Wer nicht zu den Etablierten gehört, sieht sich häufig mit einer besonderen, geradezu potenzierten Art von Kontingenz konfrontiert. Wo Regeln und wechselseitige Solidaritätsversprechen für die Etablierten Berechenbarkeit schaffen können, bleibt die daraus resultierende Berechenbarkeit für Außenseiter:innen oder Aufsteiger:innen zumindest fraglich. Es ergeben sich so einerseits besondere Risiken, andererseits aber auch spezifische Handlungsoptionen und Chancen, die sich nicht in der sprichwörtlichen ‚Narrenfreiheit‘ erschöpfen müssen.
Diese soziale Konstellation, die sich als Figuration von Etablierten und Außenseiter:innen beschreiben lässt (Norbert Elias), findet sich in allen komplexen Gesellschaften der Geschichte. Die Freigelassenen der römischen Kaiserzeit und die Ministerialen des Mittelalters sind Beispiele für Akteur:innen, die aus einer niedrigen sozialen Position zu einer neuen Funktionselite aufstiegen. Dieser Aufstieg konnte auf Seiten der Aufsteigenden von neuen Handlungsoptionen gekennzeichnet sein, während sich für die Etablierten altbekannte Spielräume einengen mochten. Eine Untersuchung solcher Handlungsspielräume erscheint als äußerst fruchtbar, um nicht nur die sozialen Prozesse in der beschriebenen Figuration freizulegen, sondern auch um die historische Kontingenzforschung um eine bisher weniger berücksichtigte Perspektive zu erweitern.
Wie sahen also die Handlungsmöglichkeiten randständiger Akteur:innen konkret aus? Wie veränderten sich diese historisch und warum? Inwieweit erzeugte die soziale Position von Außenseiter:innen oder Aufsteiger:innen (und potenziell auch von Etablierten?) Kontingenzen, die das Entwickeln von neuen Strategien des Umgangs mit diesen erforderten und begünstigten? Erwiesen die Handelnden sich dabei auch als kalkulierende „Kontingenzeröffner “? Wussten Sie mithin um die Kontingenz ihrer Lebenswelten und ließen dieses Wissen in ihr Handeln einfließen?
Ziel der Tagung ist, diese und sich anschließende Fragen in den Blick zu nehmen. Die Tagung wählt dabei bewusst einen interepochalen und interdisziplinären Zugang, um im Format eines Workshops zu neuen Fragestellungen zu gelangen.
Die Konferenz findet am 7. und 8. Juli 2022 an der Universität Duisburg-Essen statt (Campus Essen). Ausrichter sind Christian Michel und Simon Temme, die am DFG-geförderten Graduiertenkollegs 1919 „Vorsorge, Voraussicht, Vorhersage. Kontingenzbewältigung durch Zukunftshandeln“ angestellt sind. Die Tagungssprachen sind Deutsch und Englisch. Wenn Sie teilnehmen möchten, melden Sie sich bitte möglichst bis zum 6. Juli 2022 bei: simon.temme@uni-due.de oder christian.michel2@uni-due.de. Interessent:innen aus allen Epochen und Nachbarwissenschaften sind willkommen. Genaue Informationen zum Konferenzraum und zur Anreise versenden wir bei einer Teilnahme separat.