Ausbildungswege, Verfolgungspraktiken und Diskriminierung – Polizistinnen in Deutschland in historischer Perspektive

Ausbildungswege, Verfolgungspraktiken und Diskriminierung – Polizistinnen in Deutschland in historischer Perspektive

Organisatoren
Zentrum für Antisemitismusforschung, Technische Universität Berlin; Humboldt-Universität zu Berlin; Universität des Saarlandes (Zentrum für Antisemitismusforschung)
Ausrichter
Zentrum für Antisemitismusforschung
PLZ
10553
Ort
Berlin
Land
Deutschland
Fand statt
In Präsenz
Vom - Bis
09.11.2023 - 10.11.2023
Von
Sören Groß, Provenienzforschung, Deutsches Optisches Museum

Verschiedene Forschungsansätze zur Entwicklungsgeschichte der weiblichen Polizeiarbeit in Deutschland lieferten in den letzten Jahren eine Vielzahl an neuen Erkenntnissen zur Rollen von Frauen im deutschen Polizeiapparat.1 Diese neuen Erkenntnisse und anknüpfende Fragestellungen ließen zugleich deutlich werden, dass dieser Themenbereich in der deutschen Historiographie bislang nur in Ansätzen aufgearbeitet ist. Vor diesem Hintergrund veranstaltete das Zentrum für Antisemitismusforschung an der Technischen Universität Berlin in Kooperation mit der Humboldt-Universität zu Berlin sowie der Universität des Saarlandes eine Fachtagung mit Forscher:innen zur deutschen Polizeigeschichte im internationalen Kontext. Die Präsentation aktueller Forschungsschwerpunkte sowie die Diskussion über neue Erkenntnisse zur historischen Entwicklung weiblicher Polizeiarbeit in Deutschland waren hierbei maßgebend. Im Rahmen der zweitägigen Veranstaltung thematisierten vier verschiedene Panels die Phasen der Herausbildung (I), die Arbeitsfelder und Verfolgungspraktiken (II), innerdeutsche Kontinuitäten und Brüche (III) sowie Quellen, Methoden und spezifische Forschungsfragen zur weiblichen Polizeigeschichte (IV). Verbunden wurden die Panels durch die übergeordneten Fragestellungen der Tagung: In welcher Breite lässt sich die Entwicklungsgeschichte weiblicher Polizeiarbeit in Deutschland untersuchen und wer sind die Akteurinnen?

In der thematischen Einführung zur Tagung verwies ELISABETH JANIK-FREIS (Berlin) auf die zwei zentralen Anliegen der Fachkonferenz:

1. Die Förderung der historischen Aufarbeitung der Entwicklung weiblicher Polizeiarbeit in Deutschland
2. Die Schaffung eines gegenseitigen Austauschs und einer Vernetzung von ausgewählten Forscher:innen zur weiblichen Polizeigeschichte.

Im ersten Panel „Anfänge der Weiblichen Polizeiarbeit“, moderiert von Laurens Schlicht, präsentierte CHRISTA PAULINI (Hildesheim/Holzminden/Göttingen) zentrale Stufen der Herausbildung der weiblichen Polizeiarbeit aus der Fürsorge und Wohlfahrtspflege. Beginnend mit der Ausdifferenzierung der Fürsorgebereiche (Armen-, Waisen-, Trinker-, Wohnungsfürsorge, etc.) zeigte Paulini die Veränderungen ab den 1890er Jahren im Rahmen der Reorganisation und Zentralisierung der freien Wohlfahrtspflege auf. Zeitgleich bildete sich mit der Integration von bürgerlichen Frauen in diese Berufsfelder um 1900 ein neuer Eignungsberuf für Frauen heraus, der mit den Konzepten von „sozialer Mütterlichkeit“ eng verknüpft war. Die Forderung nach anerkannten staatlichen Ausbildungsgängen und Arbeitskräften lässt sich für diese Zeit besonders konstatieren. In diesem Kontext thematisierte Paulini die Bedeutung der Gründung von Berufsverbänden als wirtschaftliche und fachliche Vertretungen, die speziell in der Weimarer Republik stark vertreten waren. Über politische Vertreter:innen im Reichstag gelang es somit, wichtige Gesetzesinitiativen wie das „Reichsjugendwohlfahrtsgesetz“ zu verabschieden und somit der Profession den Weg nicht nur durch die praktische Arbeit an sittlich gefährdeten Kindern, Jugendlichen und jungen Frauen zu bahnen.

Daran anknüpfend präsentierte ERIC J. ENGSTROM (Berlin) verschiedene Umsetzungsstrategien der Berliner Polizeiaufsicht vor dem Ersten Weltkrieg mit Bezügen zur deutschen Anstalts- und Psychiatriegeschichte. Mit dem Entstehen der ersten Anstalten in Berlin (Dalldorf 1889, Herzberge 1893) thematisierte Engstrom die Kooperation der weiblichen Polizeiarbeit mit Gefängnissen und Strafanstalten sowie die Bedeutung öffentlicher Medien. Dass die zeitgenössische Anstaltspraxis mitunter auf Grundlage von Reintegrationsmaßnahmen ausgelegt war, belegte er mit Inhalten aus dem „35. Kongress der Inneren Mission“ im Jahr 1909 sowie mit Umfragen der Inneren Mission zur Tätigkeit von Polizistinnen.2 Diese Quellen dokumentieren u. a., dass vor dem Ersten Weltkrieg große regionale Unterschiede innerhalb der Ausübung der vielseitigen Aufgabenbereiche weiblicher Polizeiassistentinnen vorherrschten – speziell im Hinblick des Vermittlungsprozesses zwischen verschiedenen Einrichtungen wie dem Jugendgericht, Krankenhäusern oder Anstalten. Engstrom stellte dabei heraus, dass Polizeiassistentinnen hierbei lediglich einen unterstützenden und vermittelnden Auftrag besaßen. Erst mit der Errichtung der „Deutschen Zentrale für Jugendfürsorge“ am Berliner Polizeipräsidium im Jahr 1901 und dem Entstehen erster Jugendgerichte ab 1908 gewannen Polizeiassistentinnen verstärkt an Einflussnahme zur Beurteilung „gefährdeter“ und „sittlich verwahrloster“ Kinder, Jugendlicher sowie junger Frauen.

Die Entwicklung weiblicher Polizeiarbeit im internationalen Kontext thematisierte ELISABETH JANIK-FREIS (Berlin). Dabei stellte Janik-Freis die besondere Bedeutung des Völkerbundes für die Integration von Frauen im Polizeiweisen auf internationaler Ebene als wichtige Orientierungen für neugegründete Staaten zu Beginn des 20. Jahrhunderts heraus. Der Ruf nach nationaler Sicherheit und nach dem Schutz der eigenen Bürger:innen verstärkte sich im Zuge des Ersten Weltkrieges und verband sich zeitgleich mit der Forderung der internationalen Frauenbewegung zur Modernisierung des Polizeiweisens durch die Integration von Polizistinnen. Am Beispiel der 1918 gegründeten Republik Polen zeigte Janik-Freis exemplarisch die Integration von Polizeiassistentinnen auf. Bereits 1925 meldete Polen dem Völkerbund 29 Polizeiassistentinnen im Einsatz zur Bekämpfung des Frauenhandels, der sexuellen Ausbeutung und der Jugendkriminalität. Nach der These von Janik-Freis entwickelte sich die weibliche Polizeiarbeit als inszenierte Modernität damit zugleich zu einem internationalen Instrument, das zur Wahrung der jeweiligen nationalen Sicherheit während der Zwischenkriegszeit diente.

Im zweiten Panel „Arbeitsfelder und Verfolgungspraktiken“, geleitet von Elisabeth Janik-Freis, präsentierte als erste Referentin VERENA MEIER (Heidelberg) die Rolle der Weiblichen Kriminalpolizei bei der Verfolgung von Sinti:zze und Rom:nja. Mit dem Verweis auf die kriminalpolizeilichen Personalakten im Landesarchiv Sachsen Anhalt leitete Meier spezifische Forschungsfragen ab: Wie wurde die Verfolgung von Sinti:zze und Rom:nja umgesetzt und organisiert? Wie ist eine Radikalisierung der Verfolgungsmaßnahmen zu erklären und wer waren die ausführenden Polizeibeamtinnen? Anhand einiger aus Archivquellen rekonstruierter Fallbeispiele zeigte Meier hierbei die Handlungsspielräume der jeweiligen Beamtinnen auf. Die Beteiligung weiblicher Kriminalbeamtinnen an Verfolgungsmaßnahmen waren vielfältig und reichten u.a. von Vernehmungen von Frauen und Minderjährigen, Transportbegleitungen bei Verlegungen zwischen Haftanstalten bis hin zur Einweisung von Kindern und Jugendlichen in die Jugendkonzentrationslager. Ausgehend von diesen Fallbeispielen wurde besonders das Zusammenwirken der Weiblichen Kriminalpolizei mit nationalsozialistischen Einrichtungen wie der Nationalsozialistischen Volkswohlfahrt, des städtischen Fürsorgeamtes, der Reichszentrale zur Bekämpfung der Jugendkriminalität oder der Rassenhygienischen Forschungsstelle deutlich.

Daran anknüpfend thematisierte SARAH FRENKING (Erfurt) die allmähliche Herauslösung der Bekämpfung des internationalen Mädchenhandels aus dem internationalen Kontext zum argumentativen Bestandteil der nationalsozialistischen Expansionspolitik. Aufbauend auf einer Untersuchung von Akten des Auswärtigen Amts, Polizeischriften und Quellen des „Nationalkomitees gegen den Mädchenhandel“ unterteilte Frenking die Bekämpfung des internationalen Mädchenhandels in drei Phasen. Die erste Phase verortete Frenking zwischen 1933 und 1936 mit einem Weiterbestehen der Zentralstelle zur Bekämpfung des Mädchenhandels als Teil internationaler Konventionen. An die nationalsozialistische Ideologie angepasst stand der Schutz der Jugend nun sinnbildlich für Zukunft der „Volksgemeinschaft“. Mit der Neustrukturierung des nationalsozialistischen Polizeiapparates setzte zwischen 1936 und 1940 eine zweite Phase ein. Während dieser Phase wurde im Zuge der Gründung des Reichskriminalpolizeiamtes die Reichszentrale zur Bekämpfung des internationalen Mädchenhandels geschaffen. Mit diesem Radikalisierungsprozess einhergehend, stand der Schutz der Einzelnen nicht mehr im Vordergrund und auf Feindbildern beruhende Tätertypen wurden stilisiert. Die propagandistische Tendenz verstärkte sich zunehmend während der Zeit des Zweiten Weltkrieges und besonders gegen Frankreich, die etwa das polizeiliche Vorgehen im Hafenviertel Vieux Port von Marseille im Jahr 1943 begleitete. Auf Anweisung Heinrich Himmlers wurde das unter anderem als eines der Zentren des organisierten „Zuhältertums“ deklarierte Hafenviertel gesprengt.

Auf die Forschungsfrage, inwieweit weibliche Homosexuelle im NS-Regime toleriert oder verfolgt wurden, ging JULIA HÖRATH (Postdam) ein. Hörath verwies dabei auf den veralteten Forschungsstand und das überholte Narrativ dürftiger Fallbeispiele, die bislang nur wenig Aufschluss über konkrete kriminalpolizeiliche Verfolgungsmaßnahmen weiblicher Homosexueller im Nationalsozialismus liefern könnten. Aus den zwei bislang aufgestellten Hypothesen, dass lesbische Frauen einerseits im Nationalsozialismus tabuisiert, verschwiegen und damit unsichtbar gewesen, wären andererseits aus „Sittlichkeitsgründen“ den Deportationen zum Opfer fielen, zeigte Hörath einen empirisch nachweisbaren Mittelweg auf. Anhand einiger Fallbeispiele aus den Personenakten der Wohlfahrtsanstalten und Konzentrationslager belegte Hörath, dass sich keine systematische Verfolgung lesbischer Frauen auf Grundlage sexueller Devianz nachweisen lässt oder diese Gruppe in die Verfolgung „Asozialer“ systematisch einbezogen war. Daraus leitete Hörath die These ab, dass lesbische Frauen nicht allein auf Grundlage von Homosexualität im Nationalsozialismus verfolgt wurden, sondern zusätzliche Aspekte wie Straffälligkeit, „Asozialität“, auffälliges Verhalten oder eine ausgehende Gefahr für die „Volksgemeinschaft“ ausschlaggebend waren.

Als Abschluss des ersten Konferenztages präsentierte DIRK GÖTTING (Nienburg) den 1929 uraufgeführten UfA-Film „Weibliche Polizei“. Als eine neue mediale Form hatte dieser filmische Inszenierung eine ganz besondere zeitgenössische Wirkung und wurde unter anderem auf dem Internationalem Frauentag 1929 in Berlin zur Verbreitung der „Propaganda der Idee weiblicher Polizei“ aufgeführt. Dieser Film zeigt eindrücklich die voranschreitende Manifestierung weiblicher Polizeiarbeit als ein soziales Reformprojekt der Weimarer Republik. Dabei werden Aspekte der Ausbildung der Weiblichen Kriminalpolizei in Berlin ebenso aufgezeigt, wie spezifische Vernehmungspraktiken bei Kindern und Jugendlichen oder Observationen und Festnahmen im Streifendienst. Einen starken Fokus legte die filmische Inszenierung auf die Darstellung der Zusammenarbeit der Weiblichen Kriminalpolizei mit dem Jugend- und Pflegeamt, der Wohlfahrtstelle sowie der Verwaltungs- und Kriminalpolizei bei größeren Einsätzen.

Den zweiten Tagungstag leitete das Panel „Kontinuitäten und Brüche“ ein, moderiert von Eric J. Engstrom. Als erster Referent präsentierte LAURENS SCHLICHT (Saarbrücken) epistemische Aspekte der Verwissenschaftlichung des Sozialen innerhalb der weiblichen Polizeiarbeit mit speziellem Fokus auf das Wirken Irene Bleymehls als erste Kriminalhauptkommissarin Saarbrückens und die Weibliche Kriminalpolizei im Saarland zwischen 1939–1960. Die enge Verschränkung von wissenschaftlichen, sozialfürsorgerischen und exekutiven Idealen wurden dabei besonders deutlich. Nach Schlichts These bildeten im Rahmen der ab 1900 einsetzenden Verwissenschaftlichung des Sozialen die Bereiche Soziologie, Psychologie und Kriminalbiologie eine eigentümliche Einheit innerhalb der weiblichen Polizeiarbeit, die letztlich das Modell der Weiblichen Kriminalpolizei legitimierte. Mit ausgewählten Beispielen aus einem Aktenbestand zur Weiblichen Kriminalpolizei Saarbrückens stützte Schlicht diese These. Dabei zeigte er ebenso auf, wie die Weibliche Kriminalpolizei kriminal- und rassenbiologische Aspekte zur Legitimierung von Verfolgungsmaßnahmen und der Verbrechensbekämpfung im Nationalsozialismus nutzte.

BETTINA BLUM (Paderborn) präsentierte spezifische Aufgaben, Rollen und (Selbst-)Wahrnehmungen von Polizistinnen in Ost- und Westdeutschland zwischen 1945 und 1970 und leitete daraus signifikante Veränderungsprozesse des gesellschaftlichen Bildes von Polizistinnen in der BRD und DDR ab. Ausgehend von der Reorganisation weiblicher Polizeibeamtinnen in der Nachkriegszeit teilte Blum die weitere Entwicklung in drei Phasen ein und stellte unterschiedliche Aspekte in Ost- und Westdeutschland gegenüber. Gemeinsamkeiten und Unterschiede im Hinblick von Reorganisationsstrategien, der Nutzung der „weiblichen Eigenart“ und Einsatzmöglichkeiten wurden darin ebenso deutlich wie die Entwicklung des Frauenanteils oder die Bedeutung weiblicher Identität und medialer Darstellung. Dabei stellte Blum heraus, dass sich die weibliche Polizeiarbeit bis in die 1960er Jahre hinein zwar weiterhin auf spezifische Aufgabenbereiche konzentrierte, diese aber in Ost- und Westdeutschland teilweise stark voneinander differierten.

Im vierten Tagungspanel „Quellen, Methoden und Forschungsansätze“, geleitet von Laurens Schlicht, präsentierte zunächst MIRJAM SCHNORR (Frankfurt am Main) Quellen und Forschungsansätze zur Entwicklungsgeschichte der Weibliche Kriminalpolizei im Südwesten Deutschlands. Ausgehend von der Gründung der Weiblichen Polizei in Baden im Jahr 1927 charakterisierte Schnorr deren typischen Aufgabenbereiche als Gefährdetenpolizei im Rahmen der vorbeugenden Verbrechensbekämpfung: Außendienst mit Tag- und Nachtstreifen, Innendienst zur Behandlung von „sittlich gefährdeten“ Kindern, Jugendlichen und Frauen sowie die Zusammenarbeit mit verschiedenen Institutionen. Die Auswertung weiterer Quellenbestände zur Entwicklung der Weiblichen Polizei in Karlsruhe und Stuttgart lieferten weiterführende Belege für die Zusammenarbeit mit anderen städtischen Organisationen wie dem Jugendamt. Dokumentierte Fallakten belegen hierbei die Überweisung von Jugendlichen zur Untersuchung von Geschlechtskrankheiten an die Fürsorge. Schnorr betonte, dass eine weitere Aufarbeitung dieser Personenakten zur Rekonstruktion der Handlungsspielräume weiblicher Beamtinnen sehr wünschenswert ist.

SÖREN GROß (Jena) thematisierte zentrale Erkenntnisse seiner 2021 abgeschlossenen Dissertation zur Entwicklungsgeschichte der Weiblichen Kriminalpolizei in Berlin zwischen 1927 und 1945. Ausgehend von den zentralen Forschungsfragen seiner Arbeit präsentierte Groß sein methodisches Vorgehen, wichtige Quellebestände und involvierte Akteurinnen. Neben der Herausbildung der Weiblichen Kriminalpolizei aus der Fürsorge leitete Groß signifikante Etappen der Transformation der Weiblichen Kriminalpolizei vom sozialen Reformprojekt der Weimarer Republik zum Bestandteil der nationalsozialistischen Polizeiherrschaft ab. Im Rahmen der Radikalisierung der NS-Polizeigewalt bis zum Ende des Zweiten Weltkrieges belegte Groß anhand von Quellenbeispielen die Mitwirkung der Weiblichen Kriminalpolizei bei Razzien, Säuberungsaktionen und Euthanasieverbrechen. Die Rolle der Verantwortung der Weiblichen Kriminalpolizei für die Opfer in den von ihr fachlich geleiteten Jugendkonzentrationslagern Moringen, Uckermark und Litzmannstadt stellte Groß abschließend zur Diskussion.

JENS DOBLER (Berlin) thematisierte wichtige Etappen der Denunziation und Verfolgung homosexueller Personen in der Weimarer Republik. Beginnend mit der Gründung des Instituts für Sexualwissenschaft im Jahr 1919 zeichnete Dobler den Weg sexualreformerischer Entwicklungen bis 1933 nach. Seit dem Einsatz von Zensuren pornographischer Filme sowie „Schund- und Schmutzliteratur“ durch den §184 RStGB leitete Dobler weitere Schritte der Verfolgung ab. Mit dem Aufkommen des Begriffs des „Jugendverführers“ zu Beginn der Weimarer Republik ermittelte nun auch die Polizei nach Vorlage einer Anzeige gegen Homosexuelle. Im Jahr 1925 erreichte die Verurteilungsrate ihren Höhepunkt und wurde in öffentlichen Skandalen medienwirksam als Propagandamittel zur „Hebung der Sittlichkeit“ genutzt. Ein proaktives Vorgehen gegen Homosexuelle war die Folge: Platzverweise in Parkanlagen und Gaststätten oder die listenartige Erfassung von Männerpaaren mit selbigen Wohnsitz sowie der Auflage auseinander zu ziehen. Nach Doblers These konnte sich der Begriff des „Jugendverführers“ allerdings erst in Verbindung mit dem Verbot von „Schmutzliteratur“ ab 1933 zu einer Art „Zangengriff“ entwickeln, der den Grundstein für eine repressivere Verfolgung im Nationalsozialismus bildete.

Im Gesamtergebnis konnte die Tagung verschiedene methodische Aspekte, Forschungsansätze und neue Erkenntnisse zur Entwicklungsgeschichte weiblicher Polizeiarbeit in Deutschland präsentieren und diskutieren. Der intensive Austausch zu einzelnen Fachfragen und Quellenbeständen wurde von den Teilnehmer:innen besonders positiv wahrgenommen. Eine weitere Vernetzung zum gemeinsamen Ideenaustausch und Erstellung einer Übersicht zu wichtigen Archiv- und Literaturmaterialien soll in Zukunft angestrebt werden.

Konferenzübersicht:

Panel I: Anfänge der Weiblichen Polizei

Christa Paulini (Hildesheim/Holzminden/Göttingen): Soziale Arbeit als Eignungsberuf für Frauen

Eric J. Engstrom (Berlin): Verpolizeilichung der „freiwilligen Liebestätigkeit“? die Praxis der Polizeiaufsicht in Berlin vor dem Ersten Weltkrieg

Elisabeth Janik-Freis (Berlin): Der Völkerbund und die weibliche Polizei: Einblicke in die Praxis zwischen Ost und West

Panel II: Arbeitsfelder und Verfolgungspraktiken

Verena Meier (Heidelberg): Die Rolle der Weiblichen Kriminalpolizei bei der Verfolgung von Sinti:zze du Rom:nja

Sarah Frenking (Erfurt): Deviante Mobilität. Zur kriminalpolizeilichen Bekämpfung des „internationalen Mädchenhandels“ im Nationalsozialismus

Julia Hörath (Potsdam): Lesbenverfolgung oder verfolgte Lesben? Polizeiliche Repressionen aufgrund weiblicher Homosexualität im Nationalsozialismus

Dirk Götting (Nienburg): Die WKP setzt sich in Szene – ein Frauenreformprojekt in einem filmischen Zeitdokument

Panel III: Kontinuitäten und Brüche

Laurens Schlicht (Saarbrücken): Die Weibliche Kriminalpolizei in Niedersachsen: Brüche, Kontinuitäten, Perspektivwechsel

Bettina Blum (Paderborn): Geschlecht und staatliche Autorität. Aufgaben, Rolle und (Selbst-) Wahrnehmung von Polizistinnen in Ost- und Westdeutschland, 1945–1970

Panel IV: Quellen, Methoden, Forschungsansätze

Mirjam Schnorr (Frankfurt am Main): Die Weibliche Kriminalpolizei im Südwesten zwischen Weimar und Bundesrepublik. Quellen und Forschungsansätze

Sören Groß (Jena): „Gerade in unserer Dienststelle kommt der Wille der Polizei, das Böse schon im Keim zu ersticken, anstatt es durch Strafen in Schach zu halten, deutlich zum Ausdruck“ – Entwicklungen und Aufgabenbereiche der Weiblichen Kriminalpolizei in Berlin zwischen 1927 und 1945

Jens Dobler (Berlin): Polizei und Homosexuelle in der Weimarer Republik

Anmerkungen:
1 Bettina Blum: Polizistinnen im geteilten Deutschland. Geschlechterdifferenz im staatlichen Gewaltmonopol vom Kriegsende bis in die siebziger Jahre, Essen 2012; Christa Paulini: Gerade die Fürsorgerin ist zur Mitarbeit am Volksaufbau berufen. Zur Beteiligung von Sozialarbeiterinnen am Nationalsozialismus am Beispiel der Entwicklung der Berufsverbände, in: Ralph-Christian Amthor (Hrsg.): Soziale Arbeit im Widerstand!, Fragen, Erkenntnisse und Reflexionen zum Nationalsozialismus, Weinheim/Basel 2016, S. 58–74; Sören Groß: Von der Säuglingsfürsorge zur Leitung der Jugendkonzentrationslager: Friederike Wieking (1891-1958) und die Entwicklung der Weiblichen Kriminalpolizei bis 1945, Dissertation Friedrich-Schiller-Universität Jena, Jena 2021; Verena Meier: Täterinnen der Weiblichen Kriminalpolizei bei der NS-Verfolgung von Sinti:ze und Rom:nja, in: Österreichische Zeitschrift für Geschichtswissenschaften 33 (2022), S. 144-166.
2 Central-Ausschuß der Inneren Mission: Ankündigung des 35. Kongress für Innere Mission in Stuttgart [Oktober 1909], in: Archiv für Diakonie und Entwicklung (Berlin), BP 115, unpaginiert; ders.: Übersicht über die beantworteten Fragebogen betr. Aufstellung von Richtlinien für die Anstellung von Polizeiassistentinnen [1912], in: Archiv für Diakonie und Entwicklung (Berlin), CA 562, unpaginiert.