Zur Historizität der Suche und Sehnsucht nach Zusammenhalt

Konf: „Dass ich erkenne, was die Welt im Innersten zusammenhält“ - Zur Historizität der Suche und Sehnsucht nach Zusammenhalt

Veranstalter
Forschungsinstitut Gesellschaftlicher Zusammenhalt
Veranstaltungsort
Raum 5.55 in der Strohsackpassage, Nikolaistr. 6-10
Gefördert durch
Bundesministerium für Bildung und Forschung (BMBF)
PLZ
04109
Ort
Leipzig
Land
Deutschland
Findet statt
In Präsenz
Vom - Bis
12.03.2024 - 13.03.2024
Deadline
01.03.2024
Von
Sarah Lempp, Forschungsinstitut Gesellschaftlicher Zusammenhalt

Tagung im Rahmen des Clusters 3 „Historische, globale und regionale Varianz des Zusammenhalts“ des Forschungsinstituts Gesellschaftlicher Zusammenhalt (FGZ)

Konf: „Dass ich erkenne, was die Welt im Innersten zusammenhält“ - Zur Historizität der Suche und Sehnsucht nach Zusammenhalt

1925 wurde in Leipzig das „Institut für Soziologie“ unter der Leitung von Hans Freyer eingerichtet. Es war der erste Lehrstuhl im deutschsprachigen Gebiet, der ausschließlich diesem Fach gewidmet war. Die Gründung steht für die Institutionalisierung einer seinerzeit noch jungen Disziplin, die den Zusammenhalt von sozialen Ordnungen befragte. Zwar hatte diese Disziplin sich als Wissenschaft des Sozialen schon im Verlauf des 19. Jahrhunderts herausgebildet. Doch erst nach dem Ersten Weltkrieg und infolge der Erfahrung des Zusammenbruchs politischer und sozialer Gewissheiten etablierte sie sich als Fachdisziplin nunmehr mit der Bezeichnung „Soziologie“. Wenngleich ihre Gestalt, ihre Funktion und ihre Methoden in der Institutionalisierungsphase noch unter den Vertretern der Disziplin selbst umkämpft waren, blieb ihr von Anbeginn ein Grundzug wesentlich, nämlich die Vorstellung von Einheit und (sozialer, politischer und/oder ethnischer) Homogenität als Gegenentwurf zum vermeintlichen Zerfall, Zusammenbruch und zur Zerklüftung der Sozialstruktur. Diesem Ansatz lag wiederum die Ansicht von der sozialen Heterogenität als Fragmentierung zugrunde, während Einheit meist als eine mehr oder weniger homogene Konformität verstanden wurde. Entsprechend fehlte der frühen Soziologie die Vorstellungskraft, soziale Ordnungen als zugleich einheitlich als auch vielfältig, als integriert wie auch pluralistisch zu begreifen. Sie war von einer Suche nach Zusammenhalt bestimmt, für die sie entsprechende Begriffe und Konzepte wie etwa „Volk“, „Gesellschaft“ oder „Gemeinschaft“ prägte.

Ausgehend von der historischen Bedeutung, die der Ort Leipzig in der Wissenschaftsgeschichte der Soziologie einnimmt, möchten sich das Teilprojekt des Forschungsinstituts Gesellschaftlicher Zusammenhalt selbstreflexiv aus einer historischen Perspektive jenen methodologischen Ansätzen sowie den sich darin eingeschriebenen Begriffen, Denkfiguren und Metaphern widmen, in denen die Frage nach dem Zusammenhalt verhandelt wurde. Dabei argumentieren wir, dass sich im 20. Jahrhundert die Suche nach „Zusammenhalt“ als Gegenkonzept zu dem Bestreben herausgebildet hat, Zusammenbruch respektive Unordnung zu vermeiden bzw. zu verhindern.

Einhundert Jahre später hat die Befragung von „Zusammenhalt“ zum Zweck ihrer Bewahrung respektive Neukonfigurierung nichts an Dringlichkeit eingebüßt: Immer noch bemühen wir uns um Analysen von bestehenden diskursiven Polarisierungen, von wirtschaftlichen und politischen Ungleichheiten sowie von sozialen Fragmentierungen. Nicht selten (und sicherlich auch nicht immer zu Unrecht) werden dabei soziale Zerklüftungen und gesellschaftliche Friktionen als Krise oder – gerade im heutigen Diskurs – vor allem als Bedrohung der demokratischen Ordnung wahrgenommen.

Ausgehend von der Annahme, dass die Suche nach Zusammenhalt ein konstruiertes Gegenkonzept zu Unordnung und Zusammenbruch darstellt, widmet sich die Tagung dem Zusammenhang von intellektueller, akademischer und empirischer Krisendiagnostik einerseits und der ihr folgenden politischen Suche nach – durchaus auch differierenden Imaginationen von – Zusammenhalt andererseits gefragt werden. Von Interesse sind dabei jene intellektuellen, wissenschaftlichen und empirischen Analysen und Deutungen von sozialen Ordnungen, die deren Zerfall, Zerklüftung und Zerwürfnis diagnostizieren und damit eine Gefährdung des – wie auch immer imaginierten – Zusammenhalts prognostizieren.

Die Teilnahme ist kostenfrei und nach vorheriger Anmeldung bis zum 1. März möglich. FGZ-Mitarbeiter:innen können sich für eine Teilnahme über Zoom anmelden.

Anmeldung per Mail an: fgz-leipzig@uni-leipzig.de

Programm

Dienstag, 12. März

13:00 - 13:30 Uhr: Begrüßung

Matthias Middell, Sprecher des FGZ-Standorts Leipzig

Dirk van Laak, Projektleiter „Kohäsion in der Krise. Empirische und intellektuelle Diagnosen eines prekären gesellschaftlichen Zusammenhalts in Europa seit 1945“

Zarin Aschrafi, Wissenschaftliche Mitarbeiterin im o. g. Teilvorhaben

13:30 - 15:00 Uhr: Panel 1
Nach dem Zusammenbruch der alten Ordnung, 1918: Begriffe des Zusammenhalts

Inka Sauter, Frankfurt: Neue alte Begriffe. Über „Gemeinschaft und Gesellschaft“ von Ferdinand Tönnies

Carola Dietze, Jena: Liebe und Distanz. Die Grenzen des gemeinschaftlichen und gesellschaftlichen Zusammenhalts in Helmut Plessners Sozialphilosophie

Panelleitung: Barbara Lüthi

15:00 - 15:30 Uhr: Kaffeepause

15:30 - 17:00 Uhr: Panel 2
Nach der Katastrophe, 1945: Semantiken des Zusammenhalts

Michael Becker, Frankfurt: Ein moderner Mandarin? Nationale Kontinuität, gesellschaftliche Kohäsion und die Rolle der Intellektuellen bei Helmut Schelsky

Ralph Jessen, Köln: „Wenn wir brüderlich uns einen, schlagen wir des Volkes Feind." Einheitspathos, Klassenkampf und Volksmythos in der politischen Rhetorik der frühen DDR

Panelleitung: Matthias Middell

17:15 Uhr: Abendvortrag / Keynote Lecture

Jerry Z. Muller, Washington: Community, Identity, and the State: Hans Freyer from Radical Conservatism to Resigned Conservatism

Moderation: Dirk van Laak

ab 18:30 Uhr: Gemeinsames Abendessen

Mittwoch, 13. März

9:00 - 10:30 Uhr: Panel 3
Nach dem Boom, 1973: Kategorien des Zusammenhalts

Ariane Leendertz, München: Zusammenhaltsbeschwörungen in Zeiten der Polykrise. Die USA zum Ende der 1970er Jahre

Almuth Ebke, Mannheim: Society, community, identity. New Labour zwischen soziologischem Angebot und politischer Herausforderung

Panelleitung: Axel Körner

11:00 - 12:30 Uhr: Panel 4
Nach dem „Ende der Geschichte”, 1989/90: Figuren und Figurationen des Zusammenhalts

Martin Deuerlein, Tübingen: „Indigene Völker“ Die Konstruktion einer transnationalen Gemeinschaft in der „Weltgesellschaft“

Jasper Trautsch, Bonn: Die Figur des „Westens“ als Integrationsideologem und Kampfbegriff in der jüngsten Zeitgeschichte

Panelleitung: Jürgen Dinkel

12:30 - 13:30 Uhr: Mittagessen

13:30 - 15:00 Uhr: Panel 5
Zur Soziologie der Gegenwart: „Gesellschaftlichen Zusammenhalt” bestimmen, analysieren, denken

Ute Volkmann, Bremen: Soziologische Zeitdiagnosen und die Krise gesellschaftlichen Zusammenhalts: das Genre und seine Argumentationsfiguren

Uwe Schimank, Bremen: Verbündeter – Schlichter – Abklärer: Soziologische Positionierungen zu gesellschaftlicher Polarisierung

Panelleitung: Holger Lengfeld

15:00 - 15:15 Uhr: Ende der Tagung

Kontakt

fgz-leipzig@uni-leipzig.de

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