Wuppertal-Bochumer Hochmittelalter Tag III

Wuppertal-Bochumer Hochmittelalter Tag III

Organisatoren
Jochen Johrendt / Vera Eiteneuer, Lehrstuhl für Mittelalterliche Geschichte, Bergische Universität Wuppertal; Gerhard Lubich / Matthias Weber, Lehrstuhl für die Geschichte des Früh- und Hochmittelalters und Historische Hilfswissenschaften, Ruhr-Universität Bochum
PLZ
42119
Ort
Wuppertal
Land
Deutschland
Fand statt
Digital
Vom - Bis
17.06.2022 -
Von
Julia Andree, Lehrstuhl für die Geschichte des Früh- und Hochmittelalters und Historische Hilfswissenschaften, Ruhr-Universität Bochum

Am Beginn der dritten Ausgabe des Wuppertal-Bochumer Hochmittelalter Tages stand eine These, die sich im Laufe der Veranstaltung bestätigen sollte: „Das Hochmittelalter ist wie das Innere eines Hamburgers. Auf den ersten Blick unscheinbar, aber im Endeffekt unverzichtbar.“ Mit diesem Vergleich verdeutlichte GERHARD LUBICH (Bochum) die besondere Bedeutung der Hochmittelalterforschung als Bindeglied zwischen Früh- und Spätmittelalter. Auch JOCHEN JOHRENDT (Wuppertal) bekräftigte das Potenzial der Zeit zwischen 1050 und 1250 und wies in seinem Begrüßungswort zudem auf das Ziel der Tagung hin, den Austausch junger Wissenschaftler:innen zu fördern und ihnen die Möglichkeit zur Präsentation und Diskussion aktueller Forschungsprojekte zu geben.

Obwohl eine Gründungsurkunde für St. Simeon bis dato nicht überliefert ist und erst für das Jahr 1048 eine Urkunde Erzbischof Eberhards vorliegt, die die Existenz eines Propstes belegt, warf NAEMI WINTER (Bonn) die Frage auf, ob es dennoch eine früher einzuordnende Gründungsurkunde gegeben haben könnte. Den Ausgangspunkt der im Kontext ihres Dissertationsprojektes zum Quellenkorpus der Trierer Klöster und Stifte entstanden Analyse bildete eine Urkunde Erzbischof Poppos aus dem Jahr 1042, die von der Schenkung des Koblenzer Zolls an St. Simeon berichtet. Winter sprach sich in Anlehnung an die bisherige Forschung dafür aus, dass es sich hierbei wahrscheinlich um eine Abschrift aus dem 12. Jahrhundert handele. Bezüglich der Rekonstruktion des Originals, das Theo Kölzer in das Jahr 1178 datiert, verwies sie erstens auf die bereits genannte Urkunde von 1048 sowie zweitens auf eine Urkunde Erzbischof Udos aus dem Jahr 1071. Aus Sicht der Referentin seien diese besonders im Hinblick auf ihre Narratio und Arenga von hoher Relevanz für die Ausgangsfrage. Obwohl die Aussteller Eberhard und Udo nicht als Gründer St. Simeons gälten, würden sie in den jeweiligen Arengen als fundator bezeichnet werden. Winter formulierte aufgrund dieser Beobachtung die These, dass sich die Schreiber bei der Formulierung, die sich in dieser Form lediglich in einer weiteren Urkunde des Jahres 1061 wiederfände, an der von ihr gesuchten ursprünglichen Gründungsurkunde orientiert haben könnten. Diese sei vermutlich um 1042 entstanden und habe sich inhaltlich auf den Gründungsvorgang sowie die bestätigten Güter beschränkt.

LEONHARD FISCHER (Göttingen) betrachtete den von ihm angenommenen Zusammenhang der Faktoren Ehe, Geschlecht und Herrschaft. In Verbindung mit einem Hinweis auf die veränderten Definitionen von Geschlecht, sex und gender machte der Referent darauf aufmerksam, dass Erkenntnisse über die performative Geschlechteridee bisher kaum in der historischen Mediävistik aufgegriffen worden seien. Indem er die Handlungs- und Diskurstheorie miteinander verknüpfte, wollte Fischer am Beispiel Friedrich Barbarossas und seiner zweiten Ehefrau Beatrix von Burgund ausführen, wie das Geschlecht das herrschaftlich-eheliche Handeln und Verhalten von König und Königin beeinflusste. Seine auf Thomas von Chobham zurückgehende Beobachtung, dass der Staufer besonders im Ehebett für die Fürsprache seiner Gattin nach dem Vorbild der biblischen Königin Esther empfänglich gewesen sei, illustrierte Fischer anhand der Unterwerfung Mailands 1162 sowie des Bischofsstreites von Cambrai 1167. In beiden Fällen sei Beatrix von den Quellen als Figur beschrieben worden, die im Anschluss an private Gespräche mit Gesandten ihren ‚weiblichen Sanftmut‘ genutzt habe, um auf ihren Ehemann einzuwirken. Ihre geschlechterspezifischen Eigenschaften hätten somit zur Herrschaftsausübung beigetragen.

Dem Themenfeld der (zwischen-)menschlichen Beziehungen widmete sich auch LARS SCHULZE (Freiburg), der das Verhältnis zwischen sächsischen und dänischen Großen aus genealogischer Perspektive beleuchtete. Dabei stellte er exemplarische Befunde aus seinem Dissertationsprojekt über die Folgen und Alteritätsaspekte der sächsischen Konnubien vor. Betrachte man die persönlichen Berührungspunkte, zeige sich laut Schulze, dass diese Verbindungen sowohl positive als auch negative Konsequenzen für die Beteiligten haben konnten. Während z.B. Welfen und Waldemare ihre bereits bestehende amicitia zwischen Waldemar I. und Heinrich dem Löwen durch Heiratsbündnisse intensiviert und stabilisiert hätten, berichte dagegen Saxo Grammaticus vom schlechten Einfluss Adelas von Wettin. Diese soll am Hof Svens III. sächsische Sitten und Ritualen eingeführt und ihren Gatten von der Kriegsführung abgelenkt haben. Berücksichtige man weitere Konnubien, käme man nach Ansicht Lars Schulzes zu der Erkenntnis, dass die Gründe für derartige Verbindungen und die mit ihnen einhergehenden Erwartungen in beiden Untersuchungsgruppen kompatibel gewesen seien. Unterschiedliche Vorstellungen – bspw. im Hinblick auf die bei den Dänen im Hochmittelalter weiterhin praktizierte Polyamorie – hätten nach aktuellem Kenntnisstand keine Konflikte zwischen den Parteien ausgelöst. Allerdings wies der Referent darauf hin, dass nur wenige Ehen zu einer dauerhaften Bindung der Parteien geführt hätten.

Über den Aufstieg und Fall der erstmals 1073 erwähnten Grafen von Diez aus dem mittleren Lahngau berichtete MATTHIAS KÜHLWEIN (Gießen). Unter der Prämisse, dass der viel zitierte ‚Kipppunkt‘ bezüglich der Genese eines Adelsgeschlechtes das Ergebnis eines auf Annahmen basierenden Topos der Forschung sei, veranschaulichte er sowohl Handlungsmöglichkeiten als auch -grenzen und deren Wandlung. Bezugnehmend auf die familiären Binnenstrukturen erklärte Kühlwein, dass die Diezer in ihrer Kernfamilie geblieben und keinerlei Ansätze zur Dynastiebildung nachweisbar seien. Diese Fokussierung werde besonders in Situationen deutlich, in denen die Kontinuität der Familie gefährdet gewesen sei. So sei beispielsweise die Erbfolge durch Gerd V. zugunsten seiner Töchter neu geregelt worden, als sich die Familie im 13. Jahrhundert in die Linie der Diezer und der Weilnauer geteilt habe. Des Weiteren präsentierte Matthias Kühlwein Überlegungen zur Gestalt der adligen Herrschaft der Grafen von Diez. Er beschrieb die Entwicklung ihres Besitzes, der kompakt im Lahntal und der westlichen Wetterau gelegen habe und somit für die persönliche Herrschaftsausübung prädestiniert gewesen sei. Hierbei seien die Grafen in der Mitte des 14. Jahrhunderts von zwei nachweisbaren Amtmännern unterstützt worden. Gegen eine rein teleologische Deutung adliger Handlungen sprach sich der Referent entschieden aus; stattdessen bekräftigte er eine stärkere Berücksichtigung des Zufalls und der Trivialität als einflussnehmende Faktoren.

DANIELA BIANCA HOFFMANN (Bochum) widmete sich der kontrovers diskutierten Figur des Mönchsbischofs. Basierend auf den Modellen Max Webers über das Mönchtum zwischen Kirche und Welt sowie Claudia Rapps und Peter Browns über die Bedeutung der Askese als Basis bischöflicher Autorität stellte Hoffmann die Mönchsbischöfe der Zisterzienser und Kartäuser gegenüber. Hinsichtlich der Bischofserhebung machte die Referentin deutlich, dass die von ihr untersuchten Viten stets die Weigerung der Kandidaten bezüglich der Wahlannahme sowie die anschließende Einflussnahme hoher Würdenträger betonen würden. Während im Fall der Zisterzienser das Episkopat als Martyrium gegolten habe und nur unter Berufung auf den Gehorsam hätte angenommen werden dürfen, sei bei den Kartäusern die Verweigerung der Amtsannahme von hoher Relevanz gewesen. Hieraus leitete Hoffmann eine hohe Skepsis der Kartäuser gegenüber dem Bischofsamt ab. Im Hinblick auf das monastische Leben als Bischof lasse sich ihrer Meinung nach beobachten, dass die Orden unterschiedliche Bischofsideale vertreten hätten, die in besonderer Weise durch die älteren Viten transportiert worden seien. Während sich die Zisterzienser anfangs durch eine apostolische Ausrichtung ausgezeichnet hätten, hätten später auch verbale Seelsorge, gemäßigte Armut und Caritas einen Schwerpunkt ihrer bischöflichen Arbeit gebildet. Die Mönchsbischöfe der Kartäuser seien hingegen auf das Festhalten an der monastischen Lebensweise und der Kontemplation konzentriert gewesen. Aufgrund dieser Fokussierung hätten sie genuin bischöfliche Pflichten vernachlässigt. Hinsichtlich der Ansätze Webers und Browns/Rapps bekräftigte die Referentin, dass beide relevant seien, wenn es um die Frage nach der Vereinbarkeit von Mönchtum und Bischofsamt gehe. Sie postulierte, dass die Autorität eines Mönchsbischof diejenige eines einfachen Mönches mit höheren Machtbefugnissen übertroffen habe. Weiter hätten sich viele der von ihr untersuchten Autoren nicht mit dem institutionellen Rahmen der Kirche identifizieren können, weshalb die Unterschiede durch eine Angleichung der Kirche an die Klöster behoben worden seien.

Seine bisherigen Forschungsergebnisse zur päpstlichen Delegationsgerichtsbarkeit in Oberdeutschland präsentierte PHILIPP T. WOLLMANN (München). Den Rückgang der Fallzahlen während des alexandrinischen Schismas führte der Referent auf den Herrschaftsstil Friedrichs I. zurück. Barbarossa habe seine Autorität durch Friedens- und Rechtssicherung zum Ausdruck gebracht, was laut Wollmann u.a. an der Friedensordnung von 1152 zu sehen sei. Diese veranschauliche zwar den Versuch eines Zusammenspiels von geistlicher und weltlicher Rechtsprechung, habe sich aber auf das Reichsepiskopat beschränkt. Infolge dieser Zurückweisung seien anschließend – mit Ausnahme Ottos von Freising – ausschließlich königsferne Bischöfe vom Papst in die Delegationen berufen worden. Anhand der doppelten Papstwahl von 1159 könne man außerdem erkennen, dass das Erzbistum Salzburg eine diplomatische Sonderstellung im Konflikt zwischen Kaiser und Papst eingenommen habe. Während die Salzburger auf weltlicher Ebene Barbarossa unterstützt hätten, seien sie in kirchlicher Hinsicht Alexander III. gefolgt. Ihr Verzicht auf die päpstliche Gerichtsbarkeit in dieser Zeit sei nach der Auffassung des Referenten als Versuch einer Eskalationsvermeidung zu deuten. Nach dem Frieden von Venedig 1177 und dem Herrschaftsantritt Friedrichs II. habe sich die päpstliche Gerichtsbarkeit allerdings sukzessive ausbreiten können. Durch den Vergleich der Konflikte Friedrichs I. und Friedrichs II. mit dem Papst machte Wollmann deutlich, dass sich unter Friedrich II. nicht nur die päpstliche Rechtsprechung intensiviert habe, sondern gleichzeitig ein Rückgang des unter Barbarossa noch bemerkenswerten politisch-weltlichen Einflusses zu verzeichnen sei. Er verwies auf den Zeitraum zwischen 1226 und 1230, da dieser die Annahme besonders stützte, und resümierte, dass die Gerichtsbarkeit des Papstes unter Friedrich II. auf breiter Ebene anerkannt gewesen sei.

Die Gastgeber:innen dankten in ihrem Schlusswort den Referent:innen sowie allen Interessierten für ihre aufschlussreichen Beiträge, die das schon zu Beginn attestierte Potenzial der Hochmittelalterforschung eindrucksvoll unterstrichen. Die an die Vorträge anschließenden Frage- und Diskussionsrunden trugen zu einem produktiven Austausch bei, der die Einnahme neuer Perspektiven anregte.

Konferenzübersicht:

Jochen Johrendt (Wuppertal) / Gerhard Lubich (Bochum): Begrüßung

Naemi Winter (Bonn): Eine Gründungsurkunde für St. Simeon? Die gefälschte Schenkungsurkunde Erzbischof Poppos de dato 1041 und ihre echte Vorlage

Leonhard Fischer (Göttingen): Ehe als soziale und kommunikative Praxis von Herrschaft im 12. Jahrhundert – Das Beispiel Friedrich Barbarossas und Beatrix’ von Burgund

Lars Schulze (Freiburg): Partner, Gegner und schlechter Einfluss – Verwandtschaftliche Beziehungen zwischen sächsischen und dänischen Großen im Hochmittelalter

Matthias Kühlwein (Gießen): Die Grafen von Diez (12.-14. Jahrhundert)

Daniela Bianca Hoffmann (Bochum): Die Autorität des Mönchsbischofs. Zisterzienser und Kartäuser im Vergleich

Philipp T. Wollmann (München): Die päpstliche Delegationsgerichtsbarkeit im Konflikt zwischen Kaiser und Papst (1159-1254)

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