Wissenstransfer in seriellen Quellen. Verwaltung, Alltag und Gesellschaft in den spätmittelalterlichen Städten Europas

Wissenstransfer in seriellen Quellen. Verwaltung, Alltag und Gesellschaft in den spätmittelalterlichen Städten Europas

Veranstalter
Cluster of Excellence ROOTS, Subcluster 'Knowledge'; Department of History/Late Middle Ages and Economic and Social History
Veranstaltungsort
Internationales Begenungszentrum Kiel (IBZ)
PLZ
24105
Ort
Kiel
Land
Deutschland
Findet statt
In Präsenz
Vom - Bis
30.03.2023 - 01.04.2023
Deadline
25.11.2022
Von
Marie Jäcker, Historisches Seminar, Abteilung für die Geschichte des Spätmittelalters sowie Wirtschafts- und Sozialgeschichte, Universität Kiel

Wissenstransfer in seriellen Quellen. Verwaltung, Alltag und Gesellschaft in den spätmittelalterlichen Städten Europas

Ausschreibung für die Internationale Tagung des Exzellenzclusters ROOTS/ Subcluster Knowledge in Kooperation mit der Abteilung für die Geschichte des späten Mittelalters sowie für Wirtschafts- und Sozialgeschichte an der Christian-Albrechts-Universität zu Kiel vom 30.3.2023-01.04.2023.

Knowledge Transfer in Serial Sources. Administration, Routines and Society in Europe’s Late Medieval Towns

Call for Papers for the International Conference of the Cluster of Excellence ROOTS/ Subcluster ‘Knowledge’ in cooperation with the Department of History/Late Middle Ages and Economic and Social History to be held at Kiel University from 30.03.2023-01.04.2023.

Wissenstransfer in seriellen Quellen. Verwaltung, Alltag und Gesellschaft in den spätmittelalterlichen Städten Europas

Das Spätmittelalter hat bereits viele treffende Charakterisierungen erfahren – eine davon ist jene als ‚Zeitalter explodierender Schriftlichkeit‘. Seit dem 12. Jahrhundert tritt in West- und Mitteleuropa der städtische Raum als Ort der produktivsten Schriftlichkeit verschiedenster Provenienz hervor. Hierbei spielten unter anderem die Verfügbarkeit neuer Beschreibstoffe wie auch eine andere Wahrnehmung des Nutzens von Schriftlichkeit eine Rolle. Insbesondere in den aufstrebenden Städten in England, Frankreich und dem deutschsprachigen Raum wurden dadurch die neuen Herausforderungen der Selbstorganisation und Verwaltung bewältigt. Schriftlichkeit als nicht an Personen und individuelles Gedächtnis gebundenes Medium der Informationsbewahrung und der praktischen Lebensbewältigung (Keller 1992) gilt seit längerem als produktives Forschungsfeld der Mediävistik. Auf der internationalen Tagung in Kiel mit dem Titel „Wissenstransfer in seriellen Quellen. Verwaltung, Alltag und Gesellschaft in den spätmittelalterlichen Städten Europas“ sollen die Ergebnisse im Bereich statistisch ausgerichteter Studien der letzten Jahrzehnte reflektiert, Methoden verglichen und Perspektiven wie auch künftige Entwicklungen diskutiert werden. Neben den klassischen Ansätzen sollen insbesondere auch weniger intensiv bearbeitete Bereiche bei der Erforschung serieller Quellen abgedeckt werden, für die insbesondere diese Tagung gedacht ist.

Unbestritten ist die wachsende Menge und Vielfältigkeit urbaner Schriftlichkeit im späteren Mittelalter. Zum Funktionieren des städtischen Organismus wurden viele Schreiber benötigt, die dabei der Kontrolle durch die Stadtobrigkeit unterlagen. Die damit einhergehende Rechtfertigungs- und Absicherungspflicht führte zu einem Anwachsen ‚öffentlicher Schriftlichkeit‘ und erhöhte die Erhaltungswahrscheinlichkeit. Diese gilt für die Zollbücher der Stadttore ebenso wie für die Gerichts-, Stadt- und Amtsbücher und die diversen in einer Stadt anzutreffenden Rechnungsserien verschiedenster Ämter und Provenienz, die im Laufe des Spätmittelalters kontinuierlich weitergeführt wurden und sich weiter ausdifferenzierten. Dass diese Quellenserien nur mit geringen oder keinen Lücken bis heute überliefert wurden, ist ein Glücksfall für Historikerinnen und Historiker, die dabei indirekt von der Bedeutung dieses teils öffentlichen, teils privaten pragmatischen Schriftguts für die mittelalterlichen und vormodernen Stadtbewohner profitieren. Gleichzeitig tun sich durch die Serialität ganz neue Möglichkeiten der geschichtswissenschaftlichen Auswertung auf. Die diversen statistisch veranlagten Arbeiten der letzten Jahrzehnte zeugen hiervon.

Themenfeld 1: Eintragsgenese
Die geplante Tagung will den Blick auf weitere Aspekte richten. Denn während ökonomische und prosopographische Fragen schon oft und mit Gewinn bearbeitet wurden, blieben diejenigen nach der Genese der einzelnen Einträge häufig außen vor oder wurde nur kursorisch dargestellt. Dabei ist die Eintragsgenese – nicht nur aus quellenkritischer Perspektive – eine der entscheidenden Grundsatzfragen auch für alle anderen Auswertungsformen von (serieller) Verwaltungsschriftlichkeit. Da sich die serielle Schriftlichkeit in der mittelalterlichen Stadt dadurch charakterisiert, dass sie unabhängig vom schreibenden Individuum über längere Zeiträume geführt wurde und erhalten blieb, ermöglicht sie die Betrachtung ganz unterschiedlicher Fragestellungen in Bezug auf ihr Entstehen. So können vorgeschlagene Beiträge untersuchen, inwieweit ein zu Beginn der Überlieferung rekonstruierbares Konzept der Einträge oder Bände im Laufe der Zeit von ein und demselben oder verschiedenen Schreibern durchgehalten oder modifiziert, vielleicht sogar verworfen wurde. Welche Aussagen lassen sich hieraus für das überpersonelle Funktionieren mittelalterlichen Verwaltungsschriftgutes ableiten? Welche Kriterien und Formeln können zum Gelingen und Scheitern der Weitergabe von Schreiber Knowhow beitragen? Werden diese Fragen gar durch die Schreiber selbst reflektiert?

Themenfeld 2: Wissenstransfer und Wissenswandel
Andere Beiträge könnten die Form und Inhalte der Einträge unterschiedlicher Schreiber/ Amtsträger eines Quellentypus auf Unterschiede untersuchen. Denn wo diese auftreten, ist auch nach ihren Gründen zu fragen. Dies führt unter anderem zu der Frage, ob Einträge (etwa in Rechnungen) lediglich der Buchung und Rechtfertigung bei Abrechnungen dienen oder, ob in ihnen ebenfalls, losgelöst vom schreibenden Individuum, prozessuales Wissen transportiert werden soll. Gemeint ist damit solches Wissen, das mit den jeweiligen Prozessen bei der Erstellung des Schriftguts einherging und somit vielfältige Bereiche der mittelalterlichen Gesellschaft hauptsächlich deren Verwaltung und Alltagsorganisation betraf und Einblicke in deren Dynamiken gewährt. Dabei könnte unter anderem der Problematik nachgegangen werden, inwiefern Veränderungen im Schriftgut, wie bspw. eine Zu- oder Abnahme im Umfang der Einträge, Wechsel der Schriftsprache oder des Formats, mit einer expliziten Absicherung im Rechtfertigungsfall, ebenjener Weitergabe von Wissen oder anderen Faktoren zusammenhingen? Denn so häufig diese für uns heute als glücklicher Bonus erscheinenden Informationen und Veränderungen in seriellen Quellen bereits für Alltags- und Gesellschaftsgeschichte bereits ausgewertet wurden, so selten wurde nach ihren Entstehungszwängen und -kontexten gefragt? Die seriellen Quellen ermöglichen hierbei einen Erkenntnisgewinn einerseits hinsichtlich der vertikalen Weitergabe von Wissen, also im Laufe der Zeit, andererseits durch ihr gleichzeitiges Auftreten im gesamten europäischen Raum ebenso hinsichtlich eines horizontalen Austausches von Wissensbeständen innerhalb kontemporärer Kulturen oder Individuen.

Themenfeld 3: Gesetz(e) der Serie
Ein dritter denkbarer Themenkomplex könnte sich mit dem Verhältnis von Norm und Umsetzung beschäftigen. Inwiefern lassen sich etwa Beschlüsse des Rates, des Domkapitels oder anderer Organisationsformen oder anderer Gewaltinhaber innerhalb der Stadt in seriellen Quellen umgesetzt finden? Führen gewisse Konflikte, etwa um die Rechnungslegung des Rates oder um Unterschlagung durch Amtsträger, zu Veränderungen in der Eintragsführung betreffender Quellenreihen? Umgedreht wäre ebenfalls zu untersuchen, inwiefern sich Fragen der Führung serieller Schriftlichkeit in den Geschäften des Rates oder seiner Unterbehörden wiederfinden. Gab es Versuche den Informationsgehalt von Einträgen in den verschiedenen Bänden zu steuern? Wenn ja, welche Argumente und Gründe werden hierfür angeführt?

Neben den vorgeschlagenen Themenkreisen sind natürlich auch andere Fragestellungen willkommen, die sich in ihrer Forschung mit seriellen Quellen und den skizzierten Themenfeldern beschäftigen. Hierbei sind sowohl synchrone als auch diachrone Vergleiche gern gesehen.
Wir begrüßen insbesondere Themenvorschläge junger Wissenschaftlerinnen und Wissenschaftler. Die Tagungssprachen sind Deutsch und Englisch. Die Unterkunftskosten sowie Reisekosten (Bahnfahrt 2. Klasse oder Vergleichbares) werden erstattet. Eine Bewerbung in Form eines Abstracts (200 Wörter) und einer Kurzbiographie erfolgt bis zum 25.11.2022. Die Drucklegung der Tagungsergebnisse ist vorgesehen. Die Rückmeldung auf eingereichte Abstracts erfolgt Anfang Dezember 2022.

Bitte schicken Sie Ihre Bewerbung an:
mjaecker@histosem.uni-kiel.de
mgrund@histosem.uni-kiel.de

Knowledge Transfer in Serial Sources. Administration, Routines and Society in Europe’s Late Medieval Towns

The Late Middle Ages have received numerous apt characterisations ¬– amongst others ‘age of the explosion of scripturality’. Since the 12th century, urban Western and Central Europe had emerged as a place of a highly productive scripturality of different provenance. To this end, the availability of new writing materials as well as a change in the perception of the benefits of scripturality played an important role. In particular, this enabled the aspiring cities and towns of England, France and the German-speaking regions to face the challenges of self-organisation and administration. Scripturality, as a medium detached from persons and individual memory to store information and to cope with everyday challenges, has been considered a productive field of medieval studies. The international conference on ‘Knowledge Transfer in Serial Sources. Administration, Experience/Everyday Life and Society in Europe’s Late Medieval Towns’ to be held in Kiel aims at reflecting the results of the statistical analyses of the last decades, comparing methods and perspectives as well as discussing future developments. In addition to established approaches, the conference especially wants to cover less popular sectors of the research on serial sources.

The increasing amount and diversity of urban scripturality in the Late Middle Ages is uncontested. In order for the urban organism to function, many scribes were needed who were subject to towns’ and cities’ authorities. The accompanying obligation to justify and to secure one’s actions led to a growth of ‘public scripturality’ resulting in an increased probability of transmission. This applies not only to the customs books of the town gates but also to court proceedings, town and other official books as well as a diverse range of other urban accounting series of various offices and origins. The same were continued throughout the later Middle Ages and took more diverse forms. The fact that these serial sources were delivered to posteriority with no or marginal gaps, proves to be a lucky chance for historians who indirectly benefit from the importance of these partly public, partly private pragmatic records for the medieval and pre-modern urban residents. Simultaneously, the same seriality opens up new possibilities of historiographic analysis. The recent numerous works of statistical nature bear witness to this.

Topic Area 1: Formation of entries
The scheduled conference wants to place the focus on further aspects. While economic and prosopographic questions have been asked and successfully answered, those dealing with the formation of the individual entries have often been left out or only marginally addressed. Nonetheless, especially the formation of the entries constitutes one of the key questions for not only source criticism but also all other forms of the analysis of serial administrative records. The serial scripturality of medieval towns and cities is characterised by having been continually written and handed down independently of the individual scribe over a longer period of time which allows for a diversity of research questions regarding their formation. Proposed contributions could investigate the degree to which entries that show an identifiable concept of entries at the beginning of the series have been maintained, modified or even abandoned by the same or different scribes. What does this imply for the supra-personal functioning of medieval administrative records? Which criteria and formula decide the success or failure of the transmission of scribal expertise? Does the scribe maybe even reflect upon this?

Topic Area 2: Knowledge transfer and change
Other contributions could focus on the form and content of the entries of different scribes/ office holders of a specific type of source. By investigating possible differences, it can be asked why and where the same occur. This leads to several questions e.g. whether specific entries (in accounts) only serve the purpose of justifying their spending or whether they were supposed to transport processual knowledge? This relates to those types of knowledge associated with the respective processes of the creation of the records and thereby touched upon various spheres of medieval society, although mainly their administration into whose dynamics it offers valuable insights. Possible questions could deal with shifts in the scope of the entries, language changes or different formats and how all of these phenomena might be related to the transmission of knowledge or other factors. This additional information and its changes often prove to be fascinating aspects of serial sources and as such have often been the subject of Alltagsgeschichte and social history. However, little light has been shed on the respective constraints and contexts of their formation. Serial sources, on the one hand, offer valuable insights into the vertical transfer of knowledge over time while, on the other hand, their simultaneous appearance in the whole of Europe promises some indication of the horizontal exchange of different bodies of knowledge between contemporary cultures and individuals.

Topic Area 3: Serial law(s)?
A third possible area of topics could be concerned with the relation of norms and their application. In what way are the decisions of a town’s council, chapter or other forms of authority and organisation implemented into the serial sources? Do specifics conflicts about the accounting of the council or the misappropriation of monies by office holders lead to changes in the composition of the entries of serial sources? Vice versa, it should be asked whether the continuation and practices of serial scripturality were included in the business of the council and its subordinate offices. Do we find traces of attempts to steer and shape the informative content of the entries? If so, what were the arguments in favour of or against this?

In addition to the proposed topic areas, contributions and questions dealing with serial sources and the outlined subjects are highly welcomed. This can involve synchronic as well as diachronic comparisons.

We particularly encourage contributions by early career researchers. The conference languages are German and English. The costs for accommodation and transport (train, second-class or equivalent) will be covered. Applications should be made in the form of a 200-word abstract and a short CV. The deadline is the 25.11.2022. It is intended that the results of the conference will be published. Researchers who submit an abstract will receive feedback until early December 2022.

Please send your application to:

mjaecker@histosem.uni-kiel.de
mgrund@histosem.uni-kiel.de

Kontakt

mjaecker@histosem.uni-kiel.de
mgrund@histosem.uni-kiel.de

https://www.histsem.uni-kiel.de/de/das-institut-1/abteilungen/professur-fuer-geschichte-des-spaeten-mittelalters-sowie-wirtschafts-und-sozialgeschichte/aktuelles
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