In der epochen- und fachübergreifenden Tagung wurden sowohl das Konzept wie auch der Begriff der Sklaverei und deren verschiedene Ausprägungen im europäischen Raum – begonnen mit einem zusammenfassenden Blick der Alten Geschichte bis zum Ende des 20. Jahrhunderts – thematisiert. Das absichtlich vage formulierte Thema wurde von Vertretern verschiedener Disziplinen und Spezialisten verschiedener Epochen aus mehreren Ländern rezipiert, so dass zum Ende der Tagung ein breites und buntes Netz aus Vorträgen für eine finale Diskussion der gefundenen Unterschiede und Gemeinsamkeiten an Arten der Unfreiheit entstanden war.
SZYMON OLSZANIEC (Toruń) begann mit dem spätrömischen Reich, das mittlerweile keine Expansionskriege mehr führte und auch schon in geraumer Zeit keinen militärischen Erfolg zu verzeichnen hatte. Somit war deren Hauptquelle an Sklaven nicht mehr zugänglich; stattdessen wandten sie sich verschärft dem Sklavenhandel zu, insbesondere die Gothen waren Hauptopfer dessen. Auch römische Einwohner wurden versklavt, entweder als juristische Strafe oder beispielsweise durch Verkauf durch die eigenen Eltern. Eine Konstante in dem römischen Umgang mit Sklaven war deren Stand als Besitzgegenstand des Herren: Erst ein Gesetz aus dem Jahr 319 n. Chr. verbat Mord oder schwere körperliche Verletzung des Sklaven als Bestrafung.
Mittelalterliche Arten der Unfreiheit wurden besonders im Hinblick auf die Rolle der Kirche untersucht. So stellte THOMAS WETZSTEIN (Eichstätt-Ingolstadt) die Verbindung zwischen Rechtslehre und Sklaverei her, da beide sich schon während römischer Zeit parallel zueinander entwickelten. Kirchenrecht formulierte Freiheit zwar als Geschenk Gottes, die Sklaverei wurde aber als durch die Erbsünde bedingten Naturzustand der Menschen angesehen. Die Kirche war der Sklaverei also nicht abgeneigt, wusste sie den Nutzen von Sklaven doch perfekt einzusetzen. Vielmehr formulierten sie die Gleichheit aller Menschen als Auftrag für die Zukunft. Der Vortrag durch EDUARD VISINTINI (Mainz) bestätigte diese Beteiligung sowie Weiterführung römischer Sklaverei im Mittelalter durch die Kirche und führte weiter aus, dass Sklaven in klarem Kontrast zu Gefangenen gesehen werden müssen und hier ein Unterschied zwischen gerechter und ungerechter Unfreiheit formuliert wurde. Das Mittelalter führte die Unfreiheit der Römer also weiter und rechtfertigte sie nun biblisch. Hier stieß die Tagung auch zuerst auf die Problematik des Begriffes: die ancillae im Kontrast zu Sklaven, slaves, serfs, Leibeigenen, dem lateinischen servus – die Quellensprache des Mittelalters macht eine exakte Begrifflichkeit ebenso schwierig wie die Antike.
Mit dem Vortrag durch JACEK BOJARSKI (Toruń) und MAŁGORZATA DERECKA (Olsztyn) wurde eine archäologische Sichtweise auf den (Un-)Freiheitsbegriff geworfen: In den von ihnen untersuchten Grabstätten ging es um die gesellschaftlichen Zwänge von insbesondere Frauen – und wie diese auch über den Tod hinaus bestanden, bedingt durch ihre Pose im Grab und Status als Grabbeigabe für Männer. Dieser von dem viel diskutierten Sklavereibegriff klar unterschiedenen Druck, dem Mann in den Tod zu folgen, und die Romantisierung dessen als eine Art der Unfreiheit warf erstmals die Frage des Bewusstseins auf – inwieweit ist es von Relevanz für die Forschung, ob die Zeitgenossen den beschriebenen Zustand ebenfalls als Unfreiheit kategorisieren würden?
Die Vorträge mit einem epochalen Schwerpunkt in der Frühen Neuzeit gingen insbesondere auf die Religionsfreiheit als verwehrtes Gut und die Kriegsgefangenschaft als eine zeitlich begrenzte Unfreiheit ein. WOLFGANG WÜST (Erlangen-Nürnberg) stellte die Kopplung von gesetzlicher Unfreiheit und gesellschaftlichem-sozialen Zwang am Beispiel des Kirchenzwangs im Anschluss des Augsburger Religionsfrieden 1555 dar. Wo „Policeyordnungen“ nicht galten – wie in Reichsstädten – oder wo es trotz des an den Landesherren gebundenen Religionszwangs beispielsweise ökumenische Beziehungen gab, griff oft persönlicher Ausschluss aus der Familie und damit verbundene Enterbung als soziale Einschränkung.
Sowohl MICHAŁ KURAN (Łódź) wie auch JAKUB SYTNIEWSKI (Opole) boten beide eine Perspektive auf eine polnische Geschichte der Freiheit. Kuran ging hier auf die „Beschreibung des sarmatischen Europas“ ein, in welcher der Autor Alexander Guagnini die Sklaverei als Antonym zu Freiheit sieht und somit einem freien Polen im Weg steht: „die Freiheit [öffne] die Tür zur Unabhängigkeit”. Sytniewski ging auf die Angriffe der Tataren und die folgenden Verschleppungen ein. Die hier Gefangenen wurden zeitgenössisch nicht für ihre unfreiwillige Unfreiheit verurteilt und hatten verschiedene Optionen, um ihre Freiheit wieder zu erlangen: Lösegeldzahlungen, Freilassungen, Flucht, Befreiungsmission (Rettung), die Konversion zum Islam oder in seltenen Fällen auch „Pobratymstwo“ (= Blutsbrüderschaft). Die Art und Weise, wie Gefangene behandelt wurden und welche Optionen ihnen damit offen waren, hing von ihrem Stand ab.
Mit dem 19. Jahrhundert liefen manche Formen der Unfreiheit langsam aus. ANDRZEJ MICHALCZYK (Bochum) und JAN OCKER (Kiel) gingen beide auf das umstrittene Konzept der Leibeigenschaft ein, insbesondere deren Auslaufen im 19. Jahrhundert: Mit dem wachsenden Industrie- und Dienstleistungssektor wurden die klassischen Formen der Leibeigenschaft für Feldarbeit immer obsoleter, diese endeten auch in deutschsprachigen Gebieten um diese Zeit. Doch Freiheit war damit nicht gegeben, weder Zug- noch Berufsfreiheit waren überall vorhanden. Auch KAVEH YAZDANI (Connecticut) sprach über den Wandel zur Lohnarbeit, dieser bedeutete jedoch keineswegs freiere Arbeitsmöglichkeiten. Vielmehr unterstrich Yazdani, wie fest Sklaverei und Unterdrückung durch Lohnarbeit Teil des nun entstandenen Kapitalismus waren. Die europäischen Kolonien waren nur durch Sklaverei profitabel zu halten und lediglich mit den Kolonien funktionierte der Motor der modernen Industrie. Die Unfreiheit nahm somit mehr zu als tatsächlich ab. Lohnkürzungen erwiesen sich als effizienter in Europa als Sklaverei und wurden so Teil der Wirtschaft.
VOLODYMYR ABASCHNIK (Charkiw) stellte mit seiner Diskussion zur Geschichte der Universität Charkiw den Gedankenaustausch deutscher und polnischer Gelehrter sowie den Einfluss vor, den dieser auf Diskussionen zu Freiheit von Lehre und Wissenschaft hatte, insbesondere deren Unterdrückung durch das zarische Russland.
Die Vorträge mit Schwerpunkt im 20. Jahrhundert konzentrierten sich insbesondere auf den politischen und gezielten Einsatz von Freiheitsentzug unter anderem in Form von Unterdrückung der Pressefreiheit und Gefängnissen.
ALEXANDRA PULVERMACHER (Klagenfurt) gab mit einem Fallbeispiel aus dem besetzten Polen und der dort eingeführten Schutzhaft die bis dato genaueste Angabe an, wie der Freiheitsentzug exakt verlief, von fadenscheinigen Gründen für Verhaftungen, die dann zu einer “Schutzhaft” in KZs führte, oft mit massiven Sterberaten. Die brutale Vorgehensweise führte zu einem massiven Zulauf für den polnischen Widerstand. Die hier gezielt eingesetzte Unfreiheit war willkürlich und grausam.
Ein letztes Beispiel an Unfreiheit kam von BARTOSZ KALISKI (Warschau), der an dem Beispiel des tschechischen Journalisten Jiří Lederer (1922–1983) die Möglichkeiten und Folgen einer zensierten und politisierten Presse ausmachte – eine Art der Unfreiheit, die sowohl den Journalisten sehr persönlich, aber auch dessen potenzielle Leser im Hinblick auf die Informationen, die ihnen frei zugänglich sind, einschränkt.
Durch die offene Themenstellung war es jedem Referenten möglich, seine persönliche Interpretation des Freiheits- und Unfreiheitsbegriffes in Bezug zum jeweiligen Feld zu geben. Auch deshalb waren die Themen so bunt und machten eine schlüssige und zusammenfassende Schlussfolgerung schwierig. Der abschließende Austausch war bestimmt durch Diskussion über die Semantik des Sklavereibegriffes, wobei der allgemeine Schluss war, dass bei Bezug auf Quellen immer das in der Quelle verwendete Wort in Originalsprache anzumerken sei und gerade das englische slave durch die amerikanischen Baumwollplantagen vorbelastet ist und ein Diskurs, der natürlich immer nötig bleibt, mit Nuance in dieser Hinsicht erfolgen muss.
Die Zeit der Tagung erlaubte nur einen kleinen Einblick in ein riesiges Feld der Freiheits- und Unfreiheitsforschung. Gerade der interdisziplinäre und epochenübergreifende Ansatz machte hier den Eindruck, dass kaum die Oberfläche des Themas angekratzt werden konnte. Man kann hier bestimmt noch mehr Forschung und Diskussion erwarten.
Konferenzübersicht:
Szymon Olszaniec (Toruń): Slavery in the late Roman Empire – An overview
Thomas Wetzstein (Eichstätt-Ingolstadt): Freiheit und Unfreiheit im mittelalterlichen Kirchenrecht
Kaveh Yazdani (Connecticut): Political economy, capitalism and discourses on free and unfree labor, ca. 17th to 19th centuries
Volodymyr Abaschnik (Charkiw): Beitrag polnischer und deutscher Gelehrter zu Freiheitsdiskussionen an der Universität Charkiw in der ersten Hälfte des 19. Jahrhunderts
Wojciech Mrozowicz (Breslau): Freiheit als Wert in der schlesischen Historiografie und Hagiografie des Mittelalters
Michał Kuran (Łódź): Freedom and enslavement of nations and individuals in the European Sarmatian Chronicle (1611) by Alexander Gwagnin
Krzysztof Kwiatkowski (Toruń): Unfreie im spätmittelalterlichen Preußen. Zwischen Krieg und Besiedlung
Jakub Sytniewski (Opole): About mutual experience of captivity. The situation of prisoners of war from the Polish-Lithuanian state in the Crimea and Tatars captives in Polish-Lithuanian Commonwealth in 17th century
Alexandra Pulvermacher (Klagenfurt): Die Anwendung der „Schutzhaft“ im besetzten Polen am Beispiel der „Intelligenzaktion Zichenau“
Jacek Bojarski (Toruń) und Małgorzata Derecka (Olsztyn): Auch nach dem Tod zusammen. Freier Wille oder Religions- und Gesellschaftdiktat?
Eduard Visintini (Mainz): Rightful and Unrightful Unfreedom in the Early Middle Ages: The Case of Merovingian Church
Sebastian Kalla (Freiburg): Die ancillae im Hochmittelalter. Ein Fortbestehen der Sklaverei?
Wolfgang Wüst (Erlangen-Nürnberg): Konfessionszwang und Kirchenzucht nach dem Religionsfrieden von 1555. Religiöse Unfreiheit im Heiligen Römischen Reichs Deutscher Nation im Spiegel von Kirchen-, Policey- und Strafordnungen
Jan Ocker (Kiel): „das unsere undersaten [...] unsere liebeigen seindt“. Gedanken zur Geschichte, Struktur und Wahrnehmung der Gutswirtschaft in Holstein, Mecklenburg und Pommern (16. bis 19. Jahrhundert)
Andrzej Michalczyk (Bochum): Der Wandel soziokultureller Haltungen und Erwartungen in einer Post-Leibeigenschaft-Gesellschaft. Oberschlesien im langen 19. Jahrhundert
Marta Baranowska (Toruń) und Paweł Fiktus (Breslau): Analysis and criticism of the Slavery Convention of September 25, 1926 in Polish political and legal thought of the interwar period
Bartosz Kaliski (Warschau): Das tschechische Schicksal? Journalist Jiří Lederer (1922–1983) – Opfer zweier totalitären Systeme