Rez. CD-ROM: Niederberger über "Galling u.a. (Hgg): RGG ..."

Titel
Die Religion in Geschichte und Gegenwart. Handwörterbuch für Theologie und Religionswissenschaft.. Ungekürzte elektronische Ausgabe der dritten Auflage von 1965


Herausgeber
Galling, Kurt; u.a.
Reihe
(Digitale Bibliothek, Bd. 12)
Erschienen
Anzahl Seiten
Preis
298.00 DM
Rezensiert für H-Soz-Kult von
Niederberger, Antje, Albert-Ludwigs-Universitaet Freiburg, Hist. Seminar

In der schon viel gerühmten Reihe "Digitale Bibliothek" des Verlags Direct-Media Publishing GmbH erschien nun auch das Lexikon "Die Religion in Geschichte und Gegenwart (RGG)" als CD-ROM (Digitale Bibliothek 12). Bei der CD-ROM handelt es sich um die digitale Version der zwischen 1957 und 1965 in dritter, neubearbeiteter Auflage von Kurt Galling herausgegebenen gedruckten Ausgabe des erstmals 1909-1913 erschienenen Lexikons. Die digitale Ausgabe kostet 298 DM / 269 sfr / 2260 öS und ist damit das mit Abstand teuerste Opus der Reihe (die meisten anderen kosten um die 50 bzw. 100 DM; nur die Goethe-Sammlung schlägt mit 198 DM auch etwas kräftiger zu Buche). Die CD-ROM faßt sechs Bände zusammen. Der Registerband ist durch die umfangreichen Suchfunktionen ersetzt worden.

Systemvoraussetzung für die Installation ist ein PC ab 486 mit mindestens 8 MB RAM, empfohlen werden jedoch 16 MB. Benötigt werden zudem eine Grafikkarte ab 640 x 480 mit mindestens 256 Farben. Als Betriebssystem werden mindestens Windows 3.1. und 3.11. gebraucht, besser eignen sich aber Windows 95, 98 oder NT. Für die älteren Systeme (Windows 3.1. und 3.11.) gibt es eine 16-Bit-Version, für die neueren (ab Windows 95) eine 32-Bit-Version. Eine Mac-Version existiert zur Zeit nicht, die jetzige Software läuft aber unter Windows-Emulationen auf dem Macintosh. Eine Mac-Version ist nach Angaben des Verlags aber in Planung; wer jetzt eine CD-ROM der Digitalen Bibliothek erwirbt, kann später kostenlos zur Mac-Version updaten. Die Software der Digitalen Bibliothek benötigt laut Verlag etwa 2 MB Speicherplatz, angeraten werden 1-2 weitere MB für Dateien, die bei der Arbeit mit dem Programm angelegt werden.

Die Installation wie die Deinstallation ist einfach und erfordert keine speziellen Kenntnisse. Das Programm ist so beschaffen, daß damit sämtliche Bände der Digitalen Bibliothek aufgerufen werden können, es beschränkt sich also nicht nur auf die Nutzung der RGG. Daher erscheinen gelegentlich Menüpunkte und Optionen, die für die Nutzung der RGG nicht notwendig bzw. anwendbar sind, aber für andere Bände zur Verfügung stehen (z.B. Tabellen oder Sound). Enthält ein Band eine neuere Softwareversion als die zuletzt installierte, muß die Installation aktualisiert werden. Insgesamt kann die Software kostenlos über die Hompage des Verlags (http://www.digitale-bibliothek.de) heruntergeladen werden; somit sind die Aktualisierungen leicht zugänglich. Sollten Probleme bei der Installation oder in der Anwendung auftauchen, bietet der Verlag auf seiner Hompage eine Zusammenfassung der am häufigsten vorkommenden Probleme und ihrer Lösungen; außerdem existiert eine umfangreiche Online-Hilfe des Programms, die jederzeit und in allen Programmsituationen gestartet werden kann.

Großes Lob verdient die Tatsache, daß der Verlag sich darum bemüht hat, die Möglichkeiten einer digitalen Präsentation optimal zu nutzen. Die Editionen der Digitalen Bibliothek heben sich wohltuend von anderen Digitalisierungen ab, die lediglich die gedruckten Versionen einscannen. So sind nicht nur alle im Lexikon vorhandenen Stichwörter miteinander verlinkt, sondern es werden vielfältige Suchfunktionen geboten, anhand derer man je nach Bedürfnis jederzeit rasch zu den gewünschten Beiträgen gelangt. Benutzerfreundlich ist die Aufteilung des Bildschirms in Funktionsregister und Text, so daß man neben der Lektüre stets wahlweise Inhaltsverzeichnis, Stichwortregister oder das Suchraster aufrufen kann. Die verschiedenen Suchoptionen werden in einem beiliegenden Einführungstext verständlich erklärt, so daß die Navigation insgesamt keine Mühe bereitet. Erfreulich ist die Möglichkeit, Textpassagen mit verschiedenen Farben zu markieren, ebenso können der Text sowie die integrierten Bilddateien (Karten, Abbildungen) vergrößert oder verkleinert werden. Ein besonderer Service ist der sog. digitale Zettelkasten - gemeint ist die Möglichkeit, markierte Textpassagen zu verwalten und zu bearbeiten. Ein Funktionsregister 'Notizen' bietet einen einfachen Texteditor, so daß Eingaben gespeichert oder in ein Textverarbeitungsprogramm kopiert werden können. Mehr eine Spielerei ist die Möglichkeit, Schriftart und Papierfarbe zu verändern. Positiv ist auch der Verzicht auf jedes Blendwerk oder farbig blinkende Nutzlosigkeiten. Die optische Gestaltung ist den Bedürfnissen langer Bildschirmbetrachtung gut angepaßt.

Schön wäre es gewesen, wenn man die Möglichkeit genutzt hätte, noch mehr Bilddateien als die vorhandenen zu integrieren. So gibt es zwar einzelne Karten und Abbildungen, doch hätte man mit neuen Abbildungen und etwas Farbigkeit (die Abbildungen sind alle schwarz-weiß) stärkeren optischen Eindruck vermitteln können. Angenehm ist, daß man bei der Lektüre einzelner Beiträge auf die vorhandenen Abbildungen aufmerksam gemacht wird und sie sogleich abrufen kann.

Negativ fällt ins Auge, daß die Ausgabe des Lexikons nunmehr 40 Jahre alt ist und sich daher nicht mehr auf einem aktuellen Stand befindet. Für die CD-ROM wurde keine Neubearbeitung der Beiträge vorgenommen, wohl aber ist derzeit eine vierte gedruckte Auflage in Bearbeitung, deren ersten beiden Bände bereits vorliegen (Buchstaben A-D). Es stellt sich die Frage, warum dann zeitgleich eine wesentlich ältere Ausgabe digitalisiert wird, zumal es sich bei der vierten Auflage um eine komplette Neubearbeitung handelt. Der Verlag argumentiert damit, daß es sich augenblicklich um die aktuellste vollständige Version handle und mit dem Abschluß der vierten Auflage vor der Mitte des kommenden Jahrzehnts nicht zu rechnen sei. Das Argument mag gelten, aber es drängt sich die Frage auf, ob sich die Investition von immerhin 298 DM lohnt, wenn bereits zwei Bände der neuen Auflage in den Regalen der Bibliotheken stehen.

Im Vergleich zur zweiten Auflage, die noch überwiegend aus deutscher Sicht gestaltet ist, haben sich die Herausgeber der dritten Auflage bemüht, den Horizont zu erweitern. Der gesamte Bereich der orthodoxen Kirche wurde miteinbezogen, ebenso wurde den Bereichen Ökumene und Mission sowie den "Jungen Kirchen" in Afrika und Asien Raum gegeben. Neben den theologischen Hauptdisziplinen und der Religionsgeschichte werden nun auch Beiträge zur biblischen und christlichen Archäologie und Kunst, zum Kirchenrecht und zur Kirchenmusik geboten, in Auswahl auch zu Pädagogik, Literatur- und Sozialwissenschaft. In den klassischen Bereichen wurden die Beiträge um Hermeneutik, Auslegungsgeschichtliches zu einzelnen biblischen Büchern und zu den Themen Kirchenkampf, Qumran und Widerstandsrecht ergänzt; erweitert wurden Beiträge zu Bekenntnis, Gesetz, Evangelium etc. Damit sollte einer Neuorientierung und bewußten Gegenwartsbezogenheit Ausdruck gegeben werden. Um die wesentlich breitere Fächerung sinnvoll präsentieren zu können, wurden manche Bereiche in größere Hauptartikel zusammengefaßt.

Generell ist anzumerken, daß die RGG nicht, wie der Titel suggeriert, ein allgemein religionsgeschichtliches Nachschlagewerk ist, sondern sich nach wie vor stark evangelisch-christlich ausgerichtet präsentiert. Dies ist ausdrücklich ein Anliegen der Herausgeber: "Der christliche Glaube im evangelischen Verständnis soll die Neuauflage [d.i. die dritte Auflage] des Werkes bestimmen. Er ist die ordnende Mitte, von der aus kritisch zu allen Erscheinungsformen des Religiösen Stellung genommen wird" 1. Das wird weniger aus moralphilosophischer Sicht als vielmehr über die Auswahl der Stichwörter und die allgemein anzutreffende Kategorisierung in 'christlich' und 'nichtchristlich' deutlich. Zwar findet man das gängige Vokabular aus der Religionswissenschaft und Religionsethnologie vertreten, doch beschränkt sich die Information mehr auf wissenschaftstheoretische, deskriptive oder analytische Begriffe (z.B. Animismus, Urmonotheismus, Kopfjagd o.ä.). Schwach wirken im Vergleich dazu die Beiträge zu einzelnen Ländern oder Ethnien; insbesondere bei den außereuropäischen Ländern fällt ins Auge, daß sich die Informationen auf die Geschichte der christlichen Mission beschränken. Übersichtlichere Informationen bieten zusammenfassende Artikel wie etwa zu Afrika, doch auch hier wird die Mission als Überwindung indigener religiöser Systeme mißverstanden (eine schlechte Konkurrenz ist mithin der Islam!). Die Beiträge zu anderen Religionen fallen ebenfalls eher dürftig aus; meist sind sie unter den übergeordneten Stichwörtern Islam, Buddhismus, Hinduismus etc. subsummiert. Allgemein mag diese Haltung aus christlicher Perspektive verständlich sein, um so mehr, als das neue "Ernstnehmen des christlichen Glaubens [...]" rückblickend von den Herausgebern der vierten Auflage auf den mit dem Ende des zweiten Weltkrieges eingetretenen Zusammenbruch in den Bereichen Religion, Theologie und Kirche in Zusammenhang gebracht wurde. Gerade diese stark auf einen bestimmten historischen Zeitraum zugeschnittene Ausprägung des Lexikons macht es schwierig, die Ansprüche an Zeitgemäßes und Aktualität heute noch befriedigt zu sehen.

In dieser Hinsicht will die Neubearbeitung für die vierte Auflage Abhilfe schaffen; außereuropäische Länder sollen stärker als bisher berücksichtigt werden. Daß dies um so dringender geboten ist, läßt sich mit dem Verweis auf die großen politischen Veränderungen beispielsweise in Afrika bezeugen. So findet man etwa den heutigen Staat Benin in der älteren Ausgabe nicht, dafür liest man aber unter dem Stichwort Kenya von einer britischen Kolonie. Neuere Entwicklungen in der theoretischen Diskussion wie in der Zeitgeschichte sind naturgemäß ebenfalls nicht vorhanden. Die neue, vierte Auflage bietet neben der Aktualisierung der bereits vorhandenen Stichwörter auch eine breitere Perspektive; die Herausgeber wollen dem Lexikon "in Zukunft ein noch stärkeres internationales Profil" 2 geben. Hierfür wurden zusätzliche Experten aus den entsprechenden Fachbereichen berufen. Ob dies so eingehalten wird, ist nicht an dieser Stelle zu erörtern 3.

Zusammenfassend läßt sich sagen, daß die CD-ROM zwar dank ihrer computertechnisch umfassenden Verwendungsmöglichkeiten beeindruckt - hier ist vor allem das Gesamtkonzept der Digitalen Bibliothek hervorzuheben - und das Arbeiten am heimischen PC auf angenehme Weise erleichtert. Doch dies läßt kaum über die Überschneidung mit der Neubearbeitung für die vierte Auflage hinwegsehen. Fraglich ist, wer die CD-ROM eigentlich kaufen soll; von den Möglichkeiten her ist sie vor allem für private Nutzer interessant, dafür jedoch viel zu teuer. Ein Gang in die nächste größere Bibliothek ist sicher die bessere Wahl, da dort neben den älteren Bänden bereits die ersten Bände der Neuauflage stehen dürften. Aus demselben Grund werden sich Bibliotheken die Anschaffung wohl auch zweimal überlegen. Insgesamt hätte ich es für angemessen gehalten, den Abschluß der Neubearbeitung abzuwarten und dann eine brandaktuelle CD-ROM zu präsentieren oder aber ein anderes Nachschlagewerk ins Programm aufzunehmen, das auf absehbare Zeit sicher nicht durch eine neue Version abgelöst werden wird. Somit bleibt das Lexikon auf CD-ROM brauchbar für alle klassischen christlich-theologischen Grundbegriffe, hier erhält man nach wie vor solide Information. Auch für diverse Begriffe aus der Religionswissenschaft, Ethnologie oder Kunstgeschichte bietet das Lexikon einen ersten, guten Einstieg. Vollkommen veraltet sind aber sämtliche Literaturangaben und alle Informationen, die sich auf einzelne Länder beziehen oder sonst Anspruch auf Aktualität haben.

Anmerkungen:

1 Vgl. Vorwort S. 6 der digitalen Ausgabe.

2 Religion in Geschichte und Gegenwart, Vierte Auflage, Band 1, Vorwort zur vierten Auflage, 1998.

3 Grundsätzlich wäre anzumerken, daß ein Lexikon, das den Titel "Religion in Geschichte und Gegenwart" führt, eigentlich eine konfessionelle wie allgemein religiöse Ungebundenheit erwarten läßt. Es ist nicht zuletzt ein Politikum, wenn man mit einer überstarken Dominanz der christlichen Religion und der gelegentlich immer noch genutzten kategorialen Trennung in christlich und nichtchristlich arbeitet; als Angehöriger des Islam oder einer anderen Religion mag man sich auf den Schlips getreten fühlen. Offenbar sind die Gestalter des Werkes noch immer stark zwischen dem Ansinnen, christliche Werte zu bewahren und Wissen über die christliche Religion zu vermitteln, und dem Anspruch, in einer zunehmend globalisierten Welt eine gewisse kulturrelativistische Toleranz walten zu lassen, hin- und hergerissen. Neu ist immerhin eine profunde Verständigung mit jüdischen Religionswissenschaftlern, vor allem im Umgang mit biblischen Texten.

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