Afrika mit eigenen Augen. Vom Erforschen und Erträumen eines Kontinents

Afrika mit eigenen Augen. Vom Erforschen und Erträumen eines Kontinents

Organisatoren
Museum für Kunst und Technik des 19. Jahrhunderts, Baden-Baden
Ort
Baden-Baden
Land
Deutschland
Vom - Bis
19.11.2011 -
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Von
Barbara Wagner, Museum für Kunst und Technik des 19. Jahrhunderts

In Vorbereitung einer im März 2012 zu eröffnenden Ausstellung widmete sich das Symposium den verschiedenen Themenfeldern zur Afrikaforschung und Afrikarezeption im langen 19. Jahrhundert.1 „Afrika mit eigenen Augen“ nimmt dabei die wechselnden Perspektiven der Innen- und Außenansicht in Blick und wendet sich dezidiert von der Kolonial- und Militärgeschichte Afrikas ab. Als Vortragende waren sowohl Sammler afrikanischer Kunst als auch Referenten aus den Bereichen der Ethnologie, Afrikanistik, Geschichte und Kunstgeschichte eingeladen.

Als Auftakt der Veranstaltung referierten die beiden Sammler Reinhard Klimmt und Dieter Kusch mit je eigenen Schwerpunkten. REINHARD KLIMMT (Saarbrücken) bot mit seinem frei gehaltenen Vortrag einen kurzen Aufriss der Geschichte Afrikas aus der Perspektive des 20. Jahrhunderts, einsetzend mit der Wiedergewinnung der Selbständigkeit einzelner afrikanischer Staaten. Mit diesem Auftakt konnte er untermauern, mit welchen Augen wir noch heute auf den Kontinent blicken, da die europäische Annäherung an Afrika stets vor dem Hintergrund der Industrialisierung erfolgte und dies eine quasi „väterliche Fürsorge“ in der praktizierten Entwicklungspolitik impliziere. Neben diesem ins Politische greifende Afrikabild existierten noch weitere Bilder, die unsere Wahrnehmung beeinflussen: Über Tierbeobachtungen eines Heinz Sielmanns oder über Spielfilme würde uns ein Eindruck von der Natur vermittelt. Dem gegenüber stünden Bilder des Elends, der Katastrophen und der hungernden Kinder. Dabei bliebe außer Acht, wie sehr die europäische Gesellschaft durch Musik und Tanz und damit auch durch die Kunst geprägt sei. Diese Einflüsse dürfe man keineswegs als „primitiv“ bezeichnen und das Religiöse in den Objekten trivialisieren. Über die Erforschung der Gebrauchsgegenstände durch die sich im 19. Jahrhundert etablierenden Völkerkunde sei ein Interesse am Sammeln von Kuriositäten entstanden. Klimmt unterscheidet zwei verschiedene Strömungen, die sich in besonderer Weise mit afrikanischer Kunst auseinandersetzten. Einerseits konnten die Maler der Brücke in Völkerkundemuseen afrikanische Kultgegenstände kennenlernen und übernahmen Formelemente in ihre Werke. Andererseits dienten auch in Frankreich zu Beginn des 20. Jahrhunderts Masken und Figuren aus Afrika als Inspirationsquelle bei Apollinaire, Derrain und nicht zuletzt bei Picasso. Beide Formen der Rezeption würden sich jedoch auf ein formales Interesse konzentrieren und die in der afrikanischen Kunst gegebenen Funktion und Zielgerichtetheit vernachlässigen. Die afrikanische Kultur basiere darauf, dass gesellschaftliche Regeln in Riten, Masken und Figuren materialisiert und darin in die Welt getragen würden.

DIETER KUSCH (Baden-Baden) stellte in seinem Beitrag Objekte aus seiner eigenen Sammlung vor. Dabei schilderte er seine erste Begegnung mit afrikanischer Kunst und das dadurch geweckte Interesse für die Herkunftsländer der von ihm erstandenen Plastiken. Mehrere Reisen hätten ihn in die Subsahara-Region geführt, nach Mali, zu den Dogon und nach Timbuktu. Dort habe er vor Ort einen Einblick in die Produktion von Objekten erlangt, die mitunter auch auf „alt“ getrimmt würden für den Tourismus. Der Kunstmarkt und das wachsende Interesse an afrikanischen Objekten habe dazu geführt, dass Kulturen ausgeraubt würden und Einfluss auf die Kunst ausgeübt werde. Seine eigene Sammlung von Haarnadeln sei im 18. und 19. Jahrhundert angefertigt worden und diente nicht nur als Schmuck, sondern auch als Zahlungsmittel. Darüber hinaus sammle er Flöten aus Burkina Faso und den daran angrenzenden Ländern. Eine inhaltliche Auseinandersetzung mit den Objekten sei schwierig, da diese zu den wenig erforschten Alltagsgegenständen zählten. Als Gegenstände des Gebrauchs seien sie als nicht wertvoll erachtet und fielen nicht in die Kategorie „Kunst“. Nach seiner Einschätzung handele es sich bei den Flöten um Instrumente, mit deren Hilfe eine Kommunikation mit den Ahnen praktiziert werde. Weitere Anwendungsgebiete seien vermutlich die Jagd (zur Kommunikation der Jäger untereinander und zum Anlocken der Beute), der Sport (im Wettkampf könnten mit den Flöten Signale gegeben werden) und der Krieg (auch hier könne die Flöte als Signalgeber eingesetzt werden). Formal ließen sich mehrere Flötentypen voneinander unterscheiden, die einerseits stilisierten Maskenträgern glichen oder aber stark anthropomorphe Assoziationen weckten. Auch Tierformen treten als Flötentypen auf. Diese Flöten seien auf einen einzigen Ton ausgerichtet und nicht melodiös nach unserem Musikverständnis. Anhand von Bildbeispielen konnten die verschiedenen Formen veranschaulicht werden.

Der darauf folgende Themenblock widmete sich der inhaltlich kontrovers diskutierten Authentizität und der wissenschaftlichen Annäherung im 19. Jahrhundert. Eröffnet wurde dieses Panel mit dem Beitrag von TILL FÖRSTER (Basel). Sein Beitrag gliederte sich in sieben Abschnitte, die sich dem Konstrukt der Authentizität widmeten. Die Schlagworte „Rede vom Wahrhaftigen“, „Der Natur nahe sein“, „Kunst und Handwerk der Anderen“, „Lokal!, Lokal!!, Lokal!!!“, „Kunst und Authentizität als Tradition“, „Der Markt, der keiner sein soll“ und „Wirkungen“ skizzierten den umstrittenen Diskurs und stellten ihn in Frage. In seinen Ausführungen ging Förster den Begrifflichkeiten auf den Grund, die herangezogen werden, wenn ein Objekt beurteilt wird. Das „Wahrhaftige“ werde an eine Zeugenschaft geknüpft, die in einer Person („ich war da“) oder einer schriftlichen Quelle bestünde. Sollte diese Zeugenschaft gegeben sein, wäre eine Antwort auf die Frage, etwas sei „echt“ oder ein „Original“ plausibel. Doch könne dies nicht die einzige Annäherung sein. Vielmehr würde das Authentische in der Kunst ideologisiert und zu einem Mythos des unverdorbenen und unberührten „Primitiven“ erhoben. Dies sei eine falsche Sicht auf die „Tradition“ als etwas Ursprüngliches, bei der es keine Wandlung mehr geben dürfe. Tatsächlich sei das Postulat des Authentischen kunstfeindlich und zu sehr am (monetären) Marktwert orientiert. Der Wert würde nicht an der Gestaltungsweise des gefertigten Objekts beurteilt, sondern zunehmend einer Plausibilitätsprüfung unterzogen.

Im folgenden Beitrag wandte sich ISABEL VOIGT (Leipzig) der Kartierung Afrikas zu. Sie konnte anhand historischer Karten Afrikas veranschaulichen, dass die Vorstellung von Afrika zunächst stark zweidimensional ausgerichtet war und man mithilfe der Karten eine objektive Wirklichkeit herzustellen versuchte. Dabei blieben jedoch bis ins 19. Jahrhundert viele Bereiche buchstäblich „weiß“. Die Küstenlinien seien schon früh relativ gut erforscht gewesen, die Binnenbereiche konnten erst später kartographisch erschlossen werden. Dabei seien die Reiserouten zur Erschließung des Kontinents von Europa ausgeplant und die Bedingungen vor Ort nur unzureichend berücksichtigt worden. Die Ergebnisse der kartographischen Expeditionen wurden in (August) Petermanns Geographischen Mitteilungen und der Zeitschrift für allgemeine Erdkunde veröffentlicht.

Daran schloss sich der Beitrag von BARBARA WAGNER (Baden-Baden) an, bei dem die Vorstellungen von Afrika in der frühen (Geschichts-)Forschung skizziert wurden. Ausgehend von den Klischees, über Afrika, die in der Philosophie über die Weltgeschichte bei Hegel zu finden sind, konnte an vier kurzen Biografien von Afrikareisenden dargestellt werden, dass es auch eine andere Herangehensweise an die Geschichte und Kultur der afrikanischen Bevölkerung gab. Johannes Rebmann kam als Missionar nach Kenia und erarbeitete dort ein Wörterbuch und half maßgeblich bei einer Bibelübersetzung in die Landessprache mit. Heinrich Barth versuchte neben seinen kartographischen Arbeiten eine Kulturgeschichte mithilfe von Sprachverwandtschaften zu erschließen. Gottlob Krause stellte vielfältige Forschungen an, die jedoch in die Zeit der Kolonialisierung fielen und die er nicht in den Dienst der Politik stellen wollte. Leo Frobenius erarbeitete eine Kulturmorphologie, die erstmals die Afrikaforschung systematisierte, inzwischen jedoch als überholt gilt. Neben ihren eigentlichen Tätigkeiten gelten die Afrikareisenden auch als „Entdecker“, was jedoch eher als „erkennendes Wahrnehmen“ zu verstehen ist.

Der dritte Themenblock stellte die vergleichende Kulturbeobachtung vor. In seinem Vortrag erzählte PETER STEINBACH (Mannheim) die Schilderungen des Afrikaners Lukanga Mukara, die dieser während seiner „Forschungsreise“ durch Deutschland festgehalten hatte. Er beobachtete den Alltag der europäischen „Eingeborenen“ und konstatierte einige Merkwürdigkeiten. Verfasser dieser Schrift ist Hans Paasche, der den doppelten Perspektivwechsel während der Kaiserzeit zu einer Systemkritik nutzte. Als Marineoffizier hatte er Afrika selbst kennen lernen können und war wegen seines offiziellen Auftrags gezwungen, Aufstände niederzuschlagen. Nach seiner Rückkehr und der Veröffentlichung der vermeintlichen Briefe des Mukara zog sich der zum Pazifisten gewordene Schriftsteller aus der Öffentlichkeit zurück. Dennoch wurde er verhaftet und verfolgt und kam bei einer Hausdurchsuchung tragisch ums Leben.

Eine weitere deutsch-afrikanische Verbindung baute MANUELA BAUCHE (Leipzig). Sie untersucht in ihrer Dissertation die zu Beginn des 20. Jahrhundert einsetzende Malariaforschung. Im damaligen Deutsch-Ostafrika wurde 1901 die Stadt Dar es Salaam in mehrere Segmente aufgeteilt, um bei den Einwohnern systematische Untersuchungen durchzuführen. Die Aufteilung der Stadtzonen orientierte sich an der Zusammensetzung der Bewohner. In Bereichen, die überwiegend von Einheimischen bewohnt waren, wurden Blutproben entnommen, untersucht und Chinin verabreicht, um eine weitere Verbreitung von Malaria zu verhindern. Europäer waren von dieser Maßnahme ausgenommen, da vermutet wurde, dass die Krankheit nur von den Einheimischen auf die Europäer übertragen würde. In Wilhelmshafen und Emden gab es weitere Untersuchungsstationen in Siedlungen außerhalb der Kernstadt. Im Emdener Stadtteil Transvaal konnte eine ähnlich isolierte Beobachtung der Erkrankung durchgeführt werden wie in Afrika. Beide Projekte wurden 1920 wieder eingestellt, nachdem sich die Vermutungen nicht bestätigten, wie Bauche schilderte. Denn man war davon ausgegangen, dass ein enger Zusammenhang zwischen Malaria und der Umgebung bestünde: Die Stadtteile galten sowohl in Afrika als auch in Transvaal als unsauber und rückständig.

Der vierte und letzte Themenblock befasste sich mit der Afrikarezeption in der Kunst. Der Kunsthistoriker PHILIPP KUHN (Baden-Baden) referierte das Schicksal des 1843 vom preußischen Prinzen Albrecht nach Berlin verbrachten und damals 7-jährigen Sabac el Cher. Als „Kammermohr“ galt er nach Jahren der Ausbildung (insbesondere der deutschen Sprache) als Exot am preußischen Hof. Über Jahrzehnte verrichtete er seinen Dienst, heiratete die Berlinerin Anna Maria Jung und galt als integriert nach heutigem Verständnis. Ein von Emil Doerstling 1890 gemaltes Doppelporträt ist betitelt als „Preußisches Liebesglück“ und seit einiger Zeit im Deutschen Historischen Museum in Berlin zu sehen. Dieses Doppelporträt zeigt den Sohn des Kammerdieners mit dessen Verlobten. Sabac el Chers Sohn, mit Vornamen Gustav, wurde 1897 Kapellmeister und war der erste Musiker einer deutschen Armee mit afrikanischem Hintergrund. Kuhn führte aus, dass es in Deutschland zahlreiche weitere Beispiele von am Hof beschäftigten Afrikanern gegeben habe, die meist als Militärmusiker eingesetzt wurden und dabei eine kreative Tracht verpasst bekamen.

Mit dem abschließenden Beitrag stellte MATTHIAS WINZEN (Saarbrücken) die Auseinandersetzung mit afrikanischer Kunst zu Beginn des 20. Jahrhunderts vor. Carl Einsteins 1915 veröffentlichte Schrift „Negerplastik“ bot neue Ansatzpunkte einer Annäherung an das Fremde. Gleichzeitig gelang es Einstein, die europäische Kunstgeschichte in ihrer eng gefassten Begrifflichkeit in Frage zu stellen. Die Mittel der Klassifizierung griffen nicht mehr bei der Beschreibung afrikanischer Plastiken, da die europäische Kunst seit der Renaissance sich zu sehr auf die Erzeugung von Raumillusionen und Perspektivität verlagert hatte, wie Winzen dies ausführte. Einsteins Annäherung über die visuelle Wahrnehmung schien die einzig probate Möglichkeit einer Auseinandersetzung zu sein – das Verhältnis von Betrachter zum Werk musste neu definiert werden. Winzen wies darauf hin, dass diese Herangehensweise auch für die epochalen Umbrüche jener Zeit von großer Bedeutung war: Auf vielen Ebenen hätten sich Krisen abgezeichnet, die mit dem Ausbruch des Ersten Weltkriegs in einer Katastrophe mündeten. Für die Kunst habe dies ein Ausbrechen aus den gängigen Formen der Gestaltung wie auch der Betrachtung bedeutet. Im Kubismus lösten sich Raumillusion und Perspektivität auf, den Bildmitteln afrikanischer Kunst ähnlich.

In der Diskussionsrunde am Ende der Veranstaltung konzentrierten sich die Beiträge auf die Transformation von Kultgegenständen zu Kunstobjekten und dem vermutlich neu zu definierenden Kunstbegriff in Bezug auf Objekte afrikanischen Ursprungs. Denn die stark eurozentrisch definierten Kriterien für Kunstwerke könnten nicht auf Afrika übertragen werden, da dort ein vollkommen verschiedener Kulturbegriff gelte. Afrikanische Objekte seien auf einen bestimmten Zweck hin geschaffen und stets Teil eines übergeordneten Ganzen. Der europäische Ansatz des L’Art pour L’Art könne demnach nicht auf afrikanische Kunst angewandt werden. Dies blieb als Desiderat an die weitere kunstwissenschaftliche Forschung stehen.

Sich der Kultur und Geschichte eines gesamten Kontinents im Rahmen einer eintägigen Veranstaltung anzunähern, schien zunächst ein sehr gewagtes Unterfangen. Doch durch die wechselnden Perspektiven und Ansätze der einzelnen Referate konnten dem Publikum neue Denkanstöße mit auf den Weg gegeben werden. Gerade während der abschließenden, sehr lebhaften Diskussion wurde deutlich, wie sehr die einzelnen Beiträge ineinander griffen und die Schwierigkeit einer unbelasteten Herangehensweise aus unterschiedlichen Sichtweisen thematisierten. Ein Ergebnis war nicht zu erwarten und nicht intendiert, vielmehr lag den Veranstaltern daran, den Anwesenden die Facetten der Möglichkeiten auf interdisziplinärer Ebene vorzustellen. Eine weitere Auseinandersetzung mit der Thematik obliegt jedem einzelen selbst.

Im März 2012 wird im Athena-Verlag ein Katalog zur gleichnamigen Ausstellung "Afrika mit eigenen Augen. Vom Erforschen und Erträumen eines Kontinents" erscheinen, in dem die Beiträge der Referenten als Essays publiziert sind.

Konferenzübersicht:

Reinhard Klimmt, Saarbrücken): Afrika

Dieter Kusch, Baden-Baden): Afrikanische Flöten

Till Förster, Basel): Das Authentische. Konstruktion einer Wahrheit

Isabel Voigt, Leipzig): Die Kartierung Afrikas. Produktive Missverständnisse

Barbara Wagner, Baden-Baden): Jenseits der Trampelpfade. Die „Entdeckung“ eines Kontinents

Peter Steinbach, Mannheim): Die Forschungsreise des Afrikaners Lukanga Mukara ins innerste Deutschland

Manuela Bauche, Leipzig): Selbe Bilder, selbe Taktik. Vom medizinischen Beforschen Afrikas und Ostfrieslands um 1900

Philipp Kuhn, Baden-Baden): Als schwarzer Mann in Königsblau. Zum Schicksal einer afrikanischen Familie im Berlin des 19. Jahrhunderts

Matthias Winzen, Saarbrücken): Originelle Abwandlungen. Carl Einstein und das Eigene im Fremden

Anmerkung:
1 „Afrika mit eigenen Augen. Vom Erforschen und Erträumen eines Kontinents“ 17. März bis 2. September 2012 im Museum für Kunst und Technik des 19. Jahrhunderts, Baden-Baden.


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