Das Königreich Sachsen 1848/49. Dynamiken und Ambivalenzen der Revolution

Das Königreich Sachsen 1848/49. Dynamiken und Ambivalenzen der Revolution

Organisatoren
Professur für Wirtschafts- und Sozialgeschichte, Technische Universität Dresden; Sächsische Landeszentrale für politische Bildung; Institut für Sächsische Geschichte und Volkskunde
PLZ
01129
Ort
Dresden
Land
Deutschland
Fand statt
In Präsenz
Vom - Bis
24.04.2024 - 26.04.2024
Von
Robert Badura / Christian Schuster, Institut für Sächsische Geschichte und Volkskunde

Die Organisator:innen setzten die Tagung bewusst in die Reihe der Veranstaltungen anlässlich des 175. Jubiläums der Revolution von 1848/1849. Schon die Grußworte (Andreas Rutz, Frank Löffler und Theo Jung) umrissen verschiedene Aspekte des Themas: Landesgeschichtliche Perspektiven sollten nutzbar gemacht werden, Dynamiken auf gesellschaftlicher und soziökonomischer Ebene analysiert sowie Ambivalenzen nicht nur als Addendum, sondern als Grundbedingung historischer Forschung aufgefasst werden.

SUSANNE SCHÖTZ (Dresden) ging in ihrer Einführung auf die zentrale Rolle Sachsens in den Revolutionsjahren ein: Neben einer starken Demokratiebewegung fand sich hier das Zentrum der frühen Arbeiterbewegung und Frauenbewegung. Die Ereignisse waren in internationale Kontexte eingebunden, im Zuge derer Europa zu einem gemeinsamen Kommunikationsraum zusammenwuchs. Noch immer gibt es gravierende Forschungsdesiderate: die Analyse von Unterschichten, Konservativen, der Frauenbewegung, Regierungshandeln. Aber auch biografische Forschungen fehlen. Zudem sollten der Transfer zwischen universitärer Forschung und der Öffentlichkeit problematisiert und kritische Stimmen zum gegenwärtigen demokratiegeschichtlichen Zugang wahrgenommen werden. Geschichte müsse in ihrer „Unaufgeräumtheit“ ausgehalten sowie antijüdische Ausschreitungen, Sexismus und Nationalismus thematisiert werden. Erst durch konsequente Aufarbeitung dieser Aspekte kann eine umfassende Beschäftigung mit dem Thema gelingen.

JOSEF MATZERATH (Dresden) und JÖRG LUDWIG (Dresden) betrachteten Akteure, die im Dienst der sächsischen Regierung standen. Dass in der staatlichen Bürokratie wichtige Entscheidungsträger saßen, erörterte Matzerath am Beispiel Carl von Webers. Beamte versuchten ihre eigene Macht zu erhalten und gleichzeitig den Einfluss der Revolutionär:innen zu begrenzen. Weber, der die (Fach-)Kompetenz nicht bei den amtierenden Ministern, sondern bei der Ministerialbürokratie sah, vermutete, dass das Märzministerium sich aufgrund mangelnder Sachkenntnis und dem fehlenden Vertrauen des Königs nicht lange werde halten können. Er behielt Recht: Als es im April 1849 zur Einsetzung eines Beamtenkabinetts kam, folgte auch das Ende der Zugeständnisse an die revolutionären Kräfte und der Rückgriff auf die Regierungsprinzipien des Vormärz. Deutlich wurde, dass es in der Regierung verschiedene Motive und Ziele der handelnden Personen gab, die man nicht verallgemeinern darf, sondern differenziert betrachten muss. Das diplomatische Korps (Ludwig) sah sich 1848/49 nicht nur mit dem Austausch von Amtsträgern konfrontiert, sondern auch mit einem eskalierenden Konflikt um das sächsische Gesandtschaftswesen. Diskutiert wurde, ob Sachsen diplomatische Vertretungen gebraucht hätte, wenn die provisorische Zentralgewalt eine Außenpolitik für das gesamte Deutschland aufgebaut hätte. Nach der Hinrichtung Robert Blums verschärfte sich dieser Disput, als die Einziehung aller sächsischen Gesandten (erfolglos) im Landtag gefordert wurde. Zwar beschloss man den Rückzug Rudolfs von Könneritz aus Wien einstimmig, doch kam es durch die Intervention des Königs nicht dazu. Eine neue Dynamik entstand am 27. April 1849 als Friedrich Ferdinand von Beust die alleinige Kompetenz bei der Besetzung der diplomatischen Vertretungen für die sächsische Regierung reklamierte, was zum Ausbruch des Dresdner Maiaufstands einige Tage später beitrug.

Anschließend wurden Akteur:innen auf der Gegenseite fokussiert. ANDREAS SCHNEIDER (Leipzig) zeichnete den Verlauf der Revolution in Leipzig an den beiden Bürgermeistern Hermann Adolf Klinger und Karl Wilhelm Otto Koch nach. Der frühe Demokrat Klinger trat nach der Niederschlagung der Leipziger Maierhebung zurück – sein liberaler Nachfolger Koch forderte später im Landtag eine Amnestie für die Gefangenen und blieb bis 1876 im Amt.

Das Wirken des Historikers Heinrich Wuttke, der Nachfolger Robert Blums in der Paulskirche wurde, betrachtete CHRISTIAN JANSEN (Trier). Er charakterisierte Wuttke als Akteur, der für realpolitische Mäßigung stand und einen demokratischen Föderalismus ohne Hegemonie eines Einzelstaates befürwortete.

Dem aus adligen Verhältnissen stammenden Ehepaar Wilhelm Adolph und Gabriele von Trützschler widmete sich BIRGIT BUBLIES-GODAU (Bochum). Der Ehemann, der das Elend der ländlichen Bevölkerung kennengelernt hatte und Demokrat geworden war, trat nach dem Ende des Maiaufstands in Sachsen in die badische Revolution ein. Nach dem Scheitern dieser wurde er am 22. Juni 1849 in Mannheim von preußischen Truppen gefangen genommen und anschließend abgeurteilt. Gabrieles Gnadengesuche blieben unerhört, sodass sie nach der Hinrichtung ihres Mannes die Versorgung ihrer Familie allein sicherstellen musste. Sie erzog die Kinder im Geiste des Vaters, doch ohne Hass gegen dessen Richter, wie die Referentin herausstellte.

IRINA HUNDT (Schwielowsee) zeigte auf, wie Louise Otto und ihre Frauen-Zeitung sich in der von Männern dominierten Mediensphäre behaupten konnten. Die Zeitung, deren Analyse ebenfalls ein Forschungsdesiderat darstellt, vertrat die Anliegen von Frauen in vielfältigen Kontexten, beispielsweise in nationalen, ökonomischen und kulturellen Diskursen, und ermutigte Autorinnen erste Schriften zu publizieren.

Die Sängerin Wilhelmine Schröder-Devrient war Gegenstand des Vortrags von ALEXANDRA STANISLAW-KEMENAH (Dresden). Diese wurde im Oktober 1851 in Dresden verhaftet und ihr vorgeworfen, sie habe am 03. Mai 1849 vom Fenster eines Verkaufslokals zur Rache für die Opfer des Maiaufstandes aufgerufen und den König beleidigt. Da sie unter anderem von Polizeidienern schwer belastet wurde, stellte ihr Anwalt ein (erfolgreiches) Gnadengesuch an den König, welches auf zeitgenössische dichotome Geschlechterrollen anspielen und die Künstlerin nicht als aktive Frau darstellen sollte. Zudem legt das Dokument nahe, dass die Vorwürfe wohl nicht gänzlich aus der Luft gegriffen waren.

In der Zusammenschau der Vorträge wird deutlich, wie individuell und variantenreich die Beziehung der Persönlichkeiten zum Revolutionsgeschehen gewesen waren.

FRANZISKA DEUTSCHMANN (Leipzig) präsentierte Aktivitäten, Onlineportale und Publikationen der Louise-Otto-Peters-Gesellschaft e.V. und betonte die Bedeutung der Kooperation mit wissenschaftlichen Akteur:innen. Gemeinsame Lehrveranstaltungen zu Frauen in der Revolution 1848/49 wurden konzipiert und durchgeführt. Diskutiert wurde, wie Menschen ohne dezidiertes historisches Interesse erreicht werden können.

MICHAEL SCHÄFER (Dresden) lenkte die Aufmerksamkeit auf lokale Akteure und Strukturen. Südwestsachsen spielte dafür nicht nur als Kernraum der Revolution, sondern auch der sächsischen Arbeiterbewegung eine bedeutende Rolle: Der Aufruf der Chemnitzer Arbeiter definierte bereits im Frühjahr 1848 weitreichende Ziele der Revolution, die über einen Demokratisierungsprozess hinausgingen. Südwestsächsische Vereinigungen bestimmten fortan die sächsische Arbeiterbewegung. Es gelang ihnen eine sozialdemokratische Durchdringung der Vaterlandsvereine, während das bürgerliche Lager langsam aus diesen abwanderte und eigene Vereinigungen gründete. 1849 waren es südwestsächsische Arbeiter, die Kommunarden nach Dresden entsandten, um den Maiaufstand zu unterstützen. Darüber hinaus bewerkstelligten sie einen Transfer von Forderungen, Zielen und Strukturen des Revolutionsjahrs in die Zeit nach der Restauration.

GUNDA ULBRICHT (Dresden) illustrierte anhand jüdischer Gemeinden um 1848 die Ambivalenzen der Revolution für die jüdische Emanzipation sowie ihr inhärente antisemitische Tendenzen. Die gesellschaftlichen Liberalisierungsbestrebungen wurden von jüdischen Gemeinden in Dresden und Leipzig als Chance rechtlicher Gleichstellung gesehen und grundsätzlich, ungeachtet der Diskussionen um eine Positionsbestimmung zwischen Tradition und Moderne, unterstützt. Durch ein breites Spektrum der Diskriminierung – bis hin zu Pogromen – versuchten jedoch Konservative, die jüdische Verbürgerlichung und Akkulturation zu bremsen: Eine Einschränkung bürgerlicher bedeutete auch eine Einschränkung jüdischer Emanzipation, die später auch mit dem Aufstieg des Nationalismus verbunden war. In Sachsen blieb trotz der Restauration die jüdische Gleichstellung weitgehend erhalten.

Die wenigen damaligen Frauenvereine in Sachsen engagierten sich, so SUSANNE SCHÖTZ (Dresden), auf vielfältige Weise, knüpften während der Revolution weitreichende Netzwerke, die sie auch über die Reaktionszeit hinweg unterhielten. Allen Widrigkeiten zum Trotz partizipierten Frauen – ungeachtet des fehlenden Wahlrechts – und ergriffen die Möglichkeiten, die „überkommene Ordnung“ herauszufordern – obwohl ihnen die Mitgliedschaft in den neuen demokratischen Institutionen weitgehend vorenthalten blieb. In Sachsen ließen sich nur wenige Frauenvereine nachweisen; diese beteiligten sich mit Kampagnen, Hilfeaufrufen und Sammlungen an Unterstützungsaktionen, die allen galten, auch außerhalb des demokratischen Lagers; oft hatten sie konfessionelle Ursprünge und standen auch Männern offen. Der Vereinsverbote der 1850er-Jahre ungeachtet, hielten Frauen die winzige Lücke im demokratischen Diskursraum, die die Männer freigaben, nicht nur besetzt, sondern bauten sie kontinuierlich und immer selbstbewusster aus. Die anschließende Diskussion legte einen Schwerpunkt auf die Kontinuitäten der Frauenvereine. Wenngleich Arbeiter, Frauen und Juden als Minderheiten in revolutionären Diskursen zunächst in den Hintergrund traten, ermöglichte das Stillhalten der 1850er-Jahre oft die Fortsetzung der Arbeit; daran vermochten auch Verhaftungen, Übergriffe oder Assimilation nichts zu ändern. Eine intersektionale Untersuchung der betrachteten Gruppen wurde als Desiderat künftiger Forschung identifiziert.

LEONORA BRAUN (Dresden) untersuchte mit seltenen Einblicken in demokratiegeschichtliche Mikrostrukturen Dynamiken der Partizipation am Revolutionsgeschehen im ländlichen Raum. Eng geknüpft an das Wirken Friedrich Wilhelm Mays und des Vaterlandsvereins in Neustadt (Sachsen) konnte sich bereits im Vormärz eine neue Plattform für Kommunikation und Mitbestimmung etablieren. Dabei spielten dezidiert niedrigschwellige Vermittlungspraktiken, wie öffentliches Vorlesen und die Diskussion vermittels eines Fragekastens eine wichtige Rolle und ermöglichten den Transfer von Forderungen aus der Provinz bis nach Frankfurt bzw. ihre Rückmeldung.

MARCO KREUTZMANN (Jena) versuchte, die Geschehnisse in (West-)Sachsen um eine thüringische Perspektive zu ergänzen. Für die eng an Sachsen gebundenen ernestinischen thüringischen Fürstentümer stellte sich die Frage nach einer Neuordnung von Verwaltungsstrukturen und Besitzverhältnissen 1848 auf eine besondere Weise. Jenseits einer naturräumlichen Gliederung der Grenzregion wurden auch personelle und wirtschaftliche Verflechtungen in einem gemeinsamen Revolutionsraum zumindest angedeutet.

Eine gänzlich andere Perspektive nahmen VINCENT DOLD (Berlin) und ISABELLE HEIDE (Gotha/Erfurt) ein, die Kommunikationsräume als virtuelle Räume zwischen Sachsen und Frankfurt thematisierten. Exemplarisch wurde dies an den sächsischen Paulskirchenabgeordneten Paul Herrmann sowie Otto Leonhard Heubner und ihren Netzwerken vorgeführt, verbunden mit einem Plädoyer für eine lokale Alltagsgeschichte des Frankfurter „Paulskirchenparlamentarismus“: Ein zentrales Anliegen der Untersuchung war die Einbeziehung familiärer Kontexte der Abgeordneten, wobei die Potentiale des insgesamt 49 Briefe umfassenden Quellenbestandes hervorgehoben wurden. Besonders wurden diese an der Rolle der Ehefrauen deutlich, die als eigentliche Multiplikatorinnen von Diskursen gelten müssen. Ihre Wahrnehmungsmuster und Reichweite waren dafür unverzichtbar, wenngleich sie, wie die Diskussion zeigte, nur indirekt in der Korrespondenz sichtbar wurden. Einigkeit bestand hier in der Notwendigkeit weiterer biografischer Untersuchungen und Mikrostudien.

Einen Blick über die Grenzen Deutschlands hinaus warf AXEL KÖRNER (Leipzig). Mit einer Erweiterung der Perspektive auf die Geschehnisse im europäischen Revolutionsjahr 1848 wurden die Grenzen eines deutschen Konzeptes von Nationalstaatlichkeit anhand der Revolutionen in Böhmen, der Lombardei und Sizilien ausgelotet. Dass es jenseits von Deutschland in den revolutionären Prozessen nicht immer um nationalstaatliche Eigenständigkeit ging, wurde nachfolgend deutlich: Böhmen konnte seinen, auch auf Mehrsprachigkeit gründenden Landespatriotismus nur außerhalb des deutschen Verbunds entwickeln; der Kaiserstaat sollte reformiert, jedoch keineswegs abgeschafft werden. In der Lombardei lag der Schwerpunkt eher auf mehr territorialer und kultureller Autonomie von Habsburg im Sinne eines föderalistischen Konzepts. In Palermo zielte man mit der Aufweichung der Wiener Ordnung vorrangig auf ein Ende der Bevormundung durch das Königreich Neapel, was keine definitive Absage an einen italienischen Staat bedeutete. Es wurde deutlich, dass von einem generellen Scheitern der Revolution(en) in Europa nicht gesprochen werden könne.

Die transatlantische Perspektive bediente SWEN STEINBERG (Kingston/Ontario) mit seinem Blick auf die Fortyeighters in Nordamerika: Wenngleich es sich um eine kleine Gruppe handelte, fanden diese in den USA rasch Anerkennung für ihr demokratisches Engagement. Neben der Angst vor Verfolgung war Frustration über den ausgebliebenen politischen Wandel in Deutschland eine Haupttriebkraft ihrer Emigration, die meist in Etappen und oft über die Schweiz verlief. Ihre Flexibilität erleichterte vielen Protagonisten wie Carl Schurz und Friedrich Hecker einen beruflichen Neuanfang und schnelle gesellschaftliche Integration. Obwohl die wenigsten an ihre einstige journalistische Tätigkeit anzuknüpfen vermochten, trug diese zu einer Perpetuierung der Erinnerung deutscher Communitys an die Revolution bei. Eine erneute berufliche Umorientierung fand im Gefolge des amerikanischen Bürgerkrieges statt – altes „Barrikadenwissen“ konnte reaktiviert werden. Im Gegensatz zu den Männern fielen die politisch-emanzipatorisch meist weniger sichtbaren Frauen oft aus dem erinnerungspolitischen Rahmen heraus.

CHRISTIAN SCHUSTER (Dresden) beleuchtete wiederum die Perspektive britischer Diplomaten in Sachsen auf die Revolutionsgeschehnisse. Die Eindrücke, die sich in den Gesandtschaftsberichten offenbaren, reichten von gespanter Anteilnahme und Hoffnungen auf Ruhe bis zur Kritik an den Eingriffen in die Strukturen des Deutschen Bundes und in das Mächtegleichgewicht. Obschon die Reaktion des sächsischen Hofs gutgeheißen wurde, lehnten die Abgesandten des Vereinigten Königreiches eine Eskalation der Gewalt ab. Es zeigte sich, dass man in London nicht nur detailliert über die tagespolitischen Ereignisse, sondern auch über die sozialen und ökonomischen Hintergründe und Rahmenbedingungen im Königreich Sachsen informiert war. Die anschließende Diskussion nahm bereits, unter dem Rekurs auf internationale Perspektiven, die Frage nach einer demokratiegeschichtlichen Neubewertung des Revolutionsjahres 1848 vorweg.

CAROLINE FÖRSTER (Dresden) stellte eine Kooperation zwischen der Technischen Universität Dresden und dem Dresdner Geschichtsverein vor, bei der ein App-basierter historischer Stadtrundgang erarbeitet wurde. Studentische (Mit-)Arbeiten füllen nun Leerstellen in der kommunalen Erinnerungslandschaft. Gewählt wurde ein multiperspektivischer Ansatz, der die Biografien ausgewählter Protagonist:innen mit den Orten der Revolution auf unterschiedlichen Zeitebenen sowie thematisch miteinander verknüpft. Besonders hervorgehoben wurde die Einbeziehung von Videos und Audios in den Rundgang, wovon sich die Tagungsteilnehmer:innen bei einer Führung selbst überzeugen konnten.

Die Reflektion und Rezeption der Revolution war ebenso vielgestaltig und divers wie die Akteur:innen. JOHANN GERLIEB (Leipzig/Berlin) demonstrierte am Handeln des sächsischen Gesandten in Wien, Rudolf von Könneritz, in der Causa Robert Blum das „Chaos dieser Tage in Wien“ und die Ambivalenz der Ereignisse. Das Wirken des Historikers Anton Springer war Gegenstand von FILIP BLAHA (Prag). Dieser hielt bereits kurz nach der Niederschlagung des Prager Pfingstaufstandes eine Vorlesungsreihe, in der er eine „Revolution des Bewußtseins“ (revolutionäre Ideen könnten nicht mehr unterdrückt werden) wahrnahm. KONSTANTIN HERMANN (Dresden) referierte über Denkmale für die Revolutionsereignisse und deren Rezeption in verschiedenen politischen Systemen und der sich verändernden Erinnerungskultur in Sachsen. Der heute weitgehend vergessenen Curt Geyer promovierte 1914 zu politischen Parteien und Verfassungskämpfen der Jahre 1848/49 in Sachsen. MIKE SCHMEITZNER (Dresden) sieht in technischer, geistiger und personeller Hinsicht in Geyers Dissertation eine Anleitung für dessen politisches Handeln 1918/19. Damals avancierte er zum Führer der USPD, kehrte allem Bürgerlichen den Rücken und trat nun für eine Diktatur des Proletariats ein. Nach der Niederschlagung des Kronstädter Aufstands 1921 brach Geyer jedoch mit dem Kommunismus und näherte sich in seinem Londoner Exil während des Zweiten Weltkriegs schließlich liberalen Ideen an.

Aktuelle Formate des Stadtgeschichtlichen Museums Leipzig zur Erinnerung an die Revolution 1848/49 erläuterte JOHANNA SÄNGER (Leipzig). Deren Bandbreite reicht von klassischen Exponaten bis zu einem Vermittlungsprojekt per Augmented Reality, in dem drei virtuelle historische Persönlichkeiten „ihre“ Geschichte erzählen: So berichtet ein virtueller Robert Blum etwa, warum sein Porträt eine Tasse schmückt. Erstmalig wurde unter Mitwirkung des Museums 2024 der Leipziger Robert-Blum-Preis für Demokratie vergeben.

In seinen Beobachtungen über das 175. Jubiläum der Revolution resümierte THEO JUNG (Halle (Saale)), dass die Beschäftigung mit ihr gegenwärtig vom Narrativ der Demokratiegeschichte überformt wird. Dabei käme es zu einer Harmonisierung, Heroisierung, teleologischen Betrachtung und nicht zuletzt Beschönigung der Demokratie. Die Geschichtswissenschaft müsse sich mit dieser geschichtspolitischen Deutung kritisch auseinandersetzen. Die Ereignisse sowie Akteure dieser Tage müssen in ihrer Komplexität und Widersprüchlichkeit analysiert und ihre Ambivalenz herausgearbeitet werden.

Konferenzübersicht:

Eröffnung

Andreas Rutz (Dresden): Begrüßung

Roland Löffler (Dresden): Grußwort

Theo Jung (Halle (Saale)): Grußwort

Susanne Schötz (Dresden): Einführung ins Thema

Dynamiken staatlichen Handelns

Moderation: Susanne Schötz (Dresden)

Josef Matzerath (Dresden): „Im Intereße des Landes“. Die Handhabung der Märzrevolution aus bürokratischer Sicht

Jörg Ludwig (Dresden): Die sächsische Diplomatie in der Revolution von 1848/49

Die Revolution in Biografien

Moderation: Werner Rellecke (Dresden)

Andreas Schneider (Leipzig): Die Leipziger Bürgermeister Adolf Klinger und Otto Koch

Christian Jansen (Trier): Geschichte und Politik. Die nationalistische Agenda des großdeutschen und linksliberalen Historikers Heinrich Wuttke

Birgit Bublies-Godau (Bochum): Ein „Führer der deutschen Demokratie“ und eine entschlossene Generalstochter – Wilhelm Adolph und Gabriele von Trützschler in der sächsischen und badischen Revolution von 1848/49

Franziska Deutschmann (Leipzig): Fem/pulse setzen in Sachsen. Frauengeschichte vermitteln und sichtbar machen – Louise-Otto-Peters-Gesellschaft e.V

Irina Hundt (Schwielowsee): Louise Ottos Frauen-Zeitung als biografische Quelle zur europäischen Demokratiebewegung von 1848/49

Alexandra Stanislaw-Kemenah (Dresden): „Rache, blutige Rache?!“ Wilhelmine Schröder-Devrient und der Dresdner Maiaufstand 1849

Die Revolution vor Ort – Akteure, Netzwerke, Ambivalenzen

Moderation: Andreas Rutz (Dresden)

Michael Schäfer (Dresden): Die Revolution der Arbeiter: Zu den Anfängen der sozialdemokratischen Bewegung in Südwestsachsen 1848/49

Gunda Ulbricht (Dresden): Zur Ambivalenz von Emanzipation und Antisemitismus 1848/49

Susanne Schötz (Dresden): Frauenvereine in Sachsen im Kontext der Revolution von 1848/49

Leonora Braun (Dresden): „Zwischen politischer Aufklärung und dörflichem Kummerkasten“ – Friedrich Wilhelm May und der Gesellschaftliche Abendverein Polenz im Revolutionsjahr 1848/49

Marko Kreutzmann (Jena): Die Regionen Ostthüringen/Westsachsen (Vogtland, Osterland) als zusammenhängende Revolutionsräume

Vincent Dold (Berlin) / Isabel Heide (Gotha/Erfurt): Revolutionsbriefe aus Sachsen

Transnationale und transatlantische Perspektiven

Moderation: Mike Schmeitzner (Dresden)

Axel Körner (Leipzig): Die Grenzen des Nationalstaats: Böhmen, die Lombardei und Sizilien in der Revolution von 1848/49

Swen Steinberg (Kingston/Ontario): Die transatlantische Rezeption von 1848/49 durch sächsische Emigranten

Christian Schuster (Dresden): Britische Perspektiven auf die Ereignisse in Sachsen während der Revolution 1848/49

Caroline Förster (Dresden): 1848/49 auf die Straße und ins Bewusstsein? Die Entwicklung einer Stadtführung in Dresden als studentisches Projekt

Über die Revolution schreiben: vielfältige Erinnerungen

Moderation: Martina Schattkowsky

Johann Gerlieb (Leipzig/Berlin): Zwischen Medienskandal, Aktenstücken und Familiennetzwerk: Der Sächsische Gesandte Rudolf von Könneritz und die Causa Robert Blum im November 1848 in Wien

Filip Blaha (Prag): Der Historiker Anton Springer und seine Reflexion über die Revolution von 1848/49

Konstantin Hermann (Dresden): Denkmale für die Revolutionsereignisse 1848/49 in Sachsen und ihre Rezeption

Mike Schmeitzner (Dresden): Curt Geyer. Sozialistischer Historiker und Politiker über die Revolution in Sachsen 1848/49 und 1918/19

Ambivalente Bilanzen

Moderation: Werner Rellecke (Dresden)

Johanna Sänger (Leipzig): Wiederbelebung einer Revolution: Straßentheater, Augmented Reality und Robert-Blum-Demokratiepreis als aktuelle Formate zur Revolution 1848 in Leipzig

Theo Jung (Halle (Saale)): Das 175-jährige Jubiläum der Revolutionen von 1848/49: Eine Zwischenbilanz

Susanne Schötz (Dresden) / Werner Rellecke (Dresden): Schlussbemerkungen / Dank / Verabschiedung

Redaktion
Veröffentlicht am
Beiträger
Klassifikation
Epoche(n)
Region(en)
Weitere Informationen
Land Veranstaltung
Sprache(n) der Konferenz
Deutsch
Sprache des Berichts