46. Büdinger Gespräche: Künstler als Elite - Teil I: Frühe Neuzeit

46. Büdinger Gespräche: Künstler als Elite - Teil I: Frühe Neuzeit

Organisatoren
Ranke-Gesellschaft und Institut für Personengeschichte Bensheim Inhaltliche Konzeption: Markus A. Denzel und Veronika Darian, Universität Leipzig
Ort
Büdingen
Land
Deutschland
Vom - Bis
27.03.2008 - 29.03.2008
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Von
Sabine Todt, SP Sozial- und Wirtschaftsgeschichte, Universität Hamburg

Seit Anfang der 1960er Jahre veranstalten die Ranke-Gesellschaft und das Institut für personengeschichtliche Forschung in jedem Frühjahr im Schloß Büdingen (Oberhessen) eine Tagung zu Problemen gesellschaftlicher Führungsschichten, deren Ergebnisse in der Reihe „Deutsche Führungsschichten in der Neuzeit“ veröffentlicht werden. In diesem Jahr beschäftigten sich die Teilnehmerinnen und Teilnehmer aus der Perspektive verschiedener Disziplinen mit Künstlern in der Frühen Neuzeit und gingen der Frage nach, ob sich der Elitebegriff hier sinnvoll anwenden lässt, oder ob nicht erst der anachronistische Blick des Historikers diese Sinnhaftigkeit evoziert. Lassen sich künstlerische Eliten konstatieren, so liegt die Frage nach den diskursiven Praktiken nahe: Selbstinszenierung, Protektion und künstlerisches Können spielten hierbei offenbar komplementäre Rollen. Inwieweit sich die biographischen Spezifika in ein theoretisches Ringen um den Elitebegriff einbinden lassen, konnten die Theater- und Musikwissenschaftlerinnen und -wissenschaftler sowie die Historikerinnen und Historiker detailreich und eindrucksvoll in ihren Vorträgen und in den Diskussionen nachzeichnen.

Nach der Begrüßung durch MARKUS A. DENZEL (Leipzig) und einer Einführung ins Thema durch VERONIKA DARIAN (Leipzig) referierte MELANIE WALD (Zürich) über den „Erfolg Händels in Italien“. Darian reflektierte das sich wandelnde zeitgenössische Verständnis vom Handwerker zum Künstler und hob hervor, dass sich eine künstlerische Elite in der Frühen Neuzeit kaum ohne finanzielle Schwierigkeiten und ohne prekäre Lebenssituationen denken lässt. Auch Wald unterstrich, dass der Gedanke, Musiker oder Komponisten könnten zur zeitgenössischen Elite gezählt werden, eher abwegig ist, da es sich in der Regel um Außenseiterexistenzen handelte. Georg Friedrich Händel, insbesondere sein Aufenthalt in Rom zwischen 1706 und 1710, wurde von Wald exemplarisch genutzt, um den durch Protektoren geförderten Aufstieg des Protestanten in Rom darzustellen, gleichzeitig aber nicht zu übersehen, dass es sich hierbei um eine Ausnahmeerscheinung handelte – nämlich um einen „Star“, der von den mächtigsten Adelshäusern weitergereicht wurde. Dabei ist von besonderem Interesse, dass Händel sich offenbar selbst „betont lässig“ inszenierte, um Aufmerksamkeit zu erregen. Die Herausbildung eines eigenen musikalischen Stils ließ sich so mit dem Habitus Genie verknüpfen.

VERENA FRIEDRICH (Würzburg) konnte anhand des Architekten Balthasar Neumann diese Argumentationslinie weiterführen, da auch der 1687 in Würzburg geborene Neumann die für einen erfolgreichen Künstler wichtige Protektion durch einen Mentor erfuhr. So verfügte er über wichtige Kontakte zum seit 1719 regierenden Fürstbischof Johann Philipp Franz von Schönborn, der erste Maßnahmen ergriff, um die barocke Residenzstadt auszubauen. Hierfür erfüllte Neumann als Militär, Architekt und Unternehmer, so die Referentin, die richtigen Voraussetzungen. Auch Neumann versuchte offenbar, sich selbst in Szene zu setzen, individuelle Markenzeichen zu entwickeln, um so sein Unternehmen werbend zu etablieren. Der Tagungstag endete mit einem stimmungsvollen Empfang durch S. D. Fürst zu Ysenburg und Büdingen in der Bibliothek des Schlosses, die dankenswerterweise auch als unvergesslicher Tagungsort diente.

Den zweiten Tagungstag eröffnete ANKE CHARTON (Leipzig) mit einem Beitrag zu den Kastratensängern des Barock als künstlerische Elite. Neben der berühmten Figur Farinelli, die im 18. Jahrhundert zu einem „Farinelli-Taumel“ führte und unter Beweis stellte, dass die Kastraten aus der barocken Oper nicht wegzudenken waren und hofiert wurden, gab es zahlreiche arme und gescheiterte Existenzen, die lebenslang mit sozialer Ausgrenzung und Ächtung zu kämpfen hatten. Bezeichnenderweise kann die Position der Kirche, so Charton, die sie einerseits verdammte, andererseits aber auf die Kastraten in den Chören angewiesen war, stellvertretend als eine generelle Haltung gelesen werden. So waren es häufig arme Familien, die einen Sohn im Kindesalter als Hoffnungsträger kastrieren ließ - meistens jedoch ohne Erfolg.

PATRICK PRIMAVESI (Frankfurt/M.) stellte in seinem Vortrag über „Theatrale Eliten“ anhand des Beispiels von Goethes Wilhelm Meister die Frage nach der Bedeutung der Theaterleidenschaft für das Selbstverständnis des Bürgertums im 18. Jahrhundert. Primavesi hob hervor, dass dem Bildungsbürgertum das Theater als Instrument von Aufklärung galt, gleichzeitig jedoch eng verknüpft blieb mit der höfischen Sphäre der Verstellung und des glänzenden Scheins. Dabei wurde deutlich, dass gerade in der inszenierten Lossprechung Wilhelm Meisters von seiner Theaterleidenschaft die Ausbreitung theatraler Verhaltensweisen auf das gesamte bürgerliche Leben aufscheint. Ein durchaus ambivalentes Verhältnis, was in der Diskussion zu der Frage führte, wann und ob das Bürgertum in sich elitäre Züge erkannte. Eine Frage, die sich durch die weiteren Diskussionen zog und sicher bei den nächsten Büdinger Gesprächen 2009 wieder aufgenommen werden muss.

Der Familien- und Hausarchivar KLAUS-PETER DECKER (Büdingen) führte die Tagungsteilnehmer in einer sehr informativen und sehenswerten Exkursion zur Burg und Stadt Münzenberg in der Wetterau sowie zur Komturkirche des Johanniter-Ordens nach Nieder-Weisel. Daran schloß sich der in Zusammenarbeit mit dem Büdinger Geschichtsverein organisierte öffentliche Vortrag im Heuson-Museum an. GÜNTHER HEEG (Leipzig) stellte in seinem Vortrag über die „Vorbilder klassizistischen Lifestyles um 1800“ den Aufstieg des Schauspielers dar, der für die bürgerliche Selbstinszenierung als Vorbild dienen konnte. Diese Funktionalisierung war allerdings durchaus ambivalent, galt doch der Berufsstand Schauspieler nach wie vor als ehrlos. So wirkte die Verbürgerlichung durchaus dialektisch, denn das entstehende Bürgertum adaptierte die „Kunst des schönen Umgangs“, während die kontrollierende und organisatorische Variante der Verbürgerlichung auf die Bildung von Theatergesellschaften wirkte. Damit gelang es Heeg, die Frage zur Generierung eines bürgerlichen Elitebewusstseins neuerlich, aber aus anderer Perspektive aufzuwerfen.

HANS-JOACHIM SCHULZE (Leipzig) eröffnete den letzten Tagungstag mit seinem „Nachdenken über Elitäres bei Johann Sebastian Bach“. Offenbar galt Bach nach übereinstimmendem Urteil seiner Zeitgenossen als bedeutendster Spieler von Tasteninstrumenten und damit als bester Interpret seiner Werke, die allerdings den Publikumsgeschmack nicht immer trafen. Bach hat offenbar Anfechtung und Kritik hervorgerufen, daher, und auch weil sich die Quellenlage als sehr schwierig darstellt, ist die Bewertung Bachs als zeitgenössische künstlerische Elite schwer zu beurteilen. Unbestritten ist jedoch die gestaltende Bedeutung, die Bach in der Rezeptionsgeschichte hervorgerufen hat.

Die Tagungsvorträge beschloss VERONIKA DARIAN (Leipzig) mit einem Beitrag über „Goya und die Geister der Aufklärung“, in dem das Werk des Künstlers in eine Zeit des Umbruchs gestellt wurde. Es spiegelt, so die Referentin, in formaler wie auch in thematischer Hinsicht Altes und Neues wider und eröffnet somit dem Künstler in Zeiten einer Krise die Möglichkeit der Politisierung. Goya vereinte beide Pole der künstlerischen Existenz: die Verantwortlichkeit sozialen Handels und die Prekarität, denn seine Arbeiten gelten als Reaktionen auf die eigene Zerrissenheit zwischen Volk und Hof, Abstammung und Auftrag, aber auch als Reflexionen der Heimsuchung durch die Geister seiner Zeit.

Daran anschließend wurde in der Abschlussdiskussion deutlich, dass die Repräsentationsstrukturen eine große Rolle für die Herausbildung einer künstlerischen Elite spielten. Selbst wenn ein Künstler zur Elite zählte und Wirkungsmacht entwickeln konnte, lässt sich das mit Hilfe der historischen Perspektive in vielen Fällen schwer ermitteln. Wie genau sah diese Wirkungsmacht aus? In welchen Wirkungsräumen konnte sie sich wie entwickeln? Welche Rolle spielte der Rezipientenkreis bzw. das Publikum bei der Zuschreibung von elitären Charakteristika? Unbestritten ist die über Epochen hinaus geltende Wirkkraft vieler Künstler der Frühen Neuzeit, was die Frage nahelegt, ob nicht erst der rückwirkende Blick das Elitäre zu erkennen sucht. Die hier diskutierten Künstlerbiographien haben nicht nur die Musik-, Theater- und Kunstwelt geprägt, sondern auch, das wurde in den Vorträgen und Diskussionen deutlich, ihren Beitrag für das Entstehen bzw. die Etablierung einer gesellschaftlichen (bürgerlichen) Elite geleistet. So mag es wohl gerade diese konstruktive Dialektik zwischen Künstler und Rezipienten bzw. Publikum sein, die den Fluchtpunkt für die 47. Büdinger Gespräche (02.04. – 04.04.2009) und damit für „Künstler als Elite? – Teil II: 19. und 20. Jahrhundert“ bilden und die gewährten Einblicke in die Künstlerbiographien der Frühen Neuzeit wieder ins Gespräch ziehen wird.

Kurzübersicht

Markus A. Denzel (Leipzig): Begrüßung

Veronika Darian (Leipzig): Einführung in das Tagungsthema

Melanie Wald (Zürich): „Maggior d’Orfeo“ oder: Komponisten als Teil der Elite? Der Erfolg Händels in Italien

Verena Friedrich (Würzburg): Balthasar Neumann – Militär, Architekt, Unternehmer – „… ein Mann wegen vieler seiner besonderen Eigenschafften würdig eines längern Lebens …“

Anke Charton (Leipzig): „No che lassù ne Chori almi e beati non entrano Castrati” – Auf Messers Schneide: Die Kastratensänger des Barock im Netz sinnlicher, sozialer und symbolischer Zuweisungen

Patrick Primavesi (Frankfurt/M.): Theatrale Eliten. Goethes Wilhelm Meister und die Zirkel der Repräsentation

Exkursion geleitet von Klaus-Peter Decker (Büdingen)

Günther Heeg (Leipzig): Vorbilder klassizistischen Lifestyles um 1800 – Der Aufstieg des Schauspielers

Hans-Joachim Schulze (Leipzig): „Gesänge von Bettlern und unaufgelöste Dissonanzen“ – Nachdenken über Elitäres bei Johann Sebastian Bach

Veronika Darian (Leipzig): Goya und die Geister der Aufklärung

Kontakt

Dr. Sabine Todt
Wissenschaftliche Mitarbeiterin
Helmut-Schmidt-Universität
Universität der Bundeswehr
Fakultät für Geistes- und Sozialwissenschaften Holstenhofweg 85
22043 Hamburg
Tel.: 0049 40 6541 - 2365
Fax: 0049 40 6541 - 2059
E-Mail: <todt@hsu-hh.de>


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