Generationen in spätmittelalterlichen und frühneuzeitlichen Städten

Generationen in spätmittelalterlichen und frühneuzeitlichen Städten

Organisatoren
Mark Häberlein, Christian Kuhn, Otto-Friedrich-Universität Bamberg
Ort
Bamberg
Land
Deutschland
Vom - Bis
06.02.2009 - 07.02.2009
Url der Konferenzwebsite
Von
Lina Katharina Hörl / Universität Bamberg

Zum fünften Mal lud das Bamberger DFG-Graduiertenkolleg „Generationenbewusstsein und Generationenkonflikte in Antike und Mittelalter“ zu einer Tagung ein und beendete damit seine erste viereinhalb-jährige Förderphase. Im Thema der Veranstaltung „Generationen in spätmittelalterlichen und frühneuzeitlichen Städten“ kam die Öffnung des Kollegs hin zur frühen Neuzeit zum Ausdruck. Die bislang für Antike und Mittelalter angewendeten Begriffe „Generationenbewusstsein“ und „Generationenkonflikte“ wurden damit auch auf die frühe Neuzeit übertragen.

Dabei legten die Organisatoren Mark Häberlein und Christian Kuhn die Zusammenstellung der Vortragsthemen bewusst breit und interdisziplinär an, um die kulturhistorische Tragkraft der Generationenmodelle innerhalb vielfältiger Kontexte zeigen zu können. Für dieses transdisziplinäre Anliegen konnten Referentinnen und Referenten aus den historischen Geistes- und Kulturwissenschaften gewonnen werden. Die Beiträge werden zeitnah in einem Tagungsband veröffentlicht, der im Universitätsverlag Konstanz in der Reihe „Konflikte und Kultur. Historische Perspektiven“ erscheint.

Innerhalb der einzelnen Vorträge trat der Generationenbegriff als mehrschichtig hervor. Dennoch ließen sich am Ende der Veranstaltung einige Grundlinien herausstellen. Wiederholt wurden von den Referenten Übertragungsphänomene auf verschiedenen Ebenen, wie der materiellen, normativen, oder der Ebene der Zuschreibungen angesprochen. Auch als Organisationsschema für gesellschaftliche Konflikte unterschiedlichster Art, beispielsweise von Stadt und Universität oder Metropole und Provinz, konnte das Generationenkonzept überzeugend angewendet werden. Außerdem trat die Untersuchung des semantischen Feldes mehrfach als vielversprechende Methode hervor, deren weiteres Ausloten lohnenswert erschien.

So zeigte BENJAMIN SCHELLER (Berlin) in seinem Vortrag über die Neuchristen in der süditalienischen Stadt Trani anhand einer semantischen Analyse einen Wandelungsprozess im Bereich in der Übertragung kultureller Differenz auf. Während noch in der Mitte des 15. Jahrhunderts die generationelle Weitergabe der „Jewishnes“ als kulturelle Übertragung von jüdischen Praktiken gesehen worden sei, habe ab der Wende zum 16. Jahrhundert eine als ererbt und unveränderlich wahrgenommene biologische Natur im Zentrum der Zuschreibungen gegenüber den Konvertiten gestanden. Diese gewandelte Auffassung führte 1495 zu einer endgültigen Vertreibung der zuvor auch politisch in die Stadt inkludierten Nachkommen der getauften Juden.

HEINRICH LANG (Bamberg) wandte sich den Medici des 15. Jahrhunderts zu und thematisierte Übertragungsphänomene auf begrifflicher Ebene. Er verdeutlichte anhand von Briefen an Cosimo, seine Söhne Piero und Giovanni sowie an Lorenzo, den Sohn Pieros, wie das Verständnis einer Vater-Sohn-Beziehung durch den gezielten Gebrauch der sprachlichen Angebote auf die Patronagesysteme der Medici übertragen, diese also gewissermaßen familiarisiert worden seien. Diese innerweltliche Schutzherrschaft war, so Lang, zudem eng mit der überirdischen Sphäre verknüpft. Die aufwendig gestalteten Familienaltäre in Pfarrkirchen der Stadt Florenz bringen mittels ihres Bildprogramms der Familienheiligen und Namenspatrone der Medici deren Selbstverständnis als Mittler zwischen Himmel und Erde zum Ausdruck, die ihre Legitimation als irdische Patrone direkt aus der göttlichen Ordnung ableiteten.

Mittels des Instruments der historischen Semantik untersuchte CHRISTIAN KUHN (Bamberg) das Spannungsfeld der Begriffe „Tugend“ und „Fortuna“ in Leon Battista Albertis Libri della Famiglia (1433), einem klassischen familiengeschichtlichen Hausbuch aus der Zeit des Humanismus. Dabei verdeutlichte er im Gegensatz zu der in der Forschung bisher starken Betonung der Tugend als vorrangigem Handlungsmuster, dass dem Werk durchaus auch ein stoisches Bewusstsein für die Wechselfälle des Schicksals inhärent sei. Vor diesem Hintergrund interpretierte Kuhn das Tucherbuch des humanistisch gebildeten Nürnberger Ratskonsulenten und Diplomaten Christoph II. Scheurl (1481-1542) und betonte insbesondere die zeitgenössische Verwendung des Begriffs „Generation“ in der Quelle selbst.

MAXIMILIAN SCHUH (Münster) stellte in seinem Beitrag die Frage, wie sich der Konflikt zwischen der Universität und der Stadt Ingolstadt im Spätmittelalter gestaltete und inwiefern hier eine generationelle Komponente eines Jung-Alt-Gegensatzes zum Tragen kam. Vor allem die Devianz der Studenten, aber auch der jungen Magister und ihre Auseinandersetzungen mit universitärer und städtischer Obrigkeit deutete er als generationelles Element. Doch betonte er, dass die Konfliktlinien vor allem entlang ständischer Grenzen zu suchen seien. Nicht das Schaffen einer neuen gesellschaftlichen Ordnung, sondern vielmehr das Bewahren und Behaupten der garantierten Privilegien sei das Ziel der Studenten gewesen. Schuh distanzierte sich hier bewusst vom Generationenmodell Mannheims, das seines Erachtens in einer ständischen Gesellschaftsordnung nicht über die Korporationen hinweg anzuwenden ist. Er regte an, die Rückbindung der Generationenkonzeption für die Frühe Neuzeit an Ordnungsvorstellungen wie Stand und Obrigkeit auch in anderen Bereichen zu erproben.

Am Beispiel zweier Prozesse, die Mitglieder der Familie Fugger in der zweiten Hälfte des 16. Jahrhunderts gegeneinander führten beleuchtete BRITTA SCHNEIDER (Bamberg) innerfamiliäre Streitigkeiten um das materielle Erbe der Familienhandelsgesellschaft in der Reichsstadt Augsburg als Generationenkonflikt. Sie wies nach, dass nach dem Tod Anton Fuggers (1560) erstmals Gerichte, wie das Stadtgericht Augsburg, der Reichshofrat und das Reichskammergericht, zum Austrag der Konflikte eingeschaltet wurden. Dabei grenzte sich Schneider von älteren Forschungspositionen ab, welche bisher für die Fugger von einem bewussten Vermeiden gerichtlicher Wege ausgegangen waren.

MARK HÄBERLEIN (Bamberg) verdeutlichte in seinem Vortrag den besonderen Quellenwert der Briefe, die der Sohn des Augsburger Patriziers Friedrich Endorfer Anfang des 17. Jahrhunderts während seiner kaufmännischen Ausbildung an seinen Vater schrieb, für die Generationenproblematik. Die in hohem Maße stereotyp gehaltenen Korrespondenzen führen vor allem die altersspezifischen Normen und Erwartungen, die an den sich im Ausland aufhaltenden Patriziersohn gerichtet wurden, vor Augen. Daneben geben sie aber im intergenerationellen Diskurs auch Einblicke in die Übertretung eben dieser Verhaltensregeln und in das Spannungsverhältnis konkurrierender Wertvorstellungen.

Zwei verschiedene Ebenen, auf denen die Generationenthematik zum Ausdruck kommt, konnte HARTMUT BOCK (Kehlheim) in den bebilderten Geschlechterbüchern des frühneuzeitlichen Patriziats der süddeutschen Reichsstädte ausmachen. Zum Einen ist das Generationenbewusstsein Thema und Intention der Quellengattung. Ruhm, Herkunft, Selbstvergewisserung und das mit dem Aufstieg der Familien steigende Geschichtsbewusstsein sollen zum Ausdruck gebracht und von der älteren an die jüngere Generation weitervermittelt werden. Zum Anderen finde sich, so Bock, auch im Ordnungsprinzip der Geschlechterbücher selbst ‚generationelle‘ Verbindungslinien. Dies wird beispielsweise in den Vorworten oder auch an den gemalten Kostümfiguren deutlich, welche sich an älteren Vorlagen orientierten.

GESA INGENDAHL (Tübingen) rückte die Übertragung materieller Güter in den Mittelpunkt ihrer Betrachtungen. Sie untersuchte Handwerkerhaushalte in der Stadt Ravensburg, die von Witwen zusammen mit ihren (erwachsenen) Kindern geführt wurden. Das Verhältnis der Generationen charakterisierte Ingendahl dabei als eine stark von Reziprozität und Solidarität geprägte Konstellation, die für alle Beteiligten eine tragfähige Lösung dargestellt habe. Die Kinder befanden sich in der Anwartschaft auf Erbe und Besitz, während die verwitwete Mutter den Verlust der Arbeitskraft ihres verstorbenen Mannes durch die Mithilfe der Söhne und Töchter ausgleichen konnte. Der Prozess der Besitzübergabe habe sich sehr komplex gestaltet und sei meist durch die zeitliche Streckung, Aushandeln und Ausbalancieren gekennzeichnet gewesen. Die Witwe hätte hier als Haushaltsvorstand und Kapitalverwalterin eine mächtige Position innegehabt.

PIA CLAUDIA DÖRING (Münster) wandte sich dem französischen Theater des 17. Jahrhunderts zu, das sich durch kulturpolitische Maßnahmen vom Wandertheater hin zu festen Bühnen in der als kulturelles Zentrum an Bedeutung gewinnenden Hauptstadt Paris wandelte. Anhand der Komödien Illusion comique und Le menteur von Pierre Corneille stellte die Referentin die enge Verbindung von klassischen Generationenkonflikten als dramaturgisches Element mit dem Gegensatz von Provinz und Paris heraus. Den neuen Theaterhelden Corneilles sei gemein, so Döring, dass sie den sozialen Aufstieg in der mondänen Pariser Welt durch geschickte Anpassung an die gewandelten gesellschaftlichen Verhältnisse, galantes Auftreten und gekonnte Verstellung zu erzielen suchten und dem Ideal eines honnête homme nacheiferten. Damit stehen sie der Generation ihrer Väter und dem althergebrachten Werten verhafteten alten Adel gegenüber.

Einen Generationenwechsel im England des 17. Jahrhunderts machte CORINNA PIETSCH (Hamburg) am Rezeptionsprozess von Arndts Erbauungsliteratur fest. Sie konstatierte eine ‚generation-gap‘ zwischen der älteren, proparlamentarischen Generation und einer jüngeren Generation, die sich nach dem Bürgerkrieg von der theologischen Position der Rechtfertigung sola fide abgewandt habe. So sei nunmehr das individuelle Handeln des einzelnen Christen in den Vordergrund gestellt worden, womit man sich genau den Vorstellungen angenähert habe, welche noch vor 1640 an den Puritanern kritisiert worden seien.

Konferenzübersicht

Benjamin Scheller, Berlin: Integrationelle Übertragung kultureller Differenz? Konvertierte Juden und ihre Nachkommen im süditalienischen Trani im Spätmittelalter zwischen Inklusion und Exklusion

Heinrich Lang, Bamberg: Zwischen Geschäft, Kunst und Macht: Das Generationenmodell bei Patronage und Dynastiebildung der Medici im Florenz des 15. Jahrhunderts

Christian Kuhn, Bamberg: ‚Generation‘ zwischen tradierter Tugend und fremdbestimmter Fortuna. Zu einem zentralen Wertkonzept in Leon Battista Albertis „Libri della Famiglia“ (1433)

Maximilian Schuh, Münster: Von alten Bürgern und jungen Studenten im spätmittelalterlichen Ingolstadt. Das Verhältnis von Universität und Stadt als Generationenkonflikt?

Britta Schneider, Bamberg: „dann wann das Gelt hin, wird die Vetterschaft auch aus“. Die Fugger vor dem Augsburger Stadtgericht und dem Reichskammergericht

Mark Häberlein, Bamberg: Generationenbewusstsein und Generationenkonflikte im Spiegel einer patrizischen Familienkorrespondenz des frühen 17. Jahrhunderts

Hartmut Bock, Kehlheim: Generationenbeziehungen in und an Bebilderten Geschlechterbüchern (1500-1650): Von Familien, von Texten/Bildern, von Stamm- und Ordnungsbäumen

Gesa Ingendahl, Tübingen: Witwenhaushalte in der frühneuzeitlichen Stadt: (k)ein Generationenprojekt

Pia Claudia Doering, Münster: „Je vole vers Paris“: Generationenkonflikte zwischen Paris und Provinz im französischen Theater des 17. Jahrhunderts

Corinna Pietzsch, Hamburg: Adapting Arndt: frühneuzeitliche Anrdtrezeption in England im Wandel der Generationen


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