Schlesien als Anliegen einer Deutsch-Polnischen Regionalgeschichte. Internationale Nachwuchstagung der Historischen Kommission für Schlesien in Kooperation mit dem Schlesischen Museum zu Görlitz

Schlesien als Anliegen einer Deutsch-Polnischen Regionalgeschichte. Internationale Nachwuchstagung der Historischen Kommission für Schlesien in Kooperation mit dem Schlesischen Museum zu Görlitz

Organisatoren
Historische Kommission für Schlesien in Kooperation mit dem Schlesischen Museum zu Görlitz
Ort
Görlitz
Land
Deutschland
Vom - Bis
27.11.2009 - 29.11.2009
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Von
Florian Sonntag, Lehrstuhl für Geschichte der Frühen Neuzeit, Historisches Institut, Universität Stuttgart

Über Schlesien wird seit nunmehr über zwanzig Jahren an der Universität Stuttgart mit besonderer Intensität geforscht. Neben dem Projektbereich Schlesische Geschichte, der an den Lehrstuhl für die Geschichte der Frühen Neuzeit gebunden ist, gibt es in Deutschland andere namhafte Einrichtungen, die sich ganz auf die Geschichte des Oderlandes konzentrieren. Zu nennen wäre hier vor allem die Historische Kommission für Schlesien: 1921 in Breslau gegründet, hat sie es sich zur Aufgabe gemacht, die Geschichte der Gesamtregion als gemeinsame Geschichte Deutschlands und seiner östlichen Nachbarländer zu begreifen und zu erforschen. Um dieses Vorhaben zu verwirklichen, ist die Historische Kommission für Schlesien an einem regen kulturellen und wissenschaftlichen Austausch zwischen diesen Ländern interessiert. Darüber hinaus veranstaltet sie in regelmäßigen Abständen wissenschaftliche Tagungen, um den bereits bestehenden Austausch weiter zu fördern. Eine solche fand vom 27. bis zum 29. November 2009 unter dem Titel „Schlesien als Anliegen einer Deutsch-Polnischen Regionalgeschichte“ in Görlitz statt. Die Tagung wurde von JOACHIM BAHLCKE (Stuttgart) und THOMAS WÜNSCH (Passau) konzipiert und durchgeführt.

Görlitz, dessen Teil westlich der Neiße in Deutschland, der Teil östlich des Flusses aber in Polen (Zgorzelec) liegt, schien als Austragungsort für diese international angelegte Konferenz mit Teilnehmern aus Polen, Tschechien, Deutschland und den USA wahrlich prädestiniert zu sein. Bei den meisten Teilnehmern handelte es sich um Nachwuchswissenschaftler, die ihre Dissertationsprojekte vorstellten. Für diese war es nicht nur ein Austausch im historischen und kulturellen Sinn, sondern auch eine Möglichkeit, Erfahrungen auszutauschen und neue Kontakte zu knüpfen. Das Schlesische Museum zu Görlitz, dessen Dauerausstellung Einblicke in fast tausend Jahre Kulturgeschichte bietet, stellte seine Räumlichkeiten zur Verfügung.

Nach der Begrüßung durch Joachim Bahlcke und MARKUS BAUER (Görlitz) begann unter der Moderation von Winfried Irgang (Marburg) die Doktorandin ANDREA HAUFF (Tübingen) mit ihrem Thema „Weibliche Heilige im Mittelalter: Förderkreise und Netzwerke“. Im Zentrum dieser Arbeit steht die Frage, warum einige der Heiligen direkt nach ihrem Tod, andere aber erst in der Frühen Neuzeit oder gar in jüngster Zeit heilig gesprochen wurden und welche Personengruppen an deren Heiligsprechungen interessiert waren. Dabei wurde zuerst ein Überblick über die Heiligsprechung, also das Kanonisationsverfahren, gegeben. Es schloss sich ein kurzer Überblick über verschiedene Heilige, vor allem aber über Hedwig von Schlesien an.

Dem Vortrag folgte JAKUB MAMULA (Troppau) mit dem Thema „Landesverteidigung in der Zeit des Interregnum gegen Raubritter in Schlesien“. Den Schwerpunkt dieses Dissertationsprojekts bilden die Struktur und der Aufbau der Landesverteidigung in Schlesien um die Mitte des 15. Jahrhunderts. Nach dem Tod Albrechts von Habsburg gab es keine Zentralregierung und somit auch keinen Schutz mehr für die schlesischen Städte. In dieser durch Anarchie und vielfache Bedrohungen geprägten Zeit schlossen sich die wichtigsten Städte zu einem losen Bund zusammen und organisierten ihre Verteidigung selbst. Mamula ging auf die Bedeutung des Herzogtums Schweidnitz-Jauer ein und erklärte konkret, wie sich die Städte gegen Angriffe zur Wehr setzten. Beispielsweise organisierten die städtischen Adeligen und Bürger eine Landesverteidigung; größere Städte mussten Truppen zur Verteidigung stellen. Den letzten Beitrag zum Mittelalter stellte GREGOR MATTHIAS METZIG (Berlin) vor. Er bereitet eine Promotion zum Thema „E(wer) G(naden) land groszlich vorwüstet – König Sigismund I. und der Oberlausitzer Sechsstädtebund in den Hussitenkriegen (1419-1437)“ vor. In seiner Arbeit widmet sich Metzig der Frage, wie sich der Oberlausitzer Sechsstädtebund, also die Städte Bautzen, Görlitz, Kamenz, Lauban, Löbau und Zittau, unter der Dynastie der Luxemburger und der Landesherr den „Ketzern“ gegenüber verhielt. In einer regen Diskussion wurde im Anschluss der Zusammenhang zwischen Schlesien und der Oberlausitz geklärt, die Rolle von Söldnern und deren Herkunftsorte analysiert und erörtert inwieweit die Hussiten eine tschechisch nationale Bewegung darstellten.

Den Abschluss des ersten Tages bildete der Vortrag „Schlesische Metamorphosen“ von ROBERT LORENZ (Berlin). Dieses Forschungsprojekt nimmt das „Niederschlesische Revival“ in Görlitz und seiner Umgebung seit dem Herbst 1989 zum Ausgangspunkt. Im Zentrum der Arbeit, so legte Lorenz dar, steht die Frage nach den lokalen und überregionalen Akteuren dieser regionalen Selbstidentifizierung und dem, was dabei mit Bezug auf Görlitz, dessen Geschichte und Gegenwart verstanden wird. Es soll also geklärt werden, welche Görlitzer sich als Schlesier sehen und warum dies so ist. Lorenz nutzt für diese Arbeit bereits existierende Quellen und hat zudem während eines Feldforschungsaufenthalts in Görlitz zahlreiche Interviews selbst durchgeführt, wie er berichtete.

Der nächste Vormittag, moderiert von Joachim Bahlcke, begann mit einem Vortrag von SUSANNE MALL (Stuttgart), die am Lehrstuhl für Geschichte der Frühen Neuzeit in Stuttgart über das Thema „Die Altranstädter Konvention von 1707 und ihre Rezeption aus schlesischer und europäischer Perspektive“ forscht. In den Mittelpunkt rückte sie die Frage, wie dieser Religionsvertrag von den nachfolgenden Generationen aufgefasst und verstanden wurde. Ein weiteres Anliegen des Dissertationsprojekts sei es, zu klären, wie präsent die Konvention im restlichen Europa war. Im Anschluss stellte ROLAND GEHRKE (Stuttgart) sein neues Forschungsprojekt vor: eine Quellenedition über den Adel in Schlesien. PIOTR KOCYBA (Dresden) referierte über sein Dissertationsprojekt „Über einen kleinen Nationalismus: Die Konstruktion kollektiver Identität in Oberschlesien“. Im Mittelpunkt steht hier die Identitätsfindung der Oberschlesier seit der Wende 1989. Viele Anhänger einer schlesischen Autonomie sähen sich demnach nicht als Polen oder als Deutsche, sondern in erster Linie als Schlesier, genauer als Oberschlesier. Es gelte zu klären, was eine „Nation Oberschlesien“ ausmacht und wie sich diese definiert. Dabei soll auch auf die verwendete Sprache der Oberschlesischen Nationalisten eingegangen werden. Diese richtet sich stark gegen die deutsche, vor allem aber gegen die polnische historische Perspektive.

WOJCIECH MROZOWICZ (Breslau) stellte im Anschluss das Projekt radices Silesiae vor. Ziel sei es, die Wurzeln der schlesischen Identität vom Mittelalter bis zum 18. Jahrhundert zu untersuchen. YAMAN KOULI (Bielefeld) sprach über den „Wert des Wissens. Die wirtschaftliche Entwicklung Niederschlesiens 1936-1956 aus wissenstheoretischer Perspektive“. Schlesien war bekanntlich bis 1945 Teil Deutschlands und ging danach größtenteils im polnischen Staat auf. Ein Wiedererstarken der Wirtschaft in Niederschlesien blieb zunächst aus. Kouli erforscht in seiner Arbeit die Gründe für die geringen Wachstumsraten in Niederschlesien in den 1950er-Jahren.

Der Nachmittag, moderiert von Arno Herzig (Hamburg), begann mit einem Vortrag von ANDREAS GAYDA (Haltern), in dem dieser sein Projekt „Kulturkampf und katholische Milieubildung in den urbanen Zentren des oberschlesischen Industriegebiets“ vorstellte. Das zentrale Anliegen dieser Untersuchung sei es, die Auswirkungen der kulturkämpferischen Konfrontation zwischen Staat und Kirche auf die kirchlichen Verhältnisse und die lebensweltliche Situation der Gläubigen für den Bereich Oberschlesien zu analysieren. ANITTA MAKSYMOWICZ (Grüneberg) referierte über „Auswanderung aus dem schlesisch-brandenburgischen Grenzgebiet nach Südaustralien im 19. Jahrhundert“ und ging dabei vor allem auf die religiösen, sozialen, kulturellen und ökonomischen Einflüsse der rund 6.000 preußischen Auswanderer in ihren neuen Zielgesellschaften ein. EVELYNE ADENAUER (Bergisch Gladbach) stellte ihr Promotionsthema „Die Diözese Breslau im Übergang von deutscher zu polnischer Verwaltung 1945/46“ vor. Darin versucht sie anhand ausgewählter schlesischer Gemeinden darzustellen, wie aus deutsch-katholischen und deutsch-evangelischen Gemeinden nach Kriegsende innerhalb vergleichsweise kurzer Zeit katholisch-polnische Gemeinden wurden. ANDREW DEMSHUK (Urbana) sprach über einen „Besuch im Land der Erinnerung. Westdeutsche Reiseerlebnisse im polnischen Schlesien 1955-1970“. Den vertriebenen Deutschen war es seit 1956 möglich, in die so genannten Oder-Neiße-Gebiete zu reisen. Demshuk befasst sich mit der Frage, wie sich die Vertriebenen an ihre alte Heimat Schlesien erinnerten und wie sie diese nach ihrem Besuch empfanden. MATEUSZ J. HARTWICH (Berlin), der über „Tourismus und der Aneignung von Landschaft im Riesengebirge 1880-1980“ referierte, versuchte, Stränge der Landschafts- und der Erinnerungsgeschichte zu verbinden sowie den Zusammenhang zwischen regionaler Identität und Transfergeschichte im lokalen Kontext kritisch zu überprüfen. Den Abschluss des Tages bildete der Vortrag von JOANNA HYTREK-HRYCIUK (Breslau) zum Thema „Die deutsche Bevölkerung und die Soldaten der Roten Armee. Die gegenseitigen Relationen. Niederschlesien 1945-1948“.

Die Moderation des dritten Tages übernahm Thomas Wünsch. TOMASZ PRZERWA (Breslau) skizzierte sein Forschungsprojekt „Winter-Fremdenverkehrs- und Sportbewegung in Niederschlesien bis zum Jahr 1945“. Behandelt werde die Frage, ab wann im Riesengebirge Wintersport betrieben wurde, welche Sportarten ausgeführt wurden und wie sich demzufolge der Tourismus entwickelte. RÜDIGER RITTER (Bremen) stellte seine Pläne für eine Quellensammlung zu den Schlesischen Aufständen Anfang des 20. Jahrhunderts zur Diskussion: Im Mittelpunkt soll die Frage stehen, wie sich diese Konflikte zuspitzten, aus welchen Regionen die kämpfenden Soldaten stammten und ob die Auseinandersetzungen als Teil der regionalen oder als Teil der europäischen Geschichte zu betrachten sind. ANDREA RUDORFF (Berlin) sprach über „Frauen in den Außenlagern des Konzentrationslagers Groß-Rosen“. Ziel dieser Arbeit ist es, zu klären, wie die Lage der weiblichen Häftlinge im Lagerkomplex Groß-Rosen konkret aussah. Dabei sollen besonders die Beziehungen zwischen Häftlingen untereinander, solche zwischen Häftlingen und Aufseherinnen, zwischen Häftlingen und der Zivilbevölkerung und die zwischen Angehörigen von Rüstungsfirmen und Häftlingen beleuchtet werden. MAIK SCHMERBAUCH (Bodenrode) schließlich sprach über „Die deutschen Katholiken in der polnischen Diözese Kattowitz (1922-1939): Die Bedeutung des deutschen Diözesenblatts ‚Der Sonntagsbote’ für die deutsche Seelsorge“.

Die Tagung beförderte den wichtigen Austausch für Forschungen zu ostmitteleuropäischen Territorien, die in ihrer Gesamtheit mehrere historische Identitäten besitzen. Erneut stellte sie in diesem Jahr eine Art „Kontaktbörse“ dar, auf der Vertreter verschiedener Wissenschaftsdisziplinen, aber auch verschiedener Generationen, miteinander ins Gespräch kommen konnten.

Konferenzübersicht:

Joachim Bahlcke/Markus Bauer: Begrüßung, Einleitung, Technisches
Moderation: Winfried Irgang

Andrea Hauff (Tübingen): Weibliche Heilige im Mittelalter: Förderkreise und Netzwerke

Jakub Mamula (Troppau): Landesverteidigung in der Zeit des Interregnum gegen Raubritter in Schlesien

Gregor Matthias Metzig (Berlin): E(wer) G(naden) land groszlich vorwüstet – König Sigismund I. und der Oberlausitzer Sechsstädtebund in den Hussitenkriegen (1419-1437)

Robert Lorenz (Berlin): Niederschlesisches Revival

Moderation: Joachim Bahlcke/Arno Herzig

Susanne Mall (Stuttgart): Die Altranstädter Konvention von 1707 und ihre Rezeption aus schlesischer und europäischer Perspektive

Roland Gehrke (Stuttgart): Forschungsprojekt: Quellenedition über den Adel in Schlesien

Piotr Kocyba (Dresden): Über einen kleinen Nationalismus: Die Konstruktion kollektiver Identität in Oberschlesien

Wojciech Mrozowicz (Breslau): Projekt radices Silesiae

Yaman Kouli (Bielefeld): Wert des Wissens. Die wirtschaftliche Entwicklung Niederschlesiens 1936-1956 aus wissenstheoretischer Perspektive

Andreas Gayda (Haltern): Kulturkampf und katholische Milieubildung in den urbanen Zentren des oberschlesischen Industriegebiets

Anitta Maksymowicz (Grüneberg): Auswanderung aus dem schlesisch-brandenburgischen Grenzgebiet nach Südaustralien im 19. Jahrhundert

Evelyne Adenauer (Bergisch Gladbach): Die Diözese Breslau im Übergang von deutscher zu polnischer Verwaltung 1945/46

Andrew Demshuk (Urbana): Besuch im Land der Erinnerung. Westdeutsche Reiseerlebnisse im polnischen Schlesien 1955-1970

Mateusz J. Hartwich (Berlin): Tourismus und der Aneignung von Landschaft im Riesengebirge 1880-1980

Joanna Hytrek-Hryciuk (Breslau): Die deutsche Bevölkerung und die Soldaten der Roten Armee. Die gegenseitigen Relationen. Niederschlesien 1945-1948

Moderation: Thomas Wünsch

Tomasz Przerwa (Breslau): Winter-Fremdenverkehrs- und Sportbewegung in Niederschlesien bis zum Jahr 1945

Rüdiger Ritter (Bremen): Quellensammlung zu den Schlesischen Aufständen zu Beginn des 20. Jahrhunderts

Andrea Rudorff (Berlin): Frauen in den Außenlagern des Konzentrationslagers Groß-Rosen

Maik Schmerbauch (Bodenrode): Die deutschen Katholiken in der polnischen Diözese Kattowitz (1922-1939): Die Bedeutung des deutschen Diözesenblatts ‚Der Sonntagsbote’ für die deutsche Seelsorge


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