Vergleichen in ethnologischen Sammlungen kleinerer und mittelgroßer Museen. Ein Austausch zwischen Praxis und Wissenschaft

Vergleichen in ethnologischen Sammlungen kleinerer und mittelgroßer Museen. Ein Austausch zwischen Praxis und Wissenschaft

Organisatoren
Caroline Authaler, SFB 1288 „Praktiken des Vergleichens“, Universität Bielefeld; Amir Theilhaber, Lippisches Landesmuseum Detmold
Ort
Detmold
Land
Deutschland
Fand statt
In Präsenz
Vom - Bis
05.10.2023 - 06.10.2023
Von
Malin S. Wilckens, Leibniz-Institut für Europäische Geschichte, Mainz

Das Interesse an ethnologischen Sammlungen hat in den letzten Jahren aufgrund von Rückgabeforderungen, Restitutionsdebatten und einem erhöhten Bewusstsein von kolonialen Unrechtskontexten zugenommen. Für Museen, wie das Humboldt-Forum als Kristallisationspunkt dieser Debatten, bedeutet dies ein Umdenken in ihrer bisherigen Praxis. Inwiefern betreffen diese Kritiken und Debatten auch kleinere Sammlungen in der ‚Provinz‘? Dass diese Sammlungen keinesfalls als ‚Nachzüglerinnen‘ zu verstehen sind, zeigt auch diese Konferenz.1

Die zweitägige Konferenz am Lippischen Landesmuseum Detmold verband das Problem des Umgangs kleinerer Museen mit ethnologischen Sammlungen kolonialer Provenienz mit der Frage nach Bedingungen, Praktiken und Zielen des Vergleichens, wie sie systematisch im Bielefelder SFB 1288 verfolgt werden. Entsprechend formulierten die Organisator:innen Caroline Authaler und Amir Theilhaber in ihrer Einleitung drei übergeordnete Anliegen der Tagung. Erstens sollte sie den Dialog zwischen Vertreter:innen aus Museen und aus der universitären Wissenschaft fördern, um u.a. die „Entstehung europäischer und regionaler Denkformationen“ und „Bewertungsmaßstäbe“ genauer zu verstehen. Zweitens sollten kleinere und mittelgroße Museen in ihren transregionalen Verbindungen, ihren „Weltbezügen“2, perspektiviert werden. Kleinere Museen konnten, so Authaler und Theilhaber, mit ihren globalen Sammlungen „Weltläufigkeit“ beweisen und „regionale Selbstbilder“ formen. Drittens stand die Vergleichsforschung im Zentrum, die neue Fragen an die Sammlungen richten sollte. Vergleichen wurde dabei nicht als Methode, sondern als Untersuchungsgegenstand verstanden.

Diesen Zielen der Tagung entsprechend waren die vier Panels mit Vortragenden aus der praktischen Museumsforschung besetzt, die jeweils durch einen Kommentar aus der Vergleichsforschung aus dem SFB 1288 reflektiert wurden.

Das erste Panel untersuchte „Imperiale Wissensordnungen“ in Ethnologie, Archäologie und Naturkunde und fragte insbesondere, wie sich spezifisch ethnologische und naturkundliche Sammlungen und -objekte zueinander verhielten. LEA STEINKAMPF (Stade) zeigte die Verbindung von botanischer Wissenschaft und dem ‚Sammeln‘ von Ethnographika aus Tansania zu Beginn des 20. Jahrhunderts in der Person des Leiters der Biologischen Reichsanstalt für Land- und Forstwirtschaft, Karl Braun, auf. Steinkampf kam zum Schluss, dass die physischen ethnographischen Sammlungsobjekte als weiterführende Vergleichsobjekte für Brauns kolonial-botanischen Bestimmungsprozess zu verstehen sind. Das vergleichende Sehen erweiterte die botanische Bestimmung durch ethnologische Objekte. Anhand von Flechtmustern konnte Steinkampf die Nutzbarmachung indigenen (weiblichen) Wissens nachweisen, das zur Auswahl wirtschaftlich vielversprechender Pflanzen in den Kolonien ebenso diente wie zur Inspiration industrieller Produktion in Deutschland. GUDRUN BUCHER (Göttingen) zeigte hingegen die getrennte Präsentation ethnographischer und tierischer ‚Objekte‘ im Tiermuseum Alfeld. Beide Objektarten standen jedoch im Zusammenhang mit kolonialen Erwerbskontexten, die eng mit Tier- und ‚Völkerschauen‘ verbunden waren. Die Ethnographika gelangten nur aufgrund lokal verankerter Persönlichkeiten in das Tiermuseum Alfeld.

In ihrem Kommentar hob KIRSTEN KRAMER (Bielefeld) besonders die sich wandelnden Vergleichspraktiken in den Sammlungsgeschichten hervor. Das Beispiel aus Stade zeige, dass das wissenschaftliche Wissen um 1900 mit wirtschaftlichen Praktiken verbunden war und nicht mehr lediglich der naturkundlichen Erkenntnis diente. Mit der Veränderung des geopolitischen Kontextes 1918 veränderten sich auch die Vergleichspraktiken. Kolonialrevisionistische und kulturelle Vergleiche instrumentalisierten nun die Objekte, um einem vermeintlichen Stadienmodell Rechnung zu tragen. Diese asymmetrischen Vergleiche beruhten auf normativen Wertungen. Auch im Alfelder Tiermuseum liege den Ausstellungspraktiken ein evolutionäres Stadienmodell zugrunde. Die räumliche Kopräsenz präparierter Tiere und Ethnographika lege eine Vergleichskonfiguration nahe, die Ähnlichkeit von vermeintlich ‚primitiven Völkern‘ und Tieren hervorhebe. Eine europäische bürgerliche Selbstordnung werde wichtiger als wissenschaftliche Taxonomien, was als gesteigerte Form des Eurozentrismus zu deuten sei.

Das zweite Panel stellte Akteur:innen und Kontexte des Sammelns ins Zentrum des Interesses und thematisierte im ersten Vortrag den kolonialen Jäger als ‚Sammler‘. FRAUKE DORNBERG (Düren) präsentierte Carl Georg Schillings‘ Jagdpraktiken in der Kolonie Deutsch-Ostafrika um 1900. Sie konnte aus der Museumsdokumentation verschiedene Vergleiche identifizieren und dabei eine Verschiebung von Vergleichswerten feststellen, die sich jedoch nicht auf die Jagdpraxis auswirkte. Standen zunächst Männlichkeitskonstruktionen und erfolgreiche Tötungspraktiken im Vordergrund, wie der Vergleich von ‚Trophäen‘, so betonte Schilling später den wissenschaftlichen Wert der erlegten Tiere als ‚Vergleichsmaterial‘, die er alle ins Deutsche Reich schickte. AMIR THEILHABER (Detmold) verglich in seinem Vortrag über drei verschiedene Sammler:innen der lippischen Sammlung in Detmold die Sammelpraktiken in missionarischen, diplomatischen und kolonialadministrativen Kontexten. Auch wenn ‚Sammeln‘ und Vergleichen als verschiedene Praktiken zu deuten sind, so stehen sie doch in einer engen Verbindung: Steine, die beispielsweise in Togo gestohlen wurden, sollten die ‚Machtlosigkeit‘ der Wodu-Religion demonstrieren, um die einheimischen Ewe zum Christentum zu bekehren. Im lippischen Kontext dienten die Steine der „hermeneutischen Aneignung eines Donnerkeils“, der als geologisches Anschauungsobjekt die Frühgeschichte der eigenen Region zu imaginieren half. Die Kulturen wurden am Beispiel des Steins bezüglich ihrer ‚Entwicklungsstufen‘ verglichen.

ELEONORA ROHLAND (Bielefeld) identifizierte in den Ausführungen eine Fossilisierung der lange bestehenden Vergleichsformation aus ‚Rasse‘, Klima und Gender im Kontext von Empire und Umwelt. In beiden Vorträgen erkannte sie ein evolutionäres Stadienmodell und ‚Zivilisierung‘ als Vergleichshinsichten der Akteur:innen, die auf ebendieser Vergleichsformation aufbauen. Rohland beobachtete eine Schichtung von Vergleichspraktiken, die mit Blick auf die Vergleichsformation und im Kontext kultureller Plausibilitätsregime um weitere Topoi wie die Zivilisierungsidee erweitert, jedoch nicht abgelöst wurde.

Die öffentliche Podiumsdiskussion zwischen Vertreter:innen aus Wissenschaft und Politik stellte sich vor allem den Fragen nach Restitution, der Notwendigkeit historischer Forschung und den Möglichkeiten von Partizipation in kleineren Museen. ANTJE FLÜCHTER (Bielefeld) betonte gerade die Notwendigkeit einer kritischen und historischen Auseinandersetzung mit Disziplinen wie der Ethnologie und Anthropologie, um den Gefahren des Präsentismus entgegenzuwirken. Eine Möglichkeit sei dabei die Analyse der Praktiken des Vergleichens, da dies zu einem besseren Verständnis des Konstruktionscharakters bestimmter Stereotype und Weltdeutungen führe. In dieser Hinsicht sind auch MONICA JUNEJAs (Heidelberg) Ausführungen zu den Objekten selbst zu deuten. Diese sprächen nicht für sich selbst, sie würden zugerichtet, Narrative entstünden durch Interventionen. Diesen je eigenen Ontologien der Objekte könne man nur durch Zusammenarbeit gerecht werden; es brauche ein partizipatives Kuratieren auf globaler Ebene. Dafür sei die Politik gefordert, die zum Beispiel einfacher Visa ausstellen müsse. HELGE LINDH (Wuppertal) befürwortete den Vorschlag, wies aber stets auf die verschiedenen Interessenskonflikte und Eigenlogiken der Politik hin. Die Diskussionsteilnehmer:innen machten zudem auf die Gefahren einer europäischen Arroganz aufmerksam. Europäische Akteur:innen beanspruchten gerade im Restitutionsprozess eine moralische Deutungshoheit, die so nicht von allen Akteur:innen gleichermaßen geteilt werde. Es brauche daher nicht Restitution als einzige Option, sondern mehr kreative Lösungen, wie ‚object sharing‘, oder den Tausch von Objekten.

Museen zwischen Region, Nation und Welt war das Thema des dritten Panels. MARTIN NADARZINSKI (Detmold) lieferte in seinem Vortrag einen kurzen Abriss der Sammlungsgeschichte des Badischen Landesmuseums in Karlsruhe. Durch Spenden und Geschenke an den Großherzog sei die Sammlung entstanden und um 1900 vermehrt durch Objekte aus kolonialen Kontexten erweitert worden. Durch Käufe und Tausche mit anderen Museen entstand eine stärker kunstorientierte Sammlung, insbesondere im Gefolge eines 1935 erfolgten „Ringtausches“ zwischen mehreren badischen Museen, im Zuge dessen die einst in der Sammlung gelagerten menschlichen Schädel nach Freiburg gingen. Neben vergleichenden Praktiken zwischen den kuratierenden Museen, betonte Nadarzinski vor allem die konstitutive Rolle stadtgeographischer Faktoren, beispielsweise begrenzte Räumlichkeiten, die Rolle als Residenzstadt oder die Einbettung in föderale Kulturpolitiken des Landes Baden.

Auch im Vortrag von LORE LIEBSCHER (Mylau) standen regionale Raumbezüge im Vordergrund: Sie verglich, wie die örtlichen Vereine für Naturkunde der beiden vogtländischen Kleinstädte Reichenbach und Mylau ihre Sammlungen entwickelten. Beide zunächst naturkundlich ausgerichteten Sammlungen wurden im späten 19. Jahrhundert um ethnologische Objekte aus Namibia oder Tansania erweitert. Am Beispiel dreier Sammlerbiographien plausibilisierte Liebscher, wie sehr die konkrete Sammlungsentwicklung der später zusammengeführten Museen von Einzelpersonen abhing, die in Verbindung zu einer der beiden Städte standen. In beiden Museen habe man kein systematisches Sammeln entwickelt. RAINER HATOUM (Braunschweig) setzte den Akzent in seinem Vortrag auf die gegenwärtigen Provenienzforschungspraktiken des Städtischen Museums Braunschweig. Zu Beginn des 20. Jahrhunderts war die Sammlung wie andernorts um etliche Objekte aus kolonialen Kontexten angewachsen, die allerdings bis 2017 kaum Aufmerksamkeit erhalten hätten. Das Museum hat sich zum Ziel gesetzt, die Geschichte der Museumsobjekte fortzuschreiben und mit ‚Herkunftsgesellschaften‘ zu kooperieren. Am Beispiel des ledernen Patronengurtes von Kahimemua Nguvauva, der die Ovambanderu in den 1890er-Jahren in den Aufstand gegen die deutsche Kolonialherrschaft in Südwestafrika geführt hatte, illustrierte Hatoum die lange und komplexe Restitutionsgeschichte dieses sensiblen Objektes, die sich von einer ersten Anfrage 1993 bis 2021 hinzog – unter anderem, weil kleinere Museen mit den Kosten für kollaborative Provenienzforschung und der Finanzierung der Besuche von Delegationen aus sogenannten ‚Herkunftsgesellschaften‘ oft überfordert seien.

RALF RAPIOR (Bielefeld) deutete die präsentierten musealen Praktiken als Vergleichspraktiken auf drei unterschiedlichen Ebenen: Erstens gehe es um die kategoriale Vereinheitlichung bzw. die Gleichartigkeit der Vergleichsobjekte, zweitens um bestimmte Kriterien, anhand derer Unterschiede und Ähnlichkeiten ausgemacht werden und drittens um die Folgen des Vergleichens. Durch die Herstellung von Sinnzusammenhängen zwischen den Objekten, wie z. B. durch einen Kulturvergleich, entstünden weltgesellschaftliche Repräsentationsordnungen, die eine Gleichzeitigkeit und andere Wirklichkeiten und Deutungsmodelle von Sinn und Kategorien ablehnten. Diese Vergleiche führen von einem regionalen Bezug zu einer Weltbezogenheit.

Das letzte Panel beschäftigte sich mit Fragen nach Repräsentation und Vermittlung. LARS MÜLLER (Berlin) zeigte in seinem Vortrag, wie das Museum in Querfurt in der späteren Ausstellungspraxis vorgeformte Narrative über die afrikanischen Sammlungsobjekte des ‚Forschungsreisenden‘, Afrikafilmers und Großwildjägers Hans Schomburgk übernahm. Die lokale Ehrung der Person Schomburgks zeige einmal mehr die Produktionszwänge und -bedingungen der Museen und die Sehgewohnheiten der Besucher:innen. Ein neues Ausstellungsprojekt soll diese durchbrechen und die Objekte im Dialog mit ‚Herkunftsgesellschaften‘ neu perspektivieren. Müller zeigte auf, wie trotz wandelnder politischer Kontexte bestimmte Praktiken und Ziele gleichgeblieben sind und sich somit gewisse Routinisierungen gefestigt haben. Auch SINA LORBEER-KLAUSNITZ (Mylau) thematisierte den Wandel der Ausstellungspraktiken im Museum Burg Mylau. Vor 1938 sollten die Ausstellungsräume den Reichtum der Sammlung präsentieren. Ungeordnet und willkürlich wurden alle Objekte in großen Vitrinen den Besucher:innen zugänglich gemacht, bevor im NS die Umgestaltung zum ‚völkischen‘ Museum begann. Viele Objekte gingen dabei an das Museum in Dresden. Eine Perspektivierung der Objekte durch die ‚Herkunftsgesellschaften‘ gab und gibt es nicht, da es auch hier an Personal und Geldmitteln fehle. DIPIKA NADKARNI (Lübeck) thematisierte in ihrem Vortrag die Repräsentation und Verbreitung indischen Kunsthandwerks am Beispiel der Völkerkundesammlung Lübeck. Nadkarni hob besonders visuelle Repräsentationen traditionellen Handwerks in britischen Kolonialausstellungen hervor. Durch expositorische Praktiken und kulturelle Konstruktionen wurde so ein westliches Bild von Indien vermittelt, dennoch konnten indische Künstler:innen diese neuen Märkte auch ihrerseits nutzen. Durch die De- und Rekontextualisierungen3 der Objekte waren sie besonders für vergleichende Praktiken geeignet, die eine „tainted appreciation“ im Westen bestätigten.

BRITTA HOCHKIRCHEN (Jena) hob aus kunsthistorischer Perspektive die Bedeutung des Präsentierens und Vermittelns für die Vergleichsperspektive hervor, da so analysiert werden könne, ob Ähnlichkeiten oder Differenzen im Zentrum der Praktiken stünden. Zentrale Fragen seien dabei, wie die Objekte miteinander ins Verhältnis gesetzt und wie sie zugerichtet werden. Da ethnologische Museen koloniale Repräsentationspraktiken etabliert haben, sei es wichtig, heute Verfahren und Praktiken zu entwickeln, mithilfe derer wir aus diesen Repräsentationsformen austreten können.

In der Abschlussdiskussion hob MONICA JUNEJA (Heidelberg) das dialogische Potential von Vergleichspraktiken mit Blick auf die Verbindung von Wissenschaft und Praxis hervor. Das Besondere an den peripheren Sammlungen sei die Möglichkeit einer kritischen Position. Museen seien Orte der Verantwortung. Gerade kleinere Sammlungen haben durch den häufig hybriden Charakter ihrer Sammlungsanliegen das Potential, hegemoniale Narrative zu brechen oder zu unterlaufen. Der Fokus auf Praktiken des Vergleichens könne, so HANS PETER HAHN (Frankfurt am Main), die Kolonialität der Sammlungen sichtbar machen. Eine Möglichkeit des Aufbrechens dieser Verankerung von Museen in der Kolonialität sieht Hahn in einem partizipativen Modell des Museums. Hahn stellte die Frage in den Raum, ob Provenienzforschung als Reparatur gedeutet werden müsse. BERNHARD GIẞIBL (Mainz) betonte die Eigenlogiken des Provinziellen, die in ihren strukturell bedingten Zufällen ernst genommen werden müssten. Kleinere Sammlungen seien als eigenständige Wissensformen mit ihrer je eigenen Genese zu verstehen. Diese Museen könnten als Kristallisationspunkte dienen, an denen das Koloniale auch in ländlicheren Räumen sichtbar werde. In der Ausstellungspräsentation sollten die Biographien, die dort oft im Fokus stehen, dezentralisiert und neu perspektiviert werden. Für VERONICA PESELMANN (Groningen) war die Frage nach den Mobilitäten der Objekte zentral. Wichtig sei ihre verflechtungsgeschichtliche Perspektivierung. Die Organisator:innen resümierten, dass der Austausch den Bedarf für mehr solcher Formate deutlich gemacht habe, und dass weiterhin ein großes Forschungspotenzial in den ethnologischen Sammlungen kleinerer Museen bestünde.

In einem interdisziplinären Dialog von Ethnologie, (Kunst-)Geschichte und Museumspraxis haben sich neue Fragen und Vorschläge für praktische Museumsarbeit und eine Dekolonisierung von Museen ergeben. Der starke Bezug zu Tieren in den Vorträgen lässt die enge Verbindung naturkundlicher und ethnologischer Sammlungsobjekte erkennen, die gemeinsam gerade in kleineren Museen mit dem Verständnis eines Universalmuseums angehäuft wurden. Die Beiträge haben gezeigt, dass das ‚Sammeln‘ wenig gezielt von Statten ging und viele unsichtbare Akteur:innen beteiligt waren. Deutlich wurden zudem die westlichen Sehkonventionen in der Ausstellungspraxis. Das Zooming-In in kleinere Sammlungsgeschichten lohnt sich, gerade wenn davon ausgehend neue Bezüge zu regional-globalen Entwicklungen hergestellt und koloniale Zusammenhänge im Lokalen greifbar werden. Nicht immer ganz eindeutig war, auf welcher Ebene das Vergleichen verortet wurde, ob mit Blick auf die ‚Sammelprozesse‘, die Selbstzeugnisse der Akteur:innen oder die Repräsentation der Sammlung. Wie fruchtbar die Vergleichsforschung für die Praxis und den Dialog mit der Gesellschaft ist, zeigte sich sowohl mit Blick auf die Ausstellungsgestaltung als auch in den Mechanismen der sich verändernden (kolonialen) Nutzbarmachung und Hierarchisierung der Objekte. Einig waren sich die Teilnehmenden, dass es neue Arten der partizipatorischen Ausstellungspraxis und neue Begrifflichkeiten brauche. Die Konferenz hat gezeigt, welch Potential der interdisziplinäre Austausch zwischen Universitäten und Museen mit Blick auf die Spezifika kleinerer Sammlungen birgt.

Konferenzübersicht:

Caroline Authaler (Bielefeld) / Amir Theilhaber (Detmold): Begrüßung und Einführung

Imperiale Wissensordnungen: Ethnologie, Archäologie und Naturkunde

Moderation: Hans Peter Hahn (Frankfurt am Main)
Kommentar: Kirsten Kramer (Bielefeld)

Lea Steinkampf (Stade): Objekte aus Tansania in einem kolonial-botanischen Forschungskontext

Gudrun Bucher (Göttingen): Ethnographika im Tiermuseum der Stadt Alfeld

Akteur:innen und Kontexte des Sammelns

Moderation: Lisa Regazzoni (Bielefeld)
Kommentar: Eleonora Rohland (Bielefeld)

Frauke Dornberg (Düren): „Mit Blitzlicht und Büchse“: Der Nachlass Carl Georg Schillings‘ am Leopold-Hoesch-Museum

Amir Theilhaber (Detmold): Armer Missionar, bürgerliche Kolonialherrin, kosmopolitischer Diplomat, jüdischer Industrieller. Situiertheit von lippischen Sammler:innen und ihre Wissensquellen

Öffentliche Podiumsdiskussion

Antje Flüchter (Bielefeld) / Monica Juneja (Heidelberg) / Helge Lindt (Wuppertal) /

Museen zwischen Nation, Region und Welt

Moderation: Bernhard Gißibl (Mainz)
Kommentar: Ralf Rapior (Bielefeld)

Martin Nadarzinski (Detmold): Zwischen Oberrhein und Nordschwarzwald. Die ethnographische Sammlung des Badischen Landesmuseums von 1875 bis heute

Lore Liebscher (Mylau): Windhoek – Dresden – Reichenbach. (Koloniales) Sammeln von Ethnographika in der sächsischen Peripherie

Rainer Hatoum (Braunschweig) – Der Vorteil des überregionalen Vergleichs – Provenienzforschung und Restitutionsgesuche am Städtischen Museum Braunschweig

Repräsentation und Vermittlung

Moderation: Veronica Peselmann (Groningen)
Kommentar: Britta Hochkirchen (Jena)

Lars Müller (Berlin): Pragmatischer Opportunismus. Der Umgang mit afrikanischen Sammlungsobjekten von Hans Schomburgk

Sina Lorbeer-Klausnitz (Mylau): Die Welt in der Provinz. Präsentation und Vermittlung von außereuropäischen Objekten am Beispiel der Museen in Reichenbach und Mylau (Vogtland)

Dipika Nadkarni (Lübeck): Objects as Commodities: The Representation of Indian Handicrafts in Colonial Exhibitions (1851–1913)

Abschlussdiskussion

Monica Juneja (Heidelberg) / Hans Peter Hahn (Frankfurt am Main) / Bernhard Gißibl (Mainz) / Veronica Peselmann (Groningen) / Caroline Authaler (Bielefeld) / Amir Theilhaber (Detmold)

Anmerkungen:
1 Siehe dazu auch: Anna-Maria Brandstetter / Vera Hierholzer (Hrsg.), Nicht nur Raubkunst! Sensible Dinge in Museen und universitären Sammlungen, Mainz 2018.
2 Johannes Paulmann, Regionen und Welten. Arenen und Akteure regionaler Weltbeziehungen seit dem 19. Jahrhundert, in: Historische Zeitschrift 296 (2013) 3, S. 660–699, hier S. 683, 695.
3 Anthony Giddens, The Consequences of Modernity, Stanford 1990, S. 21–23, 79–81.