Rez. CD-ROM: Theune ueber "Atlas der Fruehgeschichte"

Titel
Atlas der Frühgeschichte. Von den Anfängen der Menschheit bis zur Antike


Herausgeber
Verlag United Soft Media
Erschienen
Anzahl Seiten
Preis
79.90 DM
Rezensiert für H-Soz-Kult von
Claudia Theune, Humboldt-Universitaet zu Berlin, Ur- und Fruehgeschichte

Unter der Redaktionsleitung von Chris Scarre, McDonald Institute for Archaeological Research, University of Cambridge, wurde ein umfassendes Nachschlagewerk zur Archaeologie der gesamten Welt erstellt. Neben der fruehesten Menschheitsgeschichte werden in zahlreichen Texten, illustrierten Karten, beweglichen und unbeweglichen Bildern sowie audiovisuellen Informationen bedeutende archaeologische Kulturen und Kulturkreise aller Kontinente von den ersten Nachweisen bis zum Beginn des fruehen Mittelalters (um 500 n. Chr.) in ihren wesentlichen Eckpunkten dargestellt. Die Autoren kommen meist aus dem universitaeren Bereich Englands und sind Spezialisten auf ihrem Gebiet.

Die CD-ROM ist geeignet fuer PC und Mac-Computer. Zu den Mindestvoraussetzungen an die Konfiguration gehoert Windows 95 oder 98, ein Pentium 75 MHz Prozessor mit 16 MB Arbeitsspeicher bzw. 20,5 MB freier Festplattenspeicher. Neben einer guten Grafikkarte sollte man noch eine 16 Bit-Soundkarte besitzen, um sich die audiovisuellen Informationen nicht nur ansehen, sondern auch anhoeren zu koennen. Die Installation erfolgt problemlos, und die Handhabung des Programms ist trotz des schmalen Begleitheftchens schnell erlernbar. Die CD-ROM kann fuer DM 79,90 erworben werden.

Ueber das einleitende Fenster mit einer Zeitleiste gelangt man zu unterschiedlichen Informationsfeldern. Neben der nach Regionen geordneten Zeitleiste kann man sich mit Hilfe eines Globus, auf dem man die Region anklicken kann, zu der naehere Informationen abgerufen werden sollen, auch ueber die untere Symbolleiste (Zeitschieberegler) im Programm bewegen. In der oberen Symbolzeile koennen durch die Icons "Musik auf rekonstruierten Instrumenten", "Virtuelle 3D-Nachbildungen", "Virtuelle Ausgrabungen" und "Alltagsleben" die Highlights des Programms direkt angeklickt werden.

Die Zeitleiste umfasst die Regionen Europa, Westasien, Suedasien, Ostasien, Afrika, Nordamerika, Mittelamerika und Suedamerika. Zu jeder Region gibt es einen kurzen Gesamtueberblick sowie zwei bis neun weitere Kulturkreise, die naeher beschrieben werden. All den Kulturen vorangestellt sind die Urspruenge der Menschheitsgeschichte und die Entwicklung zum neuzeitlichen Menschen. Mit Hilfe des am unteren Bildschirm positionierten Zeitschiebereglers kann man sich zu chronologisch aelteren und juengeren Themenkomplexen vor- und zurueckbewegen.

Die abgehandelten Themenkomplexe sind allerdings nicht gleichmaessig ueber den gesamten Erdkreis verteilt. Fuer Europa werden die neun Kulturkreise ("Neolithikum und Bronzezeit in Europa", "Die Skythen und Zentralasien", "Minoer und Mykener", "Archaisches und klassisches Griechenland", "Die Kelten", "Etruskisches Italien und fruehes Rom", "Germanische Koenigreiche", "Die hellenistische Welt"; "Das roemische Reich") vorgestellt. Asien wird in West-, Sued- und Ostasien untergliedert, wobei fuer Westasien die sieben Kulturkreise ("Neolithisches Westasien", "Die Sumerer", "Die Babylonier", "Die Hethiter", "Israeliten und Phoenizier", "Die Assyrer" und "Spaetere Reiche") im Mittelpunkt stehen. Aus Suedasien werden vier Kulturkreise beleuchtet ("Zivilisation des Industals", "Fruehgeschichtliches Indien", "Sri Lanka" und "Die Zeit nach den Maurya"); aus Ostasiens einschliesslich der pazifischen Region wird der Benutzer ueber die acht Kulturkreise ("Australien", "Praehistorisches Japan", "Besiedlung des pazifischen Raumes", "Fruehes China", "China unter der Shang-Dynastie", "China unter der Zhou-Dynastie", "China unter der Han-Dynastie" und "Fruehe Staaten Koreas und Japans") informiert. Aus Afrika finden fuenf Kulturkreise ("Sahara", "AEgypten", "Nubien", "Die Bantu und Schwarzafrika" sowie "Die Karthager") Erwaehnung. Der amerikanische Kontinent wird in drei Grossregionen eingeteilt, wobei fuer Nordamerika zwei ("Die Palaeoindianer", Huegelgrabkultur"), fuer Mittelamerika drei ("Die Olmeken", Hochlandkulturen", Die Maya") und fuer Suedamerika vier Kulturkreise ("Amazonas", "Chavin-Kultur", Nazca-Kultur" und "Moche-Kultur") beschrieben werden.

Durch Anklicken eines Themas gelangt man ueber eine audiovisuelle Einfuehrung und eine einfuehrende Karte zum Kulturkreisdiagramm. Hier sind mit unterschiedlichen Symbolformen alle Einzelthemen des gewaehlten Kulturkreises aufgefuehrt; dabei handelt es sich um Landkarten, teilweise mit weiteren Erlaeuterungen, Stadt- und Lageplaene, unterschiedliche Texte mit und ohne Illustrationen sowie historisch ueberlieferte Augenzeugenberichte, virtuelle Ausgrabungen, interaktive Musikinstrumente, virtuelle 3D-Nachbildungen oder Darstellungen zum Alltagsleben. Verbindungen zu anderen Kulturkreisdiagrammen erlauben es, auf dieser Ebene weite Teile der gebotenen Informationen abzurufen. Bei den Beispielen zu den einzelnen Kulturkreisen in Europa ueberwiegen die englischen Beispiele, so wird als Beispiel fuer ein roemisches Legionslager das Lager Housesteads am Hadrianswall und auch fuer die Darstellung eines Grenzabschnittes des roemischen Reiches der Hadrianswall im Norden Englands gewaehlt; der deutsche Benutzer wuerde hier eventuell die heimischen Fundstaetten des obergermanisch-raetischen Limes vorziehen.

Die Texte sind recht kurz gehalten und bieten die allerwichtigsten einfuehrenden Informationen, ohne jedoch in die Tiefe zu gehen. Auch auf den Karten sind nur die allerwichtigsten Fundplaetze verzeichnet bzw. diejenigen, die im Rahmen des Programms weiter beschrieben werden. Das Programm lebt hier von den zahlreichen eingestreuten Bildern archaeologischer Funde oder Fundstaetten. Dies gilt in besonderem Masse fuer die Highlights des Programms, die "Musik auf rekonstruierten Instrumenten", "Virtuelle 3D-Nachbildungen", "Virtuelle Ausgrabungen" und "Alltagsleben" mit jeweils rund einem Dutzend Beispielen. Bei der Musik wird auf einem nach archaeologischen Funde nachgebauten Instrument eine altertuemlich-klingende Musik gespielt, die zwar wohl die Toene an sich korrekt wiedergibt, bzgl. der Musik jedoch auf heutigen Kompositionen aufbaut. Bei den virtuellen 3D-Nachbildungen kann man sich mit der Maus durch verschiedene bedeutende Grabstaetten wie das Grab Tut-Ench-Amuns bewegen und hier weitere kurze Informationen zu einzelnen Fundpunkten oder Fundstuecken erhalten, Karten ergaenzen das Bild. Das Ganze wird von einer nachgestellten Geraeuschkulisse begleitet. Bei den virtuellen Ausgrabungen gelangt man durch Anklicken der Fundstelle bzw. besonders markierter Bereiche in das Innere des Fundes. Dazu werden kleine Pop-Up-Fenster mit kurzen Erlaeuterungen geoeffnet. Amuesant programmiert sind die Szenen des Alltagsleben. Verschiedene aus der Archaeologie bekannte Bilder erwachen durch ein Anklicken zum Leben. Menschen und Tiere bewegen sich, und eine passende Geraeuschkulisse untermalt die Szene.

Insgesamt ist festzustellen, dass bei den abgehandelten Kulturkreisen der asiatische Raum, speziell China, ueberwiegt. Bezueglich eines globalen Anspruches der Produktion mag dies gerechtfertigt sein, fuer den heimischen - europaeischen - Raum haette man sich aber weitere Vertiefungen gewuenscht. So werden das Neolithikum und die Bronzezeit gemeinsam fuer ganz Europa abgehandelt, eine Aufschluesselung waere hier jedoch nuetzlich gewesen. Es fehlt aus diesem Komplex die schon 1991 entdeckte Gletschermumie vom Similaun, Oetzi. Gerade dieser Fund haette sich auch fuer die "virtuelle 3D-Nachbildungen" oder auch das "Alltagsleben" sehr angeboten.

Anzumerken sind noch etliche Schreibfehler, die als Uebersetzungsfehler gedeutet werden koennen, sowie fehlerhafte Textinformationen (z.B. Liste der roemischen Herrscher; virtuelle Ausgrabung des keltischen Fuerstengrabes von Hochdorf: Erklaerung zum Huegelaufbau, u.a.m.), die von der deutschen Endredaktion uebersehen wurden. Das gleiche gilt fuer mindestens eine Fensterueberschrift, die nicht aus dem Englischen ins Deutsche uebersetzt wurde (Early Historic India). Verwunderlich sind auch etliche Links. So erwartet man z.B. beim Anklicken des Fundorts Stonehenge auf der Karte "Fruehe Metallurgie und Becher" weitere Informationen zu diesem bedeutenden Fundort, gelangt jedoch zu einem Text zur Religion der Zeit mit einem Bild des Kultwagens von Trundholm. Zu Stonehenge selbst aber fuehrt erst ein Verweis im Kulturkreisdiagramm. Ein weiteres Beispiel: Auf einer Karte zum klassischen Griechenland erhaelt man bei dem als Link unterlegten Eintrag "Athen" Informationen zum griechischen Alphabet. Und diese Liste liesse sich noch weiter fortsetzen.

Im Index werden nur die Kulturkreise aufgefuehrt sowie etliche Beispiele zu den unterschiedlichen Oberbegriffen wie Alltagsleben, Behausungen, Eroberung u.a.m. Die Einbindung des Begriffes Archaeologie verwundert etwas, da sich das gesamte Programm doch in erster Linie um Archaeologie dreht. Es fehlt leider eine Recherchemoeglichkeit bzw. eine Suchoption.

Es bleibt festzuhalten, dass das Programm fuer Fachleute weniger geeignet ist, da die gebotenen Informationen nicht ueber einen Lexikonstandard hinausgehen. Hinzu kommen - zumindest in der deutschen Version - etliche kleine Fehler, die fuer einen Laien nicht erkennbar, fuer die Fachkollegen jedoch wenig erfreulich sind. Fuer interessierte Laien hingegen ist das Programm gut geeignet, um Interesse an der Archaeologie und der Menschheitsgeschichte zu wecken. Fuer diesen Adressatenkreis bietet sich hier eine Fuelle von optisch - und auch akustisch - gut aufbereiteten einfuehrenden Informationen ueber archaeologische Funde und Befunde. Dass diese Informationen mit einem neuen Medium - einer CD-ROM - einer breiten Oeffentlichkeit zugaenglich gemacht werden, ist wichtig und wird auch dem steigenden Interesse an Archaeologie gerecht. Die archaeologischen Fachgelehrten duerfen ihre Kenntnisse nicht nur einem kleinen Personenkreis von Fachkollegen zugaenglich machen, sondern muessen auch die breite Oeffentlichkeit ueber ur- und fruehgeschichtliche Gesellschaften und Phaenomene informieren. Gut fundierte populaerwissenschaftliche Veroeffentlichungen sind in Deutschland leider viel zu selten. Die vorliegende CD-ROM schliesst hier eine wichtige Luecke.

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