühnen.

Scot McKendrick (London): Charles the Bold and the “Romuléon”: reception, loss and influence.

Fabienne Joubert (Paris): Le mariage de Charles le Téméraire et Marguerite d’York, Bruges 1468, et ses implications artistiques.

Nachmittagssession 18. Juli 2008:

Paul Crossley (London): European Gothic in the reign of Charles the Bold (1465-77). A Black hole?

Brigitte Kurmann-Schwarz (Zürich): Gläserne Bilder zur Zeit der burgundischen Herzöge. Überlieferung, Form und Funktion.

Philippe Lorentz (Strassburg): Un artiste flamand à la cour de Charles VII et de Louis XI: Jacob de Litemont (le Maître de Jacques Cœur?).

Susan Marti (Bern): Die Sakramentenstickereien des Jakob von Romont und die Silberstift-Zeichnungen aus Paris und Oxford.

Öffentlicher Abendvortrag 18. Juli 2008:

Thomas DaCosta Kaufmann (Princeton): Cultural Exchange: Some Global Considerations.

Vormittagssession 19. Juli 2008:

Johannes Tripps (Leipzig): Nordisches Spätmittelalter oder italienische Frührenaissance? Zum Rätsel der Wolkenbilder auf den Cäsartapisserien des Historischen Museums in Bern.

Annemarie Stauffer (Köln): Italienische Seiden am burgundischen Hof.

Robert Suckale (Berlin): Wenig bekannte Bilder der Epoche Karls des Kühnen.

Ulrike Heinrichs (Berlin): Das Werk des Meisters W mit der schlüsselförmigen Hausmarke. Motiv und Bildbegriff.

Nachmittagssession 19. Juli 2008:

Peter Jezler (Bern): Die Gewandschliessen der Berner Stadttrompeter.

Marc Carel Schurr (Fribourg): Kostbares Glas auf der grünen Wiese: Die Pérolles-Kapelle in Freiburg (Schweiz) und ihre Glasgemälde.

Jan Chlibec (Prag): Reasons of Savonarola’s popularity in the land of heretics.

Bruno Klein (Dresden): Architektendynastien im 15. Jahrhundert.

Klará Benešovská (Prag): Les „Junckherren von Prag“ sous la perspective de la recherche tchèque.


Redaktion
Veröffentlicht am
Klassifikation
Region(en)
Weitere Informationen
Land Veranstaltung
Sprache(n) der Konferenz
Deutsch
Sprache des Berichts